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„Ein Hunger für Wissenschaft ist da, doch wir stillen ihn nicht“

Wissenschaftskommunikation boomt seit Jahren. Trotzdem scheint die Kluft zwischen Forschung und Gesellschaft zu wachsen. Was können Wissenschaftler tun, um wirklich mit der Öffentlichkeit ins Gespräch zu kommen? Johannes Vogel und Wilhelm Krull haben sich gemeinsam Gedanken gemacht.

Johannes Vogel, 54, (rechts) ist Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde. Wilhelm Krull, 65, ist Generalsekretär der VolkswagenStiftung. Foto: Gordon Welters für VolkswagenStiftung.

Herr Vogel, "Tristan – Berlin zeigt Zähne", heißt eine Ausstellung, in der Ihre Besucher eines der am besten erhaltenen Tyrannosaurus rex-Skelette bewundern können. Der T. rex sei "der Superstar unter den Dinosauriern", steht auf der Museums-Website. Ist das noch Forschung oder schon Marketing?

 

Vogel: Tristan zeigt, wie alles mit allem zusammenhängt. Das Objekt als solches ist einmalig, aber die Fragen, die wir in der Ausstellung stellen und beantworten, verdeutlichen das Grundsätzliche unserer Forschung. Seitdem wissen die Titelseiten der Zeitungen, dass das Museum für Naturkunde Berlin Wissenschaft macht und nicht nur irgendwelche Exponate hinstellt. Das hat unseren Forscherinnen und Forschern, unseren Ausstellungsmachern sowie dem ganzen Haus einen gewaltigen Schub gegeben.

 

Herr Krull, ist die Kluft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft vielleicht doch nicht so groß?

 

Krull: Wenn ein Museumsdirektor Forschung, Erschließung und Vermittlung nicht mehr zusammendächte, wäre wirklich Alarmstimmung angebracht. Das Problem liegt anderswo, im Alltag der Universitäten, wo die Verschraubung von Lehre, Forschung und Öffentlichkeit nicht so selbstverständlich ist. 

 

Womöglich gibt es ja gute Gründe für die Wissenschaft, sich einer Popularisierung um jeden Preis zu entziehen?  

 

Krull: Was wir lange übersehen haben ist, dass Wissenschaft die Gesellschaft nicht nur zur Finanzierung braucht, sondern dass eine Verzahnung auch dem Erkenntnisfortschritt dient und damit der Weiterentwicklung der Forschung. Wir sehen in den USA gerade, was geschieht, wenn in der Gesellschaft eine Kluft gegenüber den Eliten entsteht. Wir diskutieren eine "Vertrauenskrise der Wissenschaft", doch eigentlich handelt es sich um ein Auseinanderfallen der Gesellschaft in verschiedene Öffentlichkeiten.

 

Aber in Deutschland zeigen Umfragen doch regelmäßig, dass die Menschen der Wissenschaft einen enormen Vertrauensvorschuss geben. 

 

Vogel: Die Zahlen zeigen, dass zwei Drittel der Bevölkerung großes Interesse daran haben, mit Wissenschaft in Berührung zu kommen. Die Zahlen sagen aber auch, dass zwei Drittel nicht wissen, wo sie sich dieses Wissen abholen können. Ein Hunger für Wissenschaft ist da, aber wir stillen ihn nicht. 

 

Krull: Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler denken immer noch: Dafür haben wir die Medien. Wissenschaftsjournalisten sind aber nicht die Sprachrohre der Wissenschaft, sondern ihre kritischen Beobachter und Begleiter. 

 

Vogel: Wir sollten hoffen, dass es sich um eine Generationenfrage handelt, die sich erledigt. In der Tat haben viele der jungen Leute, die bei uns anfangen, überhaupt keine Scheu mehr, Wissenschaftskommunikation als Teil ihrer Aufgabe zu sehen. 

 

Krull: Aber auch die jungen Leute bekommen mit Blick auf ihre Karriere ständig den Rat, sich nicht an der falschen Stelle zu engagieren. Hinzu kommt ein Verständnisproblem zwischen Forscherinnen und Forschern  und der Gesellschaft, das im System Wissenschaft angelegt ist. In vielen Fachgebieten wird nur noch auf Englisch publiziert. In der Molekularbiologie und in vergleichbaren Disziplinen findet gar keine Begriffsbildung mehr auf Deutsch statt, den Forschern fehlen im Austausch mit der Gesellschaft schlicht die Worte. 

