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"Frustrierend, ermüdend, wenig transparent"

Bekommt man ein Kind während der Doktorarbeit, besteht gesetzlich die Möglichkeit, zwei Jahre länger von der Universität beschäftigt zu werden.Warum passiert das so selten?

WENN LEONIE RUDOLFS von ihrer Erfahrung mit der Personalabteilung der Freien Universität (FU) erzählt, kehrt die Wut zurück. Rudolfs, die eigentlich anders heißt, ist 36, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern im Grundschulalter, promoviert in Bildungswissenschaft.

 

Sie sei nach Auslaufen einer Projektstelle während ihrer Promotion davon ausgegangen, die Uni ermögliche ihr die Weiterqualifizierung, erzählt sie. "Doch obwohl meine Professorin mich als ihre Mitarbeiterin einstellen wollte, hat man mir einen Arbeitsvertrag verweigert." Die FU habe den Fall "über Monate verschleppt".

 

Mindestens zwei weiteren jungen Wissenschaftlerinnen mit Kindern an der FU ist es genauso gegangen: Sie befanden sich mitten in ihrer Promotion, ihre Professor:innen wollten sie unbedingt haben, das Geld für die Stelle am Lehrstuhl war da – doch die Personalabteilung sagte: Rechtlich ausgeschlossen. Das Problem ist, das stimmte womöglich gar nicht.

 

Wie kann das sein? Die Antwort beginnt mit dem langen Wort Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Es regelt zurzeit, dass nach sechs Jahren befristeter Beschäftigung bis zur Promotion an deutschen Unis Schluss ist. Mit Doktortitel gibt es nochmal sechs Jahre, spätestens dann muss eine Dauerstelle her. Per Zeitvertrag ist die Weiterarbeit sonst allenfalls noch auf einer drittmittelfinanzierten Stelle möglich.

 

Es gibt aber Ausnahmen, etwa zählt die sogenannte "familienpolitische Komponente": Für jedes minderjährige Kind können laut einem Paragrafen des WissZeitVG akademische Arbeitgeber zwei Jahre an die maximale Befristungszeit dranhängen. Die Betonung auf Können – eine Verpflichtung per Gesetz dazu gibt es bislang nicht.

 

Rudolfs hatte sich auf ihre mit der Professorin abgesprochene – erstmals haushaltsfinanzierte – Doktorandenstelle gefreut. Im Januar 2023 sollte es losgehen, ein nahtloser Übergang von ihrer bisher drittmittelfinanzierten Stelle. Ihre Chefin reichte den Antrag bei der Personalabteilung im August 2022 ein, doch dann passierte über Monate nichts. Kein Wort von der Personalabteilung, trotz mehrerer Nachfragen. Rudolfs meldete sich vorsorglich arbeitssuchend.

 

Verzögert über Monate

 

Selbst als ihre Professorin die FU-Verwaltung per Fristsetzung zum Handeln aufforderte, gab es keine Antwort. Dafür sickerte irgendwann informell durch, dass das nichts werden würde mit der Stelle. Im Januar 2023, Rudolfs hätte längst angestellt sein sollen, kam von der Personalabteilung ein Zweizeiler, die Einstellung auf einer Haushaltsstelle sei nicht möglich. Ohne jede Begründung.

 

Eine Nachfrage bei der Pressestelle der FU zeigt, dass dort die horrende Bearbeitungszeit und Nicht-Kommunikation, die Rudolfs so frustriert hat, nicht bestritten wird. "Bedauerlicherweise" gebe es derzeit "allgemein Verzögerungen bei der Bearbeitung von Einstellungsvorgängen und Personalanträgen". Schuld seien "demografische Veränderungsprozesse und Folgen des Fachkräftemangels". Man steuere aber bereits dagegen an.

 

Und wie ist das nun mit der familienpolitischen Komponente? Die lasse sich bei Neueinstellungen bedauerlicherweise rechtlich nicht umsetzen, betont die Pressestelle. Beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hierzu nachgehakt, teilt eine Sprecherin mit, man könne sich zu Einzelfällen nicht äußern.

