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"Ein paar Platzhirsche machen keine Mehrheit"

Engagieren sich junge Studenten zu selten hochschulpolitisch? Prägen deshalb die älteren die öffentliche Wahrnehmung der aktuellen Studierendengeneration? Drei Gegenreden zu meinem Beitrag "Junge Studenten, alte Sprecher".

Vergangene Woche schrieb ich in einem zugegebenermaßen zugespitzten Kommentar, die lautstärksten Repräsentanten der aktuellen Studierendengeneration stammten in Wirklichkeit oft aus der Generation davor. Das Problem sei, dass sie mit ihren Äußerungen ein Bild studentischer Gefühlslagen zeichneten, das längst nicht mehr der Realität entspreche, schrieb ich in meinem Text, der zuerst im ZEITChancen Brief erschien. Mein Fazit: "Wenn die Jungen nicht bald selbst aktiver werden, können sie sich über die Alten nicht beschweren."

 

Ich hatte im Vorfeld mit Reaktionen gerechnet. Als sie kamen, war ich aber doch überrascht angesichts der ehrlichen Empörung, der Vielzahl

leidenschaftlicher Gegenreden und auch der schlagkräftigen Argumente, um zu zeigen, dass ich falsch liege mit meiner Wahrnehmung. 

 

Ein Punkt ist mir persönlich noch wichtig: Ich habe bewusst nicht die etwaige Überalterung der gewählten Studierendenvertreter kritisiert (denn die sind in der Tat oft jung), sondern dass es meist die Alten sind, die sich auf öffentlichen Veranstaltungen in den Vordergrund spielen und so scheinbar die Studierenden insgesamt repräsentieren. Darum ging es mir, das muss aufhören. Das mit dem Heine zitierenden Studi habe ich übrigens neulich wieder bei einer Uni-Veranstaltung erlebt... Nun aber zu den Reaktionen auf mein Kommentar.



FRANZISKA CHULECK, ILMENAU:

 

IN JAN-MARTIN WIARDAS Kommentar "Junge Studenten, alte Sprecher" wurde die Mitarbeit von erfahrenen (ehemaligen) Studierendenvertreter*innen sehr einseitig als negativ dargestellt. Dazu möchte ich ein paar Gegenargumente vorbringen.

 

Als (gewählte) Studierendenvertreterin, die schon etwas länger dabei ist, kann ich sicher einige Punkte durchaus nachvollziehen. Doch für uns in der studentischen und auch für die universitäre Selbstverwaltung sind Studierendenvertreter*innen, die schon ein wenig länger dabei sind, ein großer Zugewinn und auch sehr wichtig. Es benötigt Zeit, um sich in die große Zahl an Gesetzestexten, Verordnungen, Handreichungen, Auslegungen, Gutachtenberichte und Ordnungen einzuarbeiten. Dabei werden auch eben aufgrund der großen Zahl Spezialgebiete entwickelt. Viele der Regularien, Handreichungen und Ordnungen sind zum Schutz der Studierenden da - damit die Universitäten und Hochschulen nicht nach Gutdünken in unsere durch das Rahmenhochschulgesetz garantierte Studienfreiheit eingreifen können. Studierendenvertreter*innen, die in der Lage sind, genau sagen zu können, an welche Gesetze, Paragraphen und Verordnungen sich die Hochschule in einem bestimmten Moment zu halten haben, sind daher extrem wichtig.

 

Des Weiteren sehen sich die Studierendenvertretungen immer wieder mit dem Problem konfrontiert, dass durch die hohe Fluktuation der Studierenden einige langfristigere Projekte, wie beispielsweise Systemakkreditierungen, nicht vollständig durch eine einzelne Person oder eine Gruppe begleitet werden. Dies kann zu inkonsistenten Meinungen und Abstimmungsverhalten der Studierendenvertreter*innen führen – und das wird wiederum häufig durch die Hochschulleitungen kritisiert. Beschäftigen sich jedoch einzelne Studierende länger mit einem Projekt, führt dies zu einer höheren Kontinuität. Dies kann als Professionalisierung missverstanden werden.

