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Die Legende mit dem 20. April

Nein, heute ist nicht der bundesweite Start ins digitale Sommersemester. An vielen Hochschulen läuft der Betrieb schon seit Wochen. Erfreulich ist der Optimismus in der Krise – und die Flexibilität der Wissenschaftsministerien.

ES IST EINE LEGENDE, die sich verselbstständigt hat. Sie lautet: Heute startet bundesweit das coronabedingt rein digitale Sommersemester – heute erneut in Tageszeitungen nachzulesen. In vielen Bundesländern und an den meisten Hochschulen stimmt das ja auch. Aber an vielen eben auch nicht. So berichtete zum Beispiel die Präsidentin der Technischen Hochschule Lübeck, Muriel Helbig, hier im Blog, welche Erfahrungen die THL in vier Wochen rein digitalem Lehrbetrieb gemacht hat. Wäre das Wissen um die Frühstarter bekannter, könnten jene, die heute beginnen, sich womöglich noch stärker bei denen informieren, die all die Fehler und das Durcheinander der ersten Tage schon hinter sich haben.

 

Das Missverständnis mit dem Überall-Semester-Start 20. April beruht vor allem auf einer missverständlichen dpa-Meldung, die wiederum auf die ungenauen Angaben eines Landeswissenschaftsministeriums zurückging. Und wie das so ist: einmal in der Welt, nicht mehr wegzukriegen.

 

90 Prozent der Hochschulleitungen sehen
ihre Hochschule als "gut vorbereitet"

 

Immerhin gibt laut einer Sonderbefragung des Hochschulbarometers von Stifterverband und Heinz-Nixdorf-Stiftung die große Mehrheit der Hochschulleitungen an, ihre Hochschule sei gut auf das rein digitale Sommersemester vorbereitet. Knapp 90 Prozent fühlten sich demnach (eher) gut gerüstet. Selbst für den Fall, dass im gesamten Sommersemester keine regulären Präsenzveranstaltungen und Prüfungen möglich sein sollten, könnten drei Viertel der Lehrveranstaltungen und knapp zwei Drittel der Prüfungen digital durchgeführt werden (siehe dazu auch den Kasten).

 

Und: Sogar über 90 Prozent der 168 Hochschulleitungen, die bei der Umfrage mitgemacht haben, erkennen in der durch Corona erzwungenen Schnell-Digitalisierung auch "eine Chance, sich im Bereich digitalen Lernens und Lehrens langfristig besser aufzustellen". Womöglich ist da auch das sich selbst mutmachende sprichwörtliche Pfeifen im Walde dabei, aber selbst dieser Fall wäre allemal besser als Hochschulleitungen, die in der Krise, anstatt zu handeln, vor allem  lamentieren, mahnen, und Großprogramme fordern würden.

 

Finanzielle Unterstützung zum Ausbau ihrer IT fordern die befragten Hochschulchefs allerdings auch, und für ein bundesweites Großprogramm neben den unterschiedlichen Länderinitiativen spricht in der Tat viel – zum Beispiel in der Form eines kurzfristigen Digitalpakts für die Hochschulen, wie ihn Berlins Staatssekretär Steffen Krach (SPD) schon vor einigen Wochen hier im Blog gefordert hat. Wann positionieren sich dazu eigentlich mal die Ländergemeinschaft und der Bund?

 

An anderer Stelle haben die Länder dagegen politisch für Klarheit gesorgt – und zwar löblich frühzeitig. Bereits bekannt war, dass die Bewerbungsfristen für zulassungsbeschränkte grundständige Studiengänge vom 15. Juli auf den 20. August verschoben werden sollen. Das ist wichtig für Abiturienten, deren Abschlussprüfungen ebenfalls wegen Corona zum Teil um mehrere Wochen nach hinten verschoben worden sind.

 

Start ins Wintersemester erst am 2. November
– aber nur, wo es nötig ist

 

Auch hatte die Kultusministerkonferenz bereits per Pressemitteilung mitgeteilt, dass deshalb "die Vorlesungen an Universitäten und Fachhochschulen... im Wintersemester 2020/2021 einheitlich am 01.11.2020 beginnen" sollen. Was aber in derEinheitlichkeit dieser Verschiebung dann doch etwas übers Ziel hinausgeschossen war, wie zahlreiche Hochschulen kritisierten – vor allem Fachhochschulen, die traditionell schon Wochen früher in die Vorlesungen einsteigen. Warum, argumentierten sie, sollten sie ihren Betrieb auch für Studiengänge später beginnen, die gar nicht zulassungsbeschränkt sind und/oder deren Bewerbung gar nicht über die Online-Plattform von Hochschulstart.de läuft?

