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Was kommt nach den Schulschließungen?

Und warum reden wir eigentlich so wenig über die Folgen des Shutdowns für Kitakinder und Auszubildende? Digitale Aufbrüche und Versäumnisse, zunehmende Bildungsdisparitäten und die Krise als Katalysator: ein Gastbeitrag von Martina Diedrich und Kai Maaz.

Foto: pexels.com

WIR BEFINDEN UNS in der fünften Woche der Schulschließungen. Zum heutigen Zeitpunkt vermag niemand zu sagen, ob der Schulbetrieb am 20. April tatsächlich wieder aufgenommen wird und schon gar nicht, in welcher Form. Sicher ist nur, dass, egal wie viele Wochen die Schule am Ende geschlossen sein wird, diese Situation, diese Krise, einiges über den Zustand unseres Bildungssystems offenbart. 

 

Das gilt für die Schulen in besonderer Weise, weil nicht nur die unmittelbaren Bildungsteilnehmenden betroffen sind – also die Schülerinnen und Schüler – sondern in großem Umfang auch ihr Umfeld, in erster Linie die Eltern, die allzu häufig die Unterstützung bei den häuslichen Schulaufgaben mit dem eigenen Homeoffice in Einklang bringen müssen. 

 

Über die Auswirkungen in der dualen Ausbildung und im Schulberufssystem wird dagegen erstaunlich wenig öffentlich diskutiert. Zugleich wird deutlich, dass auch die Hochschulen längst nicht so weit sind, dass sie eine Umstellung auf die virtuelle Lehre mühelos vollziehen könnten. 

 

Noch weniger in den Blick geraten vorschulische Bildungseinrichtungen; offensichtlich ist das Primat der Betreuung gegenüber dem Bildungsauftrag im Elementarbereich immer noch so stark ausgeprägt, dass die Frage, welche Bildungserfahrungen für Kinder im vorschulischen Alter jetzt zu kurz kommen, kaum in den Sinn kommt. Möglicherweise wird auch stillschweigend akzeptiert, dass sich die Verlagerung des Bildungsauftrags in digitale Lernangebote im Elementaralter verbietet. Es ist in der Tat auffallend, dass darüber öffentlich wahrnehmbar kaum diskutiert wird.


Kai Maaz ist Geschäftsführender Direktor des DIPF Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Außerdem ist er Sprecher der Autorengruppe des Bildungsberichts. Foto: Tom Baerwald für DIPF.

Martina Diedrich ist Direktorin des Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) in Hamburg. Beide sind Vorstandsmitglieder der Deutschen Gesellschaft für Bildungsverwaltung (DGBV). Foto: privat.



Die aktuelle Situation berührt zahlreiche Dimensionen jenseits der Frage, wie die Bevölkerung am besten vor Ansteckung zu schützen ist und wie das Gesundheitssystem vor dem Kollaps bewahrt werden kann. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Entscheidung, das öffentliche Leben zum Schutz der Bevölkerung weitgehend herunterzufahren und damit einhergehend Schulen, Kitas und Hochschulen zu schließen, scheint angesichts des Ausmaßes der Corona-Pandemie gerechtfertigt und soll hier in keiner Weise in Frage gestellt werden. 

 

Dennoch wollen wir mit unserem Beitrag die Aufmerksamkeit auf die Fragen lenken, die bei einem Wiederhochfahren des Systems früher oder später in den Blick kommen werden. Vielen Betroffenen stehen diese Fragen schon jetzt überdeutlich vor Augen, und das Bildungssystem wird sich mit ihnen beschäftigen müssen. Wir begrenzen unsere Betrachtung dabei bewusst auf die Bereiche, die in unserer professionellen Zuständigkeit liegen. Wie beispielsweise Stellungnahmen des Deutschen Ethikrats sichtbar machen, ist die Herausforderung der jetzigen Situation ungleich vielschichtiger und komplexer, als es in diesem Beitrag beleuchtet werden kann. Die Fragen, die wir aufwerfen, sind solche, die sich, wenn auch nicht so akut, dem Bildungssystem ohnehin stellen würden; möglicherweise wirkt die Krise hier wie ein Katalysator, um drängende Aufgaben und Probleme endlich anzugehen. Zwei Perspektiven stehen dabei im Vordergrund, die eng miteinander verwoben sind: Bildungsqualität und Bildungsgerechtigkeit.

