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"Respect, just a little bit"

Ein Plädoyer für mehr Fairness an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Von Grischa Vercamer.

Junge Wissenschaftler brauchen Perspektiven. Foto: Schwoaze / pixabay - cco.

EINE GANZE GENERATION von Wissenschaftlern ist unzufrieden! Diese Unzufriedenheit generiert sich nicht aus den von außen sichtbaren Arbeitsbedingungen. Die deutschen Bibliotheken und Forschungseinrichtungen sind auf einem international hohen Niveau, und es arbeitet sich grundsätzlich sehr gut mit den deutschen wissenschaftlichen Serviceeinrichtungen und Infrastrukturen.

 

Die Unzufriedenheit der Wissenschaftler in Deutschland generiert sich aus ihren Zukunftsperspektiven, anders formuliert: aus der Logik unseres Wissenschaftssystems. Solange eine/r keine entfristete Stelle hat, sucht er/sie weiter, bleibt immer dynamisch-flexibel, interessiert sich ständig für neue Umstände und Inhalte, um möglichst nahe am Puls der Zeit zu bleiben. Eine entfristete Stelle gibt es erst weit jenseits der Promotion, auf der verstetigten Professur, welche aber nur von wenigen erreicht wird. Der Weg dorthin ist lang, geprägt von Konkurrenzdruck und vor allem: absolut nicht planbar.

 

Eine Innensicht auf
Konkurrenzdruck und Unplanbarkeit

 

Ich möchte Ihnen mit diesem Beitrag eine Innenansicht auf diesen Konkurrenzdruck und die Unplanbarkeit präsentieren, von den alltäglichen Erfahrungen mit dem Ist-Zustand des deutschen Wissenschaftssystems berichten, und am Ende Verbesserungsmöglichkeiten darlegen. Bitte entschuldigen Sie, wenn ich dabei hier und da überzogen wirkendes Vokabular wähle. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass das leise Auftreten oftmals leider nicht wahrgenommen wird.

 

Natürlich erzähle ich ein Stück weit meine eigene Geschichte, von meinen 25 Jahren an Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland, zwischendurch in Polen, dann wieder in Deutschland. Ich bin Mediävist, habe in Berlin und Edinburgh studiert, in Berlin promoviert, sechs Jahre am Deutschen Historischen Institut in Warschau gearbeitet, mich an der Viadrina habilitiert, dann nochmal zwei Jahre als Professor an der Akademie der Wissenschaft Warschau verbracht. Jetzt beende ich gerade eine anderthalbjährige Vertretungsprofessur in Passau, die nächste mehrjährige Vertretungsprofessur, diesmal in Chemnitz, beginnt in wenigen Wochen.

 

Ich erzähle aber auch die Geschichte vieler anderer Kolleginnen und Kollegen, wie ich sie in Hunderten von Gesprächen erfahren habe. Diese Kolleg/innen sind, das ist mir wichtig zu betonen, mitnichten nur "akademischer Nachwuchs", der Unmut ist unterschwellig auf allen akademischen Karrierestufen anzutreffen. In der Tat enthebt die unbefristete Professur die Stelleninhaber von vielerlei Sorgen, macht aber nicht blind für das akademische Umfeld.


Grischa Vercamer, 45, ist Mediävist und
tritt im April eine mehrjährige Vertretungsprofessur für Europäische Regionalgeschichte an der Universität Chemnitz an. Foto: privat.


Zunächst verläuft alles normal und gut: Man bekommt nach dem Studium eine Anstellung an einer Universität oder einer außeruniversitären Forschungseinrichtung, die befristet und normalerweise mit der Bedingung verknüpft ist, eine Doktorarbeit zu schreiben.

 

Man arbeitet sehr intensiv, zeichnet sich aus, durch Artikel, Konferenzen, Workshops, hängt unzählige Wochenenden dran – und erlebt dann oftmals das langsame eigene Scheitern. Zumindest wenn der Betroffene eine Karriere in der Forschung anstrebt. Der Prozess des sich Bewusstwerdens nämlich, dass es jenseits der Doktorarbeit nur noch sehr wenige, hart umkämpfte Stellen (und auch die zu einem sehr hohen Prozentsatz befristet!) gibt, beginnt.


Ernüchternd fällt der Blick auf die ehemaligen Kommilitonen aus, die schon längst ohne Befristung festangestellt in Firmen, Schulen oder Verwaltungen arbeiten, die Familien gründen und sich Gedanken um Häuserbau und ähnliches machen. Die Frage taucht auf: "Woher nehmen die bloß die Zeit für solche vermeintlich unnützen, jedenfalls nicht hochgeistigen Dinge?"

 

Allmählich übernehmen wissenschaftsfremde
Motivationen das Ruder

 

Auch der Betroffene möchte gerne seine Situation verbessern, bei Doktorandenstipendien von 1200 bis 1500 Euro pro Monat ist das nicht verwunderlich. Vielleicht möchte er sogar eine Familie gründen. So übernehmen allmählich wissenschaftsfremde Motivationen das Ruder: schnell die Doktorarbeit abschließen (häufig auf Kosten der wissenschaftlichen Erträge), schnell in Lohn und Brot kommen! Hier ist eine erste Wegscheide zu verzeichnen; nach der Doktorarbeit fällt ein Großteil der Promovierten aus dem universitären System und sucht andere Karrierewege.

