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Bei den Studis klappt's schon gut

Was der Wissenschaftsrat den Hochschulen und Forschungsinstituten in Sachen Internationalisierung empfiehlt – und warum noch immer so wenige Professoren aus dem Ausland stammen.

Titelseite der Empfehlungen
Titelseite der Empfehlungen

DER WISSENSCHAFTSRAT (WR) hat heute umfangreiche Empfehlungen zur Internationalisierung von Hochschulen veröffentlicht. Das 140-Seiten-Papier wird von zwei Grundgedanken durchzogen. Erstens: Die Internationalisierung der deutschen Wissenschaft ist weit fortgeschritten. Zweitens: Zunehmende nationalistische Tendenzen und eine sich weltweit verbreitende Wissenschaftsskepsis erschweren Forschern die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Die Schlussfolgerung, die der WR aus dieser Gemengelage zieht, hat er plakativ in die Überschrift der begleitenden Pressemitteilung gepackt: "Internationalisierung von Hochschulen – Jetzt erst recht!"

 

Die Frage ist nur: wie. Es ist zweifellos ein großer Erfolg, dass mittlerweile rund 275.000 sogenannte Bildungsausländer an Deutschlands Hochschulen studieren, ein Anteil an der Studierendenschaft von fast zehn Prozent und 70.000 junge Menschen mehr als 2012. Ebenso erfreulich ist, dass beim wissenschaftlichen Personal sogar 11,2 Prozent keinen deutschen Pass haben. 

 

Doch damit eine Hochschule sich als Teil einer globalen Wissenschaftsgemeinschaft begreift, braucht es nicht nur einen funktionierenden Studentenaustausch und mobile Nachwuchswissenschaftler. Es braucht eine Internationalisierung der Führungsetage. Die Führungsetage der Hochschulen, das sind die Professorinnen und Professoren. Und bei denen bricht der schöne Trend.  

 

2015 betrug der Ausländeranteil unter den Professoren deutscher Hochschulen laut WR 6,4 Prozent. Das ist eine Steigerung um gerade mal 0,9 Prozentpunkte gegenüber 2007. Und dazwischen lagen die Internationalisierungsstrategien von Bundesregierung und BMBF, Exzellenzinitiative und der massive Ausbau von Deutschem Akademischen Austauschdienst (DAAD) und Alexander-von-Humboldt-Stiftung. 

 

Spätestens an dieser Stelle wird eine Feststellung interessant, die ebenfalls in den Empfehlungen des wichtigsten wissenschaftspolitischen Beratungsgremiums von Bund und Ländern enthalten ist: Das deutsche Wissenschaftssystem sei komplex, schreiben die Experten – in seiner föderalen Struktur, in seinen Karrierewegen und institutionellen Besonderheiten. Schon das schreckt manchen ab. 

 

Hinzu kommt die Sprache: 285 von 361 Hochschulen bieten laut Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) keine grundständigen englischsprachigen Studiengänge. Die Folge: Wer Professor in Deutschland sein will, kann beliebig brillant sein – früher oder später muss er oder sie Deutsch lernen, um im Bachelorstudium zu unterrichten. Was dazu führt dazu, dass manche Koryphäe lieber Deutschland meidet oder, wenn sie kommt, lieber an außeruniversitäre Forschungseinrichtungen geht.  

 

"Internationalisierung von Hochschulen – Jetzt erst recht!" sagt der WR, und man kann den Satz also getrost nicht nur auf die internationale politische Lage beziehen, sondern auch auf die – freundlich formuliert – Besonderheiten der deutschen Hochschulen. 

 

Kommt der Umschwung durch die Einführung der international üblichen Tenure-Track-Berufungsverfahren, die das Eine-Milliarde-Bund-Länder-Programm beschleunigen soll? Unangeachtet möglicher Tricksereien einiger Bundesländer sowie der mehr oder minder eigenwilligen Laufbahn-Modelle, die sich an den Hochschulen bundesweit entwickeln: Viele Experten hoffen das. 

 

Helfen bei der Internationalisierung auf allen Hochschulebenen könnten auch einige der Maßnahmen, die der Wissenschaftsrat vorschlägt. 

Stichwort "Internationalisierung zu Hause": Das sollten internationalisierungswille Hochschulen als "zentrales Element" begreifen, schreibt der WR, "um ihren Studierenden und ihrem Personal auch im Inland in gewissem Maße internationale Erfahrungen zu ermöglichen." Voraussetzung dafür sei die Beachtung zentraler Werte "wie Toleranz, Verantwortung, Solidarität, kulturelle Vielfalt und Meinungsfreiheit, so dass eine offene Atmosphäre geschaffen wird". Konkret empfiehlt der WR eine Internationalisierung der Curricula und mehr Kurse zur Vermittlung von Fremdsprachen und interkulturellen Kompetenzen. Für wichtig hält der Wissenschaftsrat die "Entwicklung einer institutionellen Sprachenpolitik", also die Mehrsprachigkeit von Studenten und Lehrenden als Normalfall. 

