Wir brauchen die Deutsche Lehrgemeinschaft!
Die Hochschulen sollen "Lehrverfassungen" formulieren, fordert der Wissenschaftsrat. Damit gute Lehre sich für die Wissenschaftler lohnt, muss die Politik aber erstmal eine vorschnell verworfene Idee wiederbeleben.

GERADE TRIFFT SICH der Wissenschaftsrat zu seiner Frühjahrssitzung, und zu den Unterlagen, über die sich die Experten aus Wissenschaft und Politik beugen, gehört ein Positionspapier „Strategien für die Lehre“. Anfang nächster Woche soll es offiziell veröffentlicht werden, eine seiner Kernforderungen hat das Gremium aber schon 2015 in einer anderen Empfehlung formuliert: "Lehrverfassungen" sollen sie richten, die Unwucht zwischen Forschung und Lehre.
Die Hochschulen, so die Idee, sollen endlich mal genau sagen, was sie unter „guter Lehre“ verstehen – und wie sie sie konzeptionell zu fördern gedenken. Und es dann verbindlich aufschreiben. Und zwar jede einzelne Hochschule für sich.
Moment, gibt es nicht schon die Leitbilder, mögen jetzt manche fragen, und wo ist der Unterschied?
Der Unterschied ist, dass die Leitbilder, die sich viele Hochschulen pflichtschuldig und oft auf Wunsch der Politik gegeben haben, fast alle gleich klingen – und nicht nur zufällig so, als hätten da die einen von den anderen abgeschrieben. Mit dem Ergebnis, dass selbst Rektoren nicht genau sagen können, was in ihrem eigentlich drinsteht.
Das soll bei den Lehrverfassungen anders werden, ein „strategischer Prozess“, so nennt man das heute wohl, soll losgetreten werden hin zur Selbstvergewisserung – gesteuert, aber nicht vorgegeben von der Hochschulleitung. Mit daraus abgeleiteten konkreten Maßnahmen. Aber kann gelingen, was bei den Leitbildern vielerorts so gründlich danebengegangen ist?
Es kann. Aber nicht, weil der Wissenschaftsrat einen abstrakten Begriff mehr ins Rennen geschickt hat. Es kann gelingen, wenn man sich ausgerechnet die Forschung als Vorbild nimmt. Warum werden Karrieren über die Forschung gemacht? Warum können Rektoren, die wohlwollend-schwammig über die Lehre referieren, exakt und bis ins Detail auflisten, wie ihre „institutionelle Forschungsstrategie“ aussieht? Kurz gesagt: Weil es sich für sie lohnt. Ausgerechnet die zuletzt viel gescholtenen Projektmittel, ausgeschüttet von DFG & Co, sind die Währung der Forscherreputation. Und die Exzellenzinitiative mag die ultimative Karotte sein, aber ihre Logik funktioniert.
Als Annette Schavan noch Bundesministerin war, machte der Begriff einer „Akademie für die Lehre“ eine kurze Karriere, von der Etablierung einer „Deutschen Lehrgemeinschaft“ analog zur DFG war die Rede: Projektförderung von Exzellenz. Daraus wurde nichts. Stattdessen kam der zeitlich befristete „Qualitätspakt Lehre“: ein guter Start, nicht mehr. Doch schon sein Erfolg zeigt, wie viel noch möglich wäre.
Unterdessen versuchen private Förderer, das Vakuum zu füllen, zum Beispiel der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Baden-Württemberg-Stiftung, die tapfer und seit mittlerweile etlichen Jahren „Fellowships für Innovationen in der Hochschullehre“ ausschreiben.
Die alte Idee einer dauerhaften Deutschen Lehrgemeinschaft sollte dringend wieder ausgemottet werden. Der Anlass ist da, wenn demnächst die Anschlussfinanzierung des auslaufenden Hochschulpakts ansteht. Der setzte bislang vor allem auf die großen Studierendenzahlen. Künftig, da sind sich Bund und Länder einig, soll er stärker auf Qualität abheben. Wie wäre es, beides zu verbinden: eine Studienplatzfinanzierung für gute Lehre in der Breite und ein von Proporz befreites, echtes Förderprogramm für exzellente Ideen?
Mit der Deutschen Lehrgemeinschaft zur Lehrverfassung: Das könnte funktionieren. Vielleicht ja Stoff fürs nächste Positionspapier des Wissenschaftsrates.
