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Noch 'ne Idee

Kürzere Sommerferien? Gleiche digitale Endgeräte für alle Schüler? Täglich produziert die Corona-Bildungsdebatte neue Vorschläge. Nicht alle sind wirklich zu Ende gedacht.

Foto: pxfuel.

WENN GAR NICHTS mehr geht, geht immer noch eine Debatte über Schulferien. Diese Wahrheit in der Bildungsberichterstattung bewahrheitet sich erneut, seitdem Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) zur Verkürzung der Sommerferien aufgerufen hatte – "damit die Schüler das während des Corona-Shutdowns Versäumte nachholen können".

 

Unvermeidbar dem bekannten Feriendebatten-Skript folgend, griffen erst zahlreiche Zeitungen den Appell auf, um kurz darauf über die nacheinander eingehenden Absagen der Kultusminister zu berichten: "Nicht zur Diskussion" stehend, "nicht sinnvoll", "keine Lösung". In der nächsten Runde kommen die Stimmen, die fragen: Warum eigentlich nicht? Und: Wann bewegen sich die Kultusminister?

 

Sie werden sich vermutlich auch dieses Mal nicht bewegen, und das zu Recht. An Aktionismus besteht in diesen Tagen schon jetzt kein Mangel. Die viel wichtigere Aufgabe der Bildungspolitiker besteht darin, ihre Regierungschefs von einer weitreichenderen und schnelleren Öffnung auch der unteren Schulklassen zu überzeugen, als sie bislang geplant ist. Und parallel zusammen mit den Gesundheitsbehörden klare und realistische Hygiene-Richtlinien für die einzelnen Schulen und Altersstufen zu erarbeiten. Zudem müssen die Jugend- und Kultusminister dringend verlässliche Antworten von Virologen einfordern, was die tatsächliche Ansteckungsgefahr durch Kinder angeht. 

 

Parallel läuft eine zweite Debatte, die ebenso erwartbar war – denn auch sie läuft eigentlich schon seit Jahren, nur fehlte vielen Verantwortlichen bis zur Corona-Pandemie offenbar der Lösungsdruck.


Den Digitalpakt für Endgeräte
öffnen? Bitte nicht!

 

Der Deutsche Philologenverband fordert für alle Schüler einen Computer, damit Sie beim Homeschooling eine Chance auf Teilhabe haben. Deshalb müssten die Schulen allen Kindern die nötigen Geräte verleihen, möglichst im Klassensatz, "damit alle das gleiche Endgerät haben", wie Philologenverband-Bundesvorsitzende Susanne Lin-Klitzing ausführte. Das Geld dafür sei vorhanden – im 5,5 Milliarden schweren Digitalpakt. Allerdings müsse dafür die Deckelung fallen, dass nicht mehr als 20 Prozent des Geldes für digitale Endgeräte ausgegeben werden dürften. 

 

Ähnliche – gut gemeinte – Forderungen sind in diesen Tagen auch von anderen Kommentatoren zu hören. Doch beim genaueren Hinsehen tut auch dieser Debatte ein wenig Differenzierung gut. Erstens: Es kommt nicht so sehr darauf an, dass alle das gleiche Endgerät benutzen, solange sie alle den gleichen und sicheren Online-Zugang zu digitalen Lernangeboten haben. Anstatt also für alle Kinder Geräte anzuschaffen, sollte das knappe Geld für diejenigen ausgegeben werden, die sonst gar nichts zu Hause haben. Zweitens: Trotz dann vorhandener Endgeräte wird das Homeschooling nicht überall funktionieren, solange es Familien ohne ausreichend leistungsfähigen Internetzugang gibt.

 

Weshalb drittens so wichtig ist: Der heimische Zugang zum Internet ist wie die Ausstattung mit angemessenen Lernmaterialien eine Frage der individuellen gesellschaftlichen Teilhabe und nicht der Schulausstattung – weshalb die Finanzierung für beides aus dem Budget des Sozialministeriums und nicht des Bildungsministeriums kommen muss. Hier den nötigen Druck aufzubauen, wäre in der Tat richtig, wichtig und überfällig. Es wäre, siehe oben, auch schon vor Jahren richtig gewesen, nur stellte sich der Politik die Teilhabe-Frage in weitgehend nicht digitalisierten Schulen noch nicht so virulent (was die verschlafene Digitalisierung nicht besser macht).

