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Das war's dann wohl

Bayerns Ministerpräsident Söder macht seine Drohung wahr und verkündet den Ausstieg aus den Bildungsrat-Verhandlungen. Und jetzt?

DIE NACHRICHT kommt nicht mehr überraschend. Bayern steige aus dem Nationalen Bildungsrat aus, hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Bayerischen Rundfunk verkündet. Das Gremium habe bislang zu nichts geführt außer Streitigkeiten. "Wir befürchten, dass am Ende ein Berliner Zentralabitur das Ziel ist, was eine Verschlechterung des Bildungsniveaus in Bayern bedeuten würde." Für gleiche Bildungsstandards könne auch die Kultusministerkonferenz (KMK) sorgen.

 

Die heutige Mitteilung hatte Söder auf den Tag genau vor einem Monat am Rande einer Ministerpräsidentenkonferenz vorbereitet. "Ich glaube wir müssen aus diesem Nationalen Bildungsrat überlegen auszusteigen", sagte Söder damals laut dpa und lieferte als Begründung exakt das gleiche Narrativ, das er heute erneut im Bayerischen Rundfunk anbot. Der Bildungsrat werde "ein bürokratisches Monstrum, das am Ende aus Berlin in die kleinen Schulstuben hineinregiert und in die Klassenzimmer." Das könne nicht sein. "Wir wollen, dass die Klassenzimmer nach wie vor regional gestaltet werden und nicht zentral verwaltet werden."

 

So geradlinig Söder den Ausstieg aus den laufenden Bund-Länder- Verhandlungen erst angekündigt und jetzt vollzogen hat, so konsistent scheint seine Begründung zu sein. Ist sie aber nicht. Denn den Bildungsrat mit den Plänen von einem Zentralabitur aus Berlin zusammenbringen kann nur, wer die eigentlichen Motive hinter dem im GroKo-Koalitionsvertrag vereinbarten neuen Beratungsgremium mit Absicht missverstehen will.  Konsens zwischen Bund und Ländern war nämlich immer, dass der Bildungsrat gar keine direkte bildungspolitischen Kompetenzen erhalten sollte. 

 

Söders Grundaussage bleibt gleich, die
Herleitung wird jeweils passend gemacht

 

Umso interessanter ist, dass Söder, um die Überflüssigkeit des Bildungsrates zu betonen, schon im Oktober die KMK in die Pflicht nahm. Diese könne ebenfalls für gleiche Bildungsstandards sorgen, sagte er. Eine erstaunliche Aussage – hatte er doch im Sommer den Vorstoß von Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), die Länder sollten sich innerhalb der KMK selbst auf ein zentrales Abitur einigen, ebenfalls heftigst zurückgewiesen. Ein Zentralabitur werde es mit der CSU nicht geben, sagte Söder damals dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Zentralismus führe immer nur zu einer Schwächung. Und: "Mit der Grundidee, dass ein Abitur aus Berlin gestaltet wird, tun wir uns keinen Gefallen."

 

Eine Formulierung, die angesichts der heutigen Erklärung bekannt vorkommt: Das Abitur aus Berlin – einmal von der KMK, einmal vom Bildungsrat. In jedem Fall hält es Söder für falsch, denn, wie er heute betonte: "Das bayerische Abitur bleibt bayerisch, übrigens genauso, wie die Ferienzeiten bleiben, wir wollen auch die nicht angleichen." 

 

So gleichbleibend die Grundaussage ("Mia san mia") ist, so widersprüchlich ist ihre argumentative Herleitung, die jeweils passend gemacht werden muss. Und nebenher stößt Söder mit dem Ferien-Njet noch alle Kultusminister vor den Kopf, die sich derzeit in der KMK für eine neue, einvernehmliche Ferienregelung einsetzen. Derzeit rotieren die Länder bei den Sommerferien, nur Bayern und Baden-Württemberg haben traditionell feste Termine. 

