Sendepause
Die schwarz-rote Koalition streicht Berichte, beendet die Live-Übertragung aus Ausschüssen und verspricht trotzdem Transparenz. Funktioniert so parlamentarische Kontrolle?
Bild: Rotkaeppchen68, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.
ES WAR KEIN Eingeständnis, das man gern macht. Im März 2023 war das, als das damalige Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) dem Bundestag offiziell mitteilte, dass die im Bau befindliche Beschleunigeranlage FAIR in Darmstadt nochmal massiv teurer werde. Und gleich die nächste Verspätungsanzeige drauflegte: Ursprünglich sollte die "Facility for Antiproton and Ion Research" mal 700 Millionen Euro kosten und 2012 an den Start gehen. Die neue Ansage aus dem BMBF: mindestens 2,7 Milliarden für einen geringeren Ausbaustand als einst geplant, erste Experimente frühestens 2028.
Das Eingeständnis stand in einem der regelmäßigen Berichte, die das Ministerium dem Haushaltsausschuss des Bundestages in jeder Legislaturperiode über wichtige Projekte und Programme vorlegen muss – als Teil dessen parlamentarischer Kontrollfunktion.
Gelegentlich enthalten die Zahlenwerke wenig Neues, gleichen einer Pflichtaufgabe, deren Zusammenstellung und anschließende Lektüre viel Arbeitszeit kostet – in den Ministerien genauso wie in den Abgeordnetenbüros. Oft genug aber bieten die Berichte der Opposition die Gelegenheit für bohrende Nachfragen, und finden sie ihren Weg in die Öffentlichkeit, gerät eine Ministerin schon einmal unter Erklärungsdruck.
Wie bei FAIR, als sich die aus Hessen stammende Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) trotz der Kostenexplosion für den Fertigbau einsetzte. Auch der Bundesrechnungshof hat sich mit dem Vorhaben schon mehrfach beschäftigt, der hessische Bund der Steuerzahler prangerte die "UnFAIRe" Kostensteigerung an.
"Sie haben Ihre eigenen Rechte beschnitten"
Jetzt wurde bekannt, dass die neue schwarz-rote Koalition mit ihrer Mehrheit im Haushaltsausschuss erwirkt hat, dass acht von zehn Berichten im Einzelplan 30, also dem Budget des BMBF-Nachfolgers BMFTR, gestrichen werden. Zuerst berichtete Table Briefings darüber. Dass zum Start einer neuen Legislaturperiode die Berichtspflichten im Haushaltsausschuss neu festgelegt werden, ist normal. Doch äußerte sich die Opposition irritiert über die weitreichende Streichung.
"Sie haben hier im Bundestag vor wenigen Tagen Ihre eigenen Rechte beschnitten", sagte die grüne Haushaltspolitikerin Paula Piechotta in ihrer Bundestagsrede am 10. Juli an die Adresse der Regierungsfraktionen. "Wir hatten bislang zehn regelmäßige Berichte zum Etat des Forschungsministeriums, und Sie haben acht davon gestrichen, zum Beispiel die, die uns regelmäßig berichten, wie es eigentlich mit dem Rückbau der kerntechnischen Anlagen vorangeht, die, die uns berichten, wie viel Geld eigentlich ungenutzt bei Fraunhofer und Max Planck rumliegt, und auch viele andere Punkte. Das sind Informationen." Und sie fügte hinzu: "Wir sehen bei den Maskendeals, was passiert, wenn das Parlament die Regierung nicht kontrolliert."
Piechotta spielt unter anderem auf den Bericht zu den Selbstbewirtschaftungsmitteln bei den vom Wissenschaftsfreiheitsgesetz (WissFG) erfassten Wissenschaftseinrichtungen an – ein Lieblingsthema auch des Bundesrechnungshofs, der ebenfalls jedes Mal Debatten auslöste. Ebenfalls nicht mehr vorlegen muss das BMFTR unter anderem die Ist-Übersicht der Mittelabflüsse aus seinem Einzelplan 30, den Bericht zum Pakt für Forschung und Innovation oder zur Bundesagentur für Sprunginnovationen Deutschland (Sprind).
Zwei konkurrierende Narrative
Politiker der Koalition verteidigen die Entscheidung. Sie folge dem "klaren Ziel des Bürokratieabbaus", sagt die im Haushaltsausschuss für den BMFTR-Einzelplan zuständige SPD-Abgeordnete Svenja Schulze auf Anfrage. "Das haben wir im Koalitionsvertrag so vereinbart, und dann wollen wir auch diesen Schritt gehen." Man wolle Verwaltung und Forschung von übermäßiger Berichtspflicht entlasten und Ressourcen effektiver einsetzen. Die parlamentarische Kontrolle bleibe davon unberührt: "Der Haushaltsausschuss, der Bundesrechnungshof und das Parlament insgesamt verfügen weiterhin über wirksame Instrumente, um sich über Mittelverwendung und Fortschritte zu informieren. Auch künftig wird Transparenz gewährleistet – aber gezielter und anlassbezogen."
