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"Nochmal werden wir uns nicht die Hände auf dem Rücken zusammenbinden lassen"

Die Ausweitung des Startchancen-Programms auf Kitas, eine Fachkräfteoffensive für die Bildung und regelmäßige BAföG-Erhöhungen: Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken über ehrgeizige Bildungsversprechen im geplanten Wahlprogramm – und wie sie zur tatsächlichen Bilanz der SPD-geführten Bundesregierung passen.

Saskia Esken ist Softwareentwicklerin und war stellvertretende Vorsitzende des Landeselternbeirats Baden-Württemberg. Nach ihrem Einzug in den Bundestag 2013 engagierte sie sich in der Bildungs- und Digitalpolitik. 2019 wurde sie eine von zwei SPD-Bundesvorsitzenden. Foto: SPD-Bundesvorstand.

Frau Esken, nächste Woche beschließt der SPD-Parteivorstand das Programm für die Bundestagswahl. Welche Rolle wird die Bildungspolitik darin spielen?

 

Eine ganz zentrale. Bund und Länder haben in den vergangenen Jahren viel investiert in neue Kitaplätze und in den Ganztagsausbau. Gleichzeitig sehen wir aber, dass seit der Corona-Pandemie die Betreuungszeiten unter Druck geraten sind, verstärkt durch den Fachkräftemangel. Das kostet politische Glaubwürdigkeit und stellt Familien vor große Alltagsprobleme. Wir brauchen Kitas und Schulen, die stabil an der Seite der Familien stehen, die für bessere Bildungschancen für alle sorgen. Und zugleich so viel gut ausgebildetes Personal haben, dass sich gerade Frauen darauf verlassen und sich eine Vollzeittätigkeit zutrauen können.

 

Klingt gut. Aber wie wollen Sie das erreichen angesichts zehntausender fehlender Erzieherinnen und Lehrkräfte? 

 

Indem wir eine Fachkräfteoffensive für Kitas und Schulen verbindlich mit allen Bundesländern vereinbaren, das Startchancen-Programm sukzessive auf mehr Schulen erweitern und ein eigenes Startchancen-Programm für die Kitas hinzunehmen.

 

Ein Startchancen-Programm für die Kitas?

 

Es ist großartig, dass der Bund sich jetzt mit Milliarden für mehr Bildungsgerechtigkeit in den Schulen engagiert, und nicht als einmaliges Strohfeuer, sondern langfristig, auf zehn Jahre angelegt. Großartig ist auch, dass wir das Bundesgeld nicht wie üblich per Gießkanne auf die Länder verteilen, sondern gezielt dorthin, wo der größte Bedarf ist. Und die Umsetzung des Programms dann auch noch wissenschaftlich begleiten lassen, weil sich so die besten Ideen zur Förderung von Kindern auf noch viel mehr Schulen übertragen lassen. All das wollen wir als Blaupause für die Kitas nehmen. Das heißt: Eine SPD-Bundesregierung würde weiter in den Kita-Ausbau in der Fläche investieren und zusätzlich speziell diejenigen Kitas stärken, die es am schwersten haben, bei den Kindern die Nachteile ihrer sozialen Herkunft auszugleichen.

 

Das Startchancen-Programm soll zehn Prozent der Schulen erreichen. 

 

Und schon jetzt stellen wir fest: Die zehn Prozent reichen bei weitem nicht, weil der Anteil der bildungsbenachteiligten Kinder viel höher liegt. Wir müssen also darüber hinaus gehen. Aber Schritt für Schritt. Zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass schon die zehn Prozent nicht von allen Bundesländern gleich auf Anhieb erreicht wurden, weil sie die Schulen gut auswählen wollten und auf Qualität bei der Umsetzung setzen. Darum halte ich es für eine gute Idee, auch bei einem Startchancen-Programm für die Kitas mit zehn Prozent einzusteigen und später Stück für Stück weitere Einrichtungen dazuzunehmen. Wobei klar ist: Der Bund könnte das schon von der föderalen Aufgabenverteilung nicht allein finanzieren, die Länder müssten mitziehen. Wir werden ihnen ein Angebot machen.

 

Kommen wir zur Fachkräfteoffensive. 

