Fraunhofer: Haushaltsausschuss setzt BMBF unter Druck – und die Ministerin fordert personellen Neustart im Vorstand
Die Parlamentarier fassten am Mittwochabend einen weitreichenden Maßgabebeschluss. Steht Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer jetzt vor der Ablösung?
Seit langem in der Kritik: Reimund Neugebauer.Foto: P2jj, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.
KURZ VOR der Sitzung des Bundestags-Haushaltsausschusses ergriff Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) am Mittwochnachmittag die Flucht nach vorn. Nachdem sie lange öffentlich geschwiegen hatte, forderte sie einen "schnellstmöglichen personellen Neustart im Vorstand" der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG)– und damit indirekt die sofortige Ablösung von Präsident Reimund Neugebauer. "Die Vorwürfe gegen die Fraunhofer-Gesellschaft und den Vorstand wiegen schwer", sagte die Ministerin.
Da wusste sie bereits, was ein paar Stunden später im mächtigsten Parlamentsausschuss passieren würde. Die Haushälter verabschiedeten am Mittwochabend mit den Stimmen der Ampelkoalition einen scharf formulierten so genannten Maßgabebeschluss, in dem sie die Führung der FhG kritisierten und zugleich das BMBF ultimativ zu weitreichenden Konsequenzen aufforderten.
Wörtlich heißt es in der von SPD, Grünen und FDP gemeinsam eingebrachten Textfassung: "Unangemessene Handlungen und die unsachgemäße Verwendung von Zuwendungen durch Einzelpersonen auf der Vorstandsebene können nicht nur den hervorragenden Ruf der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG), sondern auch den des gesamten deutschen Wissenschaftssystems schädigen."
Der Haushaltsausschuss reagierte mit dem Beschluss auf den Anfang Februar vorgelegten Prüfbericht des Bundesrechnungshofs (BRH), in dem umfangreiche Vorwürfe sowohl gegen den FhG-Vorstand als auch gegen das BMBF erhoben werden. Sogar die Staatsanwaltschaft München prüft inzwischen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zumindest gegen den Fraunhofer-Führungsetage, wie zuerst Business Insider berichtet hatte.
Bis September muss das BMBF konkrete Konzepte zum künftigen Umgang mit Fraunhofer vorlegen
Die Parlamentarier ordneten an, dass das BMBF bis zum 1. September 2023 dem Ausschuss ein Konzept vorlegen muss, "wie eine sachgemäße Mittelverwendung der FhG BMBF-seitig durchgesetzt werden soll", außerdem wird ein "entsprechendes Konzept zum Berichtswesen" zum selben Termin gefordert. Was sie im Einzelnen vom Ministerium verlangen: "die Einhaltung des Besserstellungsverbots und des Zuwendungsrechts bei der FhG durchzusetzen sowie die internen und externen Kontrollmechanismen der FhG zu evaluieren und Anpassungen vorzunehmen. "
Mit seinen Forderungen erklärt der Haushaltsausschuss die bisherigen Kontrollmechanismen im Ministerium faktisch für gescheitert und verlangt Transparenz für die Zukunft – die laut BRH in der Vergangenheit im Umgang mit den mutmaßlichen Verfehlungen bei Fraunhofer gefehlt hat. Die Ampel schaffe mit ihrem Maßgabebeschluss die Grundlage dafür, die "erheblichen Mängel" aufzuarbeiten und sie über ein "strukturelle Verbesserung der Kontrollmechanismen des BMBF" abzustellen, sagte der grüne Haushaltspolitiker Bruno Hönel nach dem Beschluss. "Als Koalitionsfraktionen untermauern wir damit unsere Handlungsfähigkeit."
Forschungsministerin Stark-Watzinger äußerte sich im Vorfeld der Sitzung in einer Art vorweggenommenen Reaktion – und änderte damit ihre bisherige Taktik, zum Fraunhofer-Skandal nicht persönlich Stellung zu beziehen – erst recht nicht zu möglichen personellen Konsequenzen. Das BMBF nehme seine Verantwortung als größter Geldgeber "sehr ernst", sagte Stark-Watzinger, es habe bereits erste Konsequenzen etwas durch Teilwiderrufsverfahren gezogen. "Neben dem schnellstmöglichen personellen Neustart im Vorstand muss es jetzt darum gehen, dass sich die Verstöße nicht wiederholen und die Fraunhofer-Gesellschaft schneller zu einer modernen Governance und tragfähigen Compliance-Standards kommt."
