Die Frage richtig stellen, die Antwort nicht mehr scheuen
Wissenschaft hat ein Problem mit #MeToo und Machtmissbrauch. Schon die Feststellung ist nicht selbstverständlich. Aber was folgt aus ihr für Hochschulen und Forschungseinrichtungen?
HAT DIE WISSENSCHAFT ein #MeeToo-Problem, fragt der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe. Genauso gut kann man fragen: Hat die Wissenschaft ein Problem mit Machtmissbrauch? Doch sind beide Fragen falsch gestellt. Die richtige Frage lautet: Wie groß sind diese Probleme?
Verwunderlich an dieser Feststellung ist zunächst einmal gar nichts. Wo viele Menschen zusammenkommen und sich in Hierarchien und gegenseitigen Abhängigkeiten bewegen, wo es um Reputation geht und Geld und Karrierechancen, wachsen die Gelegenheiten so schnell wie die Versuchungen. Tatsächlich gibt es sogar wenige gesellschaftliche Systeme, in denen so viel Hierarchie auf so viel Abhängigkeit trifft und auf so wenig gesicherte Berufsaussichten.
Verwunderlich ist insofern vor allem, dass es immer noch Leute gibt in der Wissenschaft, die so tun, als seien Hochschule oder Forschungsinstitute ethisch gesehen besondere Orte, durch das hehre Streben nach Aufklärung und Erkenntnis irgendwie gewappnet gegen die Auswüchse menschlichen Fehlverhaltens. Die Wahrheit ist freilich: Wer sich – und sei es aus einer emphatisch-schwärmerischen Überhöhung der Wissenschaft – gegen das Eingeständnis einer systematischen Schieflage in der Wissenschaft wehrt, der verhindert die systematische Bearbeitung dieser Schieflage und das Einziehen von Sicherungssystemen. Deshalb muss Wissenschaft, darum müssen wir endlich die Debatte über Machtmissbrauch offensiver und schonungsloser führen. Es ist höchste Zeit.
Wo Menschen mit ihren Ambitionen und Unzulänglichkeiten aufeinandertreffen
Dabei darf man sich keinen Illusionen hingeben. Auch im idealsten Fall werden Sicherungssysteme nicht den Missbrauch von Anfang an und komplett verhindern können. Dazu müssten sich die Finanzströme und Personalstrukturen, die vorhandenen Anreize und Belohnungen in einer Weise ändern, dass es schon aufgrund der internationalen Vernetzung von Wissenschaft trotz nötiger und möglicher Reformen selbst auf lange Sicht unwahrscheinlich ist. Und selbst wenn, würden danach immer noch viele Menschen aufeinandertreffen mit ihren Ambitionen und Unzulänglichkeiten.
Das Einziehen von Sicherungssystemen, dessen Voraussetzung das offene Ansprechen und Beschreiben der systematischen Schieflage ist, läuft deshalb vor allem auf dreierlei hinaus. Erstens und am wichtigsten: Transparenz. Sie bedeutet das umfassende Streben jeder wissenschaftlichen Institution nach sicheren und diskrimierungsfreien Möglichkeiten für Betroffene, Machtmissbrauch zu melden und gehört zu werden. Wozu legitimierte Gremien und klar beschreibbare Prozesse in jeder Organisation und zusätzlich auf zentraler Ebene des Wissenschaftssystems nötig sind – vor allem aber das Commitment und das Verständnis in den Führungsetagen, dass Transparenz und Aufklärung gut sind und der Institution, ihrer Kultur und Reputation mehr nützen als das Wegdrücken und Verschleiern. So weh jeder einzelne aufgedeckte Fall sowohl den Betroffenen als auch der Institution tun mag.
Viele Elemente von all dem gibt es bereits in (fast) jeder wissenschaftlichen Institution. Doch noch zu oft nur in Ansätzen und nicht konsequent durchdekliniert. Mancherorts sogar in einer Weise, dass sich der Eindruck aufdrängt, es solle Transparenz nur simuliert werden.
Zweitens bedeuten Sicherungssysteme, dass ein fairer Ausgleich zwischen den Interessen der mutmaßlichen Opfer von Missbrauch und der Beschuldigten hergestellt wird. Wann das der Fall ist? Das lässt sich pauschal nicht beschreiben, aber kulturell schon: wenn Betroffene genau auf diesen fairen Ausgleich vertrauen. Was derzeit, siehe simulierte Transparenz, häufig eben nicht der Fall ist. Zu viele Betroffene schweigen. Viele Betroffene, die reden, fühlen sich allein gelassen.
