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Kleine Schritte, große Themen

Auf ihrer Sitzung in Berlin suchten die Wissenschaftsminister nach Antworten auf Antisemitismus und die Angriffe auf Demokratie und Wissenschaft – und sie forderten vom Bund erneut mehr Engagement beim Hochschulbau.
Markus Blume, Falko Mohrs, Bettina Martin (von links)

Zwei Minister und eine Ministerin, drei unterschiedliche Ziele – aber fast durchgehend ein Ton. Markus Blume, Falko Mohrs und Bettina Martin (von links).

ES MÜSSEN EINDRINGLICHE WORTE gewesen sein, die Ron Dekel, Präsident der Jüdischen Studierendenunion, den Wissenschaftsministern sagte, als er zu ihrer Konferenz nach Berlin kam. Er sprach von Angst, Unsicherheit, vom Rückzug jüdischer Studierender aus ihren Hochschulen – und übergab den Ministerinnen und Ministern einen Forderungskatalog, als Mahnung und als Prüfstein.

"Das Gespräch war eindrucksvoll und beschämend – beschämend auch deswegen, weil wir es heute nicht schaffen, den Jüdinnen und Juden in unseren Hochschulen das Sicherheitsgefühl zu geben, das sie brauchen", sagte Falko Mohrs, SPD-Wissenschaftsminister aus Niedersachsen und Koordinator der A-Ländergruppe.

An seiner Seite: Bettina Martin, Wissenschaftsministerin von Mecklenburg-Vorpommern und Präsidentin der Wissenschaftsministerkonferenz (Wissenschafts-MK), sowie Markus Blume, CSU-Wissenschaftsminister aus Bayern, als B-Koordinator. Drei politische Temperamente, drei unterschiedliche Stile – aber an diesem Tag ein gemeinsamer Ton.

Die WissenschaftsMK, der Zusammenschluss der für Hochschulen und Forschung zuständigen Länderressorts innerhalb der Kultusministerkonferenz, traf sich im Leibniz-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zu ihrer Herbstsitzung. Nach der Konferenz traten die drei Minister fünf Etagen höher im holzgetäfelten Einstein-Saal vor die Presse, es ging um Sicherheit, Sanierungsstau und Wissenschaftsfreiheit. Anschließend sollte die gemeinsame Jahrestagung aller drei Teilkonferenzen der KMK beginnen – Wissenschaft, Bildung und Kultur –, während draußen auf dem Gendarmenmarkt die Sprechchöre einer propalästinensischen Demonstration hallten.

Ein Realitätscheck – und offene Ohren

Bettina Martin sagte, die Situation an den Hochschulen sei "noch sehr besorgniserregend". Markus Blume ergänzte: "Wissenschaft und Hochschulen können kein Ort sein für Hass, können keine Bühne bieten für Antisemitismus."

Was Dekel den Wissenschaftsministern vor Augen führte, war mehr als ein Appell. Es war ein Realitätscheck – und er traf auf offene Ohren. Die Länder wollen die Vorschläge der jüdischen Studierenden aufnehmen und im Hochschulausschuss der Wissenschaftsministerkonferenz weiterverfolgen.

Von Berlin weitete sich der Blick über Deutschland hinaus – nach Boston, zur GAIN, der jährlich im August stattfindenden Roadshow der deutschen Wissenschaft in Nordamerika, ein Stelldichein von Größen aus Wissenschaftspolitik, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, um vor jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für eine Karriere in Deutschland zu werben. Dieses Jahr war eine besonders große Ministerdelegation angereist in der Erwartung, die Angriffe der Trump-Regierung auf die Wissenschaft würden das Interesse größer als gewöhnlich ausfallen lassen. So war es auch – zugleich aber erlebten die Ministerinnen und Minister hautnah, wie sehr die Wissenschaftsfreiheit in den USA unter politischen Druck geraten ist. Und verarbeiteten ihre Erfahrungen in einem Beschluss der Wissenschafts-MK zur "Resilienz von Wissenschaftsorganisationen". Bei ihrem GAIN-Besuch habe sich "eindrücklich gezeigt, welch besorgniserregende Folgen es selbst für ein so etabliertes und wettbewerbsfähiges Wissenschaftssystem wie das US-amerikanische hat, wenn die Wissenschaftsfreiheit angegriffen wird."

Boston als Weckruf – und ein Beschluss zur Resilienz

Und so, berichten die Minister, sei Boston für sie zu einem Weckruf geworden – auch mit Blick auf die Lage daheim: "Wir müssen auch in unserem eigenen Land schauen: Ist die Wissenschaftsfreiheit unter Druck? Da sagen wir: ja", sagte Bettina Martin.