 

Klar ist seit heute: Wenn Söder nicht noch umkippt, wozu er nicht neigt, ist der Nationale Bildungsrat, für dessen Gründung es Einstimmigkeit auf Seiten der Länder braucht, politisch tot. Eine politische Niederlage für Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Eine Blamage für die Union, die (namentlich: Bayern) erst dafür gesorgt hatte, dass der Bildungsrat überhaupt in den Koalitionsvertrag kam. Eine Blamage aber auch für die Ländergemeinschaft insgesamt, die es seit Unterzeichnung des GroKo-Vertrages nicht geschafft hat, sich untereinander und mit Bundesbildungsministerin Karliczek zu einigen. Nicht einmal richtig Nein zu sagen haben sie sich getraut, sondern ein unwürdiges Spiel um Stimmenverhältnisse und Vetorechte gespielt, das eigentlich nur der Verzögerung diente. 

 

An einer Stelle muss man Söder
dann doch Respekt zollen

 

Das ist auch der Punkt, an dem man Söder doch wiederum Respekt zollen muss. Er hat die Unionsseite wieder ehrlich gemacht. Schon nach seiner Ausstiegs-Drohung im Oktober hatte sich Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) mit dem Satz zitieren lassen, das Gremium seit in der geplanten Form "wenig sinnvoll". Und Susanne Eisenmann, die eigentlich nie Lust auf den Rat hatte und zuvor die Front gegen die Stimmenverteilung angeführt hatte, sagte in bis dahin vermisster Deutlichkeit, der Bildungsrat sei "zum Scheitern verurteilt". 

 

Zuletzt hieß es aus Unionskreisen, man wolle beim KMK-Ministertreffen im Dezember einen Neuanfang wagen. Die CDU wolle das ganz neue Modell eines Gremiums vorschlagen, das komplett anders aussehen werde als alles bislang Diskutierte. Am Vorabend der offiziellen Sitzung hat KMK-Präsident Alexander Lorz zu seinem Kaminabend eingeladen. 

 

Doch wie werden jetzt die SPD-Bildungsminister reagieren? Von denen einige den Rat wollten. Während andere ihn zwar nicht lautstark ablehnten, aber doch auch nicht mit derselben Leidenschaft verfolgten, mit der ihr Koordinator, Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, zuletzt für das Gremium gekämpft hatte. Es sei der Öffentlichkeit nicht mehr zu vermitteln, "warum wir nach zwei Jahren immer noch nicht zu einer Einigung gekommen sind", sagte Rabe. Er war es auch, der den überfälligen Showdown in der KMK forciert hatte, indem er im Oktober die Kultusminister zur Kampfabstimmung über den Rat gezwungen hatte.

 

Als die Union ihre Zustimmung zu dessen Einrichtung verweigerte, schimpfte Rabe über deren "Blockadehaltung". Söder, so kann man seine Reaktion auch deuten, wollte sich daraufhin nicht länger vorführen lassen. Die Unsicherheit ist jedenfalls vorbei, die Fronten klären sich. Allerdings um einen hohen bildungspolitischen Preis, denn das Potenzial des Bildungsrates war groß


Karliczek: Länder müssen nun
sagen, wie es weitergehen soll

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) bedauerte Söders Ankündigung in einer ersten Reaktion. "Die Länder müssen nun beraten, wie sie mit dem Projekt weiter umgehen wollen." Bildung sei eine der wichtigsten politischen Aufgaben in Deutschland, alle staatlichen Ebenen seien aufgefordert, ein Bildungssystem mit hoher Qualität zu gewährleisten. "Der Bund ist bereit, in unserem föderalen Bildungssystem dazu seinen Beitrag zu leisten." Karliczek verwies auf den Koalitionsvertrag, der die Einrichtung eines Beratungsgremiums vorgesehen hatte, das auf Grundlage der empirischen Bildungs- und Wissenschaftsforschung Vorschläge für mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen vorlegen sollte. "Die jüngsten internationalen Vergleichsstudien haben gezeigt, dass Deutschland insgesamt nur im Mittelfeld liegt. Ich finde, dass sich alle für Bildung Verantwortlichen nicht mit diesem Befund abfinden können."