 

Als Studierendenvertreter*innen haben wir zudem häufig das Problem, dass uns entweder vorgehalten wird, wir wären durch die hohe Fluktuation zu unstet oder durch langfristigere Besetzungen zu professionell und nicht mehr Studierenden-nah. Diese beiden Vorwürfe sind widersprüchlich und lenken häufig von anderen Problemen ab. Es erschwert es auch, Personen für einzelne Stellen, gerade im höheren Gremienbereich, zu finden, da weniger erfahrene Personen sich nicht trauen und erfahrenere abgelehnt werden. Ein Beispiel sind die studentischen Mitglieder des Akkreditierungsrates. Diese benötigen weitreichende Erfahrungen im Akkreditierungswesen, im Bereich der Programm- und Systemakkreditierung, gewünscht sind auch Erfahrungen mit Agenturgremien und sollte die*der Vorgeschlagene eine Agentur akkreditiert haben, wird dies begrüßt. Jedoch sollten die Personen sich doch bitte noch in Regelstudienzeit befinden.

 

Es ist leicht erkennbar, dass Erfahrung und gleichzeitig eine geringe Anzahl an Semester nur schwer möglich ist. „Suchen 20jährigen mit 10 Jahren Berufserfahrung“ scheint die Devise zu sein. Eine, die nicht umsetzbar ist. Doch nicht nur auf der Bundesebene ist dies ein Problem - auch in den einzelnen Hochschulen. Studierendenvertretungen tuen sich meist und hoffentlich auch verständlicherweise schwer, eine*n (minderjährige*n) Studienanfänger*in für den Hochschulrat vorzuschlagen. Es fehlt schlicht die Erfahrung und das Wissen. Daher wird häufiger auf Personen zurückgegriffen, die länger dabei sind und daher auch mehr Erfahrung und Wissen haben.

 

Der Standpunkt von Jan-Martin Wiarda verkennt doch auch einen weiteren wichtigen Punkt – diese angebliche Professionalisierung findet sich vor allem in den höheren Ebenen. Die ersten Anlaufstellen für Studierende mit Problemen, die Fachschaftsräte, haben einen stärkeren Wechsel an Studierenden, die aktiv und/oder gewählt sind. Auch auf den Bundesfachschaftentagungen, den bundesweiten Vernetzungstreffen der Fachschaften, sind diese personellen Wechsel leicht zu beobachten. Doch auch die Fachschaftsräte sind bei ihren Problemen und Anliegen auf die erfahrenen Studierendenvertreter*innen angewiesen.

 

Im Umgang mit den Studierendenvertreter*innen sollte dringend ein anderer Weg gefunden werden. Sie können nicht gleichzeitig durch hohe Fluktuation zu unerfahren, daher auch nicht im benötigten/gewünschten Maß entscheidungsfähig und durch erfahrene und langjährige Vertreter*innen zu professionell und daher nicht mehr Studierenden-Nah sein. Hier wäre ein Nachsteuern durch das Verhalten der Hochschulleitungen sicher hilfreich. Anerkennung der Leistung der Studierendenvertreter*innen und Unterstützung bei der Förderung von Nachwuchs für die Studierendenvertretungen sind nur zwei Beispiele für Handlungsmöglichkeiten der Hochschulleitungen.

 

Doch auch eine differenzierte Betrachtung durch die Presse könnte an dieser Stelle förderlich sein. Verständlich sind einige Punkte des Standpunktes durchaus, doch der Standpunkt betrachtet nicht die Gesamtsituation. Die meisten Studierendenvertreter*innen haben einen sehr guten Kontakt zur studentischen Basis und die älteren Vertreter*innen sind ein wichtiger Teil der studentischen und universitären Selbstverwaltung, durch ihr breites Wissen und ihre Erfahrungen.

 

Franziska Chuleck, 24, studiert Informatik auf Bachelor und ist Studentisches Mitglied im Senatsausschuss für Hochschulentwicklung und Qualitätssicherung an der TU Ilmenau. 