Schulzes CDU-Pendant Carsten Körber ist im Urlaub, lässt aber ausrichten, er teile die Auffassung von Florian Müller, dem forschungspolitischen Sprecher der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion. Der verweist ebenfalls auf den "dringend" nötigen Bürokratierückbau. "Wir haben uns mit umfangreichen Berichtspflichten völlig verzettelt und im Nanomanagement verloren." All die Berichte fielen nicht vom Himmel. "Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen fortlaufend aufwendig und präzise zuliefern. Die Verwaltungen im Bund sowie in Wissenschaft und Forschung wachsen immer weiter an. Zeitgleich geht uns für das Kerngeschäft immer mehr die Puste aus. Hier müssen wir ran." Die wegfallenden Berichtspflichten seien ein erster Schritt, betont Müller. Weitere müssten folgen.
Hier die Beschneidung der parlamentarischen Kontrolle, dort die Befreiung von überbordender Bürokratie: zwei Narrative, die sich schwer in Einklang bringen lassen. Und der Streit um die Transparenz ist noch umfassender.
Transparenz ohne Publikum
Hellhörig wurden Teile der Zivilgesellschaft, als CDU und CSU in den Koalitionsverhandlungen eine Abschaffung des Informationsfreiheitsgesetzes ins Spiel brachten. Die SPD stimmte dem nicht zu, es folgte eine von mehr als 400.000 Menschen unterstützte Petition, und im finalen Koalitionsvertrag stand statt der Abschaffung die Ankündigung, das Informationsfreiheitsgesetz solle in "der bisherigen Form ... mit einem Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger und Verwaltung" reformiert werden.
An einem Strang ziehen Union und SPD bei einer weiteren Veränderung der parlamentarischen Praxis. 2022 hatte der Bundestag auf Initiative der Ampel-Koalition den Grundsatz der Nicht-Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen aus der Geschäftsordnung entfernt. Zu den Bundestagsausschüssen, die daraufhin zum öffentlichen Livestreaming übergingen, gehörte der für Forschung zuständige.
Diese Öffnung sei ihm sehr wichtig gewesen, sagte der damalige Ausschussvorsitzende Kai Gehring (Grüne) im Interview hier im Blog. "Wir diskutieren mit einer großen Bandbreite an Gästen über die großen Fragen unserer Zeit, die allesamt wichtige Bezüge zu Bildung und Forschung haben." Durch seine Themensetzung habe der Ausschuss den Blick der Wissenschaftspolitik stärker nach außen gerichtet – "auch europäischer und internationaler. All das gehört in die Öffentlichkeit, wir können als Ausschuss die Debatten mitprägen. Damit leisten wir auch einen wesentlichen Beitrag zu der so wichtigen Wissenschaftskommunikation."
Entsprechend beantragten die Grünen zu Beginn dieser Legislaturperiode das erneute Streaming. Doch die Koalition lehnte ab, "ausgerechnet als Ministerin Dorothee Bär zu Besuch war", kritisierte die grüne Wissenschaftspolitikerin Ayse Asar unter der Überschrift "Union und SPD machen dicht" auf LinkedIn. Jetzt zeige sich: "Das Ganze hat System. Auch in anderen Ausschüssen stellt die Koalition Transparenz hinten an."
Tatsächlich wollen künftig überhaupt nur noch die Ausschüsse für Sport und Kultur grundsätzlich öffentlich tagen.
"Bürgernähe entsteht durch politische Entscheidungen"
Gehrings Nachfolger als Vorsitzender des Forschungsausschusses, Karl Lauterbach (SPD), beantwortet mit Verweis auf die parlamentarische Sommerpause Anfragen erst wieder ab dem 21. August – auch die zu seiner genauen Auffassung in dieser Angelegenheit.
CDU-Mann Florian Müller sagt derweil, er teile "die Auffassung des Ausschussvorsitzenden Professor Lauterbach": Der Deutsche Bundestag sei ein Arbeitsparlament. "In den Ausschüssen findet die klassische Kärrnerarbeit der parlamentarischen Kontrolle und Gesetzgebung statt. Im Mittelpunkt sollte dabei stets das beste Argument zu Inhalten stehen, nicht die schillerndste Show für Social Media. Die Nicht-Öffentlichkeit der regulären Arbeitssitzungen schafft den hierfür erforderlichen Rahmen."
