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Die Studierenden dürfen nicht die großen Verlierer der Coronakrise werden

Die Bundesregierung hat bewiesen, dass sie schnell handeln kann. Doch bei den Studierenden bleibt sie eine überzeugende Regelung bislang schuldig. Was jetzt passieren muss. Ein Gastbeitrag von Manja Schüle.

Geschlossene Restaurants, gekündigte Studentenjobs: Die Krise trifft auch Studierende hart. Foto: pxhere, CCO.

DIE BUNDESREGIERUNG HAT in der Coronakrise schnell und umsichtig reagiert: Sie stellt Unternehmen Finanzhilfen in einer Größenordnung zur Verfügung, die vor wenigen Wochen noch undenkbar erschien. Sie erleichtert den Zugang zum Kurzarbeitergeld, das Millionen Beschäftigter vor der Arbeitslosigkeit schützen kann. Sie senkt die Hürden für die Beantragung von Grundsicherung. Sie sorgt dafür, dass die Verträge für Forscherinnen und Forscher, deren Projekte durch die Pandemie nicht wie geplant abgeschlossen werden können, verlängert werden können. Das alles sind Hilfspakete, die in großer Geschwindigkeit auf den Weg gebracht wurden. Der Bundesregierung – jeder einzelnen Ministerin, jedem einzelnen Beamten in den Ministerien – gebührt dafür großer Dank.

 

Leider sieht es so aus, als könnte eine Personengruppe durch das Raster der vielfältigen Maßnahmen fallen: die Studierenden. Dabei wurden sie besonders hart getroffen. Nach den Zahlen des Deutschen Studentenwerkes sind mehr als zwei Drittel der Studierenden neben dem Studium erwerbstätig, bei den ausländischen Studierenden sind es sogar 75 Prozent. In der gegenwärtigen Situation fällt ein Großteil dieser Jobs weg. Studierende können auch nicht vom Kurzarbeitergeld profitieren, denn für ihre Nebenjobs zahlen sie – was in normalen Zeiten ein Vorteil sein kann – keine Beiträge in die Arbeitslosenversicherung und erhalten deshalb in Krisenzeiten auch kein Kurzarbeitergeld. Auch der Gang zum Jobcenter ist keine Option: Studentinnen und Studenten haben keinen Zugang zur Grundsicherung (Hartz IV). Wer Hartz IV beantragen will, muss sein Studium unterbrechen und darf dann auch keine Prüfungen ablegen – mit der Folge, dass sechs Monate verloren wären. Denn für Studierende gibt es kein Hartz IV, sondern das BAföG. Und da beginnt das Problem.


Manja Schüle, 43, ist seit November 2019 Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg. Vorher war die Politikwissenschaftlerin SPD-Bundestagsabgeordnete. Foto: Karoline Wolf.


Im Prinzip ist das BAföG ein hervorragendes Gesetz. Die Grundphilosophie: Der Staat hilft den Studierenden, deren Eltern nicht genug Geld verdienen – ein wichtiger Beitrag zu mehr Chancengleichheit im Bildungssystem. Was einfach klingt, führt in der Praxis zu einer Reihe von Komplikationen. Viele Eltern, die ihren studierenden Kindern gegenüber unterhaltspflichtig sind, zahlen einfach nicht, und viele Studierende scheuen


sich aus nachvollziehbaren Gründen, gegen ihre Eltern zu klagen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das vor allem Kinder geschiedener Eltern betrifft, bei denen ein unterhaltspflichtiges Elternteil seine Verpflichtungen nicht erfüllt. Hinzu kommt: Weil die Einkommensverhältnisse der Eltern offengelegt werden müssen, ist die Antragstellung relativ kompliziert und die Antragsbearbeitung zeitaufwändig. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BAföG-Ämter arbeiten mit großem Engagement. Aber von der Einreichung der Unterlagen bis zum Bescheid können schon in normalen Zeiten mehrere Monate vergehen. Dass die Bearbeitungszeiten in Corona-Zeiten wesentlich länger sind, steht zu vermuten: Auch die Arbeitsfähigkeit der Studierendenwerke ist gegenwärtig stark eingeschränkt.

 

Die Studierenden können erst Hilfe beantragen, wenn die
Anträge ihrer Eltern beschieden sind – was dauern kann

  

Das ist aber bei weitem nicht das größte Problem: Die Zahl der Anträge auf Kurzarbeitergeld explodiert. Es wird lange dauern, bis alle beschieden sind. Aber erst, wenn die Betroffenen belegen können, wie hoch ihre Verdienstausfälle sind, können ihre Kinder mit den entsprechenden Belegen BAföG beantragen. Das Gleiche gilt natürlich für Eltern, die Arbeitslosengeld oder Grundsicherung beziehen. Ihre Kinder können erst dann staatliche Unterstützung beantragen, wenn die Eltern "versorgt" sind. Das wird absehbar dazu führen, dass Hunderttausende Studierende schnell unverschuldet in existenzielle Notlagen kommen.

