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Kostbare Kultushoheit

Die Heilserwartungen, die sich mit der Abschaffung des sogenannten Kooperationsverbots verbinden, sind gewaltig. Dabei krankt Deutschland nicht an zu viel Bildungsföderalismus, sondern an dessen unzureichender Finanzierung. Ein Gastbeitrag von Gerd Grözinger.

Bringt der Vermittlungsausschuss die Lösung im Verfassungsstreit? Der Bundesrat hat ihn kurz vor Weihnachen angerufen. Foto: Thomas Ulrich / Pixabay, CCO.

DEUTSCHLAND IST EIN Bundesstaat. Das kann – wie neulich hier im Blog von Daniela von Treuenfels – als überkommene Tradition angesehen werden, basierend auf früher selbständigen Fürstentümern mit eigener Identität. Doch der Föderalismus ist nicht nur Folklore, sondern moderne Staatsorganisation. Für die – im Gegensatz zum einheitlichen Zentralstaat – vor allem zwei Gründe sprechen. 

 

Erstens sind in einem Bundesstaat in wichtigen Politikfeldern die Verbindungen von BürgerInnen zu ihren gewählten VertreterInnen kürzer und damit intensiver. Das wird besonders an den Stadtstaaten deutlich, die bei einer rein technischen Effizienzbetrachtung anachronistisch erscheinen. Doch ihre BewohnerInnen verteidigen ihren Bestand, weil sie dort die demokratische Legitimität als stärker wahrnehmen. Was besonders in Zeiten wachsender Politikverdrossenheit bedeutsam ist. 

 

Und zweitens erlaubt der Föderalismus auch Politikvarianten und Experimente, die eben in Bremen anders als in Bayern oder als in Mecklenburg-Vorpommern aussehen können. Sowohl wegen der weiter gut beobachtbaren Ost-West- wie der Nord-Süd-Differenzen ist eine One-size-fits-all-Lösung selten für alle gleichermaßen angemessen.


Gerd Grözinger, Soziologe und Volkswirt, ist Professor für Sozial- und Bildungsökonomik an der Europa-Universität Flensburg.



Bei der Bildung aber sollen diese Vorteile angeblich nicht gelten. Bei der Bildung wird laut nach mehr bundeseinheitlichen Regeln gerufen, und der Bund will mit ganz großer Koalition per Grundgesetzänderung Schulpolitik machen, über Bund-Länder-Programme vor allem, am liebsten aber sogar ohne Zustimmung aller Länder.

 

Dabei gilt unter Verfassungsjuristen die Bildung als das Krongut der deutschen Bundesländer. Dafür geben sie einen großen Teil ihrer Budgets aus. Etwa 37 Prozent der Länderhaushalte fließen aktuell in die Bildung, und über die von den Ländern getragenen Zuweisungen an die Gemeinden, die etwa Schulbauten daraus finanzieren, kommen noch etliche Prozentpunkte dazu. Kein Wunder, dass laut Umfragen die WählerInnen bei ihrer Stimmabgabe für Landesparlamente fast immer die Bildungspolitik als das für sie wichtigste Thema nennen.


Schrumpft hier die Zuständigkeit der Bundesländer zunehmend, kann man den Föderalismus eigentlich ganz einstampfen. Die verbleibenden Reste an Eigenständigkeit sind schmal, vom Polizeigesetz bis zum regionalen Straßenbau, sie könnte man dann auch ruhig bundeseinheitlich regeln.

 

Auf der anderen Seite hängen die Länder heute bei der Finanzierung von Bildung am Bund wie der sprichwörtliche Abhängige an der Nadel. Was in den Hochschulen seit langem gilt, wird jetzt auch wieder für Schulen und Kitas virulent: Berlin legt ein milliardenschwere Sonderprogramm nach dem anderen auf , weil die Bundesländer heftigen Finanzmangel signalisieren. Und wenn es der Bundesbildungsministerin so gefällt, sind es eben die Digitalisierung oder die Ganztagsschule oder der Ausbau der Studienkapazitäten via Hochschulpaktmittel, die ganz oben auf der Agenda stehen. Ob manche Länder vielleicht gerade etwas Anderes in der Bildung als vordringlich sehen, und sei es so scheinbar Banales wie die Sanierung der Schultoiletten, spielt keine große Rolle. Die reiche Tante aus Berlin bestimmt den Diskurs.