 

Schon hier kann man die berechtigte Frage stellen, ob es wirtschaftlich gesehen wirklich sinnvoll ist, dass ein Doktorand lange (in den Geisteswissenschaften in der Regel drei bis fünf Jahre) an seinem Gegenstand geforscht und eine große Expertise erlangt hat, sich dann aber gezwungen sieht, etwas völlig Fachfremdes zu machen, indem er aus der Wissenschaft rausgeht. Hinzukommend sehen Doktoranden, die ihre Arbeit konsequent und ernsthaft betreiben, sich zunehmend in Konkurrenz zu karrierebewussten Menschen, die später in Leitungspositionen kommen möchten und den Doktortitel sowie die damit verbundenen Mühen eher als notwendiges Übel – Stichwort: Karl-Theodor zu Guttenberg – ansehen.

 

Die Universitäten spielen hier mit, da sie ihrerseits immer stärker in den Statistiken um eine möglichst hohe Zahl an abgeschlossenen Doktorarbeiten konkurrieren – natürlich um weitere Forschungsgelder zu generieren. Ein Teufelskreis, in dem die Doktortitel zunehmend inflationär vergeben werden, was ihrer Reputation ungemein schadet und sich in der Qualität der Arbeiten niederschlägt. Hier muss ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden: Eine Doktorarbeit sollte aus Interesse und innerer Motivation heraus geschrieben werden, nicht aus taktischen Beweggründen. Gesellschaftlich wäre angesichts der ausgeprägten Titelhörigkeit in Deutschland eine Debatte über den Wert eines Doktortitels angebracht.

 

Die Abhängigkeit vom Lehrstuhl ist
feudal und aus der Zeit gefallen

 

Die Arbeitssituation an den Universitäten jenseits der Doktorarbeit hält mehrere Varianten bereit: Zunächst kommt eine wissenschaftliche Mitarbeiter- oder Assistenzstelle an einem Lehrstuhl, ein Drittmittelprojekt, meist auch an die Lehrstühle gebunden, oder man wirbt sich selbst über Drittmittelgeber (zum Beispiel der Deutschen Forschungsgemeinschaft) ein eigenes Projekt ein, mit dem man sich an einer Universität ansiedelt. Allen Möglichkeiten sind zwei Dinge gemeinsam: Die Stellen sind wiederum befristet und fast immer von einem Lehrstuhl/einer Professur abhängig.

 

Diese Abhängigkeit möchte ich feudal nennen, sie ist absolut aus der Zeit gefallen. Zumal, da heutzutage die Zustände der befristeten oder externen Mitarbeiter an einem Lehrstuhl nicht mehr mit Umständen vergleichbar sind, wie sie noch vor 20, 30 Jahren geherrscht haben, alleine schon durch den Anstieg der an einen Lehrstuhl gebundenen Mitarbeiter/Doktoranden.

 

Vor allem aber, und hier kommt der im Titel genannte "Respekt" hinein, riskieren besonders junge Wissenschaftler, dass sie die Achtung vor sich selbst verlieren, da sie die eigene, mühsam in der Schule und während dem Studium antrainierte objektive Urteilsfähigkeit verlernen, im Laufe der Zeit zu oft "speichelleckerisch" unterwegs waren und sich zu viele Anmaßungen anhören mussten. Derartiges häufig übrigens von Mitarbeitern der Universitätsverwaltungen, die selbst oft ein krudes Verständnis von Wissenschaft und Wissenschaftlern haben.

 

Weit verbreitet ist es für jüngere Kollegen, bei sichtbaren Ungerechtigkeiten zu schweigen, bei den vielen Ungereimtheiten an den Universitäten passiv zuzuschauen, um ja für sich selbst keine negative Presse zu generieren. Obwohl sie auf ein abgeschlossenes Studium oder sogar eine abgeschlossene Promotion verweisen können. Immer gilt die goldene Regel: Nichts ist so wichtig, wie das kollegiale Netzwerk. Wie fragil dieses ist und sich ständig mäandernd neu ausbildet, wissen alle nicht entfristeten Wissenschaftler sehr gut.

 

Ob man den Mund, wenn nicht lediglich bestätigend und lobpreisend, zu einem halbdurchdachten Projekt oder einem langweiligen Vortrag eines "Big Players" (in der Regel eines Professors) in der Umgebung aufmacht, sollte man sich gut überlegen, es könnte das mühsam aufgebaute Netzwerk erschüttern. Dagegen gehört es zum guten Ton, in wissenschaftlichen Kolloquien nochmals verbal "nachzutreten", wenn sichtbar wird, dass ein Projekt/ein Vortrag oder gar der Vortragende im Allgemeinen dem "Big Player" in der Runde nicht gefällt.

