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"Das Problem ist die Professorenmehrheit"

Warum nicht nur Hochschullehrern die Wissenschaftsfreiheit zusteht und Verfassungsrichter aufpassen müssen, in Sachen von Wissenschaft nicht von sich auf andere zu schließen. Ein Interview mit Josef Lange.

Foto: Pius-Hospital Oldenburg
Foto: Pius-Hospital Oldenburg

Herr Lange, Sie waren Mitglied einer Arbeitsgruppe, die für das Forum Hochschulräte ein Positionspapier erarbeitet hat, Überschrift: „Wissenschaftsfreiheit durch Checks und Balances“. Kritiker der Hochschulräte sagen, gerade deren Übermacht habe dafür gesorgt, dass die Machtbalance an den Hochschulen überhaupt erst aus dem Gleichgewicht geraten sei.

 

Was natürlich Unsinn ist. Wir erleben die gegenteilige Tendenz an den Hochschulen: ein Rollback, das uns zwar nicht in die Zeit vor 68 zurückführt, sehr wohl aber gefährlich nah heran an die damalige Ordinarienuniversität. Nicht starke Hochschulräte sind zurzeit das Problem, erst recht nicht starke Rektorate. Das Problem ist die Rückkehr der so genannten Professorenmehrheit, die alle Geschicke der universitären Entwicklung lenken soll. 

 

Wieso die Rückkehr? Die Verfassungsgerichtsurteile, die in den 70er Jahren die Professorenmehrheit festlegten, sind doch nie aufgehoben worden. 

 

Wir haben aber zwischenzeitlich eine Phase erlebt, in der sich die Governance der Hochschulen entsprechend den Anforderungen der Wissenschaft weiterentwickelt hatte. Das war auch die Zeit, in der die Hochschulräte entstanden, als überwiegend extern besetzte Beratungs- und Entscheidungsinstanz an den Hochschulen. 

 

Gesponsert von Stifterverband und Heinz-Nixdorf-Stiftung haben sich die Hochschulräte in besagtem Forum organisiert. Was passiert da eigentlich? 

 

Wir treffen uns, zweimal im Jahr, und sprechen über aktuelle Herausforderungen für die Hochschulen und ihre Handlungsfähigkeit. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom vergangenen Herbst hatten wir das Gefühl, es ist Zeit, einen Gegenakzent zu setzen. Gegen den Tenor des Urteils, das den Professoren noch mehr Macht zugesteht als ohnehin schon. So entstand das Papier, das wir erst in der Arbeitsgruppe erarbeitet, dann dem Forum vorgelegt und gemeinsam fertiggestellt haben.  >>


Das Forum Hochschulräte wurde 2009 von Stifterverband und Heinz-Nixdorf-Stiftung gegründet und versteht sich als Plattform zum Informations- und Meinungsaustausch für  "alle Hochschulräte aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft". Das neue Positionspapier ist von heute an unter diesem Link abrufbar.

Josef Lange war zuletzt Vorsitzender des Hochschulrates in Jena und stellvertretender Vorsitzender des Hochschulrates an der Universität Leipzig. Als Staatssekretär für Wissenschaft trug Lange zunächst in Berlin (2000 bis 2001) und dann in Niedersachsen (2003 bis 2013) Verantwortung. Von 1990 bis 2000 war er Generalsekretär der Hochschulrektorenkonferenz. 



>> Ist das nicht alles ein bisschen spät? Das neue Hochschulgesetz, mit dem Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) auf den Richterspruch reagiert, ist doch schon längst durchs Kabinett

 

Schon, aber die Klage, auf die der Verfassungsgerichtshof reagiert hat, liegt auch beim Bundesverfassungsgericht. Die Stuttgarter Richter haben nur einen Teil der in der Klageschrift aufgeworfenen Fragen erledigt. Wir müssen also damit rechnen, dass Karlsruhe im nächsten Jahr einen eigenen Aufschlag zur Hochschul-Governance machen wird. Hinzu kommt, dass nicht nur Baden-Württemberg, sondern zahlreiche Länder ihre Hochschulgesetze überarbeiten. Und nicht überall kommt dabei so ein erfreuliches Ergebnis heraus, wie Theresia Bauer es vorgelegt hat. 

 

Wie lautet Ihre Kernbotschaft an die Verfassungsrichter?