 

Hier streben wir nach dem Vorbild der früheren Qualitätsoffensive Lehrerbildung eine neue Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern an. Im Bereich der Kitas sollte es zum Beispiel darum gehen, die praxisintegrierte Ausbildung bundesweit auszubauen. Und in der Schule sollten wir zusätzlich zur Anerkennung von ausländischen Abschlüssen oder zur zusätzlichen Förderung von Quereinsteigern, die die Kultusministerkonferenz schon vorantreibt, konkrete Schritte zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften vereinbaren. Von einem Zwang zur Vollzeit-Stelle, wie ihn die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK vorgeschlagen hat, halten wir nichts. Aber wir sollten uns gemeinsam fragen: Was bringt Lehrkräfte dazu, freiwillig mehr zu arbeiten? Hier sprechen wir zum Beispiel über die Entlastung der Schulen durch mehr multiprofessionelle Teams. Und schließlich sollten wir verbindlich festlegen, dass die Bundesländer aufhören, sich gegenseitig Fachkräfte abzuwerben. Kampagnen wie "Schön hier, aber warst du schon mal in Baden-Württemberg?" sollte es, so gern ich mein Heimatbundesland habe, künftig nicht mehr geben.

 

"Auch für einen SPD-Bundeskanzler ergab es keinen Sinn, jede Woche gegen dieselbe Wand zu laufen."

 

Teil des SPD-Wahlprogramms soll auch das Versprechen werden, die BAföG-Sätze und die Wohnkostenpauschale künftig regelmäßig zu erhöhen, zu "dynamisieren". Eine alte Forderung zum Beispiel der Studierendenwerke, die Sie in einer Bundesregierung mit SPD-Kanzler schon längst hätten umsetzen können, oder? 

 

Ein durchaus berechtigter Einwand. Wir haben aber nicht allein regiert.

 

Und das wird die SPD, bei allem Respekt, auch künftig kaum tun.

 

Deshalb sind Wahlprogramme immer auch als Willensbekundungen zu verstehen, als Motivation, in Koalitionsverhandlungen mit anderen Parteien möglichst viel davon umzusetzen. Beim Wohngeld haben wir in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode die Dynamisierung geschafft, und beim BAföG werden wir das in der nächsten Regierungsbildung ebenso durchsetzen. Das ist nur folgerichtig. Alle Statistiken zeigen, dass das BAföG nicht mehr zum Leben reicht und die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger über die Jahre immer weiter runtergegangen ist. 

 

Bei der Finanzierung ihrer bildungspolitischen Versprechungen verwies die SPD schon in einem Ende 2023 beschlossenen Parteitagsbeschluss auf das Ziel, einen "Deutschlandpakt Bildung" mit 100 Milliarden Euro auszustatten. Ein besonderes Engagement von Kanzler Olaf Scholz in die Richtung war seitdem nicht feststellbar.

 

Irgendwo müssen die 100 Milliarden herkommen. Zur Finanzierung, auch das steht in unserem Parteiprogramm, wollen wir die Vermögenssteuer wieder einführen und die Erbschaftssteuer reformieren und effektiv ausweiten. Grundbedingungen der Ampel, auf die die FDP immer pochte, waren aber der Ausschluss von Steuererhöhungen und die Unantastbarkeit der Schuldenbremse. Auch für einen SPD-Bundeskanzler ergab es daher keinen Sinn, jede Woche gegen dieselbe Wand zu laufen. Der "Deutschlandpakt Bildung" war insofern immer als programmatischer Vorrat für die SPD gedacht, und jetzt kommt er zum Tragen. Denn beide Ziele, die Reform der Vermögenssteuer und die Reform der Erbschaftssteuer, verbunden mit der Sicherstellung, dass die Erträge gezielt in der Bildung ankommen, werden auch in unserem Wahlprogramm eine wichtige Rolle spielen. Natürlich mit Augenmaß, ohne den Unternehmen das Wasser für Investitionen abzugraben. Aber die Zahl der Multimillionäre und Milliardäre ist in der Krise weiter gewachsen, zusammengenommen konnten sie ihre Vermögen um nochmal 20 Prozent erhöhen, während andere am Rande ihrer Existenz stehen.  Es gibt durchaus Parteien und potenzielle Koalitionspartner, die da unserer Meinung sind und mitgehen würden. Eines kann ich jedenfalls versichern: Wir werden dafür sorgen, dass die 100 Milliarden und ihre Finanzierung in einen Koalitionsvertrag kommen. Nochmal werden wir uns nicht von vornherein die Hände auf dem Rücken zusammenbinden lassen.



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