Spesenskandal: Fraunhofer-Gesellschaft verweigert ihrem Ex-Präsidenten die Entlastung
Das Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen soll abgewartet werden; auch Innovationsvorstand Kurz wurde nicht entlastet.
DIE MITGLIEDERVERSAMMLUNG der Fraunhofer-Gesellschaft hat dem zurückgetretenen Ex-Präsidenten Reimund Neugebauer die Entlastung für das Rechnungsjahr 2022 bis auf Weiteres verweigert. Dies geht aus zuverlässigen Informationen hervor, die mir vorliegen. Auch der noch im Amt befindliche Innovationsvorstand Alexander Kurz erhielt für 2022 am vergangenen Freitag in Dresden keine Entlastung.
In beiden Fällen folgte die Mitgliederversammlung dem Vorschlag des Senats, die Entlastung zu vertagen – mindestens bis das von der Staatsanwaltschaft München I im März eröffnete Ermittlungsverfahren wegen Vorwürfen der Steuergeldverschwendung abgeschlossen ist. Dies laufe derzeit weiter gegen unbekannt, wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft bestätigte.
Auf Anfrage wollte die Senatsvorsitzende Hildegard Müller die gefallenen Gremienentscheidungen nicht kommentieren. Die Beratungen von Mitgliederversammlung und Senat unterlägen "mit Blick auf Entlastungen und weitere Tagesordnungspunkte ausdrücklich der Vertraulichkeit und können nicht öffentlich diskutiert werden", hieß es. In einer internen Nachricht an alle Fraunhofer-Mitarbeitenden hatte Müller vergangene Woche eine transparente und klare Aufarbeitung problematischer Vorgänge aus der Vergangenheit" angekündigt.
Alexander Kurz gilt als enger Vertrauter Neugebauers und fungiert seit 2011 als Vorstandsmitglied, bis Anfang 2022 zuständig für die Ressorts Personal, Recht und Verwertung. Die übrigen drei Vorstandsmitglieder, allesamt erst im August 2022 berufen, wurden den Informationen zufolge entlastet.
Wobei die Mitgliederversammlung mit Blick auf die Vergangenheit offenbar auch in Richtung Zukunft unterschied: Finanzvorständin Sandra Krey, die überhaupt erst im vergangenen Jahr zu Fraunhofer kam, wurde, bis der neugewählte Präsident Holger Hanselka sein Amt antritt, mit der kommissarischen Leitung der Forschungsgesellschaft betraut – und der erst 2022 in die Zentrale gewechselte Infrastrukturvorstand Axel Müller-Groeling mit ihrer Stellvertretung. Elisabeth Ewen, Vorständin für Personal, Unternehmenskultur und Recht, rückte zwar erst 2022 in die Führungsetage auf, war zuvor aber über 21 Jahr hinweg in verschiedenen Funktionen in der Zentrale tätig, zuletzt als Direktorin Personal und Unternehmenskultur.
Nur teilweise Entlastung Neugebauers für 2021 gilt weiter
Bereits vergangenes Jahr hatte die Mitgliederversammlung Neugebauer und weitere Vorstandsmitglieder für 2021nur teilweise entlastet. Vergangenen Freitag beschloss das Gremium, daran nichts zu ändern. Der Vorbehalt für 2021 bezog sich auf die abgerechneten Reisekosten, die Prüfungen von BMBF und Bundesrechnungshof und mögliche Konsequenzen daraus.
Auf einen von mir vorgelegten Fragekatalog, der sich unter anderem auf das Handling des Spesenskandals durch den Senat bis zu den jüngsten Entscheidungen bezog und auf den Zeitpunkt der von Müller als "Sofortmaßnahmen" bezeichneten Schritte, ging die Senatsvorsitzende in ihrer knappen Antwort nur teilweise ein. Der Senat habe "mit Kenntnis konkreter Sachverhalte der Prüfberichte von BMBF und BRH seit Herbst vergangenen Jahres umfassende Maßnahmen zur Aufklärung und Transparenz ergriffen", Müller könne dem Ergebnis der Ermittlungen "an dieser Stelle" nicht vorgreifen.
Unter anderem hatte der Senat vor anderthalb Jahren einen bereits angesichts der damaligen Lage fragwürdigen Beschluss gefasst So teilte der zu dieser Zeit amtierende Senatsvorsitzende Jörg Fuhrmann im November 2021mit, das Gremium habe sich "mit vereinzelten, über Medien, parlamentarische Anfragen und soziale Netzwerke verbreiteten Unterstellungen und Vorwürfen Dritter in Bezug auf Leitungsgremien der Fraunhofer-Gesellschaft" befasst – diese dann aber "geschlossen und auf Basis einer unabhängigen Prüfung als durchweg haltlos" eingestuft. Bei der von Fuhrmann angeführten "unabhängigen Prüfung" hatte es sich damals freilich um Recherchen der internen Revision gehandelt.
Müller selbst war zwischen 2015 und 2018 Senatsmitglied. Mit der Übernahme des Vorsitzes kehrte sie im Januar 2023 in das Gremium zurück.
Wichtige Fraunhofer-Gremien
Zur Fraunhofer-Mitgliederversammlung gehören von Amts wegen sämtliche Senatoren, dazu der Vorstand, die Institutsleiter und die Angehörigen der Institutskuratorien. Sogenannte ordentliche Mitglieder können laut Fraunhofer natürliche und juristische Personen werden, die die Arbeit der Forschungsgesellschaft fördern wollen, Forscher und Förderer können für besondere Verdienste zu Ehrenmitgliedern ernannt werden. Das einmal im Jahr tagende Gremium ist für die Senatorenwahl, die Entlastung des Vorstandes und den Beschluss von Satzungsänderungen zuständig.