 

Dass der Bund heutzutage relativ finanzstark ist, das durchschnittliche Bundesland dagegen relativ arm, hat mit der doppelten Veränderung von Ausgabe- und Einnahmepositionen über den Zeitverlauf zu tun. Bei den Ausgaben hat der Bund bei der früher recht teuren Armee nach 1989 ordentlich sparen können. Die Verteidigungsausgaben machten in den 60er Jahren manchmal über 30 Prozent des Bundeshaushalts aus, lagen in den 80ern noch bei 20 Prozent und erreichen heute noch knapp 10 Prozent. Die Länder dagegen müssen heute vor allem finanzieren, dass von den Schulabgängern zunehmend die Hochschulen gestürmt werden, für deren Finanzierung sie zuständig sind. Fast 2,9 Millionen Studierende sind es aktuell. Das ist eine gute Million mehr als noch vor 20 Jahren.

 

Und auch bei den Einnahmen geht die Schere auseinander. Auf der Zentralebene haben die dort exklusiv angesiedelten Steuern gut zugenommen, etwa die Energiesteuer oder der Solidaritätszuschlag. Die Entwicklung der reinen Ländersteuern verlief demgegenüber schleppender.  Der allergrößte Teil der Einkünfte, den Bund und Länder erzielen, stammen aber ohnehin aus den sogenannten Gemeinschaftssteuern. Sowohl die aufkommensstarke Lohn- und Einkommensteuer als auch die ebenso gut fließende Umsatzsteuer plus einige kleine weitere Posten teilen sich Bund und Länder nach festgelegtem Schlüssel. Und hier liegt das Problem. Wegen veränderter Aufgabenstruktur müssten die Länder eigentlich mehr, der Bund weniger erhalten. 

 

Der Verteilungsschlüssel lässt sich aber nur gemeinsam ändern. Woran der Bund naturgemäß kein großes Interesse hat. Seine PolitikerInnen leisten sich lieber in Wahlkämpfen zum Bundestag Steuersenkungsdebatten oder spielen, wenn sie in der Regierung sitzen, eben die reiche Tante bei den armen Nichten vom Lande, um ihre eigenen Prioritäten durchzusetzen.

 

Kann man das ändern? Natürlich. Aber nicht, indem Bund und Länder, wie einige vorschlagen, die Gemeinschaftssteuern künftig aufteilen und dann jedem einzelnen Bundesland die Festsetzung ihrer Höhe überlassen. Das ist zwar organisatorisch nicht schwierig, wie man in den USA beobachten kann. Dort unterscheidet sich die Umsatzsteuer von einem Bundesstaat zum anderen teilweise erheblich, und auch eine jeweils selbstbestimmte Einkommensteuer wird auf verschiedenen Ebenen erhoben, von der Gemeinde- bis zur Bundesebene. Konservative ÖkonomInnen fordern ein ähnliches Modell auch für Deutschland, weil sie dann freudig einen Wettlauf um das niedrigste Niveau voraussehen. Denn reiche BürgerInnen bräuchten im geografisch eher kleinen Deutschland oft nur eine geringe Distanz weiterzuziehen, um sich einen schönen Steuervorteil zu erwirtschaften. Will man weder die öffentliche Daseinsvorsorge ausdünnen noch die weitere Zunahme von Ungleichheit riskieren, kommt das also keinesfalls in Frage.

 

Aber es gäbe dazu eine Alternative, und sie wäre sinnvoll: Die Gesamtheit der Bundesländer könnte einen eigenen Hebesatz bei den Gemeinschaftssteuern bekommen, also als Gemeinschaft über ihre Höhe entscheiden. Bund und Länder würden, genau wie sie es heute auch tun, nur die Basisvorschriften gemeinsam regeln, also etwa welche Freibeträge und Progressionsstufen es bei der Einkommensteuer gibt und wann ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz gilt und wann nicht. Ansonsten beschlössen Bundestag und Bundesrat getrennt ihre jeweiligen Hebesätze. Wenn die Länder dann mehr Geld für ihre Bildung (oder für Flüchtlingsausgaben oder für kommunale Infrastrukturzuschüsse oder für was auch immer) benötigten, könnten sie sich mehrheitlich, aber autonom, auf eine Erhöhung ihres Hebesatzes verständigen. Und wenn eine vielleicht andere politische Majorität im Bund das makroökonomisch oder verteilungspolitisch falsch fände, könnte diese ja im Gegenzug den eigenen Hebesatz senken, statt weiter gönnerhafte reiche Tante zu spielen. 

 

Eine solche finanzpolitische Neusortierung hätte mit Sicherheit zwei Konsequenzen: Die Kultushoheit der Länder wäre in der öffentlichen Wahrnehmung kein Hemmschuh mehr, sondern Symbol bundesstaatlicher Stärke. Und, ebenso wichtig: Die Länder könnten nicht mehr von den eigenen bildungspolitischen Versäumnissen ablenken, indem sie auf ihre Finanzknappheit verweisen. So sähe er aus, ein wahrlich moderner Föderalismus.

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