 

Deutschland zieht sich eine
Generation akademischer Duckmäuser heran

 

So zieht man sich in Deutschland, was viel mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu tun hat, eine Generation akademischer Duckmäusern heran. Die Doktoranden und wissenschaftlichen Mitarbeiter nehmen beim jahrelangen Absitzen in Kolloquien unbewusst einen ihren Professoren identischen Habitus in Gestik und Mimik an. Das Gehabe mancher Professoren innerhalb ihres "Stalls" (so die informelle Bezeichnung) ist als moderne Karikatur eines feudalen Systems schwerlich zu überbieten. Es kommt dabei sehr häufig eben nicht auf die vielfach angepriesene "gute Forschungspraxis" Einzelner an, sondern schlicht auf Zuneigungs- oder Abneigungswerte.

 

Soweit der Tatbestand, der eigentlich für keinen Beteiligten zufriedenstellend sein sollte. Die Konkurrenz um eine weiterführende befristete Mitarbeiterstelle (als Post-Doc) ist wahnsinnig groß geworden. Seit ein, zwei Jahrzehnten lautet das Zauberwort daher "Drittmittel". Über Fremdbudgets werden die eigenen Haushaltsmittel der Universitäten zunehmend ersetzt. Durch diese Drittmittel könnten theoretisch viele Nachwuchswissenschaftler zum Zuge kommen, vorausgesetzt die Zuneigung des jeweiligen Professors bleibt erhalten.

 

Um hier nicht missverstanden zu werden: Die meisten Professoren bemühen sich, jüngere Wissenschaftler zu fördern, sehen aber selbst die Begrenztheit ihrer Mittel, was sicherlich beide Seiten frustriert. Mit Unterstützung des Professors kann man sich als Post-Doc jedenfalls von einem befristeten Projekt zum nächsten hangeln. Aber derartige Projekt müssen zunächst finanziell bewilligt werden. Bei durchschnittlichen Bewilligungsraten, je nach Drittmittelgeber, von zwei bis 20 Prozent eine heftige Unabwägbarkeit. Aus welchen Gründen Anträge abgelehnt werden, erschließt sich dem einzelnem Wissenschaftler meist nicht und lässt sich vor allem nicht planen. Oftmals beginnt man daher in einem bewilligten Projekt zu arbeiten, ist aber gedanklich schon beim Antrag für das nächste Projekt.

 

Bis 45 wird man
"Nachwuchswissenschaftler" genannt

 

Ist das wirklich produktiv? Das ständige Suchen, die Sehnsucht, das Hoffen und oftmals: die Enttäuschung, machen langfristig krank und produzieren eine Menge an nutzloser, sehr konventionell auf möglichst planbare Ergebnisse ausgerichtete Forschung, die allzu häufig kurzlebigen Forschungsmoden folgt. Die "Nachwuchswissenschaftler" (bis 40 oder 45 kann man unproblematisch dazu gezählt werden) haben an den Universitäten kaum ein Standing jenseits ihrer fachlichen Kompetenz. Doch sollte letztere nicht eigentlich am wichtigsten sein?

 

Das System krankt daran, dass viele junge, ambitionierte, motivierte und gut ausgebildete Forscher, ausgestattet mit oftmals preisgekrönten Dissertationen oder Habilitationen, einer kleinen Zahl etablierter Professoren gegenüberstehen, die – auch das ist menschlich gesehen verständlich – ihre Pfründe und Privilegien verteidigen. Und dabei trotzdem häufig selbst frustriert sind: Die Universitäten, an welche sie mit durchschnittlich 40 Jahren berufen werden, liegen in den seltensten Fällen an ihren bisherigen Wohnorten. Es ist kein Automatismus, dass die Familie mitzieht, und ein nicht unerheblicher Teil der Professorenschaft pendelt, zum Teil über weite Strecken und bis zur Verrentung. Macht das glücklich, ist das der Forschung zuträglich?

 

Kurzum: Alle, auch die etablierten Professoren, sind irgendwie unglücklich gefangen in diesem System, können aber alleine kaum etwas verändern. Hier muss Abhilfe von außen her. Der Slogan könnte ein ganz einfacher sein: Schafft mehr entfristete Stellen unterhalb der Lehrstühle und Professuren. Nicht jeder Wissenschaftler, nicht jede Wissenschaftlerin muss am Ende Professor werden, er oder sie hat aber dennoch mit der Doktorarbeit bewiesen, wissenschaftlich arbeiten und in dem Feld weiter einen Beitrag leisten zu können.

 

Selbst die etablierten Professoren sind
unglücklich gefangen in diesem System

 

Bei Abschluss der Doktorarbeit ist man in der Regel um die 30 Jahre. Genau hier sollte die Politik eine Weichenstellung mit klaren Perspektiven etablieren. Manch einer geht in den diplomatischen Dienst, mancher wird Lehrer, mancher fängt in einer Firma an, mancher wird Bildungsreferent – all diesen Wegen ist gemein, dass sie in der Regel langfristig angelegt sind. Warum nicht auch so in der Wissenschaft? Warum muss man sich als Wissenschaftler ständig profilieren, unter Beweis stellen und neu erfinden? Kann man nicht ganz solide seine Arbeit leisten und darauf bauen, dass man auch im nächsten Jahr weitermachen kann?