Der zweimal im Jahr tagende Senat ist das zentrale Aufsichtsgremium der Fraunhofer-Gesellschaft. Er beruft den Vorstand, bestimmt die Grundzüge der Wissenschafts- und Forschungspolitik und beschließt über
Einrichtung neuer, die Umwandlung bestehender und Auflösung bisheriger Institute und weiterer Fraunhofer-Einrichtungen. Seine rund 30 Mitglieder vertreten Wissenschaft, Wirtschaft und öffentliches Leben, dazu kommen Repräsentanten des Bundes und der Länder und des Wissenschaftlich-Technischen Rats (WTR) der Fraunhofer-Gesellschaft. Senatsvorsitzender war seit 2015 Jörg Fuhrmann. Hildegard Müller übernahm den Vorsitz Anfang 2023.
Der zuletzt fünfköpfige Vorstand ist vor allem für die Geschäftsführung und die Vertretung der Fraunhofer-Gesellschaft nach innen und außen zuständig, außerdem unter anderem für die Ausbau- und Finanzplanung und für die Akquisition und Verteilung der Grundfinanzierung auf die Institute. Auch beruft er die Institutsleiter.
Kommentare
#1 - Man fragt sich ja: Sind die Ausmaße des Skandals/ der…
Der Bericht des BRHs ist vor allem unterhaltsam, die überhöhten Reisekosten sind ärgerlich, haben bei anderen Organisationen Erdbeben ausgelöst (RBB), sind aber in Anbetracht der Forschungsgelder, die bei Fraunhofer fließen unerheblich. Warum man sich bei Reisekosten für einen Vorstand in solch ein enges Compliance-Korsett begibt versteht in der Industrie niemand. Und Fraunhofer ist eben nicht nur durch die Brille einer Forschungsinstitution wie die MPG zu sehen.
Es ist sicher wichtig, die Causa Neugebauer aufzuarbeiten, aber verstellt das nicht den Blick darauf, was Fraunhofer für den Standort eigentlich leisten soll/muss? Wie müsste die Organisation aufgestellt werden, damit Startups besser generiert werden? Müsste man hier den Finanzierungsmix überdenken, die Geschäftsform? Sind die internationalen Ausflüge von Fraunhofer im Interesse des deutschen Steuerzahlers? Ja, Wissenschaft lebt vom Austausch der Ideen. Auf Projektbasis ist das ja auch super, aber braucht es institutionelle Repräsentanzen in den jeweiligen Ländern, die ein unglaubliches Risiko für Deutschland bergen (z.B. USA)?
Wie ist es um die politische Vernetzung bestellt? Einerseits sind die Expert:innen der FhG gern gesehene Gäste in jedem Ministerium, andererseits erhalten sie über diese z.T. passgenau zugeschnittene Ausschreibungen für Drittmittelprojekte. Dass diese enge Verquickung auf politischer Ebene zu problematischen Entscheidungen führt, konnte man an der 500 Mio teuren Batteriefabrik im Wahlkreis der damaligen Forschungsministerin erkennen.
Dass man im Zuge der Skandale nie etwas von den anderen Forschungsinstitutionen gehört hat, wirft auch kein gutes Licht auf MPG und Helmholtz. Das zuständige Ministerium wäre aus meiner Sicht gut beraten eine Strukturreform aller Forschungsinstitutionen anzustoßen und diese alle wieder mit klar abgrenzbaren Profilen zu schärfen.
#2 - @InsideFraunhofer Hervorragender Beitrag. Bisher ist…
Wirtschaftsprüfer. Und BMBF-Beamte, die sich haben korrumpieren lassen, haben Strafanzeigen verdient.
#3 - Lieber Roman Held,vielen Dank für Ihren Kommentar! Ich…
vielen Dank für Ihren Kommentar! Ich bitte um eine Kontaktaufnahme, damit ich ihn freischalten kann.
Beste Grüße
Ihr Jan-Martin Wiarda
#4 - Wie @insideFraunhofer sagt: die paar Pennys für Reisen,…
#5 - Ich bin gern bereit, meine journalistische…
Beste Grüße!
#6 - @InsideBRH: Jetzt wird es aber interessant und das…
Jeder Präsident hat die Fraunhofer-Gesellschaft geprägt und irgendetwas von Wert hinterlassen. Man könnte noch so viel sagen und schreiben, aber ohne Belege (mündliche Anweisungen) bringt das ja alles nix.
Es ist wirklich traurig. In der Medienbranche (Schlesinger) hat die ganze Republik diskutiert und hier, bei einem zumindest finanziell viel größeren Skandal, interessiert sich nur die Bildungs-Bubble für die Problematik...
#7 - In den letzten viereinhalb Jahren der Recherche sind eine…
#8 - @InsideFraunhofer: Schriftlichkeit ist eine Zier, besser…
#9 - Wer auch immer mir eine SMS schicken wollte mit einer…
Ihr Jan-Martin Wiarda
#10 - @FraunhoferInside: volle Zustimmung. Inflation an Steuer…
#11 - @ThomasSattelbergerAus der Deckung bzw Anonymität zu gehen…
Aus der Deckung bzw Anonymität zu gehen bleibt schwierig und was bringt es? Jan Martin Wiarda u.a. decken Missstände auf und schreiben investigativ journalistisch neutral, anklagend und Konsequenzen fordernd. Perfekt! Das war bisher sehr gut - nur Neugebauer hat es einfach ausgesessen und das wurde von der Politik toleriert. Die bisherigen Fakten reichten schon lange, um ihn zu stoppen. Ignoranz pur! Fraunhofer muss massiv reformiert werden. Frau Müller und Herr Hanselka haben viel vor sich. Gutes Gelingen beiden!
Neuen Kommentar hinzufügen