 

Ganz einfach: Es darf nicht dazu kommen, dass die Hochschulen künftig nach den Vorstellungen des Deutschen Hochschulverbandes oder des Holchschullehrerbunds  nur von  der Gruppe von Professoren regiert werden, die sich auf die Professorenmehrheit im Senat berufen und nicht  realisieren, dass moderne Hochschulen – schon von der Zahl der in der und für die Wissenschaft Tätigen her – Großbetriebe sind und keine Gelehrtenakademien des 19. Jahrhunderts. 

 

Wenn man Ihr Papier liest, könnte man denken, Sie hätten tatsächlich ein argumentatives Schlupfloch entdeckt. 2014 hat das Bundesverfassungsgericht sich zur Governance der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) geäußert und eine weitreichende Stärkung der Gremien gegenüber dem Präsidium verfügt... 

 

...doch die Karlsruher Richter sprachen im Gegensatz zum Stuttgarter Verfassungsgerichtshof nicht allein von den Professoren bzw. den Hochschullehrern als den zentralen Grundrechtsträgern der Wissenschaftsfreiheit, sondern in allgemeinerer Form von „Wissenschaftlern“ und „in der Wissenschaft Tätigen“. Und das ist nur logisch. Denn die individuelle Wissenschaftsfreiheit, die das Grundgesetz garantiert, gebührt nicht nur den Professoren, sondern allen, die eigenständig und eigenverantwortlich Wissenschaft betreiben.

 

Eine Auslegung, die den Nebeneffekt hätte, dass die Gruppe der Professoren ihre Übermacht einbüßen würde.

 

Eine Auslegung, die der Realität der Wissenschaft im 21. Jahrhundert entspricht. Nehmen Sie die Juniorprofessoren, die es seit bald 15 Jahren gibt und die tatsächlich hier und da noch zum akademischen Mittelbau gezählt werden. Nehmen Sie die Nachwuchsgruppenleiter auf eigenen Stellen, die unabhängig von Professoren und finanziert zum Beispiel durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) wirken. Oder denken Sie an die eigenständigen Projektleiter von Sonderforschungsbereichen, an die „frei schwebenden“ Wissenschaftlerpositionen an Hochschulen wie der Technischen Universität München (TUM): Wollen Sie all denen sagen: Ihr seid zwar frei, über eure eigenen Inhalte und Methoden zu entscheiden, aber denkt bloß nicht, dass euch die Wissenschaftsfreiheit genauso schützt wie Hochschullehrer?  Eine solche Reduktion des Grundrechts auf die „lebenslänglichen“ Professorinnen und Professorinnen ist der modernen Wissenschaft nicht  mehr angemessen. 

 

Glauben Sie, dass das die Verfassungsrichter überzeugen wird?

 

Ich sage das ja nicht aus dem hohlen Bauch heraus, die Richter haben es selbst so formuliert in ihrer MHH-Entscheidung. Und viele Promotionsordnungen spiegeln die Gleichstellung längst wieder. In einer Promotionsordnung der Universität Oldenburg zum Beispiel heißt es: „Prüfungsberechtigt sind auch promovierte selbstständige Nachwuchsgruppenleiterinnen und Nachwuchsgruppenleiter im Rahmen einer extern begutachteten Förderung durch anerkannte Forschungs- und Forschungsförderungseinrichtungen.“ Das nochmals den  Richtern in Karlsruhe zu sagen, bevor sie entscheiden, war uns Hochschulräten ein Anliegen. 

 

Warum entscheiden Juristen dann so wie in Stuttgart geschehen?

 

Mein Vorwurf an die Adresse der Verfassungsgerichte lautet: Ihr Juristen habt vielfach offenbar nicht begriffen, dass die Genese von Wissenschaft mit Ausnahme der Jurisprudenz einen Modernisierungsschub erlebt hat. Die unzureichende Wahrnehmung der wissenschaftlichen Realität außerhalb der juristischen Fakultäten wirkt sich auf die Entscheidungen der Verwaltungs- und Verfassungsgerichte aus. Ich würde sogar noch weitergehen und kann mir eine ketzerische Anmerkung nicht ersparen: Wir haben am Bundesverfassungsgericht eine Vielzahl von Professoren. Die meisten gehen eines Tages an ihre Fakultäten zurück. Erfüllt das nicht den Tatbestand der Befangenheit? Urteilen sie nicht zum Teil in eigener Sache?  

 

Theresia Bauer will die Machtverschiebung zugunsten der Professorenmehrheit verhindern, indem sie eine Ur-Abwahl der Rektorate einführt, damit diese ansonsten ihre Kompetenzen behalten dürfen. Eine gute Idee?