Zur direkten Rücktrittsforderung fehlte am Mittwoch nicht mehr viel
Da bis auf Neugebauer und seinen langjährigen Wegbegleiter im FhG-Vorstand Alexander Kurz das gesamte Führungsgremium erst im vergangenen Sommer neu besetzt worden war, zielte die Ministerin mit ihrem Neustart-Vorstoß eindeutig (auch) auf Neugebauer ab – viel zu einer direkten Rücktrittsforderung fehlte da nicht mehr. Das BMBF pocht darauf, selbst keine Fach- oder Rechtsaufsicht über Fraunhofer zu haben. Tatsächlich können offizielle personelle Konsequenzen nur durch den Fraunhofer-Senat als höchstes Aufsichtsgremium gezogen werden – in dem das Ministerium von Stark-Watzinger jedoch vertreten ist und als einflussreich gilt.
Nach dem Maßgabeschluss im Haushaltsausschuss meldete sich auch die SPD-Haushaltsexpertin Wiebke Esdar zu Wort. Sie sagte, der Rechnungshofbericht offenbare "eine grundlegend falsche Kultur", wie mit Steuergeldern umgegangen worden sei. "Die entscheidende Frage ist, wo es eine missbräuchliche Verwendung von Haushaltsmitteln gab und warum dies in einem scheinbar so großen Umfang über die letzten Jahre geschehen konnte." Es werde darum gehen, "aus solchen Fehlern zu lernen, damit ein solches Wegschauen innerhalb der Institution und von Seiten des BMBF in Zukunft nicht mehr möglich ist".
Wie stark das Vertrauen der Abgeordneten in die Aufklärungsleistung des BMBF gestört ist, lässt sich im Maßgabebeschluss auch an der Forderung an die Bundesregierung ablesen, "die genaue Höhe der nicht sachgemäßen Mittelverwendung zu ermitteln und die entsprechenden Ausgaben von der FhG zurückzufordern". Vor allem ein Vorstandsmitglied, im BRH-Prüfbericht auf Verlangen von Fraunhofer als "X" pseudonymisiert, hatte einen Großteil des mutmaßlichen Schadens verursacht. Die Frage, ob es sich bei "X" um FhG-Präsident Neugebauer handelt, der spätestens seit seiner vorzeitigen Wiederwahl vor anderthalb Jahren im Zentrum immer schwerwiegender Whistleblower-Vorwürfe stand, wollte Fraunhofer auf Anfrage nicht beantworten.
Offenbar ging dem Haushaltsausschuss die schon einige Wochen alte Mitteilung des BMBF nicht weit genug, "ein Teilwiderrufsverfahren der an die FhG gewährten Zuwendungen für die letzten Jahre eingeleitet" zu haben. Auf Anfrage hatte das BMBF nämlich vor kurzem auch mitgeteilt: Zu der Höhe der zurückzufordernden Mittel sei eine "belastbare Aussage" aufgrund der dafür nötigen Prüfungen derzeit "leider nicht möglich".
Noch weitergehende Anträge der Opposition lehnte die Ampel ab
Bemerkenswert an dem Ausschussbeschluss ist, dass ihm auch die FDP ihn mitgetragen hat, obwohl das BMBF in ihrer Hand ist. Vor dem Hintergrund wird denn immerhin auch mit einem Satz begrüßt, dass das Ministerium "unter der neuen Hausführung die Mängel im Zusammenhang mit der eigenen Kontrollfunktion sowie den Handlungsbedarf anerkennt und erste entsprechende Schritte eingeleitet hat." Ganz ohne Parteipolitik geht es dann eben selbst bei der Aufarbeitung eines solchen Skandals nicht.
Apropos Parteipolitik: In einer eigenen Beschlussvorlage hatte die CDU-/CSU-Fraktion am Mittwochabend gefordert, der Ausschuss solle dem BMBF direkt seine Missbilligung aussprechen, da es den verfassungsrechtlichen Prüfauftrag des BRH "behindert und dadurch Prüfungen nicht nur erschwert, sondern auch verzögert". Genau das hatten die Rechnungsprüfer dem Ministerium vorgeworfen – unter seiner neuen Hausleitung wohlgemerkt. So habe das BMBF die Herausgabe bestimmter Akten und den Zugriff auf elektronische Laufwerke verweigert.