 

Es stimmt eben nicht, dass es nur aufs Ergebnis ankommt, es geht auch um den Weg dorthin. Wenn anstatt für die digitale Infrastruktur jetzt plötzlich 30, 40, 50 Prozent oder mehr der Digitalpakt-Mittel für Endgeräte ausgegeben würden, die in wenigen Jahren veraltet sind, wäre die nachhaltige Wirkung der Milliarden gleich null. Beifall für einen solchen Vorschlag käme deshalb vor allem aus dem Bundesministerium von Hubertus Heil (SPD), weil es sich dann das Geld sparen könnte. Für die Bildungsgerechtigkeit würde eine solche Lösung am Ende aber nicht mehr, sondern weniger bedeuten. 


Offener Brief mit beeindruckender Unterzeichnerliste: Erst sozial benachteiligte Schüler in die Schulen zurückholen

In einem Offenen Brief an die Kultusministerkonferenz haben 35 namhafte Wissenschaftler, Bildungsexperten und Schulpraktiker heute gefordert, bei der schrittweisen Öffnung der Schulen die sozial benachteiligten Schüler zu priorisieren. Zuerst müssten diejenigen Kinder und Jugendliche an der Reihe sein, die in den bisherigen Wochen der Schulschließungen aus unterschiedlichen Gründen durch die Lernangebote der Schulen zu Hause nicht oder kaum erreicht worden seien. 

 

Wörtlich heißt es in dem Brief: "Da ohnehin nicht alle Schüler*innen gleichzeitig in die Schule zurückkehren können, sollte zunächst vor

allem denjenigen Kindern und Jugendlichen der Schulbesuch ermöglicht werden, die

eine besondere Unterstützung benötigen. Sie sollten die Chance bekommen, auch vor

der offiziellen Öffnung für alle Schüler*innen in den Räumen der Schule beim Lernen

von Lehrkräften betreut zu werden. Eine solche Maßnahme wäre rechtlich eine erweiterte Notfallbetreuung, die auf der Freiwilligkeit der Teilnahme beruhen müsste."

Manche der Eltern, deren Kinder noch länger nicht die Schule besuchen dürfen, würden eine solche Regelung möglicherweise als Benachteiligung empfinden. "Die Maßnahme sollte deshalb für den Zeitraum gelten, bis alle Kinder und Jugendlichen die Schulen wieder besuchen können." Außerdem bedürfe sie einer überzeugenden Kommunikation. "Es geht um mehr Bildungsgerechtigkeit. Wir gehen davon aus, dass eine solche Entscheidung bei vielen Menschen in Deutschland auf hohe Akzeptanz stoßen wird."

 

Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem Erziehungswissenschaftler und Bildungsforscher wie Jürgen Baumert, Yasemin Karakaşoğlu, Klaus Klemm, Eckhard Klieme, Olaf Köller und Kai Maaz, die ehemalige Vorsitzende des KMK-Schulausschusses Cornelia von Ilsemann, die Ex-Schulsenatorin von Berlin, Sybille Volkholz, der frühere Hamburger Staatsrat für Bildung, Michael Voges, der ehemalige Berliner Leitende Oberschulschulrat  Siegfried Arnz, aber auch die Schulleiter zahlreicher Gewinnerschulen des Deutschen Schulpreises. 



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Kommentare: 3
  • #1

    Stefan (Montag, 20 April 2020 14:48)

    Ich habe ja gehofft, in so einem Blog Argumente zu finden, warum eine spätere Schulöffnung und eine Verkürzung der Sommerferien keine gute Idee ist. Habe leider keins gefunden, sondern nur eine Gegenforderung. Das ist etwas dürftig.