 

Wäre das mitunter nicht das wesentlich produktivere System, weil man seine Forschung auf längere Perspektiven und Langzeitprojekte anlegen und dann auch mal mit normalen menschlichen Verzögerungen und Niederlagen umgehen kann, anstatt ständig unerschöpfliche Dynamik und Energieschübe vortäuschen zu müssen? Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern würde sich nicht nur darin erschöpfen, zu schauen, wie man möglichst effizient an Gelder kommt, sondern man könnte längerfristig gute und große Projekte aufbauen und miteinander planen. Kritische, jüngere Geister hätten wieder mehr Raum, das Duckmäusertum würde abnehmen. Der ständig präsente Neid und das aus den temporären Projekten resultierende Mittelmaß an den deutschen Universitäten wären auf den Rückzug. Nicht zuletzt: Der psychische Druck würde von vielen Wissenschaftlern genommen werden, eine Familienplanung würde ermöglicht. All das wäre im Sinne eines gut funktionierenden öffentlichen Bildungssystems!

 

Die Veränderungen müssen von der Politik kommen.
Unis und Forschungsinstitute schaffen das nicht

 

Diese Veränderungen müssen von der Politik angestoßen werden, das können die Universitäten und Forschungsinstitute nicht selbst leisten. Meine Bitte an die politisch Verantwortlichen lautet daher:

 

1. Schaffen Sie solide Perspektiven jenseits der Doktorarbeit. Gute junge Wissenschaftler sollten entfristet mit einem Grundgehalt als Sockel eingestellt werden. Dieser Sockelbetrag ließe sich durch das Einwerben von Forschungsprojekten via Drittmittel noch anheben. Das vielfach genutzte Argument von Gegnern der Entfristung, dass entfristete Stelleninhaber an Universitäten dann nichts mehr machen würden, wäre hinfällig.

 

2. Das Niveau von Dissertationen muss angehoben werden, da sie als Gütesiegel für spätere Stellen dienen. Die Betreuung von Doktorarbeiten sollte wieder individueller werden, eine Gatekeeper-Rolle der Betreuer und Gutachter ist wichtig. Die innere Motivation der Doktoranden sollte im Vordergrund stehen. Einher muss ein gesellschaftliches Umdenken gehen: Nicht jeder Akademiker braucht einen Doktortitel, um im späteren Berufsleben zu reüssieren.

 

3. Die Anbindung von promovierten Wissenschaftlern an Lehrstühle gehört abgeschafft. Die Anbindung kann genauso gut über größere Einheiten, etwa Abteilungen in den einzelnen Universitätsinstituten, organisiert werden. Damit würde dann automatisch ein größeres Gremium über Einstellung/Weiterbeschäftigung entscheiden.

 

4. Die Weiterqualifikation durch Habilitation sollte beibehalten werden, sie hat eine lange Tradition im deutschsprachigen Kulturraum. Sie dient dazu, seine durch die Doktorarbeit erwiesene Expertise auf andere Felder auszudehnen. Ein habilitierter Wissenschaftler sollte automatisch ein höheres Grundgehalt als Sockel (siehe Punkt 1) beziehen als der promovierte Kollege. Außerdem sollte mit dem abgeschlossenen Habilitationsprozess automatisch die Berechtigung an der jeweiligen Universität erworben werden, sich "Professor" zu nennen und dort weiter zu arbeiten (auch im Sinne einer innovativen Familienpolitik für Akademiker). Weder der "Privatdozent" (PD) noch der "Doctor habilitatus" (Dr. habil.) haben als Titel eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz in Deutschland, diese würden dann überflüssig werden. Neben dem Titel sollten weiterführende Möglichkeiten zur Realisierung von Forschung und Lehre bereitgestellt werden (über Forschungsmittelbudgets usw.). Insgesamt sollte die Habilitation als letzte akademische Prüfung ein sehr hohes Ansehen genießen und man sollte mit habilitationsäquivalenten Leistungen vorsichtig umgehen. 

 

5. Ein eigener Lehrstuhl, der besser und privilegierter als alle anderen Stellen ausgestattet sein müsste, wäre eine nochmalige Auszeichnung für habilitierte Spitzenforscher und hervorragende akademische Lehrer. Die Inhaber sollten durch die Ausstattung der Lehrstühle bevorzugt darin unterstützt werden, hochqualitative Forschung und Lehre leisten zu können. Sie sollten in der Lage sein, über eigene Haushaltsmittel oder Drittmittel größere Verbundforschung zu ermöglichen und jüngere Wissenschaftler in ihrem Umfeld in interessante Projekte einzubinden. Der Unterschied zu heute bestünde darin, dass die kooperierenden Wissenschaftler auf der Ebene von Doktoren und höher nicht mehr unmittelbar an einen Lehrstuhl gebunden sind, sondern wesentlich unabhängiger und freier Kooperationen eingehen könnten, da sie über ihr Sockelgehalt und ihre unbefristete Position an der Universität abgesichert sind.

