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Es geht um die Professionalisierung der Universität

Was muss eine kompetente Hochschulleitung heute leisten und wie wählt man sie aus? Eine (weitere) Perspektive aus Göttingen: ein Gastbeitrag von Gregor Bucher.

DIE WISSENSCHAFT BEFINDET sich in einem internationalen Wettbewerb, in dem Hochschulen nur dann mithalten können, wenn sie gut organisiert sind und über eine stimmige Strategie verfügen. Die Zeiten sind vorbei, in denen jeder Ordinarius machen konnte, was er wollte, und die Leitung der Universität nur dafür da war, dass Hörsäle und Büros schön geheizt waren.

 

Was muss eine kompetente Hochschulleitung heute leisten und wie wählt man sie aus? Aus der Sicht eines Naturwissenschaftlers an der Universität Göttingen, einer der drittmittelstärksten Universitäten in Deutschland, möchte ich zu dieser Frage ein paar Thesen äußern. Man kann diese, wenn man möchte, auch als Replik auf die Äußerungen von Thomas Kaufmann ansehen.

 

 

These 1: Managmentfähigkeit ist für die Hochschulleitung essentiell

 

Damit eine Universität auf der internationalen Ebene mitspielen kann, muss eine Hochschulleitung ein Umfeld schaffen, das die hellsten Köpfe anlockt, und ihnen den Freiraum organisieren, in dem sie sich ihrer Forschung widmen könnnen. Die Leitung muss sich aber auch Gedanken zur strategischen Ausrichtung der Universität machen und den institutionellen Wandel und die Weiterentwicklung organisieren.

 

Das heißt, dass Präsidien auch unbequeme Entscheidungen treffen und von ihren Mitgliedern Veränderungen abfordern müssen. Nur höchste Qualität in der Lehre und Sichtbarkeit lockt die besten Studierenden an. Zusätzlich ist ein Betrieb mit Dutzenden von Gebäuden und Tausenden von Mitarbeitern zu organisieren, es gilt die Verbindung zur Politik zu halten und vieles mehr.

Gregor Bucher ist Professor für Evolutionäre Entwicklungsgenetik und geschäftsführender Direktor des Johann-Friedrich-Blumenbach-Instituts an der Universität Göttingen. Foto: privat. 

Was die Auswahl der Hochschulleitung angeht, ergeben sich vier Schlussfolgerungen: 1. Der komplexe Mix an Aufgaben fordert jeder Hochschulleitung höchste Management- und Kommunikationsfähigkeiten ab. Diese sollten daher bei einem Auswahlverfahren als zentrale Kriterien berücksichtigt werden. 2. So wünschenswert es ist, erfolgreiche Wissenschaftler als Leitung zu bestellen – 


ihre wissenschaftliche Brillanz kann nur eines von mehreren Kriterien sein. Von einer Leitung aus den Naturwissenschaften müsste man erwarten, dass sie ein Gefühl für die Bedürfnisse der Geistes- und Sozialwissenschaften entwickelt (oder vice versa) – kann dann nicht auch von einem hervorragenden Manager verlangen, dass er dieses Verständnis für beide Bereiche entwickelt? 

 

3. Transparenz im Auswahl-Verfahren klingt gut. Viele gute Kandidaten stehen aber nicht zur Verfügung, wenn ihr Name von Anfang an öffentlich zirkuliert, weil dies zu Nachteilen in der Heimat-Institution führt. Hier wirkt Transparenz kontraproduktiv. 

 

4. Bei Mitsprache, Vetorecht oder Urwahl durch das gesamte Kollegium bestünde die Gefahr, dass nicht die fähigste und ehrgeizigste, sondern die bequemste Leitung gewählt würde. Daher sollte die Auswahl einem sorgfältig zusammengestellten Gremium übertragen werden, das alle Bereiche der Universität widerspiegelt und sich vor allem der Entwicklung der Gesamtinstitution verpflichtet fühlt. Diesem Gremium und den von ihm ausgewählten Kandidaten oder Kandidatinnen sollte dann von allen Kollegen ein Vertrauensvorschuss gegeben werden. 

 

 

These 2: Evaluierung von Leistung: schwierig, aber nötig

 

Eine Universitätsleitung muss um die institutionellen Stärken der Universität wissen, aber gleichzeitig schwächere Bereiche erkennen. Nur dann können Stärken gefördert und Verbesserungen moderiert werden. Dazu braucht es Kriterien und Parameter. Ja, es ist extrem schwierig, wissenschaftliche Qualität zu messen und es gibt kein einheitliches Set an Kriterien, das dies vergleichbar für alle Bereiche darstellen würde.

 

Trotzdem muss eine Leitung – bei aller Vorsicht und immer angepasst auf die jeweiligen Bereiche – den bestmöglichen Mix an Parametern verwenden. Drittmittel sind hier sicher, zumindest in den Naturwissenschaften, einer von mehreren validen Indikatoren. 

 

 

These 3: Wissenschaftsfreiheit befreit nicht von Rechenschaftspflicht

 

Die Wissenschaftsfreiheit ist an Deutschlands Universitäten nicht in Gefahr. Ich kenne keinen Professor, dem zu Inhalt oder methodischen Ansätzen seiner Forschung Vorgaben gemacht würden. Wir leben hierzulande in einer wirklich privilegierten Wissenschaftswelt! Diese Privilegien verpflichten aber auch dazu, Rechenschaft darüber abzulegen, wie wir diese Freiheit genutzt und die uns anvertrauten Steuergelder verwendet haben.

 

Rechenschaft gegenüber der Unileitung und der Gesellschaft sind daher keine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit, sondern eine Selbstverständlichkeit. Eine Anerkennung von überragendem Engagement durch leistungsorientierte Zulagen kann die wissenschaftliche Motivation der Leistungsträger unterstützen (aber nicht ersetzen).

 

 

These 4: Drittmitteleinwerbung: ein zentrales wissenschaftliches Unterfangen

 

Die meisten Naturwissenschaftler brauchen Drittmittel, um ihrem Forschungsinteresse überhaupt erst nachgehen zu können. Primär schreibt man Anträge also immer aus Eigeninteresse und als zentrale wissenschaftliche Aufgabe. Da die Einwerbung von Drittmitteln in einem, siehe meine Einleitung, hochkompetitiven Wettbewerb stattfindet, bringen Erfolge sekundär natürlich auch einen Prestigegegwinn mit sich und können daher als einer von mehreren Parametern für die Messung von Leistung verwendet werden.

 

Deutsche Professoren sind unkündbar und haben im Vergleich zu den meisten Deutschen ein wirklich üppiges Gehalt. Es gibt also keine Notwendigkeit, sich um Zulagen zu bewerben und es ist daher auch niemand gezwungen, aus nicht-wissenschaftlichen sekundären Gründen Drittmittel einzuwerben – das wäre in der Tat eine fragwürdige sekundäre Motivation.

 

Eine Universität wird im globalisierten Wettbewerb nicht bestehen können, wenn sie nicht einerseits den Freiraum für individuelle Leistungen schafft und andererseits eine Strategie für die Gesamtinstitution verfolgt. Dabei Leistungs-Parameter zu erheben und zu bewerten und die Fähigkeit und den Willen zu unbequemen Entscheidungen zu entwickeln, kann man als "Ökonomisierung" kritisieren oder aber als "Professionalisierung" begrüßen.


Hochschulleitungen, Drittmittel und Wissenschaftsfreiheit:
Eine Debatte um die Universität im 21. Jahrhundert



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