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Mohrs‘ größte Baustelle

Ein besonderer Abwahlmechanismus verschärft die Konflikte an Niedersachsens Hochschulen – ausgerechnet in einer Phase des wissenschaftspolitischen Aufbruchs.
Gebaeude des niedersaechsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur.

Sitz des niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Preussag in Hannover. Foto: Christian Schdg / Wikimedia, CC BY-SA 3.0

KAUM EIN BUNDSLAND erlebt im Moment so viele Erschütterungen an seinen Hochschulen wie Niedersachsen – und das ausgerechnet in einer Phase des wissenschaftspolitischen Aufbruchs. Schon vor einem Jahr hatte Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD) öffentlich angekündigt, das Hochschulgesetz des Landes grundlegend anzupassen. Auslöser war die Abwahl von Göttingens Präsident Metin Tolan, ein Vorgang, der bundesweit Neugier und Irritation auslöste.

Damals erklärte Mohrs: "Wir schauen uns gerade sehr genau an, wie die anderen 15 Länder das Verhältnis zwischen Macht des Präsidiums und den Abwahlmöglichkeiten definieren. Um herauszufinden, ob eine dieser Lösungen auch für Niedersachsen womöglich besser geeignet wäre als die bestehende." Und auf die Frage, ob er damit an die Kompetenzverteilung zwischen den Gremien wolle, sagte er: "Es ist sinnvoll, da wir 2025 ohnehin ein neues Hochschulgesetz in den Landtag bringen, diese Frage jetzt zu klären. Und für mich lautet die Antwort: Ja, ich kann es mir vorstellen."

Zugleich betonte er, dass Hochschulen vor großen Veränderungen stünden und Präsidien Entscheidungen durchsetzen können müssten – ohne dass damit die Selbstorganisationsrechte der Wissenschaft untergraben würden. "Das Verhältnis zwischen beidem gilt es richtig auszutarieren." In Niedersachsen jedoch liege das Abwahlrecht "auf dem relativ kleinen Kreis des Senats, damit aber mit einem sehr hohen Quorum von drei Vierteln versehen".

Damit war klar umrissen, worum es geht. In Niedersachsen existiert ein Abwahlmechanismus, der bundesweit zu den Besonderen zählt: Der Senat kann seine Entscheidung im Konfliktfall gegen sein Gegenüber, den Hochschul- bzw. Stiftungsrat, durchsetzen. In letzter Konsequenz also eine Abwahl im Alleingang, welche die Balance zwischen Leitungsmacht und Gremienkontrolle auf eine besondere Probe stellt.

Göttingen als Ausgangspunkt

In Göttingen wurde das besonders deutlich. Tolan hatte sich vor seiner Abwahl erheblichen Vorwürfen zu seinem Führungsstil ausgesetzt gesehen, zugleich aber auch eine hochgradig verhärtete, strukturell aufgeladene Gemengelage vorgefunden. Seine Vorgängerin Ulrike Beisiegel war mehr oder weniger zum vorzeitigen Gehen genötigt worden, nachdem das traditionsreiche Göttingen 2018 nur einen Exzellenzcluster errungen und deshalb nicht um den Titel als Exzellenzuniversität hatte wettstreiten dürfen. Ihr bereits gewählter Nachfolger war nach Protesten einflussreicher Professoren und einer Konkurrentenklage gar nicht erst angetreten. Es folgte ein renommierter Max-Planck-Forscher als Interimspräsident, bevor Tolan übernahm.

Jetzt ist Tolan wieder weg, abgewählt vom Senat gegen das Votum des Stiftungsrates, wieder hat ein Interimspräsident übernommen, diesmal Axel Schölmerich, der frühere Rektor der Ruhr-Universität Bochum. Und wieder ist seine Aufgabe klar: Bis eine neue Hochschulleitung gewählt ist, für Beruhigung sorgen, der Ursache der Konflikte auf den Grund gehen. "Hier in Göttingen dient irgendetwas als Brandbeschleuniger", sagte er im Frühjahr im Interview. Die Konfliktlinien verlaufen nicht nur zwischen Personen – sie sind systemischer Natur.