 

Eine Dreigliederung der Karriere
nach der Promotion

 

Die vorgestellten Punkte sehen also eine Dreigliederung nach der Promotion vor: promovierter Wissenschaftler, habilitierter Wissenschaftler mit dem Recht auf den Professorentitel, herausragender Lehrstuhlinhaber. Damit kommt man dem amerikanischen System (Assistant Professor, Associate Professor, Full Professor, Distinguished Professor) erstaunlich nahe, welches statt der Habilitation auf den "Tenure Track" nach der Promotion setzt.

 

Die letzten beiden Punkte (4/5) mögen den Leser etwas überraschen, aber ich bin davon überzeugt, dass Spitzenforschung nach wie vor Anreiz braucht, welcher im deutschsprachigen Raum traditionell die Habilitation ist.

 

Das wichtigste Ziel wäre jedoch (so wird es im anglo-amerikanischen System praktiziert), dass die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des promovierten Wissenschaftlers an den Universitäten von Anfang an gewahrt ist. Vor allem haben diese Vorschläge viel mit gegenseitigem Respekt zu tun. Deutschland ist ein reiches Industrieland, Deutschland will in gute und sinnvolle Bildung und Forschung investieren. Der Appell an alle Entscheidungsträger: Packen Sie es an! Damit gute Forschung und Lehre unter angemessenen Lebensbedingungen geleistet werden kann.


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Kommentare: 12
  • #1

    JTK (Dienstag, 10 März 2020 09:30)

    Gut Ansätze.

    Kritikpunkt: Habilitation. Dieser veraltete, mittlerweile überflüssige akademische Grad gehört abgeschafft, erste akademische Fachgesellschaften unterstützen dies: https://www.dgps.de/uploads/media/Empfehlung_Habilitationen20180420.pdf

    Es handelt sich zudem um einen rein akademischen Grad, wichtiger wäre es, zuvor festgelegte Kriterien (Tenurekriterien) zu definieren, deren Erreichen dann über Weiterbeschäftigung etc. entscheidet. Zudem versperrt (zumindest gegenwärtig) die Habilitation in einigen Bundesländern die Berufbarkeit auf eine W1-Professur.

    Insbesondere bei kumulativen Habilitationen stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Verfahrens, zumal diese keinerlei informativen Mehrwert (z. B. in Berufungsverfahren) aufweisen.

  • #2

    Ruth Himmelreich (Dienstag, 10 März 2020 11:05)

    Die Weichenstellung nach der Doktorarbeit ist extrem schwierig, vor allem in Fächern, die kein klares Berufsbild aufweisen. Hier ist - ganz natürlich - die Wissenschaft deutlich attraktiver als ein teils mühsames Umorientieren. Trotzdem sollte man davon ausgehen, dass promovierte Nachwuchswissenschaftler klüger als der Bevölkerungsdurchschnitt sein sollten. Von klugen Menschen würde ich erwarten, dass sie ihr Fach, die darin zur Verfügung stehenden Dauerstellen und ihre Chancen, eine davon zu erlangen, einigermaßen realistisch abschätzen können. Und wenn die Überlegung mir sagt "wird schwierig", dann entwickle ich einen Plan B. Der kann im Falle eines Mediävisten beispielsweise das Lehramt sein.

    Strukturell gehe ich mit dem Autor konform, das Niveau der Dissertationen zu erhöhen. Damit wäre aber auch eine strengere Qualitätskontrolle notwendig, wer zur Promotion zugelassen wird - das wären auch entsprechend weniger Personen als derzeit.

  • #3

    NepNetzwerk (Dienstag, 10 März 2020 12:17)

    Interessant, dass hier gerade die Universität Potsdam als Hintergrund gewählt wurde ...

    Dem Beitrag hinzuzufügen wäre, dass unbefristete Professorenstellen insbesondere für Frauen offenkundig alles andere als unbefristet sind (vgl. @NepNetzwerk auf Twitter). Die Zahl der (aus unserer Sicht unbegründeten) Entlassungen ist in den letzten Jahren drastisch gestiegen.

  • #4

    Stange (Dienstag, 10 März 2020 18:09)

    Der Beitrag ist wichtig, m.E. fehlt allerdings ein wichtiger Punkt: Wer entscheidet, wer und wieviele promovieren? Selbst mit der Schaffung fester Stellen ergänzend zur Professur für Post Docs löst die beschriebenen Probleme nur für einen kleine Teil der Promovierenden. Auch diese Stellen werden nicht ausreichen und sind dann für mehrere Jahre besetzt. Der erste Schritt sollte daher die Schaffung von verlässlichsten Karriereplanungen in oder außerhalb der Wissenschaft sein.

  • #5

    Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 10 März 2020 19:39)

    @NepNetzwerk: Bitte nichts in die Wahl des Hintergrund-Bildes hineininterpretieren. Jede Woche erscheint ein neues, unabhängig von der sonstigen Berichterstattung im Blog.