NACHTRAG:
Heute steht in der ZEIT ein Interview (leider noch nicht online), das Anna-Lena Scholz mit dem ehemaligen Vorsitzenden des Wissenschaftsrats, Manfred Prenzel, geführt hat. Der Bildungsforscher ist maßgeblicher Autor des Positionspapiers zur Lehre. Und erfreulicherweise endet das Gespräch mit derselben Forderung, die ich in meinem Kommentar aufgestellt habe: Eine Deutsche Lehrgemeinschaft, sagt Prenzel, wäre "ein klares Bekenntnis dazu, Innovationen und gute Konzepte in der Lehre zu fördern."
Übrigens habe ich mich, nachdem ich mich Anfang der Woche für mein Plädoyer für eine Deutsche Lehrgemeinschaft entschieden hatte, unter Hochschulrektoren und Professoren umgehört. Deren mehrheitliche Reaktion: Bloß nicht! Sie bezweifeln, dass eine Lehrgemeinschaft über dieselbe wissenschaftliche Unabhängigkeit verfügen würde wie die DFG, und fürchten eine neue Form des staatlichen Dirigismus. Außerdem gebe es ohnehin schon zu viele Wettbewerbe, Projekte und Drittmittel – und jetzt solle das auch in der Lehre der Normalfall werden?
Die zum Teil sehr deutlichen Reaktionen haben mir eines gezeigt: Ein Selbstläufer ist die Debatte über die Deutsche Lehrgemeinschaft nicht – was auch der Grund war, weswegen sie schon einmal abgesetzt wurde. Doch – und da stimme ich völlig mit Manfred Prenzel überein – es ist nötig, sie zu führen.
Kommentare
#1 - Sie übersehen, dass es um Lehre UND Forschung geht. Die…
Wenn Sie Zweiklassen-Hochschullehrer vermeiden wollen - also die einen, die nur Lehren (müssen), und auf der anderen Seite die, die heißbegehrt forschen dürfen -, dann müssen Sie sich was einfallen lassen. Der Vorschlag mit der DLG krankt genau daran, dass beides nicht zusammengedacht wird, obwohl ich Ihnen natürlich zustimme, dass es vor allem um die gute Lehre geht und vor allem dort etwas zu machen ist.
Im Übrigen: Was Sie über die Leitbilder schreiben, das können Sie doch auch an zig Lehrplänen sehen. Schauen Sie sich doch mal an, was in Modulbeschreibungen für eine "Substanz" da ist. Meist schwammig, offen gehaltenes BlaBlaBla. (Meist auch noch eine Konsequenz der oft missglückten Umstellung auf Bachelor und Master.)
Eigentlich müsste eine Reform von guter Lehre und Forschung vom Nachwuchs ausgehen, nicht von den Alteingesessenen, die praktisch wie Böcke zu Gärtnern gemacht werden... Dazu bedarfs es Mittel und Modellprojekte, die sich auch spürbar und effektiv in der Unistruktur und in den Karrierewegen niederschlagen. Ich meine, Frau Wanka will doch was für den Nachwuchs tun: Warum nicht mal ein paar Universitäten als Probierfelder auswählen, wo dezidiert Nachwuchs in Gruppen angeworben wird mit der Auflage, innerhalb der Juniorprofessur oder des Tenure-Tracks zusammen die Lehrpläne inhaltlich und methodisch zu überarbeiten?
Bei Gremien wie denen, die Sie vorschlagen (DLG), sehe ich dagegen das bekannte Problem des Kampfes um die Fleischtöpfe (weil die Unis finanziell zum Teil auf dem letzten Loch pfeiffen, zumindest sich aber den Luxus leisten, den Nachwuchs in prekären Situationen zu halten...). Und dann haben Sie dort auch wieder nur die Alteingessenen sitzen, die entsprechend die Förderung gestalten...
MfG
ST
#2 - Eine Deutsche Lehr(-Rettungs-)Gemeinschaft wäre - wenn die…
Es ist ja keineswegs so, dass es hierzu keine Erfahrungen und Analysen gäbe, allerdings wurden sie bisher nur vergleichsweise wenig genutzt (vermutlich aus den beschriebenen Gründen wie dem Reputationsgefälle zwischen Forschung und Lehre).