 

Die Versäumnisse in der
schulischen Digitalisierung

 

Lehrerinnen und Lehrer haben sich in den letzten gut vier Wochen unermüdlich darum bemüht, den Fernunterricht so gut es geht zu gewährlisten und ihren Schülerinnen und Schüler das nötige Lernpensum zu vermitteln. Dabei greifen sie auf alles zurück, was die digitalen Möglichkeiten derzeit bieten; sie sind kreativ, innovativ und vor allem: frustrationstolerant. Dies ist der Lehrerschaft hoch anzurechnen, insofern ist die nachfolgende Darstellung das Gegenteil einer Kritik an denjenigen, die sich nach bestem Wissen und Gewissen um gute Lösungen bemühen. 

 

Gleichwohl wird aber mehr als deutlich, dass das Schulsystem infrastrukturell, aber auch von den Kompetenzen der Lehrkräfte her längst nicht darauf vorbereitet ist, die gegenwärtige Situation zu stemmen. Die Schulschließung erreicht die Schulen zu einem Zeitpunkt, an dem die Mittel des Digitalpakts erst allmählich zu fließen anfangen und eine Mehrheit der Schulen gerade erst begonnen hat, digital aufzurüsten und entsprechende Ausstattung anzuschaffen. Und so wundert es nicht, dass die Angebote des Fernunterrichts höchst heterogen sind, angefangen von den Plattformen und Kommunikationsmedien, die zum Einsatz kommen, bis hin zur erwarteten Arbeitsmenge.

 

Anhand der Unterschiedlichkeit der angebotenen Wege wird deutlich: Es gibt keine Standards, es gibt keine Verständigung auf das, was als Regel guten Unterrichts im Digitalbereich gelten sollte, es gibt keine Selbstverständlichkeiten, auf die alle sich beziehen können. Vielmehr gibt es zahlreiche individuelle Ansätze, jeder entwickelt sein eigenes System. Die einen sind findiger und experimentierfreudiger als die anderen, die besonders Innovativen hängen die Skeptikerinnen und Skeptiker ab. Angesichts eines Schulsystems, das seit mehr als 25 Jahren die Kooperation zwischen Lehrkräften als "Goldstandard" der Unterrichtsqualität einzuüben versucht, ein ernüchternder Rückschritt. 

 

Auch in der Frage, was den Schülerinnen und Schülern – und vor allem: ihren Eltern – gegenwärtig unter der Überschrift "Homeschooling" zuzumuten ist, besteht längst keine Einigkeit. Erfahrungsberichte reichen von der Schilderung, dass nicht nur die ausgefallene Unterrichtszeit (die mitnichten gleichzusetzen ist mit der effektiven Lernzeit!) zuhause kompensiert werden soll, sondern auch noch die Hausaufgaben zeitlich obendrauf kommen – bis hin zu sehr vorsichtigen und zurückhaltenden Lernaufgaben, die eher als das Bemühen verstanden werden müssen, Schülerinnen und Schüler nicht gänzlich vom Modus des Lernens zu entwöhnen, sie aber ansonsten weitgehend in Ruhe zu lassen. 

 

Digitalisierung bedeutet nicht das Verfügbarmachen
eines Konvoluts von Arbeitsblättern

 

Mit der Digitalisierung geht teilweise eine Entgrenzung einher, die verwundert; so darf kritisch hinterfragt werden, ob ein E-Mailversand zu nächtlichen Zeiten und am Wochenende gerechtfertigt ist; ob der pausenlose Zugriff den Familien wirklich zuzumuten ist; und ob die unkoordinierte Aufgabenflut wirklich etwas mit sinnhaftem und zielgerichtetem Lernen zu tun hat.

 

Auch wenn es vereinzelt sehr gute Beispiele gibt, wird gerade jetzt deutlich, dass es generell an einer Verständigung – vielleicht auch an einer Strategie – darüber fehlt, wann, wie, warum und zu welchem Zweck digitale Medien im Bildungsbereich eingesetzt werden sollen. Dabei geht es nicht nur um die Optimierung des Lehr-Lernprozesses – hier sind im Besonderen die Lehrkräfte gefordert – sondern auch um die Erweiterung der Basiskompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Unter Qualitätsaspekten am schwierigsten, weil am wenigsten reflektiert, ist die nicht geklärte Frage, was unter "digitalem Fernunterricht" genau zu verstehen ist. Es drängt sich der Eindruck auf, dass vielfach das Verfügbarmachen eines ansonsten in der Schule verwendeten Konvoluts von Arbeitsblättern gemeint ist, die nun zuhause ausgedruckt und bearbeitet werden sollen.