  • #6

    NepNetzwerk (Mittwoch, 11 März 2020 10:35)

    Hatte mir durchaus auch gedacht, dass das Bild der UP Zufall ist. Aber es passt so schön ;-)
    Wenn die Zahl der entlassenen Professorinnen sich allerdings so weiterentwickelt wie derzeit, ist es bald nahezu egal, welche Universität gerade abgebildet wird: Es würde immer passen :-(

  • #7

    Klaus Diepold (Mittwoch, 11 März 2020 11:39)

    ich habe lange mit mir gerungen, ob ich zu diesem Blog-Beitrag etwas schreiben soll. Ich gebe Ruth Himmelreich weitgehend Recht. Am Ende des Tages ist die berufliche Karriere das Ergebnis von persönlichen Entscheidungen, die ein erwachsener Mensch fällt. Dazu kommt eine Menge Zufall und Glück/Pech, worauf man naturgemäß keinen Einfluss hat. Es ist aber schlichtweg naiv einfach auf das pure Glück und den Zufall zu pokern in der Hoffnung das Alles gut werden wird. Falls das Glück dann nicht kommt, kann ich nicht das gesamte System dafür verantwortlich machen. Klar, da gibt es sicher Verbesserungen am System, die angeraten und wichtig wären. Die Habilitation zähle ich übrigens nicht dazu. Die gehört für mich ersatzlos gestrichen.

    Auch der Glaube, dass ich nach erfolgter Promotion in irgendeinem Fachgebiet anschließend weiterarbeiten kann ist naiv und gilt so nicht einmal für Naturwissenschaftler oder Ingenieure. Dabei möchte ich noch anmerken, dass der Hinweis des Authors, dass die Arbeit in der Wirtschaft/Industrie intellektuell nicht herausfordernd sei ein klares Zeichen für die vollständige Unkenntnis dessen, was ausserhalb der akademischen Welt eigenlicht passiert.

    Die Hoffnung, dass die gute Arbeit alleine genügt, um auch längerfristig eine Beschäftigung zu begründen ist ebenfalls nicht im Einklang mit der Realität. Ein/e qualifizierte/r DesignerIn für Analogtelefonwählscheiben muss sich trotz guter Arbeit auch evtl. neu orientieren.

  • #8

    Vercamer, Grischa (Freitag, 13 März 2020 00:08)

    Ich freue mich, dass der Beitrag Anlass zu doch einigen Kommentaren gibt und möchte nun meinerseits kurz darauf antworten.

    @JTK: Ich bin Ihrer Meinung, dass eine kumulative Habilitation nicht sinnhaft ist. Jeder Wissenschaftler schreibt nebenher Artikel und Beiträge. Es besteht daher ein riesiger Unterschied zwischen einer konzise angelegten und mehrjährig verfolgten Studie, die in Form einer Monographie als Habilitation eingereicht wird, und einer Anzahl von Artikeln, die mehr oder minder logisch zueinander passen. Hohe Standards sollte es bei der Promotion (auch dann gerne mit weniger Doktorand/innen) und bei der Habilitation geben, da diese die höchsten akademischen Auszeichnungen sind, die das deutsche System zu vergeben hat. Der Link, den Sie gepostet haben, bezieht sich auf die Psychologie – hier mag es anders sein. Bei den Geisteswissenschaften plädiere ich für eine Beibehaltung aus zwei Gründen (so auch schon im Beitrag): 1. Die Gegner von unbefristeten Verträgen nach der Promotion führen oftmals an, dass Wissenschaftler dann ‚faul’ werden und sich nicht mehr groß bewegen. Wenn man nun nach einer sehr guten Promotion unbefristet übernommen wird, kann gerade die Habilitation ein Anreiz sein, um eine Gehaltsstufe aufzurücken (das ist aber bei der Verstetigung mit der Promotion nicht mehr notgedrungen nötig); 2. Die Habilitation ist idealerweise anders angelegt als die Dissertation. Während man bei letzterer seine im Studium erlangte ‚Werkstatt’ zeigt und ein Thema mit klarem und einigermaßen gut begrenztem Quellenkorpus bearbeitet, sollte man bei der Habilitation neue und innovative Methoden/Fragestellungen selbst entwerfen und zeigen, dass man das Fach in einer breiten Perspektive überblickt. Ein Jazzmusiker quasi, der erst zeigt, dass er alle Tonleitern fließend und richtig beherrscht, um auf der nächsten Ebene im besten Sinne zu improvisieren.

  • #9

    Vercamer, Grischa (Freitag, 13 März 2020 00:10)

    @RuthHimmelreich: Viele orientieren sich ja nach der Promotion um und machen etwas anderes. Das ist gut und völlig in Ordnung so! Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ich etwas dagegen hätte. Wenn allerdings die Besten in ihrem Fach (in deren Ausbildung der Staat viel Geld gesteckt hat) in andere Länder abwandern, weil sie keine guten Bedingungen in Deutschland vorfinden, dann ist das nicht nur kontraproduktiv, sondern schlicht und ergreifend unökonomisch. Ich will es an einem Beispiel veranschaulichen. Neulich war ich auf dem Jahreskongress meines Faches und es wurde von einer Jury von ca. 10 Professoren/innen ein Preis für die beste deutschsprachige Dissertation (von so-und-so-viel eingereichten Dissertationen) verliehen. Ich hatte danach auf dem Gang kurz Gelegenheit, mit der Preisträgerin zu sprechen. Sie sagte, dass sie arge Schwierigkeiten hätte etwas zu finden und nun einen kleinen Job in der Universitätsverwaltung angenommen habe. Die Beispiele ließen sich häufen.