 

Grundsätzlich aber gelte: Falls an eine Drittmittelbefristung eine Qualifizierungsbefristung anschließt, "greifen die Verlängerungen der Höchstbefristungsgrenze aufgrund der familien- und behindertenpolitischen Komponenten." Ein neuer Vertrag wäre also kein Hinderungsgrund – zumal der alte wie der neue Arbeitgeber in Rudolfs’ Fall FU heißen sollte.

 

Dort gibt man sich verwundert. "Wir sind bislang von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen." Und auf welcher Grundlage genau? "Wir wissen, dass auch andere Universitäten unsere Rechtsauffassung zu haushaltsfinanzierten Anschlussverträgen nach Drittmittelbeschäftigung teilen und das so handhaben", lautet die Antwort nur. Die Sprecherin ergänzt aber, man werde die Rechtslage jetzt noch einmal prüfen.

 

Alles nur ein mögliches Missverständnis? Wer mit Anna-Thekla Jäger spricht, kann daran seine Zweifel bekommen. Jäger ist 35, Mutter von zwei Kitakindern und promoviert ebenfalls an der FU. Wie Rudolfs wollte sie in Absprache mit ihrem Professor von einer Drittmittelstelle auf eine Haushaltsstelle wechseln und parallel die Verlängerung in Anspruch nehmen – was die Personalstelle abgelehnte.

 

Ein Gespräch mit der Verwaltung sei dann, wie Jäger sagt, "frustrierend, ermüdend und wenig transparent verlaufen", woraufhin sie "die große Trommel gewirbelt" habe. Jäger sprach mit der Frauenbeauftragten, mit dem FU-Familienbüro, sie bekam eine Broschüre der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in die Hand gedrückt, in der explizit stand: Folgt auf einen Drittmittelvertrag eine Haushaltsstelle zur Qualifizierung, "kann die familienpolitische und behindertenpolitische Komponente zur Anwendung kommen". Doch jedes Argumentieren mit der Rechtslage laut Broschüre hätte sie gegenüber der FU-Personalstelle als vergeblich empfunden, sagt Jäger, woraufhin sie es gar nicht mehr versuchte. Während Leonie Rudolfs berichtet, sie habe die Broschüre sogar an die Personalabteilung geschickt. 

 

Die Gewerkschaft vermutet denn auch bei vielen Hochschulen in Deutschland Methode hinter der zurückhaltenden Anwendung der freiwilligen Verlängerungsoptionen, zu denen auch der Nachteilsausgleich bei Behinderungen zählt. "Viele Arbeitgeber lehnen beide Komponenten grundsätzlich ab", sagt der GEW-Vizevorsitzende Andreas Keller.

 

In der Regel keine Verlängerung

 

Tatsächlich belegte eine vom BMBF in Auftrag gegebene unabhängige Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vergangenes Jahr: 42 Prozent der befragten Personalabteilungen bundesweit antworteten, "dass es diese Fälle bei ihnen nicht gebe". Und die Autoren kommentierten: "Der hohe Wert überrascht." In einer repräsentativen Stichprobe kam die Studie auf lediglich 1,1 Prozent aller befristeten Wissenschaftlerarbeitsverträge bundesweit, die aufgrund der Kinderbetreuungs-Verlängerungsoption liefen.

 

Und wie viele davon gibt es an der FU? Aktuell zwölf, sagt die Sprecherin – von rund 1000 Arbeitsverträgen. 

 

Die GEW fordert für die bevorstehende WissZeitVG-Novelle unter anderem, aus der Kann- eine Muss-Bestimmung zu machen, also, sagt Andreas Keller, "einen Anspruch auf Vertragsverlängerung bei Kinderbetreuung, Behinderung/chronischer Erkrankung, Pflege Angehöriger und Nachteilen aus der Coronapandemie".

 

Anna-Thekla Jäger und Leonie Rudolfs hatten Glück. "Ich habe zeitnah eine andere Drittmittelstelle gefunden, da kann ich jetzt bis Herbst 2025 weitermachen, allerdings auf einem Forschungsprojekt, das nicht meins ist", sagt Jäger. Auch Rudolfs berichtet, ihre Professorin habe gewirbelt – und erreicht, dass sie noch einmal für anderthalb Jahre auf Drittmittelstellen arbeiten kann. Was dann kommt, wisse sie noch nicht. Was sie wisse, sagt Rudolfs: So eine Geringschätzung will sie nicht noch einmal erleben.