 

Als Teil ihrer Internationalisierungsstrategie sollten die Hochschulen ein Sprachenkonzept erarbeiten, "das zwischen Unterrichts-, Prüfungs-, Fach- und Verkehrssprache unterscheidet". Das Angebot an fremdsprachigen Studiengängen und Doppelabschlüssen mit ausländischen Hochschulen solle ausgebaut werden. Der WR betont zugleich, Mehrsprachigkeit sei nicht gleichzusetzen mit einer möglichst weitgehenden Umstellung des Studienangebots auf die englische Sprache. "Die Sprachenwahl kann fachlich differenziert erfolgen." Was aber auch heißt (und das ist meine Interpretation): In Fächern, deren Community größtenteils in Englisch kommuniziert, sollten es die deutschen Hochschulen mit ihren Studiengängen auch tun. Und dann kommt eine Empfehlung, über die viele angesichts des realen Hochschulalltags grinsen werden: "Die Beschäftigten der Verwaltung sollten über Englischkenntnisse verfügen."

 

Darüber hinaus regen die Experten an, eine zentrale Beratungsstelle zu schaffen, die den Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen juristisch und forschungspolitisch mit Informationen und Rat zur Seite steht – bei der Ausgestaltung internationaler Kooperationsverträgen zum Beispiel oder auch bei der Kontaktanbahnung mit "neuen Partnerstaaten", wie der WR sie nennt, abseits von Westeuropa und Nordamerika. Diese Beratungsstelle könnte beim DAAD oder bei der HRK angesiedelt werden, sagt der Wissenschaftsrat. Deren Vorsitzende Martina Brockmeier sprach von möglichen Effizienzgewinnen gerade für kleinere Hochschulen. 

 

Den DAAD nennt der Wissenschaftsrat auch als Ort "zentraler Beratungskapazitäten", die aufgebaut werden sollten, um den Hochschultyp Fachhochschule international bekannter zu machen. An diesem Modell gebe es international ein "besonderes Interesse".

 

Die von Frankreichs Präsident Macron eingebrachte Idee der Europäischen Hochschulen (von Hochschulen, nicht von Universitäten spricht der WR ganz bewusst) interpretiert das Gremium als "eine Entwicklungsoption für die deutschen Hochschulen" und befindet: "Merkmal solcher Hochschulen oder Hochschulverbünde ist die europäische Ausrichtung, die sich auf jede Leistungsdimension beziehen kann." Unter Leistungsdimensionen versteht der WR Lehre, Forschung, Transfer und wissenschaftliche Infrastrukturleistungen. Wobei die Hochschulen jeweils ihre eigenen Schwerpunkte setzen könnten: "Eine Europäische Hochschule sollte strategische Partnerschaften mit anderen europäischen Hochschulen pflegen und kann mit diesen gemeinsam ein europäisches Hochschulnetzwerk aufbauen." 

 

Der WR stimmt damit ein in die weit fortgeschrittenen Pläne auf EU-Ebene, eine europäische Hochschule nicht als neue Institution zu schaffen, sondern auf die bestehenden Strukturen und Kooperationen aufzubauen. Eine Europäische Hochschule, so schreiben das Gremium weiter, "sollte ihren Studierenden eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte und Kultur Europas im globalen Kontext anbieten, und die Studierenden sollten sich mindestens zwei europäische Fremdsprachen und Systemwissen über mindestens zwei europäische Staaten aneignen können. Zudem sollten Auslandsaufenthalte integraler Bestandteil jedes Studiengangs sein."

 

Fürs Selbstverständnis der Hochschulen ganz wichtig – wenn auch in der Praxis womöglich schwierig umsetzbar – ist eine im Papier enthaltene Empfehlung, die Martin Brockmeier wie folgt formulierte: "Wir müssen in allen internationalen Konstellationen klar für unsere Werte und Qualitätsansprüche eintreten und als Botschafter für die freie Ausübung von Wissenschaft, die wissenschaftliche Integrität und den Schutz des geistigen Eigentums in die Welt gehen." Konkret steht im Dokument, die Hochschulen sollten "in Kooperationsverträge entsprechende Präambeln aufnehmen." Wie genau das gehen soll und welche Erfahrungen es mit solchen Präambeln gibt, konnte Brockmeier bei der Präsentation der Empfehlung noch nicht sagen. Die Idee mit den Präambeln sei als spontane Idee erst bei der Sitzung des Wissenschaftsrats am vergangenen Freitag eingefügt worden. 

 

Immer richtig und gerade deshalb etwas diffus sind Forderungen, Bund und Länder sollten "daran mitwirken, verbleibende rechtliche, administrative und steuerliche Hürden für wissenschaftliche Kooperationen, Mobilität und internationale Berufsbiographien in Europa abzubauen." Gemeint sind hier auch so prosaische (aber entscheidende!) Dinge wie die tarifliche Einstufung bei der Altersversorgung und die Mitnahme eingeworbener Drittmittel über Grenzen hinweg.

 

Und dann folgt noch eine Empfehlung, die mittlerweile in kaum einem Wissenschaftsratspapier fehlen darf: Die Hochschulen bräuchten eine "auskömmliche Grundfinanzierung", um ihre Internationalisierung zu finanzieren, auch müssten DAAD und Humboldt-Stiftung mehr Geld erhalten. Wie jedes Mal haben Bund und Länder das mitbeschlossen. Mal sehen, ob das diesmal hilft. 


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