    @NepNetzwerk: Ein Fakt, den ich bisher nicht auf dem Schirm hatte. Ich bin leider nicht auf Twitter, kann das also nicht einsehen. Das hört sich dann aber geradezu skandalös an und man/frau sollte unbedingt dagegen vorgehen.
    Danke für den Hinweis mit der Universität Potsdam – in der Tat ein schönes Bild! ;-)


    @Stange: Die Entscheidung darüber, welche und wie viele Doktoranden, sollte bei dem habilitierten Personal liegen, die also mit ihrer venia legendi Doktoranden annehmen können. (Übrigens noch ein Argument, um die Habilitation beizubehalten.) Das lässt sich m.E. auch nicht wirklich steuern, da man schlecht festlegen kann, dass dieses Semester drei Personen das Studium abschließen, die bei mir promovieren wollen, und nächstes Semester fünf. Es geht aber etwas um eine ‚Gatekeeper’-Funktion, welche durch Doktormütter/Doktorväter wahrgenommen werden muss. Nicht alle eignen sich für eine Doktorarbeit und zum wissenschaftlichen Arbeiten. Besser, sie bekommen das früher als später vermittelt! Das ist in der Tat menschlich für beide Seiten nicht immer leicht, gehört aber dazu. Tja, was die Schaffung von festen Stellen angeht, bin ich der Meinung, dass wir in Zeiten von allgegenwärtiger Digitalisierung/Automatisierung und KI allmählich realisieren sollten, dass immer mehr Arbeitsplätze gefährdet sind bzw. ersetzt werden. Sieht man es positiv, könnte man denken: Die Maschinen nehmen uns in den nächsten Dekaden immer und immer mehr manuelle Tätigkeiten ab, es bleiben dann besonders die kreativen und anspruchsvollen Tätigkeiten – z.B. die Forschung und Lehre. Will sagen: Es ist unsere Entscheidung, ob wir aufstocken und dann ein ‚Mehr’ an Stellen schaffen.

  • #10

    Vercamer, Grischa (Freitag, 13 März 2020 00:11)

    @KlausDiepold: Nochmals (die Argumente wurden ja bei Frau Himmelreich schon größtenteils benannt): Ich kenne kein anderes Berufsfeld, in dem so viele Unabwägbarkeiten vorhanden sind wie im akademischen Feld – völlig jenseits von Glück/Pech/Zufall. Es gibt mehrmonatige Probezeiten in anderen Berufen, ja, aber wenn jemand gute Arbeit abliefert, wird er normalerweise übernommen und hat Planungssicherheit (und hier geht es mir natürlich um Menschen, die irgendeine Art von Ausbildung in der Tasche haben). Ohne Not hält man aber die Leute an den Unis und Forschungsinstituten mit mehr oder minder kurzen Verträgen auf Trab, obgleich sie angeblich jeweils exzellente und prämierte Arbeiten abliefern. Warum? Die vollbrachte Forschung wird dadurch jedenfalls tendenziell eher schlechter, da der/die Wissenschaftler/in in kurzen Zeiträumen denken muss und oft die Ruhe fehlt. Privat muss man häufige Umzüge in Kauf nehmen oder über weite Strecken pendeln. Ohne aber Garantie, dass man an dem neuen Ort länger bleiben kann!
    Um – etwas polemisch, entschuldigen Sie – in der Logik von Frau Himmelreich und Ihnen zu bleiben, sollte man, wenn man andere Alternativen hat, am besten gar nicht in die Wissenschaft gehen, weil zu riskant. Ist das dann der Weisheit letzten Endes oder müsste man nicht doch, wie vorgeschlagen, versuchen ein System, welches schlecht funktioniert, zu überdenken?

  • #11

    Klaus Diepold (Dienstag, 17 März 2020 10:49)

    Lieber Herr Vercamer.,

    mein Punkt ist, dass die Bedingungen in der Wissenschaft beruflich dauerhaft zu reüssieren hinlänglich bekannt sind. Da gibt es keine Überraschungen. Jeder Erwachsene kann sich dies vor Augen führen und sich die Frage stellen, ob er/sie dieses Wagnis eingehen will. Die gleiche Entscheidung müssen alle Menschen treffen, die einen künstlerischen Beruf (Musiker, Schauspieler, Maler, etc.) ergreifen wollen. Dort kann es passieren, dass man trotz guter Leistungen und toller Musik keinen dauerhaften Job bekommt. In diesem Sinne ist ein Job in der Wissenschaft deutlich näher an einem Job in der Kunst als einem Job in der Industrie.

    Oft erlebe ich allerdings auch, dass die Enttäuschung darüber keine dauerhafte Anstellung in der Wissenschaft zu bekommen daraus resultiert, dass die Selbsteinschätzung des Kandidaten/der Kandidatin einfach falsch ist. Hartes Arbeiten reicht manchmal nicht - siehe Künstler. Und dann gibt es noch das Thema "Angebot und Nachfrage" zu berücksichtigen.