Gesetzliche Regelungen und das Commitment der Führungsetagen
Und drittens dann doch: Reformen der Karrierewege. Auch diese können und werden von Fach zu Fach unterschiedlich sein, doch gemeinsam ist ihnen das Ziel, dass junge Wissenschaftler*innen früher unabhängiger werden. Dass da, wo es noch die großen und kleinen Sonnenkönig-Lehrstühle gibt (und ja, sie existieren noch), über Alternativen nicht nur gesprochen, sondern gehandelt wird. Als Minimum insofern, dass das Entstehen neuer Feudalstrukturen von Fakultäts- und Hochschulleitungen unterbunden wird, anstatt achselzuckend zu sagen: Sowas gehöre halt zur Fächerkultur.
Das Entstehen einer neuen Fächerkultur wird dort, wo sie nötig ist, erreicht werden zum einen über neue gesetzliche Regeln. Vor allem durch die von der Ampel angekündigte Neufassung des Wissenschaftszeitvertragsgesetz hin zu strengeren und klarer gefassten Vorgaben zu Befristungen und Qualifikationsstellen. Schon jetzt ist aber klar, dass nicht vorrangig die gesetzlichen Regeln entscheiden werden, auch nicht nach dem Berliner Modell, weil sie kulturell und institutionell durch Anpassung teilweise unterlaufen werden können.
Deshalb braucht es zum anderen das ehrliche und mutige Commitment in den Führungsetagen der Wissenschaft: zur Regulierung der Promotionsbetreuung durch die Bestimmung einer Höchstzahl pro Professor betreuter Doktoranden. Zur vollständigen Entflechtung von Betreuung und Begutachtung der Qualifikationsarbeiten. Zur Einrichtung von deutlich mehr Dauerstellen unterhalb der Professur, die keineswegs finanziell unmöglich sind, wenn geeignete fakultäts- oder sogar hochschulweiten Modelle eingeführt werden. Was allerdings, und das ist der Preis, Konflikte mit sich bringen kann. Doch was, wenn nicht deren Durchstehen um der als richtig erkannten Sache willen, macht gute Führung aus? Dazu gehört schließlich auch, den Tenure Track überall als künftigen Hauptweg zur Professur zu installieren und, weil er nur dann funktioniert, ihn an seinen Zu- und Übergängen transparent auszugestalten.
Der "Professor in Unterhosen" und der Journalismus in Verlegenheit
Wer wissen will, wie weit der Weg noch ist, den die deutsche Wissenschaft zu gehen hat, sollte einmal mit all jenen reden, die sich im "Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft" zusammengeschlossen haben. Der sollte genau die – immerhin inzwischen häufigeren – Umfragen zu Arbeitskultur lesen, etwa die der Max-Planck-Gesellschaft. Oder er hört einfach genau hin auf die eindrucksvollen und bedrückenden Geschichten über Machtmissbrauch und kaputtes (man kann es nicht anders sagen) Führungsverhalten auf allen Hierarchieebenen, die überall berichtet werden. Und wer jetzt entgegnet, das sei doch nicht der Normalfall, es laufe an so vielen Stellen besser und anders, der hat Recht und doch den Kern des Problems nicht verstanden.
Die Frage des Spiegels nach dem "#MeToo-Problem der Wissenschaft" steht in einem Artikel über den Fall eines Hochschullehrers an der Universität zu Köln, Überschrift: "Professor in Unterhosen". Der konkrete Fall und die Art, wie die Verantwortlichen an der Hochschule mit ihm umgehen, ist ein lesenswertes Lehrstück.
Er zeigt aber auch, wie schwer die journalistische Aufklärung fällt. Aus offensichtlichen presserechtlichen Erwägungen bleibt das Nachrichtenmagazin an vielen Stellen im Ungefähren, auch um den mutmaßlichen Täter vor der Identifikation zu bewahren. An der Stelle verhält sich die Presse nicht viel anders als die im Artikel kritisierte Institution: tastend, defensiv, auf Selbstschutz bedacht. Das ist der Normalfall, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, wenn ich über sehr konkrete Fälle von Fehlverhalten nur die Spitze des Eisberges berichte und so vieles, oft viel zu viel, aus juristischem Selbstschutz unerwähnt bleibt. Insofern ist das Problem der Wissenschaft mit dem Machtmissbrauch auch ein Problem ihrer mangelhaften journalistischen Begleitung.