 

Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung hat dies wenig zu tun, insbesondere, weil es der Vereinzelung der Schülerinnen und Schüler Vorschub leistet, anstelle sie in verteilte, kooperative Arbeitsformen zu bringen, die durch digitale Medien theoretisch zur Verfügung stünden. Hier zeigt sich die große Heterogenität digitaler Ausstattungen der Schulen und bei den Kompetenzen der Lehrerinnen und Lehrern, die bislang weitgehend selbstbestimmt entscheiden konnten, inwieweit sie sich solche Möglichkeiten zunutze machen wollen. Es ehrt die Landesinstitute, dass sie binnen kürzester Zeit eine Vielzahl von – selbstverständlich digitalen – Fortbildungsangeboten bereitgestellt haben; aber auch hier dürfte die Gefahr bestehen, dass sie vor allem von solchen Personen genutzt werden, die ohnehin eine gewisse Affinität zum Digitalen haben.

 

Dass Fernunterricht nicht ausnahmslos in digitaler Form erfolgen muss, kommt anscheinend vor allem dort in den Blick, wo in der Fläche die häuslichen Möglichkeiten der Schülerinnen und Schüler stark eingeschränkt sind, wo die Kommunikation via E-Mail oder das Ausdrucken von Arbeitsmaterial keine Selbstverständlichkeit sind. Hier entwickeln Schulen kreative Lösungen, um anders mit den Schülerinnen und Schülern in Kontakt zu treten; beispielsweise tragen Honorarkräfte, die ihrer regulären Aufgabe im Ganztagsbereich zurzeit nicht nachkommen können, nun Arbeitsmaterialien aus und können bei der Gelegenheit auch Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern aufnehmen; oder die Schulen stellen den Schülerinnen und Schülern, die zuhause kein angemessenes Lernumfeld haben, die Klassenräume zur Prüfungsvorbereitung zur Verfügung. Es fragt sich allerdings, warum dies vor allem in den Schulen mit sozial herausfordernder Schülerschaft geschieht – auch alle anderen hätten einen Anspruch darauf, nicht in den Bereich der Arbeitsblätter verbannt zu werden. 

 

An diesen – zugegeben eklektischen und subjektiven – Ausführungen wird deutlich, welche Fragen in der kommenden Zeit unter anderem beantwortet werden müssen:

 

• Welche Standards in der Ausstattung, aber auch bei der Verwendung von Kommunikationsmedien und Lernplattformen sollen in den Schulen gelten?

 

• Welche Regeln für die Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern, aber auch ihren Eltern, und für den digitalen Durchgriff auf die Familien sollen gelten? 

 

• Welche Kompetenzen benötigen alle Lehrerinnen und Lehrer, unabhängig von der Frage, wie technikaffin und fortschrittlich sie sich selbst einschätzen?

• Worin liegt der Mehrwert eines digitalen Lernens, das über eine bloße Übersetzung des analogen Unterrichts hinausgeht?

 

• Welche Lerngegenstände und Unterrichtsinhalte müssen auch weiterhin analog, ganz ohne digitale Unterstützung vermittelt werden, weil sie auf Sinneserleben, Beziehungsarbeit und den direkten Austausch mit anderen angewiesen sind?

 

Mehr als Betreuung: Die Aufgaben
von Kitas und Krippen

 

Auch die Kitas bieten seit mehr als vier Wochen nur noch eine Notbetreuung an – für Kinder, deren Eltern in sogenannten systemerhaltenden Berufen tätig sind. Alle anderen Kinder werden derzeit zuhause betreut; die Großeltern können nicht einspringen, weil sie als Risikogruppe zählen und sie deshalb jeglichen Kontakt zu anderen vermeiden sollen. Öffentlich wahrgenommen wird vor allem das mit dieser Situation verbundene Betreuungsproblem, insbesondere weil alle, die selbst Kinder haben, wissen, wie schwierig es ist, Kindern im Krippen- und Kitaalter zu vermitteln, dass ihre Eltern eine Weile nicht gestört werden dürfen, um ihre Arbeit in Ruhe zu erledigen. Auch wenn diese Betreuungsfragen angesichts ihres Widerstreits mit dem Homeoffice die öffentliche Wahrnehmung zu dominieren scheinen, darf doch nicht übersehen werden, dass sie auch einen maßgeblichen Aspekt von Bildungsqualität berühren.

