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Hochschulpakt evaluiert: "Keine ambitionierten Ziele bei der Qualitätsentwicklung"

Die Idee war gut: Der "Hochschulpakt" sollte hunderttausenden Abiturienten ein Studium ermöglichen. Jetzt hat der Wissenschaftsrat untersucht, ob das Bund-Länder-Programm seine Ziele erreicht hat.

Bild: Mikael Kristenson / Unsplash.

WENN BUNDESBILDUNGSMINISTERIN Bettina Stark-Watzinger (FDP) über das geplante 20 Milliarden Euro schwere "Startchancen"-Programm für benachteiligte Schüler und Schulen spricht, nennt sie es gern "das bislang größte Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland". Ein Satz, über den Hochschulpolitiker nur milde lächeln können. Lief doch zwischen 2007 und 2020 (mit Ausläufern bis 2023) eine Initiative, die schon ohne Berücksichtigung der Inflation die doppelte Größe erreichte: 39 Milliarden Euro investierten Bund und Länder im "Hochschulpakt", um hunderttausenden jungen Menschen ein Studium zu ermöglichen, die sonst mangels Kapazitäten draußen geblieben wären.

 

Jetzt hat sich der Wissenschaftsrat, das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium in Deutschland, die Wirkungen des Programms noch einmal genauer angeschaut und Empfehlungen für künftige Bund-Länder-Programme abgeleitet. Was insofern nicht frei von Ironie ist, weil der Nachfolge-Pakt, der Zukunftsvertrag "Studium und Lehre stärken" (übrigens ebenfalls deutlich umfangreicher als die "Startchancen") längst läuft. Und weil Bund und Länder jetzt und absehbar so klamm bei Kasse sind, dass weitere Groß-Programme nicht einmal am Horizont erkennbar sind.

 

Betreuungsschlüssel

verschlechterte sich

 

Wobei bei der Lektüre schnell klar wird, dass schon die Frage, ob das 39-Milliarden-Programm eigentlich seine Ziele erreicht hat, so einfach gar nicht zu beantworten ist. Denn, wie Sabine Behrenbeck, Abteilungsleiterin für Tertiäre Bildung beim Wissenschaftsrat, sagt: "Das, was der Pakt erreichen sollte, haben Bund und Länder 2006 nur sehr allgemein definiert, fixe Zielvorgaben gab es nicht."

 

Gezahlt wurde pro zusätzlichem Studienanfänger, wobei 2005 das Vergleichsjahr war: Bis 2015 gar nach oben hin offen, erst dann zog der Bund einen Deckel ein, weil die Milliarden nur so purzelten. Und die Zahl der zusätzlichen Studienanfänger stieg und stieg. Bis 2020 summierte sie sich laut Wissenschaftsrat auf über 1,6 Millionen.

 

Allerdings flossen pro Studierendem übers ganze Studium hinweg nur rund 24.000 Euro. Das war so knapp kalkuliert, dass die vor dem Hochschulpakt miesen Betreuungsrelationen sich je nach Fach teilweise weiter verschlechterten, weil vor allem nicht genug neue Professuren entstanden. Die Abbrecherquote an Universitäten stieg zwischen 2016 und 2020 von 32 auf 35 Prozent, während sie an Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAWs) von 25 auf 20 Prozent sank.

 

"Während der Programmlaufzeit nahmen befristete Beschäftigungsverhältnisse beim wissenschaftlichen Personal zu", schreibt der Wissenschaftsrat. "Man kann kritisieren, dass die mit einer Expansion einhergehenden Risiken für Qualitätsverluste nicht bereits zu Beginn des Programms stärker berücksichtigt wurden und auch keine ambitionierten Ziele bei der Qualitätsentwicklung angestrebt wurden." Erst mit der zweiten Förderphase seien die Pauschalen erhöht und in der dritten Phase ein Anteil von zehn Prozent der Bundesmittel zum Qualitätsausbau genutzt worden.

 

Neben dem Ausbau von Studienanfängerplätzen habe der Hochschulpakt weitere Nebenziele, sprich "reformerische Anliegen" gehabt, die auch erreicht worden seien: das überproportionale Wachstum der Hochschulen für angewandte Wissenschaften, die Zahl der MINT-Studierenden auf stabilem Niveau zu halten, mehr Studienanfänger ohne Abitur und einen höheren Wissenschaftlerinnen-Anteil.

 

Keine Spitzen-, aber eine respektable Bilanz, die vor allem für die Anpassungsfähigkeit der Hochschulen spricht. Und die wurde auch gebraucht, wie das Wissenschaftsratspapier anhand einer Aufstellung all der hochschulpolitischen Veränderungen während der gut anderthalb Jahrzehnte Hochschulpakt zeigt: angefangen etwa mit der Bologna-Reform über die doppelten Abiturjahrgänge und zwischenzeitliche Studiengebühren in verschiedenen Ländern bis hin zur Reform der Studienplatzvergabe. Hinzu kamen die Aussetzung der Wehrpflicht und die unerwartet stark gestiegene Studierneigung bei den Schulabgängern.

 

Geld nicht für

Studierende ausgegeben

 

Zwischendurch allerdings lesen sich die Ausführungen auch wie eine Rechtfertigung gegenüber Haushaltspolitikern des Bundestages und des Bundesrechnungshofs. Letzterer hatte beispielsweise moniert, dass die Hochschulen einen beträchtlichen Teil der Hochschulpakt-Gelder nicht sofort für die Studienanfänger ausgegeben, sondern in ihren Rücklagen gebunkert hätten: bis Ende 2018 mindestens 3,7 Milliarden.