 

Noch dramatischer stellt sich die Lage für viele ausländischen Studierende dar. Dreiviertel von ihnen sind auf Nebenjobs angewiesen. Sie sind – sofern sie sich nicht als EU-Bürger schon mehrere Jahre in Deutschland aufhalten oder etwa als Geflüchtete einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben –  nicht BAföG-berechtigt, leiden aber umso stärker an der oft verheerenden ökonomischen Situation in ihren Herkunftsländern wie an den umfassenden Reiseverboten.

Viele Bundesländer – auch Brandenburg – arbeiten gerade mit Hochdruck an Notfallmaßnahmen, mit denen Studierenden, die Corona-bedingt in spezifische Notlagen geraten sind, schnell und unbürokratisch geholfen wird – zusätzlich zu den Härtefallfonds, die die örtlichen Studentenwerke verwalten.

 

Die Instrumente für schnelle Hilfe
liegen auf dem Tisch

 

Klar ist aber auch: Der Bund ist in der Pflicht. Er ist seit 2014 allein für das BAföG verantwortlich. Dabei müssen drei Ziele erreicht werden:

 

• Studierende, die bislang nicht BAföG-berechtigt sind, deren Eltern jetzt aber erheblich weniger verdienen, müssen in dieser Notsituation schnell Zugang zur Ausbildungsförderung bekommen.

 

• Für Studierende, die schon jetzt Bafög erhalten, aber nicht den Höchstsatz bekommen, müssen die Auszahlungen erhöht werden.

 

• Die ausländischen Studierenden müssen zumindest vorübergehend umfassend einbezogen werden.

 

Die Instrumente für schnelle Hilfe liegen auf dem Tisch. Das fürs BAföG zuständige Bundesbildungsministerium könnte sich einfach beim Bundesarbeitsministerium erkundigen. Das hat nämlich sehr schnell zeitlich befristete Verbesserungen für die Grundsicherung (Hartz IV) auf den Weg gebracht. Vom 1. März 2020 bis zum 30. Juni 2020 fällt die Vermögensprüfung weg. Außerdem werden die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bezahlt – ohne dass geprüft würde, ob sie "angemessen" sind. Zudem gibt es Erleichterungen bei der Berücksichtigung von Einkommen in Fällen einer vorläufigen Entscheidung.

 

Eine vergleichbare Regelung muss es auch für das BAföG geben. Aus meiner Sicht sollten die Verbesserungen als Zuschüsse, nicht als Darlehen ausgezahlt werden – so verfährt der Bund ja auch bei der Grundsicherung und bei den Unterstützungsmaßnahmen für Solo-Selbständige. 

 

Die Darlehens-Pläne des BMBF sind ein Schritt –
aber nur ein sehr kleiner

 

Entscheidend ist, dass die Hilfe schnell eintrifft. Deshalb kommt nur die Abwicklung über die BAföG-Ämter in Frage. Sie haben die Erfahrung und die Kompetenz, die jetzt entscheidend sind. Vor allem aber: Sie haben sich in den vergangenen Jahren das Vertrauen bei den Studierenden erarbeitet, das in Krisenzeiten besonders wichtig ist.

 

Pressemeldungen der vergangenen Tage ist zu entnehmen, dass das BMBF jetzt an Nothilfe-Darlehen für Studierende denkt. Das ist ganz sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Aber leider nur ein sehr kleiner. Es ist völlig unabsehbar, wie lange die aktuelle Krise mit den verheerenden Folgen für die soziale Lage der Studierenden dauert. Und: Darlehen (von denen vermutlich nicht alle zurückgezahlt werden können) werden auch die Länder anbieten. Sie sind zwar nicht zuständig, sehen aber vor Ort, dass die Lage immer dramatischer wird, und wissen, dass sie in den nächsten Tagen sehr schnell helfen müssen.

 

Bund und Länder, Studierendenvertreter und Deutsches Studentenwerk sollten in dieser Woche besprechen, wie eine schnelle Lösung aussehen kann. Dies ist weder die Zeit für Schuldzuweisungen noch für Zuständigkeitsstreitereien. Die Bundesregierung hat in dieser Krise bewiesen, dass sie schnell und entschlossen handeln kann. Das sollte sie auch beim BAföG tun.



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Kommentare: 2
  • #1

    Basem Saideh (Donnerstag, 16 April 2020 15:07)

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    Gelten diese Maßnahmen auch für die ausländischen Studierenden, die in Deutschland mit studentischen Aufenthaltstitel leben und ihnen, wegen Korona-Krise, einen Nebenjob zu finden nicht mehr so einfach ist.

    Vielen Dank!

    Mit freundlichen Grüßen.

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Donnerstag, 16 April 2020 15:30)

    @Basem Saideh: Das ist das Ziel. Hoffentlich wird das Ergebnis nächste Woche feststehen. Alles Gute für Sie!