 

Dieser Beitrag erschien in leicht gekürzter Fassung auch im Tagesspiegel.



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Kommentare: 8
  • #1

    René Krempkow (Donnerstag, 14 September 2023 12:57)

    Solche und ähnliche Fälle gibt es an vielen Universitäten. Insbesondere die Ablehnung nach Monaten (angeblicher) Nichtbearbeitung ohne jegliche Begründung ist dabei immer wieder höchst irritierend, schließlich geht es meist um ein Handeln als öffentliche Verwaltung!

  • #2

    Edith Riedel (Donnerstag, 14 September 2023 13:35)

    Ganz unabhängig davon, dass das hier beschriebene Vorgehen der FU absolut familienfeindlich ist, stößt mir bei dieser Geschichte aber noch etwas anderes auf:
    "ihre mit der Professorin abgesprochene – erstmals haushaltsfinanzierte – Doktorandenstelle". Es muss endlich aufhören, dass Promovierendenstellen "abgesprochen" werden. Stellen gehören ausgeschrieben und in einem qualitätsgesicherten Prozess besetzt. Diese Mauschelei und der Ausschreibungsverzeicht bei wissenschaftlichen Stellen unterhalb der Professur befeuern massiv eine transparente Stellenpolitik in der Wissenschaft und leistet dem Machtmissbrauch immensen Vorschub.

  • #3

    Wie bitte? (Donnerstag, 14 September 2023 22:27)

    @Edith Riedel:

    Sie scheinen den Fall Rudolfs gar nicht verstanden zu haben. Hier geht es doch nicht um Machtmissbrauch seitens der betreuenden Professorin. Frau Rudolfs war bereits mitten im promotionsprozess und wollte ihre Promotion zu ende bringen auf einer Haushaltsstelle, die zur Verfügung stand. Es ist ärgerlich, wenn sachfremd immer gleich von Machtmissbrauch gefasel wird - verzeihung - sobald vom handeln von professsoren die rede ist.

  • #4

    Edith Riedel (Freitag, 15 September 2023 12:30)

    Liebe*r "Wie bitte?", ich habe den Fall von Frau Rudolfs sehr gut verstanden. Es ist, um ihr Sentiment aufzugreifen, durchaus ärgerlich, wenn Profesor*innen sachfremd immer gleich davon ausgehen, dass Nicht-Profesor*innen etwas nicht verstanden haben, nur weil sie sich erdreisten, eine abweichende Meinung zu vertreten.
    Auch wenn Frau Rudolfs sich bereits im Promotionsprozess befand, und die Haushaltsstelle zur Verfügung stand, sollte meines Erachtens eine Ausschreibung stattfinden. Wenn Frau Rudolfs für die Stelle geeignet ist, wird sie in einem Bewerbungsverfahren dann auch erfolgreich sein. Wenn sie nicht für die Stelle geeignet ist, dann sollte sie sie auch nicht bekommen.
    Ein Großteil der wissenschaftlichen Stellen unterhalb der Nachwuchsgruppe oder Professur wird derzeit ohne Ausschreibung vergeben. Das behindert eine transparente Stellenpolitik im Wissenschaftsbetrieb und unterstützt, und dabei bleibe ich, die machtmissbräuchlichen Strukturen, die an Hochschulen leider sehr verbreitet sind.
    Ob in dem geschilderten Fall machtmissbräuchlich gehandelt wurde, kann ich nicht einschätzen, dazu fehlen mir die Details. Ich habe mich lediglich an der en passant wie selbstverständlich getätigten Aussage gestört, dass die Stelle ja abgesprochen gewesen sein. Jede abgesprochene Stelle bedeutet, dass viele andere junge Wissenschaftler*innen noch nicht einmal die Gelegenheit erhalten, sich vorzustellen und ihre Eignung zu beweisen.

  • #5

    Pada Hskova (Dienstag, 19 September 2023 09:02)

    Ich glaube die FU könnte durch jede x-belibiege HS ersetzt werden. An der PH Karlsruhe ist dies gängige Praxis.

