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Berlin-Brandenburger Befindlichkeiten

Eine eigenartige Debatte ist entbrannt: Wo soll die geplante Agentur für Sprunginnovationen ihren Sitz haben? So überflüssig der Streit sein mag – er wird zugleich zu einem wichtigen Warnsignal.

Potsdam (links), Leipzig – oder ganz woanders? Fotos: Potsdam "Brandenburger Tor" - Peter Kraayvanger / Leipzig "Altes Rathaus" - lapping / pixabay - cco.

IN DER METROPOLREGION BERLIN sind sie gerade etwas künstlich empört. "Berlin-Brandenburg verliert Agentur für Sprunginnovation", titelte vor einigen Tagen der Tagesspiegel Checkpoint. Die Gründungskommission habe im Juli beschlossen, dass Berlin-Brandenburg Standort der neuen Einrichtung werden sollte. "Doch daraus wird wohl nichts". Schließlich habe Gründungsdirektor Rafael Laguna de la Vera in der Leipziger Volkszeitung über die Avancen des Standort-Konkurrenten Leipzig gesagt: "Mir ist das Herz aufgegangen, als ich diese Einladung bekommen habe."

 

Wie frech, setzt sich Laguna also über das Votum der Gründungskommission hinweg, wählt der gebürtige Leipziger am Ende wirklich Leipzig aus? Darf der das überhaupt?

 

Er darf. Oder er dürfte. Denn die Entscheidung wird nicht vor September fallen. Bei der Laguna dann allerdings tatsächlich ein entscheidendes Wörtchen mitzureden hat.  

 

In ihrer letzten Sitzung im Juli, bei der auch Laguna als erster Direktor vorgeschlagen wurde, hat die Gründungskommission zur Standortwahl wörtlich folgendes festgehalten: Sie empfehle "einvernehmlich, als Standort für die Agentur eine urbane Region mit starker Wissenschaftsorientierung, einem gut entwickelten Umfeld für innovative unternehmerische Aktivitäten, ausgezeichneten Verkehrsverbindungen und hoher Attraktivität für international mobile Expertinnen und Experten zu wählen... Die Gründungskommission empfiehlt die Metropolregion Berlin als Standort für die Agentur für Sprunginnovationen."

 

Laguna hat das letzte Wort

 

Wer jetzt einwendet, das sei doch eine klare Empfehlung und Berlin-Brandenburgs Ärger berechtigt, der sollte noch den nächsten Satz lesen: "Die endgültige Standortauswahl soll im Einvernehmen mit dem Gründungsdirektor getroffen werden."

 

Also ja: Laguna hat das letzte Wort, gegen ihn geht nichts. Die Entscheidung fällen die beiden beteiligten Bundesministerien im Einvernehmen mit dem Gründungsdirektor. Und so erklärt sich auch, dass das Bundesforschungsministerium von Anja Karliczek in seiner Pressemitteilung im Anschluss an die Benennung Lagunas den Standort Berlin-Brandenburg nur als "Beispiel" für das Metropolregions-Votum der Kommission bezeichnet hatte.

 

Dass Karliczek Berlin-Brandenburg in der Pressekonferenz zur Kommissions-Empfehlung dann gar nicht erwähnt hatte, vermerkte die Hauptstadregions-Presse ebenfalls. Und berichtete zudem über einen vom Wirtschaftsministerium nachträglich gelöschten Tweet zur Standortwahl. Das Haus von Peter Altmaier ist neben dem BMBF mitverantwortlich für die Agentur mit dem schnittigen Akronym "SprinD". Das mit dem gelöschten Tweet ist in der Tat seltsam, bemerkenswert ist aber auch, dass die Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN) darin "Auswüchse eines Machtkampfes um den Sitz der prestigereichen Innovationsagentur" erkennen.  

 

Wenn man dieser Interpretation folgte, wer würde denn da eigentlich gerade gegen wen kämpfen? Wer ist gerade dabei, in Berlin-Brandenburg so kräftig Wind zu machen?

 

Manja Schüle und ihr Wahlkreis

 

Früher oder später landet man bei einer solchen Frage bei Manja Schüle. Die SPD-Politikerin hat ihren Wahlkreis in Potsdam. Und sie war eine von nur zwei Bundestagsabgeordneten, die das Parlament in der Gründungskommission vertreten sollten. Der andere war der CDU-Forschungspolitiker Stefan Kaufmann.

 

Die direkt gewählte Schüle gilt als eine der treibenden Kräfte hinter dem Metropolregion-Berlin-Votum der Kommission, schon am Tag nachdem die Empfehlung für Gründungsdirektor und Standort veröffentlicht wurde, äußerte sie sich zum Beispiel ausführlich in der PNN. "Potsdam hat alle Argumente auf seiner Seite. Spitzenforschung und Wissenschaft, wohin man schaut, vitale Gründungsszene, attraktive Lage, Anbindung an Verkehrsnetze, hochqualifizierte Menschen", sagte Schüle. "Wir sind mega und Märker."