 

Das Kernproblem bei der Wissenschaftskommunikation ist die Wissenschaft selbst?

 

Krull:  Das Problem ist, wie wir die Autonomie von Wissenschaft heute leben. Ein Großteil der Spielräume, die die Wissenschaft erhalten hat, geht wieder verloren, weil wir sie einer Vermessung unterwerfen, so dass nur noch Indikatoren zählen. Wir müssen den Mut haben zu sagen: Die Kernaufgabe einer Universität ist nicht das Verfassen wissenschaftlicher Artikel, die eine Million pro Seite kosten, sondern vor allem die kommende Generation für Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft heranzubilden und sich gegenüber der Gesellschaft erklären zu können. 

 

Herr Vogel, Sie beraten die Europäische Kommission als Vorsitzender der sogenannten "Open Science Policy Platform". Was sagen Sie dort?

 

Vogel: Wir müssen zeigen, dass in einer Organisation exzellente Forschung und innovative Kommunikation zu besseren Leistungen führen. Dass sie sich nicht widersprechen, sondern einander positiv beeinflussen. 

 

Hört sich toll an. Können Sie das mit harten Zahlen belegen?

 

Vogel: In den vergangenen fünf Jahren haben wir dank der politischen Unterstützung unser Personal um 15 Prozent erweitert, zudem konnten wir durch einen Generationswechsel weit mehr junge Forscherinnen und Forscher anstellen und ihnen vermitteln, dass Kommunikation und Exzellenz bei uns zusammengedacht werden. Das Ergebnis: Unsere Drittmittel sind um 40 Prozent gestiegen, wir haben 50 Prozent mehr Artikel in den bestgerankten Journals. Und unsere Besucherzahlen sind um 75 Prozent höher als 2012. Mit der Wissenschaftskommunikation ist es ein wenig wie mit der Frauenförderung. Auch die funktioniert nur, wenn sie Chefsache ist. 

 

Aber ihr Geld erhalten Forschungseinrichtungen und Universitäten von der Politik, nicht von der Gesellschaft. Die bleibt abstrakt. Warum also für sie Kommunikation betreiben? 

 

Krull: In der Tat, die Broschüren, die Pressemitteilungen, die Art, wie formuliert wird, all das zielt auf die Verantwortlichen in Bund und Ländern und in den Parlamenten. Die sollen erkennen, dass die Wissenschaft etwas Gutes tut und deshalb noch mehr gefördert werden muss. Dagegen ist erstmal nichts zu sagen, die Wissenschaftsorganisationen müssen Lobbyarbeit machen, damit zum Beispiel Herr Vogel seine Zuwächse bekommt. Nur ist das eben keine Wissenschaftskommunikation und darf sie nicht ersetzen. Wissenschaftskommunikation will nicht missionieren, sie ist dialogisch und interaktiv. 

 

Sollen Bürger auch mitentscheiden dürfen über Wissenschaft und ihre Themen?

 

Krull: Geht es um erkenntnisorientierte Grundlagenforschung, kann wirklich kein Laie mitreden. Aber wenn ich in Richtung großer Programme denke, in der Gesundheits-, Umwelt- oder Energieforschung, können sich Bürger durchaus einbringen mit ihren Ziel- und Wertvorstellungen. 

 

Vogel: Wir stehen vor einem großen Wandel, höchstwahrscheinlich getrieben durch die Gesundheitsforschung. Über Smartphones, bald auch über Formen künstlicher Intelligenz, werden die Leute mit ihren Krankheitserfahrungen zu Wort kommen, und das Herrschaftswissen, was eine richtige Therapie ist, wird sich auflösen. 

 

Für viele Wissenschaftler ein Schreckensszenario. 

 

Vogel: Die Forscherinnen und Forscher glauben doch selbst nicht mehr an ihre Heilsmythen. Wann hat Nixon den Krieg gegen den Krebs ausgerufen? 1971? Nein, neue Formen der Bürgerbeteiligung helfen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, anders über ihre Fragestellungen nachzudenken und über ihr eigenes Tun. Das ist ein Geben und Nehmen, wenn der Prozess richtig organisiert wird. 

 

Was wünschen Sie sich von der neuen Bundesregierung?

 

Krull: Mit dem Hightech-Forum wurde unter der Großen Koalition ein Versuch unternommen, erstmals neben einem Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik auch die Zivilgesellschaft mit einigen Organisationen einzubinden. Das ist mit einiger Zaghaftigkeit und Vorsicht geschehen. Künftig müssen wir gerade die junge Generation in ganz anderer Weise beteiligen, damit es nicht mehr heißt: "Das läuft in Berlin, das geht mich nichts an".