Der forschungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion argumentiert ähnlich. "Transparenz ist für die SPD jedenfalls keine Frage der politischen Inszenierung, sondern der Klarheit und Verbindlichkeit politischer Entscheidungen", sagt Oliver Kaczmarek. "Bürgernähe entsteht nicht durch die digitale Übertragung von Ausschusssitzungen, sondern durch politische Entscheidungen, die erklärbar seien und das Leben der Bürger positiv beeinflussten. Für uns steht deshalb die solide und nachvollziehbare Abarbeitung der im Koalitionsvertrag vereinbarten gemeinsamen Vorhaben im Mittelpunkt. Das muss besser funktionieren als in der letzten Wahlperiode."
Von weiten Teilen der Forschungscommunity verfolgt wurden die Auftritte von Bettina Stark-Watzinger, die wegen der BMBF-Fördermittelaffäre zweimal in den Ausschuss zitiert wurde. Und hier auf gut vorbereitete Abgeordnete wie den damaligen Oppositionspolitiker Thomas Jarzombek (CDU) traf, der sie mit Detailfragen zu Abläufen und Verantwortlichkeiten piesakte.
Eine Show? Ganz sicher
Eine Show? Ganz sicher. Aber eine, die einen Zwang zur öffentlichen Transparenz erzeugte, der sonst womöglich ausgeblieben wäre. Umgekehrt ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen: dass gerade die AfD die Liveübertragungen nutzt, um möglichst markige Schnipsel für Social Media zu produzieren.
Während aus den Regierungsfraktionen zu hören ist, die Liveübertragungen habe ohnehin im Normalfall kaum einer sehen wollen, schrieb der nicht wieder für den Bundestag angetretene Gehring auf LinkedIn von Enttäuschung und einem "bedauerlichen Rückschritt in der Parlamentspraxis". Als Vorsitzender habe er mit den regierungstragenden Fraktionen den Forschungsausschuss zum "Pionierausschuss für Transparenz und Bürgernähe" gemacht: "Gute Einschaltquoten und zahlreiche Reaktionen von Fach-Communitys und Bürger*innen waren positiv und motivierend – dies wieder rückabzuwickeln ist weder souverän noch überzeugend."
Unterdessen betont Florian Müller, dass die Anhörungen des Ausschusses für die Öffentlichkeit "zugänglich sind und bleiben". Außerdem stünden die Abgeordneten nach seiner Wahrnehmung für Presseanfragen "nahezu rund um die Uhr" zur Verfügung. Es mangele also nicht an Möglichkeiten der politischen Öffentlichkeitsarbeit oder gar Selbstdarstellung.
Und er fordert schon die nächsten Schritte gegen die Bürokratie. Vom "Bundesbericht Forschung und Innovation" über das "Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation", den "Umsetzungsbericht der Zukunftsstrategie Forschung und Innovation", die turnusgemäßen Monitoring-Berichte zum Pakt für Forschung und Innovation bis hin zum "Bericht der Bundesregierung zur internationalen Kooperation in Bildung, Wissenschaft und Forschung": Das Nebeneinander der Berichte sei fragwürdig und gehöre auf den Prüfstand, Aufwand und Ertrag stünden in keinem Verhältnis.
Weniger Berichte, weniger Öffentlichkeit, weniger Nachfragen: Für die Koalition klingt das nach effizientem Regieren – für andere nach bequemem Schweigen. Und in der Kombination der verschiedenen Maßnahmen und Vorstöße bleibt: ein ungutes Gefühl.
Halbwegs gute Nachrichten gibt es dafür bei FAIR. Die Inbetriebnahme ist weiter für 2028 geplant. Kostenstand derzeit, nun ja: 3,3 Milliarden.
Kommentare
#1 - Berichtsunwesen
Nun wird mal ernst gemacht, und die Kritik ist vorprogrammiert. Nehmen wir den Bericht zum Pakt für Forschung und Innovation, der vollkommen aus dem Ruder gelaufen ist und nur fürs Parlament im Kiloformat verfasst wurde. Wenn jetzt auch noch die GWK entsprechend umsetzt-welche Ministerin, welcher Minister hat den Bericht jemals zu Rate gezogen?- dann ist Bürokartie abgebaut. Wenige aussagekräftige Berichte, die nicht nur die Referentinnen und Referenten der Ausschussabgeordneten wirklich auswerten, wäre eine Bereicherung.
#2 - Autorenschaft
"Aufwand und Ertrag stünden in keinem Verhältnis" - da muss ich zustimmen. Aber die Mär, dass die Berichte von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern permanent erstellt werden müsste, ist ja nicht korrekt. Der PFI-Bericht wurde doch maßgeblich in den Administrationen verfasst. Ja, da muss auch abgebaut werden, aber bitte zuerst die Arbeit dort anerkennen und nicht Anderen zuordnen. Und bei EFI-Bericht und BuWiK (ehem. BuWiN) stehen Studien der Hochschul- und Wissenschaftsforschung dahinter. Wenn diese Berichte wegfallen, droht auch diesem Forschungsbereich ein Rückschlag.
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