So befasst sich ein Team um den Leiter des ZHB der Uni Dortmund seit längerem mit den Effekten von Anreizsystemen in der Lehre, was für deren (Weiter-)Entwicklung sicher hilfreich wäre (siehe z.B. Artikel in www.researchgate.net/publication/301608280). Darüber hinaus gibt es an der Uni Kassel ein Forschungsprojekt, was sich mit den Wirkungen der Qualitätssicherung von Studium und Lehre durch Akkreditierungs- und Evaluationsverfahren befasst (www.uni-kassel.de/einrichtungen/?id=41208). Und vor einigen Jahren befasste sich ein Projekt am Institut für Hochschulforschung Wittenberg mit der Frage, wie man seriös die Leistungen von Hochschulen und Studiengängen in der Lehre erfassen kann und daraus folgend auch, wie man Leistungsanreize dafür gestalten kann (www.hof.uni-halle.de/dateien/ab_5_2006.pdf, http://ids.hof.uni-halle.de/documents/t1977.pdf). Dies sind nur einige wenige Beispiele, es gibt sicher noch viel mehr.
#3 - Mag sein, dass die Förderung von Lehrinnovationen auch den…
PS: Es ist doch merkwürdig, dass die Sorge einer Trennung von Forschung und Lehre vor allem dann geäußert wird, wenn die Lehre gefördert werden soll. In der Forschungsförderung ist das "Fehlen" der Lehre offenbar unbedenklich.
#4 - Die spontane Ablehnung der Idee einer DLG basierte vor…
#5 - Über viele Aspekte des Problems kann man getrost geteilter…
#6 - Noch ein Aspekt: Die rechtlichen Vorgaben…
Auch die Regelungsdichte ist ein Unterschied zur Forschung, die bedacht werden muss, wenn es um die Stärkung der Lehre geht.
#7 - Ich glaube nicht, dass speziell der Wettbewerb alles…
#8 - Mein Ausgangspunkt: Lehre zu fördern, ist besser, als…
Daher sind alle Initiativen zur Stärkung der Lehre zunächst einmal positiv. Wie immer und so auch hier, kommt es auf die Ausgestaltung an, die wiederum dann gelingen kann, wenn man von einer hinreichend zutreffenden Situationsanalyse ausgeht. M.E. sind für die Lehre zwei Aspekte zentral:
1) Lehre ist eine Daueraufgabe und viel weniger als die Forschung projektförmig und projektgeeignet. (Dies lässt sich am besten über lehrorientierte Dauerstellen erreichen, die es an den Fachhochschulen in Gestalt der Professuren gibt, an den Universitäten ist die Situation hingegen ein Trauerspiel, aber das ist hier nicht das Hauptthema.)
2) Lehre ist, viel stärker als die Forschung, eine gemeinsame Verantwortung aller Lehrenden vor Ort, was diese aber leider zu oft nicht wahrnehmen (wollen). Hier ist ein Mentalitätswandel gefragt.
Aufgabe einer DLG wäre daher nach meiner Ansicht, einen solchen Mentalitätswandel befördern zu helfen. Wie? Es bedarf des Geldes, Anreize funktionieren, aber dieses Geld darf nicht individuell und projektförmig fließen, sondern es sollten z.B. nachweislich gute Studiengänge unterstützt werden. Studiengänge, in denen
* sich (fast) alle HochschullehrerInnen engagieren und ihrer gemeinsamen Verantwortung bewusst sind,
* die Schnittstellen zu Verwaltungen, Prüfungsämtern etc. wohldefiniert sind und laufend gepflegt werden,
* ein Campusmanagementsystem reibungsarm und nutzerfreundlich funktioniert etc.
Wir werden sehen, was der Wissenschaftsrat sagen wird (bzw. ob). Jemand hier, der aus den Sitzungen schon gehört hat, ob es zu einer Verabschiedung gekommen ist?
#9 - @tutnichtszursache (Schade dass der Kommentar anonym…
Sicher weist Lehre andere Charakteristika auf, als Forschung. Die von Ihnen angeregten Bereiche, d.h.
* die Schnittstellen zu Verwaltungen, Prüfungsämtern etc. wohldefiniert sind und laufend gepflegt werden,
* ein Campusmanagementsystem reibungsarm und nutzerfreundlich funktioniert etc.
ließen sich mit entsprechenden Umstellungsprojekten realisieren, die meist von zusätzlichen Mitteln und Ressourcen profitieren.