In ihrem Beschluss betonten die Länder "dringenden Handlungsbedarf" angesichts wachsender Wissenschaftsskepsis oder gar Wissenschaftsfeindlichkeit und kündigten an, das Thema "zeitnah und entschlossen" anzugehen. Zugleich blieb der Beschlusstext vage: kein Maßnahmenkatalog, sondern vor allem ein Arbeitsauftrag an den Hochschulausschuss, "Handlungsbedarf zu identifizieren und Lösungswege zu erarbeiten" – im Dialog mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die bereits eine Arbeitsgruppe zu dem Thema eingerichtet hat, und anderen Wissenschaftsorganisationen – und, wenn es nach der Wissenschafts-MK geht, unter Beteiligung des Bundes, die man "ausdrücklich begrüßen" würde. Die Wissenschaftsministerinnen von Brandenburg, Manja Schüle (SPD), und von Baden-Württemberg, Petra Olschowski (Grüne), sollen die Federführung haben, 2026 will man wieder in der Ministerrunde dazu beraten.

Offenbar geht es vor allem darum, die wissenschaftlichen Institutionen und Gremien abwehrbereit zu machen, wenn extremistische Parteien politisch noch mehr Einfluss gewinnen oder gar in Landesregierungen einziehen. Aber nicht nur: Man will verhindern, dass es überhaupt so weit kommt. Laut Beschluss sehen die Minister "in einer transparenten und verantwortungsvollen Wissenschaftskommunikation, die sich zeitgemäßer Formate bedient, ein wichtiges Instrument, um den offenen Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu fördern und dabei die Bedeutung von Wissenschaft für unsere demokratische Gesellschaft, für die Innovationsfähigkeit und für unseren Wohlstand zu verdeutlichen."

Wie handlungsfähig ist die KMK?

Denn, wie Markus Blume betonte, Wissenschaftsfreiheit werde "nicht nur durch politische Administration beschnitten, sondern auch dadurch, dass Zweifel an Wissenschaft gesät werden."

Ein politisches Signal, ein wichtiges. Mehr aber war der Beschluss noch nicht – was die Frage aufdrängt, ob das vorgelegte Tempo reicht angesichts der im nächsten Jahr anstehenden Landtagswahlen.

Eine Frage, die man auch auf die Beschäftigung der Kultusministerkonferenz mit sich selbst übertragen kann. 2024 hatte die KMK nach langem Ringen lediglich eine Minimallösung beschlossen, um sich für den Fall extremistischer Landesregierungen zu schützen. Soll heißen: Allein beim KMK-Haushalt kann seitdem nach einem Klärungsverfahren mit qualifizierter Mehrheit (mindestens 13 Stimmen) entschieden werden, um die Funktionsfähigkeit der KMK zu sichern. Ansonsten aber müssen alle wesentlichen Beschlüsse weiter einstimmig gefällt werden.

Ein Einfallstor für künftige Minister von AfD und Co., um den Föderalismus nach Belieben auszubremsen? Bettina Martin sagte auf Nachfrage: "Wenn wir über die Resilienz des Wissenschaftssystems sprechen, ist es notwendig zu prüfen, ob es Handlungsbedarf bei der KMK gibt – über das hinaus, was wir im vergangenen Jahr beschlossen haben."

Ihr bayerischer Kollege Blume widersprach jedoch prompt: Die Einstimmigkeit in der KMK sei das Gegenstück zur Kulturhoheit der Länder. "Aus Angst vor möglichen politischen Szenarien die Axt an die Grundfesten der KMK zu legen, wäre keine gute Strategie. Selbstmord aus Angst vor dem Tod ist keine Option."

Milliardenbedarf trifft Milliardenlücke

Größte Einigkeit herrschte dagegen wieder bei den Forderungen an den Bund in Sachen Hochschulbau. Die 60 Millionen jährlich, die der Bund aus dem Sondervermögen für die im Koalitionsvertrag angekündigte Schnellbauinitiative – und das schon inklusive der Bund-Länder-Initiative Forschungsbau – ausgeben wolle, seien in keiner Weise ausreichend. "Das kann nicht das letzte Wort sein. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein", sagte Bettina Martin. Blume sekundierte: Wenn von dem für vier Jahre vereinbarten "Investitionsbooster" 940 Millionen Euro pro Jahr für Kitas flössen, aber nur 60 Millionen für die Hochschulen, adressiere das den Bedarf "nicht einmal im Ansatz."

Der offizielle Beschluss der Minister drängt deshalb auf direkte Verteilung nach Königsteiner Schlüssel – und darauf, einen "signifikanten Teil" (ausbuchstabiert als mindestens 30 Prozent) der jährlichen Milliarde den Bereichen Hochschulen, Universitätskliniken und Studierendenwerken zuzuweisen. Zugleich fordert er umfassenden Bürokratieabbau im öffentlichen Hochbau (Planungs-, Vergabe-, Umwelt- und Verfahrensrecht).