Und so einzigartig die Göttinger Gemengelage ist: Ihre Rahmung ist eben nicht. Wie das geltende Hochschulrecht zur Verschärfung beitragen kann, zeigt der Blick an andere niedersächsische Hochschulen. Denn Göttingen war schon, als Tolans Abwahl besiegelt wurde, kein Einzelfall. Fast zeitgleich sprach sich der Senat der Universität Vechta im Nordwesten des Bundeslandes für die Abwahl der Präsidentin Verena Pietzner aus, zunächst verweigerte der Hochschulrat auch hier die Bestätigung. Ein paar Wochen später einigten sich beide Gremien. Wieder folgte ein Beauftragter, wieder ging es nicht um objektives Fehlverhalten, sondern um interne Spannungen, um Stilfragen, um strategische Differenzen in einer kleinen Universität, die um ihr Profil ringt.

Ein Muster wird sichtbar

Und zuletzt die Ostfalia Hochschule in Wolfenbüttel: Die Präsidentin Julia Siegmüller sieht sich bereits nach wenigen Monaten im Amt einem Abwahlantrag gegenüber, der vor kurzem vom Senat gestellt wurde. Offizielle Begründung: Kritik an ihrer "Erneuerungsstrategie". Dahinter aber erneut: Konflikte über Tempo, Kommunikation und interne Entscheidungswege. Und wieder, zum dritten Mal innerhalb eines Jahres, kommt der besondere Abwahlpassus im niedersächsischen Hochschulgesetz zum Tragen.

Zusammengenommen ergibt sich ein Muster: Trotz des hohen Quorums, auf das Minister Mohrs hinweist, hängt die Stabilität der Hochschulleitung in Niedersachsen letztlich an der Stimmung eines einzelnen Gremiums. Das heißt nicht, dass eine Abwahl nicht gerechtfertigt sein kann. Doch wenn, wie in Göttingen und Vechta, Senat und Stiftungsrat in einen Gegensatz geraten, kann das die Konflikte im Zweifel schärfer und persönlicher machen. In Göttingen führte das zum großen Knall inklusive Rücktritt des damaligen Stiftungsratsvorsitzenden Peter Strohschneider, in Vechta rauften sich die Gremien zusammen.

Hinzu kommt: In keinem der Fälle ging es um rechtlich relevante Verfehlungen, um gravierende Pflichtverletzungen oder um Skandale. Es ging um Unzufriedenheit mit Führungsstil, um umstrittene Reformen, um interne Reibungen. Für all das gibt es das Instrument der Versagung einer Wiederwahl. Eine Abwahl, welche die normalen Prozesse unterbricht, sollte wirklich nur als Ultima Ratio dienen. Doch die Hürden in Niedersachsen sind vergleichsweise niedrig – besonders in Zeiten großer Umwälzungen.

Die angekündigte Reform – und ihr Tempo

Was ist aus der von Mohrs angekündigten Reform geworden? Der Minister sagte Ende 2024, die Novelle werde 2025 in den Landtag eingebracht. Nach aktueller Auskunft seines Ministeriums ist gerade die Mitzeichnung der Ressorts und die Vorabbeteiligung der Berufsverbände und Gewerkschaften durch. "Die Ergebnisse der Mitzeichnung und Vorabbeteiligung werden derzeit ausgewertet und letzte Abstimmungen durchgeführt. Danach steht die erste Kabinettsbefassung an." Wann genau? Offen. Und nach der ersten Kabinettsbefassung kommt erst noch die eigentliche Verbandanhörung, so Mohrs Sprecherin: "Dann gibt es den zweiten Kabinettsbeschluss, danach die Einbringung in den Landtag."

Klingt nicht so, als ob das 2025 noch etwas würde. Es handle sich um eine "große Novelle", betont die Sprecherin, mit vielen Themen von der Governance über die Third Mission bis hin zu Studium und Lehre und "Gute Arbeit". Mehrere Verfahrensschritte müssten zwingend durchlaufen werden, eine umfassende Beteiligung sorge für Praxistauglichkeit und hohe Akzeptanz des Gesetzes, das noch dazu den Leitlinien und Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in vollem Umfang entsprechen solle. Umgekehrt existierten die niedersächsischen Abwahlregelungen schon seit Jahrzehnten, "erst in den letzten zwei Jahren ist es zu einer Häufung von Abwahlen gekommen".