 

So haben auch die Kitas einen expliziten Bildungsauftrag; insbesondere mit Blick auf die frühe Sprachbildung kommt ihnen eine entscheidende Rolle zu, weil sie kompensieren müssen, was vielfach zuhause nicht erlernt werden kann. Darüber hinaus fördern sie die kognitive, motorische, psychosoziale und sensorische Entwicklung der Kinder. Für viele Kinder dürfte diese Förderung derzeit nicht stattfinden, weil Eltern damit überfordert sind. Möglicherweise liegt hierin aber auch eine Chance: Vielleicht wird nun sichtbar, dass es eben mehr bedarf, als Kinder irgendwie beschäftigen zu können, und dass in Krippe und Kita zu arbeiten eine Professionalität erfordert, die eine entsprechende Ausbildung voraussetzt. Es wäre wünschenswert, wenn in dieser Erkenntnis auch die Chance auf mehr Anerkennung und Wertschätzung für die im Elementarbereich professionell Tätigen liegt.

 

Die Probleme der beruflichen Ausbildung
und der Hochschulen

 

Neben den Hochschulen sind es vor allem die Ausbildungen im dualen System und im Schulberufssystem, die direkt auf den Einstieg in das Berufsleben vorbereiten. Damit nimmt dieser Bildungsbereich eine Schlüsselposition für die Sicherstellung und Weiterentwicklung des quantitativen und qualitativen Arbeitskräftevolumens ein. Welche Auswirkungen die Krise auf diese Bereiche hat, wird aktuell erstaunlich wenig thematisiert. Insbesondere im dualen System, das größte Ausbildungssegment neben dem Hochschulsektor, können die Folgen der Krise sich als weitreichender als im Schulsystem herausstellen. Hier sind Berufsschulen und Betriebe gemeinsam für die Ausbildung verantwortlich.

 

Welche Konsequenzen die wirtschaftliche Gesamtsituation auf Ausbildungsbetriebe haben wird, lässt sich heute noch nicht sicher abschätzen. Es ist aber davon auszugehen, dass sie zumindest kurz- und mittelfristig in Problemlagen geraten. Wenn die Wirtschaftskrise dann zu Auflösungen von Ausbildungsverträgen führt, ist die Sicherung des Arbeitskräftevolumens zunächst wenig gefährdet. Aber die Bildungsverläufe der jungen Menschen dürfen dann nicht dem Marktgeschehen überlassen werden. Hier muss es Lösungen geben, die trotzdem zu einer qualifizierenden Ausbildung führen. Noch schwieriger dürfte sich die Situation im Übergangssystem darstellen, weil die jungen Menschen oft nicht über die notwendigen Ressourcen zur Teilhabe an den digitalen Lernformen verfügen.

 

Die Situation an den Hochschulen gestaltet sich gegenwärtig noch sehr unübersichtlich. Aufgrund der vorlesungsfreien Zeit hat die Krise diesen Bildungsbereich weitgehend nicht im laufenden Betrieb getroffen. Es blieb also Zeit, sich vorzubereiten. Wie diese genutzt wird, wird sich erst bei Semesterstart zeigen, der an den meisten Orten noch bevorsteht. Aber es dürfte, wie im Schulbereich, große Unterschiede dabei geben, wie und in welchem Umfang digitale Medien zum Einsatz kommen – und das nicht nur zwischen Hochschulen, sondern auch innerhalb einer Hochschule, zwischen den Fächern.

 

Die Tatsache, dass die Organisation des Lehrbetriebs vielerorts schon vollständig digitalisiert ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es keine geteilten Standards für die Digitalisierung der Lehre gibt. Damit ist nicht die Aufzeichnung von Vorlesungen gemeint. Auch im Hochschulbereich steckt die Umsetzung digitaler Angebote in der Lehre vielerorts noch in den Kinderschuhen. Hinzu kommt: Wenn die Hochschulen im Sommersemester sich nicht für einen Präsenzbetrieb öffnen und knapp drei Millionen Studierende Vorlesungen und Seminare stattdessen online wahrnehmen wollen, Eltern weiter im Homeoffice arbeiten und Kinder und Jugendliche weiter im Homeschooling sind, ist zu erwarten, dass die Netze völlig überlastet werden. Sie geraten ja bereits jetzt an ihre Grenzen. 