Kommentare
#1 - Vielen herzlichen Dank für diesen wirklich wichtigen…
Und vielleicht noch als ergänzender Hinweis für die geneigte Leser*innenschaft ein Verweis auf die "Vignetten-Sammlung" der AG Macht und Gender in der Wissenschaft, die recht niedrigschwellig einen (eher grauenhaften) Einblick in die Facetten von Machtmissbrauch in der Wissenschaft bietet: https://gender-macht-wissenschaft.de/
#2 - Macht hat auch, wer über die Verlängerungen von…
#3 - Eine Sammlung von Fallbeispielen gibt es auch auf der…
#4 - Herzlichen Dank für diesen engagierten und (leider) so…
Es gibt so viele Passagen, die sich zu zitieren lohnten, aber am wichtigsten für mich persönlich ist folgendes "Und wer jetzt entgegnet, das sei doch nicht der Normalfall, es laufe an so vielen Stellen besser und anders, der hat Recht und doch den Kern des Problems nicht verstanden."
Diejenigen, die mit einer solchen Haltung, das Thema Machtmissbrauch klein halten, tragen so zur Stabilisierung der Machtmissbrauch begünstigenden Strukturen und Kultur bei. Es ist höchste Zeit, die Augen zu öffnen und Strukturen wie Kultur in der Wissenschaft zu ändern!
#5 - Der Elefant im Raum ist doch, dass MeToo in grossen,…
#6 - Siehe den aktuellen Falls aus Lund. Dort wird zum 1.1.2023…
Dem Journalismus ist insofern vorzuwerfen, dass sie die Taeter schuetzen. Nur Nature war bisher mutig genug, die Professoren zu namentlich zu nennen.
https://www.nature.com/articles/d41586-021-01621-8
Quelle: https://www.dn.se/sverige/konflikten-som-knackte-en-hel-institution/
#7 - Der Muff von 1000 Jahren, um hier ein geflügeltes Wort zu…
#8 - Für mich sind die Kernsätze:"Deshalb braucht es zum…
"Deshalb braucht es zum anderen das ehrliche und mutige Commitment in den Führungsetagen der Wissenschaft: zur Regulierung der Promotionsbetreuung durch die Bestimmung einer Höchstzahl pro Professor betreuter Doktoranden. Zur vollständigen Entflechtung von Betreuung und Begutachtung der Qualifikationsarbeiten. Zur Einrichtung von deutlich mehr Dauerstellen unterhalb der Professur, die keineswegs finanziell unmöglich sind, wenn geeignete fakultäts- oder sogar hochschulweiten Modelle eingeführt werden."
Zum im Vergleich zu anderen Ländern extrem hohen Befristungsanteil und zur Unberechenbarkeit der Karrierewege, die die erwähnte Abhängigkeit bedingt, ist eigentlich längst alles gesagt und hier sind hoffentlich Verbesserungen mit dem neuen WissZeitVG auf dem Weg.
Aber insbesondere die vollständige Entflechtung von Betreuung und Begutachtung der Qualifikationsarbeiten ist auch nochmal wichtig, denn sie ist in vielen anderen Ländern Standard und es stößt immer wieder auf ungläubige Verwunderung, wenn ich in internationalen Kontexten das deutsche Promotions(un)wesen hierzu beschreibe. Wie es in Großbritannien geregelt ist, wird übrigens in einem Beitrag vo Gina Whisker im aktuellen Themenheft "Qualität der Nachwuchsförderung und die kooperative Promotion" thematisiert (https://www.universitaetsverlagwebler.de/qiw).
#9 - So wie den Doktorandinnen im Spiegel-Artikel ergeht es nach…
#10 - 1) Wer die Persönlichkeitsrechte eines von einem…
2) Offenbar weiß niemand, in welchem Stadium sich das Disziplinarverfahren derzeit befindet. Dass es nach drei Jahren mit einer bestandskräftigen Entscheidung geendet hat (= nach Ausschöpfen aller Rechtsmittel des Betroffenen), wäre auch außerhalb der Pandemie ganz unwahrscheinlich gewesen, um so mehr ist es dies unter den Bedingungen der letzten drei Jahre. Worin genau besteht also der Vorwurf gegen die Universität?