  • #6

    Ralf Meyer (Mittwoch, 20 September 2023 17:56)

    @4 Bei einer geplanten Stellenverlängerung halte ich eine breite Ausschreibung für wenig zielführend, weil andere Kandidat*innen tatsächlich kaum Chancen haben, diese Stelle zu bekommen. Man wird dann die fachlichen Voraussetzungen für die Stelle recht speziell formulieren, weil es ja darum geht, ein bereits angefangenes Projekt zum Abschluss zu bringen. Also müsste jemand kommen, der zum gleichen Projekt noch bessere Vorarbeiten geleistet hat, was praktisch ausgeschlossen ist. Ähnliche Situationen ergeben sich bei Dual-Career-Angeboten oder drittmittelfinanzierten Programmprofessuren. Sollte man also wirklich Dual-Career-Angebote grundsätzlich unterlassen? In sehr vielen Dual-Career-Angeboten werden dem Partner oder der Partnerin auch eine Dauerstelle garantiert, weil nur das attraktiv genug ist, um das Paar zu gewinnen. Ein Angebot, das meine Fakultät kürzlich gemacht hat, sah folgendermaßen aus: Das Präsidium besteht darauf, dass Professuren nur nach Ausschreibung besetzt werden. Also sollte der Partner zunächst eine dauerhafte Mitarbeiterstelle bekommen und dann sollte es eine Ausschreibung für eine Professur geben. Aber das Geld für die Professur wird ja für diese dauerhafte Mitarbeiterstellt gebraucht, ist also gar nicht mehr vorhanden, wenn jemand anders als der bereits eingestellte Mitarbeiter die Ausschreibung gewinnt. Solche Ausschreibungen nützen niemandem.

  • #7

    Edith Riedel (Montag, 25 September 2023 15:15)

    @Ralf Meyer: solche Ausschreibungen nützen der Transparenz. Die ist bei dem Beispiel Dual Career, dass sie beschreiben, genau so bitter nötig wie bei der Besetzung von Promovierendenstellen. Da muss man sich einfach mal ehrlich machen. Im öffentlichen Dienst gilt bei Stellenbesetzungen das Prinzip der Bestenauslese. Wissenschaftliche Stellen sind Stellen im öffentlichen Dienst. Entweder wir halten uns an das Prinzip der Bestenauslese, oder wir stehen offen dazu, dass wissenschaftliche Stellen häufig nach Stallgeruch oder auch Ehepartner*in vergeben werden, wobei das Prinzip der Bestenauslese oft ganz hart auf der Strecke bleibt. Da hier Steuergelder verausgabt werden, sollte man sich meiner Ansicht nach zumindest bemühen, eine Bestenauslese zu gewährleisten.

  • #8

    Willkür (Donnerstag, 05 Oktober 2023 02:53)

    Offenbar ist es bei den Personalabteilungen von Unis gang und gäbe, solche Gesetze auf "eigene" Weise auszulegen. Wir hatten seinerzeit ein Problem während der Pandemie, als Ende 2020 die Schul- und Kitaschließungen abgefedert werden sollten, dass man unbezahlte (bzw. von der KKV teilweise übernommene) Corona-"Kind Krank"-Tage nehmen konnte. Das wurde uns verweigert, weil wir im Homeoffice arbeiteten, obwohl es im damaligen Infektionsschutzgesetz hieß "Homeoffice ist dann nicht eine der/dem Erwerbstätigen zumutbare Betreuungsmöglichkeit, wenn z.B. mehrere (kleine) Kinder oder ein stark forderndes (z.B. behindertes) Kind neben einer Vollzeittätigkeit in Homeoffice zu betreuen wären." - Da wir "nur" ein Kind unter 3 Jahren, dazu noch eines mit 5 und eines mit 11 Jahren hatten, fielen wir laut Uni nicht unter "mehrere (kleine) Kinder", wozu die Verwaltung nur Kinder unter 3 zählte. Also mussten wir allen Urlaub für die Kitaschließungen aufbrauchen und gehen seitdem (auch heute noch) völlig auf dem Zahnfleisch...