JAN CLOPPENBURG, ZURZEIT VANCOUVER: 

 

DASS SICH GERADE ein Journalist wundert, dass Menschen ihre Beiträge mit Zitaten einleiten, das überrascht mich dann doch. Auch ich – weiterhin Student und ehemals gewählter Vertreter – besuche gerne Diskussionsveranstaltungen, habe aber nie Zitatesammlungen mitgebracht! Ein langfristiges Engagement in den Gremien kann sich dennoch lohnen. Denn die zahlreichen Rechtsdokumente, Strukturen und Zusammenhänge im Hochschulwesen versteht niemand von heute auf morgen. Ein bisschen Erfahrung hilft ungemein, um sich argumentativ und habituell gegenüber erfahreneren Präsidentinnen und Journalisten behaupten zu können.

 

Es gibt gewiss auch ein paar Platzhirsche hier und da, die sich mit oder ohne Wahlamt festhalten und es mit ihrem gesammelten Herrschaftswissen den Neuen schwer machen. Diese sollten ihre Stellung durchaus einmal überdenken. Die überragende Mehrheit der tausenden Studierendenvertreter*innen aber absolviert ihr Studium mehr oder minder in Regelstudienzeit. Aus diesem Grund treffen Sie diese auch so selten bei bundesweiten Diskussionsrunden an. Vielleicht haben Sie deshalb ein verzerrtes Bild davon, wie Studierendenvertreter*innen eigentlich aussehen?

Die meisten versuchen, neben einem vollen Semester und knapper Studienfinanzierung noch zehn bis zwanzig Stunden die Woche aufzubringen, um Kommilitonen*innen zu beraten und Prüfungsordnungen mitzugestalten. Die meisten Studierendenvertretungen freuen sich auch über gute Beratungsangebote und viele engagieren sich ganz lebhaft für das langjährig erprobte und bewährte Konzept „nachgelagerte Studiengebühren“ namens „Steuern“. Ist Ihnen nie aufgefallen, wie viele Pressemitteilungen und Protestmaterial Studierendenvertretungen gerade zu den Themen BAföG und der sich alljährlich überraschend wiederholenden Wohnungsnot produzieren? Und warum sollten sich jüngere und ältere Vertreter*innen in dieser Hinsicht unterscheiden?

 

Sie merken ganz richtig an, dass viele Studierende sich gezwungen fühlen, schnell durchs Studium zu kommen. Das Problem der Studienfinanzierung kennen auch viele Studierendenvertreter*innen ganz persönlich. Wer sich aber kaum Zeit nehmen kann, dem fällt es nicht leicht, Strukturen und Prozesse an den Hochschulen zu hinterfragen und zu kritisieren. Sich Zeit zu nehmen und Gedanken zu machen ist nicht nur hilfreich, sondern auch ganz im Sinne des Bildungsideals, für das viele von uns kämpfen. Um das zu erleichtern, sollte unter anderem endlich das BAföG von der Regelstudienzeit losgelöst werden. Für eine bessere Studienfinanzierung, aber auch als Signal: Denn das Ende der Regelstudienzeit ist nicht das Ablaufdatum einer individuell erfolgreichen Studienzeit.

 

Lieber Herr Wiarda, abschließend ein Vorschlag: Damit wir das ein oder andere Klischee über Studierendenvertretungen loswerden und Ihr Bild von ihnen entzerren können, lade ich Sie ein, eine Reportage über die alltägliche Arbeit einer Studierendenvertretung zu schreiben. Aber passen Sie auf, dass nicht nur die älteren zu Wort kommen!

 

Jan Cloppenburg, 30, hat Politikwissenschaft an der Uni Bremen studiert (B.A.), war dort in AStA, Senat und Studierendenwerk aktiv und schließlich im Vorstand des fzs, dem "freien Zusammenschluss von studentInnenschaften". Jetzt macht er einen Master in Wissenschaftsforschung an der HU Berlin. 


TOBIAS EISCH, PASSAU

 

Der Artikel von Jan-Martin Wiarda über angeblich „zu alte“ Student*innenvertreter*innen hat in vielen hochschulpolitischen Kreisen für Unverständnis gesorgt. Der Aufruf, die jungen Student*innen mögen doch die Hochschulpolitik übernehmen, zeigt aber ganz unfreiwillig tatsächlich existierende Probleme auf: Wissenschaftspolitische Akteur*innen weigern sich, diese zu sehen und ihre Interessen anzuerkennen. Das Alter der Student*innen scheint hier lediglich vorgeschoben zu werden, um inhaltliche Positionen zu delegitimieren.