 

Die Vergrößerung der
sozialen Disparitäten

 

Einhergehend mit den Qualitätsfragen wird durch die Krise vor allem eines deutlich: Ob ein Kind, eine Schülerin oder ein Schüler gut mit der jetzigen Situation umgehen kann, hängt stark von seiner sozialen Lage ab. Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob Eltern kognitiv, aber vor allem sprachlich in der Lage sind, die aktuellen schulischen Anforderungen ins häusliche Umfeld zu übersetzen; ob sie ihre Kinder in der Bewältigung des Lernpensums unterstützen können; ob sie aber auch – und vor allem – emotional über hinreichende Kompetenz, die sogenannte "Copingressource", verfügen, um die Belastung durch das dauerhafte Zusammensein bewältigen zu können. Vermutlich entscheidet vor allem Letzteres darüber, ob Familien die jetzige Situation gemeinsam durchstehen oder ob sie die Flucht in die Medien antreten und die Kinder weitgehend sich selbst überlassen. 

 

Es muss davon ausgegangen werden, dass die Schülerinnen und Schüler emotional wie auch lernseitig mit höchst unterschiedlichen Ständen in die Schulen zurückkommen. Die einen werden erfahren haben, dass sie zuhause unterstützt werden, dass man gemeinsam durch die Krise gehen kann, dass man auch in Stress zueinander hält und sich wechselseitig hilft; die anderen werden sich allein gelassen fühlen und vernachlässigt. Schlimmstenfalls sind sie Opfer häuslicher Gewalt geworden. Damit einher gehen große Unterschiede, wie viel Lernstoff bewältigt wurde. Leistungsunterschiede, die vor der Krise bereits bestanden haben, dürften sich vergrößert haben und werden größer, je länger die Schulen geschlossen bleiben.

 

Die Schulen müssen diese Diskrepanzen auffangen, wenn es wieder losgeht. Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass sie sich vorrangig um die unterschiedlichen Lernstände kümmern müssen. Vor allem wird ihre Aufgabe darin bestehen, die Schülerinnen und Schüler emotional abzuholen und die Erfahrungen der Krise aufzuarbeiten. Auch hierbei gilt, dass die Schulen höchst unterschiedlich für eine solche Aufgabe gerüstet sind. Sie werden Unterstützung benötigen, damit am Ende die Abgehängten nicht gänzlich verloren gehen.

 

Auch hier liegt in der Krise die Chance, Schule noch mehr als heute nicht nur als Lernort zu verstehen, sondern als Teil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen – und parallel die Zusammenarbeit von Schule mit außerschulischen Angeboten, auch der der Kinder- und Jugendhilfe, neu zu überdenken. Aufgabe der Bildungspolitik und -verwaltung, der Bildungsforschung und der Unterstützungssysteme in den Landesinstituten wird sein, die Schulen hierbei zu begleiten und ihnen entsprechende Angebote zu machen. Auch an der Frage, ob es gelingt, die Schulen bei dieser Aufgabe zu unterstützen, wird sich entscheiden, ob das Bildungssystem am Ende der Krise weiter ist als vorher und gestärkt aus ihr hervorgeht.



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Kommentare: 3
  • #1

    Siegfried Arnz (Mittwoch, 15 April 2020 11:29)

    Vielen Dank für diese Reflexion, die ich in allen Punkten teile!

  • #2

    Falk Radisch (Mittwoch, 15 April 2020 12:40)

    Ein wirklich guter und wichtiger Beitrag in dieser Debatte! Es bleibt zu hoffen, dass man die ricztigen Schlüsse ziehen wird.

  • #3

    Susanne Thimet (Freitag, 17 April 2020 16:42)

    Vielen Dank für diesen Beitrag. Mich freut es, dass hier auch die möglichen Auswirkungen auf die berufliche Bildung thematisiert werden.
    Zu der Diagnose, dass sich Online-Unterricht häufig auf das Versenden von Arbeitsblättern beschränkt: Für Lehrerinnen und Lehrer stellt - neben den im Beitrag genannten Gründen - auch die höchst unterschiedliche Ausstattung der Elternhäuser ein Hindernis für spannendere, zielführendere Online-Lerngelegenheiten dar.