    Eine verspätete Öffnung der Schulen auch nur von einigen Wochen zusammen mit einer Verlängerung einiger Einschränkungen würde die Covid-19-Lage deutlich verbessern und hinterher die Folgen für Gesundheit und Wirtschaft minimieren. Das geht nur, wenn man die Basis-Reproduktionszahl so niedrig wie möglich bekommt und nicht zu früh solche Forderungen aufstellt. Die Untersuchungen des RKI deuten darauf hin, dass die Schulschließungen einen signifikanten Beitrag zur Reduktion der Ausbreitung geleistet hat.

    Natürlich sehe ich auch die negativen Folgen für Schülerinnen, Schüler und die Schulen. Aber auch die Schüler haben Großeltern, die sie lieben!

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Montag, 20 April 2020 15:29)

    @Stefan: Die Kritik nehme ich an. Ich habe einfach angesichts der vielen Artikel zu dem Thema, die ich schon geschrieben habe, vergessen, das nochmal auszuführen. Also: Der Streit um ein neues Rotationsprinzip bei den Sommerferien vor einigen Monaten hat den beteiligten Ministern viel Mühe gebracht, bislang und wohl auch endgültig aber nichts verändert. Weil keiner ohne den anderen verlegen kann. Weil die davon abhängigen Regelungen und Gewohnheiten, und (gedacht) ererbten Anrechte so stark sind, dass sie sich am Ende blockieren. Darüber kann man sich ärgern, es falsch finden, aber die Realität ist so. Bei einer Entscheidung über eine Verkürzung der Sommerferien im aktuelle Fall kämen die Interessen und der Druck weiterer Akteure hinzu: Lehrerverbände, Gewerkschaften, Touristikunternehmen, Hortkräfte, Schulbusunternehmen – sicher noch viele mehr, an die ich gerade nicht denke. Da fehlt mir einfach die Phantasie, dass ich eine solche Verkürzung durchziehen ließe. Gleichzeitig würde allein der Versuch so viel Energie der Kultusminister binden, dass sie bei den – aus meiner Sicht – eigentlich wichtigen Initiativen fehlen würde. Und diese habe ich erwähnt. Ich hoffe, das macht es klarer!

    Viele Grüße
    Ihr J-M Wiarda

  • #3

    Stefan (Montag, 20 April 2020 17:49)

    Hallo Herr Wiarda,
    danke für die Präzisierung. Mir will aber nicht in den Kopf, dass man sich in einer solchen Lage nicht auch mal gegen die Interessenverbände durchsetzen kann. Das Motto, "Das haben wir schon immer so gemacht, das haben wir noch nie anders gemacht, da könnte ja jeder kommen." ist in dieser Pandemie kein guter Ratgeber. Als ich Touristikunternehmen las: Ja, die werden große Schwierigkeiten haben und sie brauchen wirklich Hilfe. Aber allein die Idee, dass die Leute in den kommenden Sommerferien fahren, ist schon ziemlich absurd. Vor allem Auslandsreisen werden definitiv ausfallen. Und viele Länder werden Reisende aus Deutschland gar nicht reinlassen.

    Warum sehen Sie die Gewohnheitsrechte hier als Sachzwang und fragen sich nicht lieber, was die Mitbürger am meisten schützt und wie wir die Auswirkungen der Pandemie so schnell runterkriegen, dass ein halbwegs normales Leben tatsächlich wieder möglich wird. Ein paar Wochen könnten da sehr helfen.

    Am Schlimmsten wäre es auch für die Schulen, wenn sie wieder schließen müßten.

    Und nein, Virologen können keine Auskünfte auf Bestellung geben. Man weiß noch nicht genug darüber, wie die Ansteckung bei Schülern verschiedenen Alters verläuft. Und es kann am Ende auch sehr unterschiedlich sein, ob jemand sechs oder 19 Jahre als ist.

    Sobald solche Erkenntnisse abgesichert gewonnen sind, hier oder im Ausland, kann man adäquat darauf reagieren. Davor sollte man ruhig zugeben, dass niemand alles weiß und Vorsicht deshalb die bessere Entscheidung ist.