Alles zutreffend. Nur spricht die Häufung dafür, dass die Regelungen jetzt anders wirken als all die Jahre zuvor – weil, siehe oben, sich hochschulpolitische Gemengelage und Reformdruck verändert haben oder weil die Präzedenzfälle für Nachahmer sorgen. Ebenso stimmt, dass Wissenschaftsminister Mohrs die Abwahlregelungen und Konfliktlagen an den Hochschulen geerbt hat. Nur ist er inzwischen auch schon wieder drei Jahre im Amt.

Aufbruch und Krisenmodus zugleich

Ironischerweise passieren die Zuspitzungen in einer Phase, in der Niedersachsens Wissenschaft auf dem Sprung ist wie lange nicht mehr. Drei Hochschulen – die Universität Hannover, die Medizinische Hochschule Hannover und die Universität Oldenburg – befinden sich im Rennen um den Status einer Exellenzuniversität. Falko Mohrs konnte, nachdem Niedersachsen seine Hochschulen zuvor mit Kürzungen konfrontiert hatte, bemerkenswert hohe Summen in die Wissenschaft lenken: 2023 eine Sonderdividende aus dem Porsche-Börsengang in Höhe von fast 600 Millionen Euro, begleitet von einer Neuausrichtung der Wissenschaftsförderung durch die Volkswagen-Stiftung. 265 Millionen Euro fließen im Programm "Potenziale strategisch entfalten", um die Strategieentwicklung an den Hochschulen anzukurbeln. Als eines der ersten Bundesländer verkündete Niedersachsen zudem, dass es mit seinem Anteil am Bundes-Sondervermögen einen Schwerpunkt in der Wissenschaft setzen will: 850 Millionen Euro speziell für Neubauprojekte der Hochschulmedizin in Hannover und Göttingen und weitere 500 Millionen für die Hochschulsanierung.

Eine Wissenschaftslandschaft im Aufbruch – und zugleich im institutionellen Krisenmodus. Ob die Abwahlregel im Hochschulgesetz dabei tatsächlich eine so große Rolle spielt, kann man durchaus hinterfragen, denn in anderen Fällen brauchte es sie gar nicht, um Unruhe und Führungskrisen zu verursachen.

Beispiel TU Braunschweig, wo der Senat Anfang 2024 zwei nebenberufliche Vizepräsidentinnen durch die Wiederwahl fallen ließ. Die eine trat darauf nicht mehr an, die andere schaffte es im zweiten Anlauf. Beobachter deuteten den Vorgang als versteckte Kritik am Kurs der Hochschulleitung unter Präsidentin Angela Ittel und deren Reformvorhaben. Der Hochschulrat stellte sich später "ausdrücklich" hinter Ittel und die unter ihr "eingeschlagene strategische Weiterentwicklung der Universität". Genauso übrigens wie jüngst der Senat.

Beispiel Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, wo der Senat 2023 bereits einen neuen Präsidenten gewählt hatte, inklusive Zustimmung des Hochschulrats – bevor, wie die TAZ es formulierte, "das Chaos" begann. Es gab Kritik an der Wahl, einzelne Hochschulangehörige fühlten sich nicht vom Senat vertreten, die Noch-Präsidentin brach das Berufungsverfahren mit dem Hinweis auf festgestellte Formfehler ab. Was wiederum den Widerstand des Senats hervorrief, der die Wahl wiederholen wollte, es folgten juristische Auseinandersetzungen und die Klage des Fast-Präsidenten. 2024 kam mit Hans Jürgen Prömel auch hier ein erfahrener Ex-Unichef als Interimspräsident ins Amt. Nach Abschluss der Rechtsstreitigkeiten wurde die Hochschulleitung vor kurzem endlich neu ausgeschrieben.

Falko Mohrs hat als Wissenschaftsminister in Niedersachsen bislang vieles richtig gemacht. Doch die zahlreichen Eskalationen der vergangenen Jahre zeigen: Es muss mehr Stabilität in die Governance der niedersächsischen Hochschulen. Die Reform der besonderen Abwahlregelung im niedersächsischen Hochschulgesetz kann hier nur ein Teil der Lösung sein. Aber sie wäre ein Signal. Und es sollte bald kommen.

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