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Der nächste Corona-Befreiungsschlag

Bundesbildungsministerin Karliczek kündigt endlich den überfälligen Fonds für in Not geratene Studierende an. Doch warum wählt sie dafür einen so komplizierten Weg?

LANGE HAT es gedauert. Seit Tagen – nein, inzwischen seit Wochen – warnten Studierendenverbände, Organisationen wie der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), Oppositionsabgeordnete, Landeswissenschaftsminister und mit der SPD sogar eine Regierungsfraktion: Wenn die Bundesregierung nicht umgehend eine unbürokratische und beherzte Notfall-Finanzierung für hunderttausende von der Corona-Wirtschaftskrise betroffene Studierende beschließe, drohten soziale Verwerfungen, persönliche Härten und im Extremfall eine Welle von Studienabbrüchen. Unter dem größten Druck stehen die rund 40 Prozent der Nicht-BAföG-Empfänger, die ihren Lebensunterhalt zu einem guten Teil aus Nebenjobs finanzieren – von denen viele jetzt weggebrochen sind. Noch besorgniserregender ist die Situation der laut DAAD rund 100.000 internationalen Studierenden, die nicht nur weniger dazuverdienen können, sondern von denen viele auch noch weniger Geld von zu Hause geschickt bekommen – weil es ihre Heimatländer noch härter getroffen hat. 

 

Doch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) lieferte, wie heute der FDP-Bildungspolitiker Jens Brandenburg zu recht kritisierte, lange nur "in Scheibchen". Man könnte auch sagen: in Paketchen. Zuletzt am Donnerstag das "Unterstützungspaket für Studierende und Wissenschaft", das bei genauerem Hinsehen aus nur zwei Teilen bestand, eines davon für Studierende. Allerdings nicht für alle Studierende, sondern allein für die BAföG-Bezieher, die nur 12 Prozent der Studentenschaft ausmachen. Und innerhalb dieser 12 Prozent nur für diejenigen, die sich in "systemrelevanten Branchen und Berufen" gegen die Coronakrise engagieren. Eine gute, eine wichtige Maßnahme, kein Zweifel, eine Frage des Anstands sogar. Aber immer noch nicht in Ansätzen eine angemessene Antwort auf die Dimension der Krise.


Diese hat Karliczek, wie sie heute der Nachrichtenagentur dpa bestätigte, jetzt zumindest versprochen: ein vom Bund finanziertes zinsloses Darlehen für alle Studierende unabhängig von ihrer BAföG-Berechtigung. Für alle, die durch Corona in Not geraten sind. Wie genau die Vergabe der Mittel laufen wird, wann es losgeht und wer den Notfall-Kreditfonds betreiben soll, ist noch offen; das Deutsche Studentenwerk, berichtet die Nachrichtenagentur mit Verweis auf BMBF-Quellen weiter, habe sich dazu kurzfristig nicht in der Lage gesehen. Womit sich im Nachhinein auch erklärt, warum vor dem Wochenende zunächst von einem weiteren Pressestatement der Ministerin am Freitag gemunkelt worden war, das dann nicht kam. 

 

Warum wählt die Ministerin
einen so komplizierten Weg?

 

Wie groß der Druck auf die Ministerin war, endlich einen großen Wurf statt noch mehr Klein-Klein zu präsentieren, lässt sich auch daran erkennen, dass sie das Darlehen jetzt per Nachrichtenagentur ankündigt, obwohl es wie gesagt organisatorisch noch gar nicht in trockenen Tüchern ist. Ihren Ministerkollegen in den Ländern hatte sie demnach bereits am Donnerstag von ihrem Vorstoß berichtet. 

 

Doch eine Reihe von Fragen sind offen. Warum etwa hat die Ministerin nicht früher gehandelt? Warum wickelt sie die Nothilfe nicht ab, indem sie vorübergehend das BAföG für alle öffnet, wie zuletzt die Grünen gefordert hatten? Genau das hatte auch das Deutsche Studentenwerk, wie es am Sonntag auf Anfrage bestätigte, dem BMBF unter anderem als gangbaren Weg vorgeschlagen. Und warum wählt Karliczek überhaupt den Weg eines Darlehens und nicht eines nicht rückzahlbaren Zuschusses? Wer eine unkomplizierte Geldvergabe in der Not will, wer schnell den Zugang zu den Finanzhilfen ohne aufwändige Antragsverfahren schaffen will, für den sollte genau das der Königsweg sein. Bei Darlehen droht zudem die Gefahr, dass ausgerechnet junge Menschen aus ärmeren Elternhäusern aus Angst vor Verschuldung verzichten – was paradox und gefährlich wäre. Bei einem Zuschuss wäre es wohl auch einfacher, auch ausländische Studierende gleichermaßen zu berücksichtigen. Ein Notfallfonds des Berliner Studierendenwerks zum Beispiel, der pro Studierenden 500 Euro Zuschuss gewährte, funktionierte sehr wohl und so gut, dass er nach kurzer Zeit ausgeschöpft war.

 

Geld genug, auch darauf weisen alle Mahner seit Tagen hin, wäre auf Bundesebene da. Gut 900 Millionen Euro an BAföG-Geldern wurden 2019 nicht ausgegeben. Selbst die großzügigste Notlösung würde, da auf ein paar Monate beschränkt, wohl nicht mehr als wenige hundert Millionen Euro kosten. Nur zum Vergleich: Allein das Land Berlin hat an Solo-Selbstständige und Alleinunternehmer innerhalb weniger Tage über eine Milliarde an Finanzhilfen ausgeteilt – fast ohne Prüfung. 

 

Natürlich: Die von Karliczek angekündigte Lösung ist ein wichtiger Fortschritt. Es könnte der Befreiungsschlag für sie werden – wenn es denn schnell geht, Antragsverfahren und Auszahlung flüssig laufen und sich nicht wiederholt, was das BAföG zuletzt kennzeichnete: dass die Regeln so sind, dass das vorhandene Geld zu einem guten Teil gar nicht abgerufen wird.



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