 

Auf jeden Fall konstruktiver, als was sich die Thüringische Landesregierung ausgedacht hat, wo es im Senat eine Viertelparität geben soll. Bei allen Entscheidungen zu Forschung und Lehre müssen die Hochschulen künftig die Professorenmehrheit gesondert sicherstellen, indem sie den Senat mit zusätzlichen Professoren auffüllen, die aber nur bei diesen Fragen mitstimmen dürfen. Und wenn man sich nicht einig wird, welche Entscheidungen überhaupt der Professorenmehrheit unterliegen, geht das Gefeilsche los. Mit Verlaub: Die Entwicklungen in der Wissenschaft und damit die Geschicke von Hochschulen warten nicht, bis die Gremien dieses   Spiel durchexzerziert haben. Das ist weltfremd. Demgegenüber finde ich Theresia Bauers Ansatz schon „schlitzohrig“: Er nimmt den Professoren im Senat das Erpressungspotenzial gegenüber der Hochschulleitung und bezieht die Gesamtheit der Professorinnen und Professoren in das Verfahren ein.   

 

Trotzdem versucht auch Ministerin Bauer nur, den Status Quo zu retten. Die internationale Expertenkommission, die vor bald zwei Jahren die Exzellenzinitiative evaluiert hat, forderte mehr. Die Rektorate müssten dringend handlungsfähiger werden, so lautete ihr Aufruf. Ziemlich weltfremd, oder? 

 

Eher ihrer Zeit voraus, würde ich sagen. Es existieren ja bereits hoffnungsvolle Ansätze. Schon Ender der 90er Jahre gab es im damaligen bayerischen Hochschulgesetz eine Experimentierklausel,  die zuerst nur die TUM gezogen hat. Die Technische Universität München mit Präsident Wolfgang Herrmann hatte dadurch früh eine Gestaltungsfreiheit, um die andere sie beneiden. Und schauen Sie, wie gut die TUM dasteht. Die nächste Innovation in Sachen Hochschul-Governance erwarte ich übrigens in Nürnberg, wo unter der Leitung von Herrmann eine neue Universität geplant wird, begleitet von einem Gründungsausschuss, der in einer einzigartigen Weise international und hochkarätig ist. Vielleicht entwickelt sich auch in Berlin etwas im Rahmen der Verbundbewerbung in der Exzellenzstrategie, aber das kann man noch nicht richtig abschätzen. 

 

Ihre dritte von vier Empfehlungen im Positionspapier lautet: bei der Hochschul-Governance gelte es den „europäischen Kontext“ zu „berücksichtigen“. Mal ehrlich, wenn man bei solchen Forderungen ankommt, ist man ziemlich verzweifelt.

 

Die Botschaft ist, dass wir das deutsche Verständnis von Wissenschaftsfreiheit nicht absolut setzen sollten. Nirgendwo sonst gilt die Professorenmehrheit als verfassungsrechtliche Vorgabe für die Organisation von Hochschulen, auch wenn selbstverständlich weltweit die Professorinnen und Professoren in Grundsatzentscheidungen einbezogen werden. Doch auch wenn die deutschen staatsexaminierten Juristen immer nur um Deutschland kreisen, ist die Wissenschaftsfreiheit deshalb noch längst keine deutsche Erfindung. Wir müssen schon sehen, wie wir mit unserer Hochschulgovernance anschlussfähig bleiben an den europäischen Hochschul- und Forschungsraum, zu dem wir gehören – dies zeigen die Diskussionen zum Brexit überdeutlich. 

 

Am Ende Ihres Papiers fordern Sie, der „Spielraum für landesspezifische Lösungen“ müsse erhalten bleiben. Zur Abwechslung mal kein Appell an die Verfassungsrichter?

 

Genau. Wir erwarten, dass die Länder zwar einerseits die Rahmenvorgaben des Verfassungsgerichts einhalten, andererseits aber auch kreative Ideen für die Zukunft entwickeln. Die organisierte Wissenschaft muss selbstverständlich grundgesetzliche und ethische Grenzen einhalten und den Gesetzen folgen, die die Politik aufstellt, aber darin besteht nicht ihr eigentlicher Sinn. Im Gegenteil: Die Politik hat die Gesetze  so zu  gestalten, dass sie die Wissenschaft nicht unnötig einschränken.  

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Kommentare: 1
  • #1

    Dennis Hillemann (Samstag, 21 Oktober 2017 20:58)

    Danke für den gelungen Beitrag und das Interview. Die Rechtsansichten von Herrn Lange sind gut durchdacht - die ausstehende Entscheidung des BVerfG zu BaWü wird sehr wichtig für die weitere Entwicklung des Hochschulrechts.