Dem von der CDU/CSU eingebrachten Beschlusstext zufolge hätte der Haushaltsausschuss das BMBF aufgefordert, "dem BRH zu jeder Zeit den Zugriff auf die für seine Prüfungen benötigten elektronischen Daten zu gewähren und die ihm angeforderten Akten unverzüglich zur Verfügung zu stellen." Der Umgang des Ministeriums mit dem BRH sei ein "Beleg für offensichtliche Handlungsunsicherheiten innerhalb des BMBF".
Diese Textfassung, die am Morgen bereits an Medien geleaked wurde, hätte wohl nach Meinung der Koalitionäre das FDP-Ministerium von Bettina Stark-Watzinger doch zu bloß gestellt und wurde deshalb abgeschmettert. Umgekehrt stimmte die Union dem Ampel-Antrag nicht zu.
Genauso fiel ein weiterer Beschlussantrag der Unionsfraktion wegen der Koalitionsmehrheit durch, in dem Konsequenzen für alle vier großen außeruniversitären Forschungsorganisationen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefordert wurden. Es gelte, hieß es darin, "durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen", dass die Organisationen "als institutionelle Zuwendungsempfängerinnen die für sie geltenden zuwendungsrechtlichen Regeln beachten". Hierzu müsse das BMBF künftig seine Fachaufsicht "ordnungsgemäß ausüben". Bis zur vollständigen Abstellung der Mängel solle das BMBF dem Bundesfinanzministerium den Wirtschaftsplan der FhG "zur Billigung vorlegen".
Pikant war in dem Unionsantrag, dass auch die Prüfung etwaiger personal- bzw. disziplinarrechtlicher Maßnahmen im BMBF gefordert wurde – und der BRH gebeten wurde, seine Prüfung fortzusetzen, "um eine allumfassende Aufklärung des Sachverhalts auch in Hinblick auf strafrechtliche relevante Sachverhalte voranzutreiben".
Bericht könnte schon in wenigen Tagen offiziell veröffentlicht werden
Pikant war an dem Antrag zugleich, dass all diese Forderungen im von den Ampelfraktionen eingebrachten, am Abend verabschiedeten Maßgabebeschluss des Ausschusses nicht enthalten sind. Wird bei aller Schärfe gegenüber dem Fraunhofer-Vorstand hier aus Koalitionsräson heraus das Ministerium doch zu sehr geschont? Ebenso erstaunlich ist, dass die CDU-/CSU-Fraktion damit Konsequenzen für eine unzureichende Kontrolle und womöglich sogar für persönliches Fehlverhalten von BMBF-Beamten fordert, die sich fast ausschließlich in eine Zeitraum zugetragen haben dürften, als das Ministerium von einer CDU-Ministerin, zuletzt Anja Karliczek, geführt wurde.
Der grüne Haushaltspolitiker Hönel sagte, das BMBF sei am Zug, "endlich der eigenen Kontrollfunktion nachzukommen und diese Vorkommnisse zukünftig zu verhindern, was in der Vergangenheit trotz wiederholter Prüfung und bekannter Problemlage unter einer CDU-Hausleitung nicht gelungen ist."
Bislang hatte das Ministerium bei Anfragen zum Prüfbericht stets argumentiert, es könne sich nicht äußern, weil "der Bericht des Bundesrechnungshofs, auf den Sie sich beziehen, … bislang nicht öffentlich“ sei. Unter anderem erwähnten die Rechnungshof-Prüfer drei hochpreisige Bewirtungen eines ehemaligen BMBF-Leitungsmitglieds durch Vorstandsmitglied "X" und ergänzten, das BMBF-Leitungsmitglied sei zum Zeitpunkt der Bewirtungen für die Vergabe der Zuwendungen an die Fraunhofer-Gesellschaft zuständig gewesen.
In der Regel werden BRH-Berichte jedoch, nachdem der Haushaltsausschuss sie zur Kenntnis genommen und beraten hat, innerhalb einiger Tage veröffentlicht. So dürfte es auch in diesem Fall sein. Mit ihrer Stellungnahme am Mittwoch leitete Stark-Watzinger denn auch bereits besagten Strategiewechsel bei der Kommunikation zu Fraunhofer und Neugebauer ein – und ging auf maximale Distanz zum langjährigen Präsidenten. So könnte dessen Schicksal in Kürze endgültig entschieden sein.
Zu niedrige Obergrenzen?