 

Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann begrüßte derweil die Mitteilung aus Bayern. "Auch ich halte den Nationalen Bildungsrat für ein komplett überflüssiges Gremium, auf das man folgerichtig verzichten kann", sagte Eisenmann, die die Politik der Unions-Bildungsminister koordiniert. "Deshalb ist der Entschluss Bayerns logisch und konsequent." Die Länder bräuchten keine Vorgaben aus Berlin, sondern seien stark genug, um selbst verbindliche und einheitliche Standards zu entwickeln. Deshalb setze sie sich für einen Länderstaatsvertrag für gute Bildung ein. "Es liegt jetzt an uns, den Föderalismus, der Ausdruck  deutscher Vielfalt, Flexibilität und Kreativität ist, neu zu definieren."

 

Ob Eisenmann neben der Ablehnung des Bildungsrats auch das Ziel "verbindliche und einheitliche Standards" mit Söder verbindet, bleibt – Stichwort Zentralabitur – allerdings fraglich. 

 

Nachdenkliche Töne kamen aus Schleswig-Holstein. Bildungsministerin Karin Prien (ebenfalls CDU), die Ende September ihre Ministerkollegen aufgerufen hatte, das Lagerdenken bei Bildungsrat und KMK-

Staatsvertrag zu überwinden, sagte: "Mit dem Ausstieg Bayerns ist, da habe ich überhaupt keinen Zweifel, der Nationale Bildungsrat in der geplanten Form vom Tisch. Aber nein sagen reicht hier nicht. Wir dürfen nicht den Fehler machen, die dahinterstehenden Ziele als erledigt zu betrachten."

 

Nur mehr Kooperation zwischen den Ländern, mehr wissenschaftliche Begleitung und Aufbereitung der Ergebnisse aus den Ländern würden helfen, die Bildungsstandards in der gesamten Republik anzuheben. "Der Bildungsföderalismus muss sich weiterentwickeln, sonst verliert er seine Legitimation." Dazu gehörten auch vergleichbare Abschlüsse, nicht nur beim Abitur. "Jetzt sind wir Länder mit der Kultusministerkonferenz in der Pflicht." Und Prien wiederholte ihren Appell: "In der Bildungspolitik darf es keinen Platz für ideologische Grabenkämpfe geben." Alle Akteure müsse das Ziel einen, die Bildungsrepublik Deutschland zu stärken.

 

Der Sprecher der SPD-geführten Kultusministerien, Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, sagte, Söder habe den Bildungsrat "nach monatelanger Blockade auf Unionsseite jetzt… ganz abgeschossen". Er bedaure sehr, dass dieses Projekt damit gescheitert sei. "Der Öffentlichkeit ist nicht zu vermitteln, warum gerade die CSU zunächst den Nationalen Bildungsrat einfordert und ihn dann unter fadenscheinigen Vorwänden beerdigt." Die kommende KMK-Sitzung Anfang Dezember, fügte Rabe hinzu, hätte für eine Annäherung genutzt werden können. "Die SPD in Bund und Ländern steht nach wie vor für Gespräche zur Verfügung."

 

Hessens Kultusminister und amtierender KMK-Präsident Alexander Lorz (CDU) sagte, nach dem angekündigten Ausstieg Bayerns aus den Bildungsrat-Verhandlungen sollten sich die Kultusminister nun darauf konzentrieren, das "ambitionierte Vorhaben" eines neuen Bildungs-Staatsvertrages abzuschließen. "Denn Nationaler Bildungsrat hin oder her, die manchmal berechtigten Kritikpunkte am Bildungsföderalismus könnte dieser nicht beseitigen. Das muss der Staatsvertrag schaffen."



Nachklapp am Montag: Söders Entscheidung
erntet Kritik in Bund und Ländern 

Am Montag haben sich weitere Bildungspolitiker zu Wort gemeldet.  Margit Stumpp, die bildungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, sagte: "Das Scheitern des Bildungsrats geht auf die Kappe von Bildungsministerin Karliczek. Sie hat es von Beginn des Prozesses an nicht vermocht, konstruktiv und auf Augenhöhe die Länder einzubinden." Stumpp kritisierte das Veröffentlichen eines Gastbeitrages hier im Blog als Vorpreschen; mit diesem und mit dem Bestehen auf einem Veto des Bundes habe sie in den Ländern unnötig Widerstand provoziert und Einigungswege verbaut. "Sie vermochte es nicht, den Ländern den Mehrwert eines solchen Gremiums zu vermitteln und steht – mal wieder – vor einem Scherbenhaufen."