 

Nun aber der Reihe nach. Die Vorstellung, dass in den ASten Leute sitzen, die bereits vor 15 Jahren aktiv waren und dort fröhlich vor sich hin Heine in irgendwelche Journalist*innenblöcke zitieren, klingt für heutige hochschulpolitisch aktive Student*innen geradezu absurd. Ich studiere jetzt seit drei Jahren, mache genauso lange schon Hochschulpolitik und habe so etwas noch nie erlebt. Aber vielleicht war das vor einigen Jahren ja tatsächlich noch so und ist vereinzelt ein reales Problem - das kann ich allerdings schwer beurteilen.

 

Der Vorstand der bundesweiten Student*innenvertretung (fzs) ist, mit im Schnitt 23 Jahren, jünger als der Altersdurchschnitt der Student*innen, auch die Vorstände der anderen hochschulpolitischen Jugendverbände sind nicht viel älter (bei den Juso-Hochschulgruppen ist beispielsweise niemand im Vorstand über 23). Seit der Bachelor/ Master Umstellung ist es auch gar nicht mehr so einfach möglich, dass Menschen langjährig hochschulpolitisch aktiv sind.

 

Ein anderes Problem des Artikels sehe ich allerdings in der Stigmatisierung „alter Studenten“, als sei es Student*innen vorzuwerfen, wenn sie sich Zeit für politische Arbeit nehmen. Tatsächlich ist das Alter ein schlechter Indikator, um daraus Bildungs- und Lebenswege abzuleiten, da diese inzwischen sehr vielfältig sind. Die Student*innenschaft ist divers – wieso sollte es verwerflich sein, wenn dies auch die hochschulpolitisch Aktiven sind. Das Alters-Argument wirkt an dieser Stelle eher wie Ausflüchte, die rechtfertigen sollen, warum man die studentischen Gremien nicht ernst nimmt oder ihre inhaltlichen Positionen nicht teilt.

 

Der Artikel wird dort interessant, wo es um die Forderungen geht. Auch hier sei vorangestellt, dass Demokratisierung eine wichtige Rolle in studentischer Politik spielt. Die Behauptung, wir würden uns übermäßig viel mit paritätischer Besetzung beschäftigen, entspricht allerdings nicht der Realität. Um zu diesem Ergebnis zu kommen reicht es, die Pressemitteilungen der ASten und des fzs der letzten Jahre zu durchforsten. Hier stellt sich viel eher die Frage, wie es zu dieser verzerrten Wahrnehmung kommt.

 

Was meiner Meinung nach wirklich Problem studentischer Politik ist: sie wird oft nicht ernst genommen, ignoriert oder offen als überflüssig bezeichnet. Die hochschulpolitische Welt besteht überwiegend aus alten Netzwerken, die schwer auf zu brechen sind und die ihre Macht mit aller Kraft gegen Student*innen verteidigen. 

 

Ein gewähltes studentisches Gremium entsendet demokratisch eine*n Student*in in ein bundesweites Gremium? – Die Hochschulrektorenkonferenz verhindert das, weil sie lieber selbst bestimmen will, mit welchen Student*innen sie verhandelt. Student*innen wählen sich einen AStA, der sich gegen den enormen Konkurrenz- und Leistungsdruck einsetzen soll – es wird behauptet, dieser sei nicht legitim, weil er zu unerfahren, zu alt oder zu kritisch ist.

 

Die Behauptung, wir wären, im Gegensatz zum Autor, nicht in der Lage Verhältnisse zu erkennen, lasse ich mal unkommentiert. Sie unterstreicht ganz ohne einen Kommentar meinerseits, wie versucht wird, studentische Interessen zu delegitimieren. Gewählte Student*innen werden in Gremien selten ernst genommen und kommen schwer gegen die verkrusteten Strukturen der Hochschulleitungen an. Verdient haben wir das sicher nicht, aber gefallen lassen wir es uns das erst recht nicht: Gründe dafür zu erfinden nicht mit uns, sondern über uns zu sprechen hilft niemandem weiter. Erkennt uns als Teil der Hochschule an, der etwas zu sagen hat!

 

Tobias Eisch, 23, studiert European Studies an der Universität Passau und ist Mitglied im Vorstand des fzs.

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