 

Und die Prüfer hatten aufgezählt, was Hochschulen außer Studienplätzen noch so alles mit dem Geld finanziert hätten: Musikerauftritte, Ladestationen für E-Autos, einen "Raum der Stille", ein Studierendentheater mit einer Tribüne und anderes mehr. Wobei solche Beispiele lediglich anekdotischen Charakter hatten, denn, wie der Bundesrechnungshof ebenfalls kritisierte, hätten die Länder nur lückenhaft nachgewiesen, ob sie die Bundesmilliarden vereinbarungsgemäß investiert hatten.

 

Deshalb, vermerkt der Wissenschaftsrat, habe sich gegen Ende des Hochschulpakts auf Druck des Haushaltsausschusses des Bundestags der Anspruch an die Berichterstattung durch die Länder geändert und ein "relativ detailliertes Finanzcontrolling" erzeugt. Und das Gremium konstatiert: "Im Rückblick betrachtet hat es vermutlich vermeidbare und unvermeidbare Rücklagen gegeben, doch fehlen für eine konkrete Kritik oft die Daten."

 

Das war ja laut der Hochschulpakt-Kritiker das Problem und in der Konzeption angelegt. Doch befindet der Wissenschaftsrat: Die "nichtintendierten Effekte des Programms" sollten nicht "als Fehler der Programmkonzeption auf der Bund-Länder-Ebene gewertet werden", sondern sie seien eine Folge der Kontextsteuerung, "mit der länderspezifisch auf Handlungsbedarfe beim Ausbau und Erhalt von Studienanfängerplätzen – kombiniert mit den weiteren Nebenzielen – reagiert wurde".

 

Selbstkritik

der Länder

 

An solchen Stellen muss man sich vergegenwärtigen, wer da spricht durch den Wissenschaftsrat: Es sind neben dem Bund und den Wissenschaftsvertretern die Länder selbst.

 

An anderen Stellen ist die (Selbst-)Kritik der Politik im Papier wiederum überraschend deutlich. "Im Ergebnis wurde das programmimmanente Risiko der befristet zugesagten Programmmittel den Hochschulen und den befristet Beschäftigten aufgebürdet." Womit die Hochschulen übrigens häufig auch die hohen Rücklagen begründeten.

 

Und welche Empfehlungen – im Papier "Ableitungen" genannt – präsentiert der Rat für mögliche neue Bund-Länder-Programme? Erstens: So wie der Hochschulpakt nach Bedarf finanzierte, anstatt einen weiteren Wettbewerb um Fördermittel zu organisieren, sollte die Politik auch künftig nicht automatisch aufs "Wettbewerbsparadigma" setzen, sondern den "Fördermodus an Förderzielen ausrichten".

 

Außerdem müssten solche Großprogramme mit ausreichend – das heißt: jahrelangem – Vorlauf verlässlich geplant werden, dazu so agil, dass sie sich bei neuen Anforderungen und Fehlentwicklungen zwischendurch frühzeitig nachsteuern ließen. Es müsse einfache und flexible Verfahrensregeln geben. Und ein Learning aus den Diskussionen, unter anderem mit dem Rechnungshof, ein Berichtswesen, das "transparent und effizient" ist.

 

Den Hochschulen schreibt der Wissenschaftsrat überraschend deutlich ins Stammbuch: So wie das exzessive Bilden von Rücklagen "und deren oft unzureichende Plausibilisierung" das Vertrauen zwischen Wissenschaft und Politik (besonders dem Bund) beeinträchtigt habe, müsse bei neuen Programmen viel intensiver kommuniziert werden. "Vertrauensbildende und Vertrauen erhaltende Maßnahmen sollten regelhaft vorgesehen und gepflegt werden."

 

Anders gesagt: Abwiegeln und das Verweisen auf die Hochschulautonomie führen zu viel mehr und viel kleinteiligeren Berichtspflichten – wie sich bereits am Hochschulpakt-Nachfolger Zukunftsvertrag beobachten lässt. Immerhin, auch das zeigt der Zukunftsvertrag, war das Vertrauen aber nicht so gestört, dass nach dem Hochschulpakt Schluss war.

 

Dieser Artikel erschien heute zuerst beim Tagesspiegel.



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Kommentare: 2
  • #1

    DA (Mittwoch, 24 April 2024 11:54)

    Ist der Zukunftsvertrag nicht eher ein Nachfolgeprogramm des Qualitätspakts Lehre und weniger des HSP?

  • #2

    Marco Winzker (Mittwoch, 24 April 2024 15:11)

    Danke Hr. Wiarda für die Zusammenfassung. Ich werde die 250 Seiten noch lesen, aber habe die Zeit dazu noch nicht gehabt. :-)

    @DA: Den Zukunftsvertrag kann man als eine Kombi aus QpL und HP sehen. Mittel für alle Hochschulen, ohne Projektcharakter, wie im HP. Fokus auf Lehrqualität, ohne Erhöhung der Studierendenzahlen wie im QpL.

    Und dann noch ohne Befristung, um das "programmimmanente Risiko der befristet zugesagten Programmmittel" zu vermeiden.

    Inflation, Energiekosten und unvollständige Kompensation von Tarifsteigerungen trüben das positive Bild etwas. Aber ein paar Herausforderungen bleiben immer.