 

Allerdings hatte der Bund in den vergangenen Monaten signalisiert, dass er nicht mehr auf einem Veto des Bundes bestehen würde

 

Bayern warf Stumpp ein doppeltes Spiel vor, weil die CSU als Regierungspartner in Berlin den Koalitionsvertrag mitgetragen habe und sich in nun in Bayern gegen dessen Vereinbarungen profiliere. Stumpp betonte, es sei unbestritten, "dass wir mehr Qualität im Bildungssystem, mehr Vergleichbarkeit bei den Bildungsabschlüssen und -standards brauchen und die Bildungsforschung in nationalen wie internationalen Vergleich absichern und stärken müssen."  Hierfür wäre der Bildungsrat ein guter Ort gewesen, nun müsse es die KMK richten. 

 

Der forschungs- und bildungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, sagte, die Menschen in Deutschland wollten mehr Kooperation und Vergleichbarkeit in der Bildung. "Deswegen haben wir in der Koalition gemeinsam vereinbart, dass der Nationale Bildungsrat kommen soll. Die schwarz-grüne Verhinderungsallianz in Bayern und Baden-Württemberg will diese Kooperation und Vergleichbarkeit verhindern." Karliczek müsse "Ordnung in ihren Laden bringen und Führungsverantwortung übernehmen." Die Union sei beim Thema Bildungsrat tief gespalten, die SPD  in Bund und Ländern geschlossen. "Wenn es nach der SPD geht, kann der Nationale Bildungsrat sofort starten."

Thüringens linker Bildungsminister Helmut Holter bezweifelt freilich wie die meisten seiner Kollegen in der Kultusministerkonferenz (KMK), dass es noch so weit kommen wird. Er kritisierte Bayern und Baden-Württemberg heftig: "Dank der Südländer haben wir nun anderthalb verlorene Jahre für unsere Schulen. Viel Kraft und Zeit wurden für die Diskussion um einen Bildungsrat verschenkt." Seit Jahren stünden die Schulen in Deutschland vor wachsenden Herausforderungen. "Auf Lehrermangel, Inklusion, Integration und Digitalisierung brauchen wir als Länder dringend mehr gemeinsame Antworten. Wir müssen stärker zusammenarbeiten, nicht weniger." Es gehe schließlich um die Bildungschancen aller Kinder in Deutschland. In Hinblick auf die anstehenden weiteren Verhandlungen zum KMK-Bildungsstaatsvertrag sagte Holter, er erwarte von Bayern und Baden-Württemberg, "dass sie ihren bildungspolitischen Länderegoismus schleunigst überwinden und in der KMK konstruktiv an gemeinsamen Lösungen wie dem Zentralabitur mitarbeiten. Die Glaubwürdigkeit der KMK wird sich genau daran messen lassen müssen."

 

FDP-Bildungspolitiker Thomas Sattelberger bezeichnete in seinem Statement den Ausstieg von Bayern und Baden-Württemberg aus dem Bildungsrat als "ein generelles Misstrauensvotum gegen Anja Karliczeks verfehlte Ressortpolitik". Söders Ausstieg zum jetzigen Zeitpunkt sei "feige, erst recht für einen Bayern".  Der Ministerpräsident zeigte sich ungewohnt verzagt, indem er im Vornherein, ohne dass die Verhandlungen um den Bildungsrat gescheitert seien,  die Segel streiche. 

 

Söder, der gestern auch den Wert des bayerischen Abiturs beschworen hatte, wurde von Sattelberger entgegengehalten, ein nationales Kernanbitur in wenigen Fächern und zentrale Qualitätsstandards seien unerlässlich im internationalen Bildungswettbewerb. "Kleinstaaterei ist populistisch und schwächt erfolgreiche Regionen." Bayern und Baden-Württemberg stünden nicht in Konkurrenz mit Bremen, sondern mit dem Silicon Valley und Shenzhen. Das hätten die Ministerpräsidenten Markus Söder und Winfried Kretschmann noch nicht begriffen.



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