Wobei sich die Wissenschaftsminister erstaunlich umfangreich der einen Milliarde des jährlichen Investitionsboosters widmeten – und nur auf Nachfrage darauf zu sprechen kamen, was sie dafür tun, dass die Hochschulen möglichst viel von den 100 Milliarden Euro abbekommen, die die Länder als ihren Anteil am Sondervermögen erhalten. Niedersachsen etwa will 850 Millionen Euro für den Medizin-Hochschulbau ausgeben und 500 Millionen für den allgemeinen Hochschulbau, Mecklenburg-Vorpommern plante rund 150 Millionen für "Forschung und Wissenschaft" – während viele andere Länder, auch Bayern, ihre Aufteilung weiter offenlassen. Blume verwies auf die laufenden Haushaltsberatungen.

Von Spendenprivileg bis Umsatzsteuer

Apropos Geld für die Wissenschaft: Was ist eigentlich aus Blumes öffentlich gemachtem Vorstoß geworden, die Wissenschaft mit einem ähnlichen Spendenprivileg auszustatten wie die Parteienfinanzierung? Gefragt, ob er den Vorschlag in der Wissenschafts-MK eingebracht habe, verneinte Blume – kündigte aber an, das Thema 2026 unter seiner Präsidentschaft aufzunehmen. Das sei eher ein Beispiel fürs Bohren dicker Bretter.

Mohrs und Martin äußerten sich wohlwollend, kamen aber gleich auf ein anderes Steuerthema zu sprechen, das die Wissenschaft seit Jahren umtreibt: Die EU-Mehrwertsteuersystem-Richtlinie zwingt Deutschland dazu, bestimmte Leistungen öffentlicher Einrichtungen (auch in Wissenschaftskooperationen) als umsatzsteuerpflichtig zu behandeln. Die Politik hat die Umsetzung mehrfach aufgeschoben. Dabei ist seit Jahren klar, dass der Spielraum begrenzt ist und jede neue Übergangsfrist nur Zeit kauft. Die Wissenschaft fordert eine Bereichsausnahme. "Wir haben ein großes Interesse daran, die Umsatzsteuerfrage dauerhaft zu lösen. Andere europäische Länder haben dafür längst Wege gefunden – das sollte auch bei uns möglich sein", kommentierte Falko Mohrs. Und Blume ergänzte: "Es kann nicht sein, dass wir den gesamten Wissenschaftsbetrieb alle zwei, drei Jahre mit der Umsatzsteuerfrage quälen."

Landarztquote ohne Schnellschüsse

Zum Schluss ging es um die Landarztquote. In vielen Regionen droht eine Unterversorgung mit Hausärzten, weil immer weniger junge Medizinerinnen und Mediziner bereit sind, eine Praxis auf dem Land zu übernehmen. Die Landarztquote soll gegensteuern, indem sie einen Teil der Medizinstudienplätze für Bewerber reserviert, die sich verpflichten, später im ländlichen Raum zu praktizieren. Die Quote ist erst ein paar Jahre alt, die mit ihr zugelassenen Studierenden noch gar nicht fertig, und doch steigen schon wieder die Aufregung und der politische Handlungsdruck. Die Wissenschafts-MK diskutierte das Thema dennoch wohltuend nüchtern.

Bettina Martin erinnerte daran, dass der Anteil aller sogenannten Vorabquoten bei der Studienplatzvergabe auf 20 Prozent begrenzt sei. So hatte es das Bundesverfassungsgericht in seinem Numerus-clausus-Urteil 2017 ziemlich unmissverständlich klargemacht. Eine Ausweitung der Landarztquote, so Martin, stoße deshalb auf verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere mit Blick auf die Berufsfreiheit. Außerdem müsse man fragen, ob die Quote als Steuerungsinstrument wirklich greife: "Kommen die Absolventinnen und Absolventen dort an, wo Bedarf ist – und bleiben sie dort?" Falko Mohrs betonte, man müsse auf "die Wissenschaft" hören und die tatsächliche Wirkung empirisch prüfen. Eine förmliche Prüfung wurde nicht beschlossen, doch die verfassungsrechtlichen Grenzen wurden deutlich benannt – und die Länder wollen die Diskussion erst auf wissenschaftlicher Grundlage fortsetzen.

Eine Konferenz der kleinen Schritte

Draußen auf dem Gendarmenmarkt sammelten sich gerade die Pro-Palästina-Demonstranten, drinnen packten die Minister ihre Unterlagen zusammen. Es war eine Sitzung der programmatischen Botschaften und der kleinen Schritte. Zwischen Antisemitismusbekämpfung, Resilienz, Finanzierungsfragen und Landarztquote zog sich ein roter Faden durch diese Wissenschafts-MK: die Suche nach Standhaftigkeit und Augenmaß. Vielleicht passt das zu einer Zeit, in der Resilienz das neue Reformversprechen geworden ist.

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