An einer Stelle dürfte sich Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer durch den Maßgabebeschluss des Haushaltsausschusses sogar bestätigt fühlen. Der fordert die Bundesregierung ganz am Ende nämlich auch auf, "die Obergrenzen (z.B. für Übernachtungen) im Bundesreisekostengesetz auf ihre Praktikabilität zu prüfen".
Sind die Sätze so niedrig, dass diese fast schon zur Übertretung einladen? Zu dem Ergebnis kann man bei Obergrenzen für Übernachtungen von oft unter 100 Euro pro Nacht tatsächlich kommen. Allerdings hat das Fraunhofer-Vorstandsmitglied "X" laut Rechnungshof in vielen Fällen nicht ein paar Euro mehr als erlaubt angegeben, sondern das Mehr- und Vielfache:
zum Beispiel in Rostock 365 Euro statt der erlaubten 75 und in Österreich 663 Euro statt der zulässigen 115.
Doch war es offenbar allzu leicht möglich, solche Spesenabrechnungen zunächst einmal erfolgreich durchzubekommen.
Als Abgeordnete müsse man sich auch fragen, ob es gesetzliche Regelungslücken gebe, die neben persönlichem Fehlverhalten zur Entstehung solcher Situationen beigetragen hätten, sagt SPD-Haushälterin Wiebke Esdar. Fest stehe für sie auch: "Die Wissenschaft braucht Freiheit zum Forschen, aber Zuwendungsregeln müssen eingehalten werden."
Kommentare
#1 - Neugebauer scheint erledigt, aber wer stünde bereit,…
Gibt es überhaupt integre und entsprechend vernetzte Personen aus dem Inneren (VPs, Institutsleiter), die in Frage kommen?
Investigieren Sie doch einmal…
#2 - @Rudolph Wimmer: Ich bezweifele, dass eine interne…
#3 - @Rudolf Wimmer: Fraunhofer braucht einen totalen Neuanfang…
#4 - Fraunhofer ist kein Einzelfall. Deshalb war der…
#5 - stellt sich die Frage, ob wir die FhG überhaupt noch…
#6 - @kldi: Durch Wiederholungen werden unqualifizierte…
Blick nach vorne: Die hohe Relevanz von Fraunhofer und seiner Mission steht nicht in Frage. Über die Sicherstellung der Compliance bei Spesenabrechnungen hinaus, werden sich alle Beteiligten aber sehr ernsthaft mit dem weiteren regulatorischen Rahmen auseinandersetzen müssen. Darf Fraunhofer, was qua Mission erwartet wird?
Blick auf den strategischen und operativen Alltag: Bitte aufpassen, dass nun nicht in einer undifferenzierten Überreaktion eine „gefesselte Katze“ haben und dann wieder unqualifizierte Grundsatzfragen besprechen müssen. ;-)
#Mut #Innovation #Experimentierfreude #Fehlerkultur #Compliance #Nahbarkeit #Wertschätzung #Managementkompetenz #Kapazitäten
#7 - @Flinke KatzeVielleicht können Sie mir auf die Sprünge…
Vielleicht können Sie mir auf die Sprünge helfen und einen Link oder auf anderweitige Informationsquellen hinweisen, über die ich mich zum aktuellen Stand bzgl. der Missionserfüllung des FhG informieren kann.
Selbst bei der oft erwähnten Erfolgsgeschichte mp3 ist festzustellen, dass das (große) Geld nicht in Deutschland verdient wurde und dass mir auch keine Unternehmen in Deutschland einfallen, die durch diese Technik groß geworden sind. In vielen technischen Bereichen kenne ich mich nicht hinreichend aus, um die Wirkung der FhG nachzuvollziehen. Deshalb meine Frage.
#8 - Ich halte die Vermischung von Universitätsprofessuren mit…
#9 - @SE:Diese Professuren (gemeinsame Berufungen) zahlen die…
Diese Professuren (gemeinsame Berufungen) zahlen die Außeruniversitären, die ihren Wissenschaftler*innen den Prestige-Titel Professor geben wollen. Die Hochschulen bekommen dafür eine*n renommierte*n Namen als Teil ihrer entsprechenden Fakultät, mit dem man sich rühmen kann, der je nach Ausgestaltung Drittmittel bringen könnte und der zu den Konditionen, die Hochschulen bieten könnten (sowohl was Ressourcen als auch das Lehrduputat angeht), nicht an die Uni kommen würde.
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