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Raus aus dem Schlamassel

Wenn sich die Kultusminister heute treffen, vereint sie bei allem Streit ein Ziel: wieder ein besseres Bild in der Öffentlichkeit abzugeben als zuletzt. Ob das gelingt? Ein Überblick.

DER BILDUNGSRAT IST TOT, es lebe der Bildungsrat? Auf derlei Ideen könnte kommen, wer die internen Debatten unter den Kultusministern verfolgt. Heute treffen sie sich in der KMK zu ihrer letzten Sitzung des Jahres, und plötzlich geistert eine seltsam bekannte Idee herum: ein neues Gremium aus Politik und Wissenschaft, das Empfehlungen für die Bildungspolitik entwickelt.

 

Morgen früh hat die Kultusministerkonferenz zur Pressekonferenz bestellt. Die anwesenden Journalisten sollten dann genau auf das Wording von KMK-Präsident Alexander Lorz (CDU) achten. 


Akualisierung siehe Ende des Textes:

KMK beschließt Einrichtung eines neuen Gremiums


Vor allem die Unionsländer stehen unter Zugzwang. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte den Nationalen Bildungsrat, assistiert von seinen Kollegen aus NRW und Baden-Württemberg, vor zehn Tagen für überflüssig und gescheitert erklärt – zumindest in der mit dem Bund verhandelten Variante. Hinter dieser in teils deftigen Worten vorgetragenen Absage kommen die Kultusminister, ganz gleich welcher Couleur, jetzt nicht mehr zurück, auch wenn die wenigsten so lautstark applaudiert haben wie Baden-Württembergs Ressortchefin Susanne Eisenmann. Die als CDU-Spitzenkandidatin bei der nächsten Landtagswahl den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann beerben will.

 

Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, der die SPD-Kultusminister koordiniert, hatte daraufhin verbal ebenfalls heftig reagiert. "Die ständigen Alleingänge der CDU-Länder in der Schulpolitik sind kaum noch erträglich", gab er zu Protokoll. "Die Menschen wünschen sich mehr Gemeinsamkeit sowie gerechte und vergleichbare Schulsysteme in Deutschland, und CSU-, CDU- und Grün-regierte Länder tricksen jeden Versuch für eine vergleichbare Schulpolitik aus."

 

Die Unions-Minister wollen den
Schwarzen Peter wieder loswerden

 

Klar, dass die Unions-Kultusminister diesen Schwarzen Peter schnell wieder loswerden wollen. Deshalb platzierten sie schon kurz nach dem Bildungsrats-Ausstieg die neue Idee: Wir könnten doch ein ähnliches Gremium machen, mit Politik und Wissenschaft, aber eben ohne Bund. Und tatsächlich: Was zunächst nur wie ein Ablenkungsmanöver aussah, scheint nicht ganz chancenlos zu sein. Denn die SPD-Länder sind zumindest zum Reden bereit. 

 

Gestern Abend haben sich die Kultusminister bereits zum Kaminabend zusammengesetzt, übrigens unter Anwesenheit von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), und es muss ein bisschen wie eine gemeinsame Therapiesitzung gewesen sein. Einigkeit besteht nämlich, dass man jetzt irgendwie aus dem ganzen Schlamassel wieder raus muss. 

 

Das Problem mit einem Bildungsrat ohne Bund (der vermutlich, schon aus Prinzip, einen anderen Namen bekommen würde) wäre freilich, dass er nicht mehr wie vom GroKo-Koalitionsvertrag vorgesehen die gesamte Bildungskette abbilden könnte. Denn es gibt neben der Schule etliche Bereiche, wo der Bund Mitspracherechte hat – besonders stark ist seine Position zum Beispiel in der beruflichen Bildung. Ein Bildungsrat ohne Bund wäre also eine Art Schulrat – was wiederum der immer wieder von Bildungswissenschaftlern betonten Erkenntnis zuwiderlaufen würde, dass sich Bildungskarrieren vor allem an den Schnittstellen im Bildungssystem entscheiden. 

 

Ironisch wäre insofern, wenn die Länder sich erst auf ein Gremium ohne Zutun des Bundes verständigen würden, um dann den Bund in einem zweiten Schritt doch wieder zum Mitarbeiten einzuladen. Ironisch, aber nicht ausgeschlossen. Wie gesagt: Das Wording von KMK-Präsident Lorz, der im Hauptberuf hessischer Kultusminister ist, wie auch seiner Kollegen könnte vor allem zwischen den Zeilen aufschlussreich werden morgen.