3) Wenn die Vorwürfe stimmen, ist der Kölner Kollege tatsächlich übel entgleist. Vielleicht hätte die Universität schon früher aufmerksam werden und einschreiten müssen. Aber dass die Universität nach der Einschaltung des Rektors Fehler begangen hätte, ist mit den bisher öffentlich bekannten Tatsachen nicht zu begründen.
#11 - Danke hierfür! Jedes Wort sitzt. Den wertschätzenden…
Sie schreiben über die (dt.) Wissenschaft: "Tatsächlich gibt es sogar wenige gesellschaftliche Systeme, in denen so viel Hierarchie auf so viel Abhängigkeit trifft und auf so wenig gesicherte Berufsaussichten." Ein anderes, das mir hier noch einfällt, ist die Theaterwelt. Und auch aus der kenne ich anekdotisch schlimme Geschichten, die niemals aufgearbeitet werden.
#12 - @St. Ivo: Die Universität hat nach Einschaltung des…
Wenn z.B. zwischen dem Schreiben an den Rektor und einer Antwort vom Rektor vier Monate vergehen, dann wurde offensichtlich der Beschleunigungsgrundsatz und damit auch das Legalitätsprinzip missachtet: Disziplinarische Ermittlungen sind anderen Amtsgeschäften vorrangig, gerade weil sie so belastend für alle Beteiligten sind. Die Vorwürfe sind wegen der Vielzahl von Einzelhandlungen ausreichend für eine Disziplinarklage, so dass der Sachverhalt nicht von der Universität vollständig ausermittelt werden muss, weil die Tatsachenfeststellung gerichtlich stattfindet. Da die betroffenen Mitarbeiterinnen aber nichts davon berichten, dass sie vom Verwaltungsgericht als Zeuginnen einvernommen wurden, scheint die Angelegenheit die Uni noch nicht einmal verlassen zu haben - und drei Jahre nur für das interne Disziplinarverfahren zur Ermittlung der be- und entlastenden Bemessungsgründe sind auch während eine Pandemie indiskutabel. Eine Zeugin lebt mittlerweile im Ausland, so dass sie für interne disziplinarische Ermittlungen auch nicht mehr unproblematisch erreichbar ist. Dieses Problem entsteht durch die befristete Beschäftigung und den hohen Mobilitätsdruck in der Wissenschaft und hätte von der Ermittlungsführung im Rahmen der Verfahrensgestaltung berücksichtigt werden müssen. Die Uni versucht erkennbar die Sache durch das Verschleppen des Disziplinarverfahrens "auszusitzen" - der beschuldigte Amtsträger hat ja keinen Grund, die Beschleunigung gerichtlich einzufordern und die betroffenen Mitarbeiterinnen haben keine Handhabe.
Es ergeben sich aus der Berichterstattung weitere Hinweise auf missbräuchliche Verfahrensgestaltung. So wurde z.B. die Rechtsprechung zu "Konfliktversetzungen" missachtet: Der "Kölner Kollege" kann als Abteilungsleiter nicht direkt bei Aufkommen der Vorwürfe suspendiert werden, aber die betroffenen Mitarbeiterinnen haben einen Anspruch auf besondere Sorgfalt der Universitätsleitung im Hinblick auf die Vermeidung von Karrierenachteilen, die durch den Entzug der Weisungsbefugnis entstehen. Diese besondere Sorgfalt hat es ganz offensichtlich nicht gegeben, denn die Promotionen wurden zumindest an der Universität zu Köln abgebrochen. Dass die anwesenden Hochschuljurist*innen im Rahmen der disziplinarischen Ermittlungen nicht eingeschritten sind, als eine Mitarbeiterin vom Anwalt des Amtsträgers nach ihren persönlichen Beziehungen gefragt wurde, zeigt, dass der Rahmen "sachgerechter Fragen" überschritten wurde.
Insgesamt ist die Art und Weise wie die Universität den Fall gehandhabt hat der viel größere Skandal, so dass die Verdachtsberichterstattung (die sich ja sehr darum bemüht, eben nicht den Beschuldigten in den Mittelpunkt zu stellen) absolut gerechtfertigt ist - diese öffentliche Kritik an seiner Amtsführung muss Herr Freimuth wegen des unabweisbaren öffentlichen Interesses jetzt halt aushalten.
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