    In der Wirtschaft kann das sehr wohl auch anders ablaufen und ist auch nicht immer berechenbar. Die Firma, bei der ich meinen ersten nicht-akademischen Job nach der Promotion unterschrieben hatte teilte mir am ersten Arbeitstag mit, dass sie Insolvenz anmelden muss.

    Vieles könnte im deutschen (auch international) Wissenschaftssystem besser laufen, aber deshalb kann ich nicht zustimmen, dass das System grundsätzlich schlecht läuft.

  • #12

    Grischa Vercamer (Dienstag, 31 März 2020 00:23)

    Lieber Herr Diepold,

    ich möchte noch einmal mein Quentchen zur Diskussion beitragen und es dann dabei belassen (wenn Sie möchten, können Sie natürlich auch nochmals, um 'den Sack zuzumachen'). Sonst entsteht ja langsam der Eindruck, dass wir einen durchaus interessanten Dialog öffentlich in die Ewigkeit ziehen :).
    Ich bin der festen Überzeugung, dass Universitäten und ihr wissenschaftliches Personal an anderen Staatsbediensteten gemessen werden sollten – wie beispielsweise Lehrer, Polizisten usw.
    Wissenschaftler sollen solide Arbeit leisten und dafür auch, eben wie andere Staatsbediensteten, irgendwann solide Perspektiven bekommen. So ist das (aber damit wiederhole ich, was in dem Artikel steht) in den meisten mir bekannten Wissenschaftssystemen in anderen Ländern – die teils schlechtere Bezahlung dort ist eine andere Diskussion, die mit der generellen Wirtschaftslage dieser Länder zu tun hat.
    Nicht jede/r Lehrer/in, um in Ihrem Bild des Genies zu bleiben, ist eine Maria Montesorii oder ein Célestin Freinet – nicht jede/r Wissenschaftler/in ein Albert Einstein oder eine Marie Curie. Und doch leisten beide, wenn gut ausgebildet und grundsätzlich motiviert, einen wichtigen Gesellschaftsbeitra. Die Förderung von Wissenschaft und BIldung wird immer und immer wieder von Bund und Ländern unterstrichen, hat also Relevanz.
    Der Vergleich mit dem Künstler und der freien Wirtschaft hinkt aus meiner Sicht – ein wenig Äpfel und Birnen: Der Künstler wählt in der Tat einen riskanten Weg (der ihm zuvor sehr deutlich vor Augen steht) – der Weg kann großen Reichtum/Ruhm bedeuten oder bittere Armut/Ignoranz des Publikums. In der Regel tariert er seine Chancen auf dem freien Künstlermarkt aus, bis er ca. 30-35 Jahre alt ist. Dann weiß er, ob er zu den Stars, zu den Standard-Künstlern (die von ihren Gagen leben können) oder zu den leider Nicht-So-Sehr-Gefragten gehört. Letzere haben meist noch Zeit um umzustellen – z.B. auf Musiklehrer. In der freien Wirtschaft wiederum kann das Unternehmen, in dem ich arbeite (und in der Regel bei guter Ausbildung sehr gut verdiene, also auch bessere Rücklagen schaffen kann) in der Tat pleite gehen. Wenn ich gute Arbeit geleistet habe, werde ich mich trotzdem gut weiterbewerben können (was Ihnen ja offenbar so gegangen ist).
    An den Hochschulen kann man in seinen befristeten Jobs aber 'sehr gute und engagierte' Arbeit über lange Zeit leisten und dennoch plötzlich vor einem auslaufenden Zeitvertrag stehen. Besonders, wenn man als Wissenschaftler dann zu den kleinen Fächern gehört, wird es schwer, da man – um an Bord zu bleiben – häufig den Standort wechseln muss. Die Besten oder diejenigen, die familiär nicht gebunden sind, suchen dann Zuflucht im Ausland (wo es eben die unbefristeten Stellen gibt). Die anderen – meist glücklicherweise nur kurz arbeitslosen – Akademiker kommen ebenfalls irgendwie woanders unter, darum geht es nicht – die Tragödie der Umorientierung ist für den Künstler genauso groß wie für die Wissenschaftlerin. Es soll keinesfalls auf hohem Niveau geklagt werden. Es geht ehr um Effizienz und einen fahrlässigen Umgang Deutschlands mit seinen wirtschaftlichen Ressourcen. Der Staat hat nicht wenig Geld in hochkarätige Ausbildungen gesteckt und könnte nun für die Gesellschaft etwas zurückbekommen. Die meisten Wissenschaftler sind mit ihrer Tätigkeit sehr glücklich, lassen die Gesellschaft über ihre Forschung gerne an ihrer Arbeit teilhaben, sind bis ins hohe Alter motiviert und arbeiten durchschnittlich viel mehr als 40 Std/pro Woche. Warum sie also aufhalten und künstlich stoppen?
    Viele Grüße
    Grischa Vercamer