 

Ein Staatsvertrags-Zeitplan 
als demonstrative Antwort auf PISA?

 

Doch nicht nur die Unionsländer stehen unter Zugzwang. Die Kultusministerkonferenz insgesamt muss nach den selbst bei wohlwollendster Interpretation "komplexen" PISA-Ergebnissen vom Dienstag Handlungsfähigkeit beweisen. Und diese Handlungsfähigkeit drückt sich nicht nur darin aus, dass man nach dem Bildungsrat-Debakel überhaupt noch konstruktiv miteinander reden kann. Das allein würde nicht reichen. Es muss morgen ein zweites Signal folgen: Wir Länder schaffen das mit der nötigen Vergleichbarkeit im Bildungssystem auch ohne den Bund – durch einen neuen Staatsvertrag.

 

Unzählige Male haben die Ressortchefs das ja auch schon so beschworen, nur fehlte ihnen selbst, so schien es, dabei mitunter der Glaube. Also mal sehen, mit welcher Überzeugungskraft sie morgen ihr Mantra vortragen. Was überzeugend wäre: Wenn das Ergebnis der Dezember-KMK in einem verbindlichen Termin bestünde, bis zu dem der Staatsvertrag fertig sein soll. Es sickert durch, dass genau ein solcher Termin morgen bei der Pressekonferenz eine Rolle spielen dürfte. Bis März, so lautete zumindest vor dem heutigen Treffen der Minister das Ziel, sollte eine beschlussreife Fassung des Staatsvertrages vorliegen und – nicht weniger wichtig – auch der ihn begleitenden politischen Erklärungen. 

 

Die politischen Erklärungen konkretisieren die meist sehr grundsätzlich gehaltenen Leitlinien des Staatsvertrages durch mit Zahlen und Prozessen unterlegte Ziele (Einzelheiten zum Staatsvertrag hier). Zwei dieser Erklärungen bzw. Punkte, zur Lehrerbildung und zu den Standards in der Oberstufe, sind von der eigens eingesetzten KMK-Staatsvertrags-Arbeitsgruppe soweit fertig gemacht worden, fünf weitere liegen in ersten Entwürfen vor. Doch am Ende sind es die Minister, die den Erklärungen das nötige politische Commitment hinzufügen müssen. Auch hierzu dürfte sich Lorz morgen äußern.

 

Vor allem aber wird er vermutlich gern und viel über die dann von der KMK beschlossene Empfehlung zur Förderung der Bildungssprache Deutsch sprechen, weil sie a) auch angesichts der Pisa-Ergebnisse wichtig und ungemein aktuell und b) im Gegensatz zu Bildungsrat und Staatsvertrag schön unstrittig unter den Kultusministern ist. Ebenso wie die Empfehlung für einen sprachsensiblen Unterricht an beruflichen Schulen.

 

Ferien-Streit und
Lehrerbedarfsprognosen

 

Die Frage ist, inwieweit die Sitzung in der KMK von dem öffentlichen Aufreger Sommerferien-Koordination überlagert wird. Zuletzt sah es angesichts der zahlreichen, zum Teil wenig konstruktiven Zwischenrufe unterschiedlicher Ministerpräsidenten und Kultusminister  (Söder: "Das bayerische Abitur bleibt bayerisch, übrigens genauso, wie die Ferienzeiten bleiben"; Rabe: "Jetzt wird jedes Land genau wie Bayern die Sommerferien im Alleingang festlegen") so aus, als würden die Politiker ihren Verhandlungsfrust in Sachen Bildungsrat und Staatsvertrag bevorzugt bei diesem Thema abbauen wollen. Dabei hat eine Beschlussfassung hierzu eigentlich noch Zeit, und vielleicht wäre es tatsächlich besser, abzuwarten und dann mit kühlerem Kopf darüber zu sprechen. Apropos: Im Staatsvertrag soll es auch einen Passus zu Ferienregelungen geben. Und bei ihrer Oktobersitzung, als es noch weniger hitzig bei dem Thema zuging, hatten die Minister beschlossen, erstmal von den zuständigen Referenten ihrer Ministerien mögliche Vorschläge für Alternativmodelle zum bis 2024 laufenden Status Quo erstellen zu lassen.