 

Vogel: Mir ist völlig egal, aus welchem Grund sich die Wissenschaft öffnet, ob aus Druck oder echter Einsicht – weil sich nämlich durch das Tun am Ende das Bewusstsein verändert. Wir brauchen Schools of Public Engagement, um den jungen Wissenschaftler, die ja kommunizieren wollen, die Professionalität dafür an die Hand zu geben. Wir brauchen die digitale Infrastruktur, damit auch etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler experimentieren können, wie Wissenschaftskommunikation im 21. Jahrhundert aussehen kann. Und weil nicht nur Washington Post-Journalisten die Maxime "follow the money" haben, muss die Politik der Wissenschaft am Ende klar sagen: "Ab jetzt werden zehn Prozent der Mittel für Wissenschaftskommunikation ausgegeben." Man könnte mit ein oder zwei Prozent der Etats anfangen. Erst wird die Wissenschaft sich dagegen sträuben, und in fünf Jahren freuen sich alle, als sei es immer so gewesen. 


MORGEN ERSCHEINT IMPULSE, DAS MAGAZIN DER VOLKSWAGENSTIFTUNG. DAS GESPRÄCH ZWISCHEN JOHANNES VOGEL UND WILHELM KRULL GEHÖRT ZUM TITELTHEMA WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION, ÜBERSCHRIFT: "WIR MÜSSEN REDEN!".

WENN SIE DAS HEFT BEZIEHEN MÖCHTEN, SCHREIBEN SIE EINE MAIL MIT DEM STICHWORT "IMPULSE" UND IHRER POSTADRESSE AN PRESSE@VOLKSWAGENSTIFTUNG.DE .

DAS GESPRÄCH ZWISCHEN VOGEL UND KRULL KÖNNEN SIE AB MORGEN IN VOLLER LÄNGE ALS AUDIO-DATEI HERUNTERLADEN, UND ZWAR HIER.

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Kommentare: 3
  • #1

    Klaus Diepold (Freitag, 12 Januar 2018 00:53)

    "Krull: Das Problem ist, wie wir die Autonomie von Wissenschaft heute leben. Ein Großteil der Spielräume, die die Wissenschaft erhalten hat, geht wieder verloren, weil wir sie einer Vermessung unterwerfen, so dass nur noch Indikatoren zählen. Wir müssen den Mut haben zu sagen: Die Kernaufgabe einer Universität ist nicht das Verfassen wissenschaftlicher Artikel, die eine Million pro Seite kosten, sondern vor allem die kommende Generation für Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft heranzubilden und sich gegenüber der Gesellschaft erklären zu können."

    Vielen Dank für diese Aussage, die ich aus vollem Herzen unterstütze.

  • #2

    Dr. Ulrike Schneeweiß (Mittwoch, 24 Januar 2018 14:18)

    "Krull: Aber auch die jungen Leute bekommen mit Blick auf ihre Karriere ständig den Rat, sich nicht an der falschen Stelle zu engagieren."

    Das klingt erschreckend. Herr Dr. Krull, können Sie näher erläutern, welche Einschränkungen ihrer Freiheit Nachwuchswissenschaftler Ihrer Meinung nach erfahren? Vielen Dank.

  • #3

    Dr. Wilhelm Krull (Donnerstag, 01 Februar 2018 17:20)

    Liebe Frau Schneeweiß, junge Geförderte erzählen mir häufig, dass ihnen Altvordere raten, sich erstmal nur in ihrem Forschungsfeld und ihrer Peer Group einen Namen zu machen und möglichst nicht als Expertinnen und Experten in der Öffentlichkeit aufzutreten. Es kommt sogar vor, dass junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich nicht an diese ungeschriebenen Gesetze halten, nach öffentlichen Auftritten in ihren Heimatinstitutionen geschnitten werden. Ein junger, gleichwohl bereits mit vielen Auszeichnungen dekorierter Wissenschaftler sagte mir mal: "Ich ruiniere doch nicht meine Karriere, indem ich ein populärwissenschaftliches Buch schreibe." Was ich schildere, mögen Ausnahmen sein. Aber da ich Ähnliches immer wieder höre, glaube ich, dass viele Forscherinnen und Forscher der Wissenschaftsvermittlung wenn schon nicht negativ, so doch zumindest gleichgültig gegenüberstehen. Leider.