#10 - Gerade jetzt wäre ein sehr guter Zeitpunkt, um der…
Es hat sich dabei gezeigt, dass der Austausch von Expert/innen aus der Hochschulentwicklung, der Hochschuldidaktik und den Fachwissenschaften sehr inspirierend für alle Seiten sein kann. Ich habe selbst erlebt, dass auch die damit verbundene Wertschätzung für die Lehrinnovationen, bei Kolleg/innen zu neuer Energie und verstärktem Engagement führen kann. Als Plattform zur Vernetzung und zum Austausch wäre eine solche Institution daher ein großer Schritt nach vorn.
Ob dagegen "Lehrverfassungen" der einzelnen Hochschulen einen konkreten Nutzen bringen, halte ich eher für fraglich. Abgesehen davon, dass schon eine Definition von "guter Lehre" sehr schwierig sein dürfte, müssten solche Lehrverfassungen ein breites Spektrum an Fächern und Studiengängen abdecken und könnten daher nur sehr allgemeine Grundsätze enthalten. Dazu kommen spezielle Fragen, wie zum Beispiel, ob PBL, Inverted Classroom oder ähnliche Methoden, deren Nutzen (noch?) nicht nachgewiesen ist, in solchen Lehrverfassungen auftauchen sollten, ob konkrete Qualifikationsvoraussetzungen an die Lehrenden formuliert oder andere Mindeststandards definiert werden sollten.
Als durchaus problematisch sehe ich auch die wettbewerbliche Ausrichtung. Wissenschaftler/innen wollen im allgemeinen (in Forschung und in der Lehre) nicht einfach fertige Projekte kopieren. Sie sind aber oft bereit, von anderen zu lernen und vorhandene, gute Konzepte mit eigenen Ideen zu verknüpfen. In meinen Augen wäre daher die Unterstützung von Kooperationen, Austausch und Transfer genauso wichtig wie die Förderung von Lehrinnovationen und deren wissenschaftlicher Evaluierung.
#11 - Ich würde tutnichtszursache gerne zustimmen und seinen…
Selbst gehöre ich zu denen, die es "ins System" geschafft hat. Sicher mit Leistung in der Forschung, aber die Lehre war mir immer ein Anliegen. Auch lehre ich unter paradiesischen Bedingungen: Baden-Württemberg mit vielen Mitteln "gute Lehre" zu fördern und einer Institution mit Didaktikzentrum und einem Stolz auf gute Lehre. Nichtsdestotrotz sehe ich die Idee, gute Lehre wie gute Forschung positiv, aber ich glaube nicht, dass dieses das Problem löst.
Lehren tun (fast) alle. Eine Ausbildung wie man lehrt hat (fast) keiner. Angebote seine Lehre zu verbessern gibt es oft. Aber diejenigen, die diese Möglichkeiten nutzen, sind nicht das Problem. Die Probleme kreieren doch die Lehrenden, die jede Woche im Hörsaal oder Labor stehen, die sich für Lehre nicht interessieren oder sie nur als nervende Ablenkung von der Forschung sehen. Aus diesen Veranstaltungen kommen die demotivierten und frustrierten Studierenden. Diese "schlechte" Lehre - ja die gibt es- ist das Problem. Ob aus Unfähigkeit oder Unwille ist irrelevant. Wenn wir die Lehre wirklich verbessern wollen, dann müssen wir daran arbeiten.
Wie können wir garantieren, dass alle Studierenden zumindest ordentliche Veranstaltungen besuchen können. Wie sichern wir einen solchen Mindeststandard?
Das ist meines Erachtens das Kernproblem. Wie man das lösen kann? Verpflichtende Didaktikausbildung für Hochschullehrer? Die Berufung auf Probe bis eine "Referendarzeit" bestanden wurde? Konsequenzen für das Gehalt, bei "schlechter Lehre". Ich weiß die Antworten nicht, aber darüber nachzudenken würde vermutlich größere Verbesserungen in der Lehre hervorbringen als die Förderung von ohnehin schon guter Lehre (auch wenn die natürlich auch gut ist). Schlechte Forschung wird nicht gefördert, schadet aber auch nicht vielen. Schlechte Lehre macht viel kaputt, wird aber nicht verhindert.
Schönes Wochenende
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