 

Bleibt eine Angelegenheit, mit dem die Kultusminister sich ebenfalls seit langem herumschlagen und bei der sie schon vergangenes Jahr Besserung gelobt hatten: die Prognose des künftigen Lehrerbedarfs. Nach der heftigen Kritik an veralteten Zahlen hatte die KMK im Oktober 2018 beschlossen, künftig jedes Jahr eine neue Berechnung vorzulegen. Und eigentlich wollte sie die dieses Jahr schon im Oktober veröffentlichen, dann jedoch gab es nochmal Ungereimtheiten, und man schob die Sache in den Dezember.

 

Jetzt kommen sie tatsächlich, die, wie es amtlich heißt, "Vorausberechnung der Schüler- und Absolventenzahlen 2018 bis 2030 sowie die Lehrereinstellungsbedarfe und -angebote in der Bundesrepublik Deutschland 2019 bis 2030". Gemessen werden sie vor allem an den Zahlen, die die Bertelsmann-Stiftung im Frühherbst vorgelegt hatte. 26.300 Grundschullehrer sollen der Stiftung zufolge 2025 fehlen, 11.000 mehr als vergangenes Jahr von den Kultusministern prognostiziert. Und auf welche Zahlen kommen die Kultusminister diesmal?

 

Die Antwort: Auf weniger als die Stiftung. Die "zusammengefassten Modellrechnungen der Länder" weisen bis 2025 aber bei den Grundschullehrern ebenfalls ein deutlich größeres Loch aus als noch im vergangenen Jahr erwartet. Für die allgemeinbildenden Fächer im Sekundarbereich II und für das Gymnasium dagegen erwarten die Kultusminister laut ihrer neuen Berechnung durchgängig ein Überangebot an Lehrern. Einen deutlichen Mangel sehen sie dagegen auch bei den Berufsschullehrern und den Sonderpädagogen. Bei den Sekundarschullehrern werden ebenfalls zum Teil deutliche Engpässe erwartet. Insgesamt stellt die KMK fest, dass sich im Vergleich zu ihrer Berechnung vom Vorjahr der prognostizierte Bedarf an Lehrern in fast allen Lehramtsfächern erhöht habe. Hauptursache hierfür seien die Folgen steigender Geburtenzahlung und Zuwanderung. Doch werde auch die Zahl der zur Verfügung stehenden neuen Lehrer gegenüber der 2018er Prognose zunehmen.

 

Die KMK ist sich also mit der Bertelsmann-Stiftung, auch wenn die Zahlen sich im Detail unterscheiden, im Grunde einig, vor allem auch hierbei: Um um 2024 oder 2025 herum könnte bei den Grundschullehrern eine Trendwende einsetzen. Die Bertelsmann-Stiftung erwartet ab dann zumindest fast ausgeglichene Zahlen bei Lehramtsabsolventen und den zur Verfügung stehenden Stellen, und was genau wird hierzu die KMK sagen? Morgen wissen wir es. 


NACHTRAG UM 17.45 UHR:

KMK beschließt Einrichtung eines neuen Gremiums


Das ging schnell. Mehrere Kultusminister berichten, dass sie die Einrichtung eines neuen Gremiums beschlossen hätten. Thüringens linker Bildungsminister Helmut Holter twitterte gegen 17.30 Uhr: "#KMK hat gerade einstimmig beschlossen, dass sie beabsichtigt einen Bildungsrat/ wissenschaftlichen Beirat der Kultusministerkonferenz einzurichten." Bei Fragen, die den Bund und Länder gemeinsam betreffen, solle der Bund angemessen beteiligt werden.

 

Die Eile, mit der die Kultusminister die Nachricht verbreiten, zeigt den Druck, unter dem sie standen. Spannend wird es jetzt zu sehen, wie genau das neue Gremium aussehen soll. Nur ein wissenschaftlicher Beirat? Was bleibt von der Idee, eine Institution ähnlich dem Wissenschaftsrat zu schaffen – mit zwei Kammern? Wie soll der (Bei-)Rat besetzt werden? Wie soll er mit den bestehenden Gremien der Kultusministerkonferenz verschränkt werden?

 

Mal schauen, ob KMK-Präsident Alexander Lorz dazu morgen schon alle Antworten parat hat. Das Tempo, mit der jetzt der Beschluss fiel, ist jedenfalls erstaunlich.

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