 

Jetzt haben die Amtschefs der Wissenschaftsministerien auf die Bedenken reagiert und bessern den Beschluss nach. Vorlesungsbeginn soll demzufolge Montag, der 2. November sein – aber nicht mehr verbindlich für alle, sondern nur noch für die Studienanfänger in denjenigen NC-Studiengängen, die über Hochschulstart.de koordiniert werden. In allen anderen Fällen könnten Länder und Hochschulen, Studienanfänger und Studierende höhere Semester flexibel zu früheren Terminen starten zu lassen. 

 


Korrigiere: "Wir schaffen es nicht"

Inwieweit jenseits der Leitungsetagen an den Hochschulen ein ähnlicher Optimismus vorherrscht, klärt das Hochschulbarometer naturgemäß nicht. Die Stimmung unter den Lehrenden scheint aber insgesamt zuversichtlich zu sein – allerdings gehen auch schon die ersten praktischen Rückschläge durch die Sozialen Medien. So twitterte Jurik Stiller, Wissenschaftler an der Berliner Humboldt-Universität, heute Morgen: "Ich wünsche uns allen ein erfolgreiches Sommersemester, insbesondere in der #Lehrkräftebildung und in #Berlin, aber natürlich auch darüber hinaus!" Stiller endete mit dem Hashtag: "#Wir schaffen das" – um eine Stunde im nächsten Tweet nachzulegen: "Ich korrigiere, unser Moodle ist schon

gestorben. Wir schaffen es nicht..." Was prompt Steffen Prowe von der Beuth-Hochschule kommentierte: "Soviel dazu", dass laut Präsidien zu 80 bis 100 Prozent "ja alles vorbereitet sei", wie der Tagesspiegel heute Morgen berichtet hatte.

 

Ein paar Minuten später meldete sich ein wieder optimistisch klingender Stiller erneut zu Wort. "Mit ein bisschen Abstand: Wird schon. Und haben wir alle doch genau so erwartet", schrieb er. Ab morgen/nächste Woche wird es die benötigte Stabilität der technischen Systeme geben. Und dann geht's mit den Inhalten so richtig los..." Geduld scheine jetzt besonders nötig zu sein. Von anderen Hochschulen werden unterdessen ähnliche Serverprobleme berichtet.




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Kommentare: 4
  • #1

    Oliver Locker-Grütjen (Montag, 20 April 2020 12:36)

    Die Verwirrung war wohl eher um die Worte "Sommersemester" und "Vorlesungszeit" entstanden.
    Das Sommersemester läuft seit März, worum es ging war das Verschieben des Vorlesungsbeginns, wie der HRK-Präsident heute auch nochmals verdeutlichte:
    „In diesen Tagen startet an vielen Hochschulen die Vorlesungszeit und dies unter sehr besonderen Umständen. Die Coronavirus-Pandemie stellt nie gekannte Herausforderungen an Studierende, Lehrende und Forschende wie an die Verwaltungen. Deshalb muss ihnen allen unser großer Respekt für ihren enormen Einsatz gelten."

    Es wurde bisher viel zu den Studierenden und den Lehrenden (inkl. Professor*innen) erklärt und geschrieben.
    Vielleicht wäre es an der Zeit, den Blick auch einmal auf die vielen Beschäftigten in Technik und Verwaltung zu richten (Gastbeitrag?).

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Montag, 20 April 2020 13:40)

    @Oliver Locker-Grütjen: Mein Eindruck ist schon, dass die Verwirrung um den Start des Lehrbetriebs ging. Weil eben nicht alle Hochschulen erst am 20. April verschoben in die Vorlesungszeit eingestiegen sind. Viele Grüße

  • #3

    Christian Wartena (Dienstag, 21 April 2020 18:09)

    "In vielen Bundesländern und an den meisten Hochschulen stimmt das ja auch. Aber an vielen eben auch nicht."

    Es gibt hier eine ziemlich klare Zweiteilung. Normalerweise starten fast alle Unis (Ausnahmen sind u.a. Lübeck und Mannheim) nach Ostern und startet die Vorlesungszeit an den Fachhochschulen immer am 1. März. An den FHs liefen die Vorlesungen also schon als der Lock-down kam.

  • #4

    Patrick Hintze (Donnerstag, 23 April 2020 09:04)

    Abgesehen von der spezifischen Situation der Fachhochschulen stellt sich auch die Frage, wie sinnvoll unterschiedliche Startzeitpunkte an ein und derselben Hochschule sind. Mit Blick auf polyvalente Lehrveranstaltungen, die zum Teil zulassungsbeschränkte und zum Teil nicht zulassungsbeschränkte Studiengänge bedienen, müssten diese zwangsläufig zum späteren Zeitpunkt starten. Hinzu kommt, dass sämtliche Angebote im Studieneingang zur Orientierung und Beratung gewissermaßen zwei Mal anlaufen müssten. Der Hochschulbetrieb erfordert Planungssicherheit. Ein solches Hin und Her bewirkt genau das Gegenteil.