 

Die Frage, die man sich stellen kann und muss: Geht es eigentlich in Ordnung, dass eine von nur zwei Vertretern des Parlaments in der Kommission so offen und vehement für ihren eigenen Wahlkreis plädierte? Schließlich vertrat Schüle in der Gründungskommission nicht Potsdam, sondern sie und Kaufmann saßen darin stellvertretend für die Gesamtheit von 709 Bundestagsabgeordneten. 

 

Zur Fairness muss man sagen, dass auch der ebenfalls direkt gewählte Stuttgarter Abgeordnete und CDU-Kreisvorsitzende Kaufmann sich nach dem Standortvotum wie folgt zitieren ließ: Es werde nun "gemeinsam mit dem Gründungsgeschäftsführer noch über den Sitz der Agentur zu entscheiden sein. Dabei sollte auch die Region Stuttgart als einer der innovativsten und forschungsstärksten Wirtschaftsräume Europas in Betracht gezogen werden." 

 

Was die Frage nach dem Selbstverständnis der Abgeordneten in der Kommission noch drängender macht. Und es zeigt auch, wer ein Interesse daran hat, gerade jetzt Empörung und öffentlichen Druck auf Laguna zu erzeugen.

 

Kaufmann wohl kaum. Denn Stuttgart gilt beim Standortwettbewerb als chancenlos – nicht nur, weil es von der Kommission gar nicht erwähnt wurde, sondern auch, weil der politische Erwartungsdruck hoch ist, dass die Agentur ihren Sitz in den neuen Bundesländern nimmt. Diesem Erwartungsdruck wird sich Laguna, selbst wenn er wollte, kaum entziehen können, denn er stammt nicht aus der Kommission, sondern aus einer Zusage von Kanzlerin Merkel an die Ost-Ministerpräsidenten, bei künftigen Standortentscheidungen vor allem den Osten zu berücksichtigen.

 

Das Gezerre muss jetzt aufhören

 

Umso wichtiger wäre es jetzt, dass zumindest die Kommissionsmitglieder mit dem Zerren an Laguna aufhören. Denn der Agentur, die er leiten soll, sind Freiheitsgrade versprochen worden, die für staatliche Einrichtungen bislang unbekannt sind – die aber die unbedingte Voraussetzung sind, wenn "SprinD" wirklich zu ungewöhnlichen, disruptiven Innovationen führen soll. Freiheitsgrade, die deshalb auch und gerade für den designierten Agenturdirektor gelten müssen. 

 

Der Streit um die Standort-Wahl ist insofern gleich mehreres: absurd, eine Ablenkung und ein Warnsignal. Absurd, weil das Gezerre die Bedeutung des Agenturstandorts grandios übertreibt. Der Großteil des (nach der Anlaufphase) jährlichen 100-Millionen-Budgets und auch der größere Teil der Mitarbeiter wird nämlich gar nicht in der Zentrale zu verorten sein, sondern in einer der Tochter-GmbHs, die das Rückgrat der Agentur darstellen sollen und sich überall dort ansiedeln werden, wo die sogenannten Innovationsmanager sich um konkrete Projekte kümmern.

 

Eine Ablenkung ist der Konflikt, weil die eigentlich wichtige Frage, an der sich die Geschicke der Agentur entscheiden, dabei in den Hintergrund zu geraten droht: Ist die Politik, sind der Bundestag und die beteiligten Ministerien bereit, die Agentur freizulassen, oder werden sie sie am Ende doch wie eine nachgeordnete Behörde behandeln, sich jedes Mal empören und auf die Bremse treten, wenn Agenturchef oder Innovationsmanager Ideen haben, die ihnen nicht passen? Wie genau wird die Governance der neuen Agentur aussehen?

 

Und genau deshalb ist die an sich so überflüssige Standortdebatte ein wichtiges Warnsignal: So, wie es jetzt losgeht, darf es nicht weitergehen. Sonst wird diese große Chance, dem Innovationsgeschehen in Deutschland eine neue Dynamik zu geben, verpasst.  

 

Am Tag des Kommissionsvotums schrieb ich über Laguna: "Eine erste Kostprobe seiner Standhaftigkeit kann er voraussichtlich schon bald abgeben – wenn es um den Standort für die Agentur geht." Und ich hatte es als richtig gelobt, dass die Kommission sich in der Frage betont zurückgehalten habe. Teil eins meiner Einschätzung bestätigt sich gerade. Bei Teil zwei, bei meinem Lob, bin ich mir – zumindest bei einzelnen Kommissionsmitgliedern – nicht mehr sicher, ob es wirklich berechtigt war. 

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Kommentare: 2
  • #1

    tutnichtszursache (Montag, 19 August 2019 07:52)

    Leipzig ist eine gute Idee. Die Institutionenkonzentration in Berlin ist ohnehin schon zu hoch.

  • #2

    Klaus Diepold (Montag, 19 August 2019 15:00)

    Ich lach mich schlapp - genau so habe ich mir das vorgestellt - staatlich organisierte Sprunginnovation - ein Erfolgsmodell. Da bin ich mal neugierig, wie das in Zukunft weitergeht.

    Übrigens wäre ich dafür, den Standort für die Agentur zu verlosen ...