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Denkt an die Azubis!

Kurzarbeit, Betriebsschließungen, Wirtschaftskrise: Damit 2021 nicht womöglich zehntausende Ausbildungsplätze wegbrechen, möchte der DGB einen Schutzschirm für Ausbildung aufspannen – gemeinsam mit Bund, Ländern und Arbeitgebern. Ein Gastbeitrag von Matthias Anbuhl.

Foto (Symbolbild): Pixabay/MLinderer.

WÄHREND UNSERE GESELLSCHAFT aus gutem Grund kontrovers über die Öffnung von Kitas und Schulen diskutiert, droht im Schatten der Debatte eine handfeste Bildungskatastrophe. Die Corona-Krise hat die berufliche Bildung erfasst. Berufsschulen bleiben zu. Betriebe müssen dichtmachen oder Kurzarbeit anmelden. Wie groß das Ausmaß der Krise ist, verdeutlichen zwei Zahlen: Insgesamt bilden nur noch knapp 430.000 Betriebe in Deutschland aus – schon Mitte April haben hingegen rund 725.000 Unternehmen Kurzarbeit angemeldet. Das ist besonders dramatisch, denn in diesen Wochen werden eigentlich die Ausbildungsverträge für das kommende Ausbildungsjahr geschlossen, das zum 1. August oder 1. September beginnt. Kurzum: Es drohen drastische Rückgänge bei den Ausbildungsverträgen.

 

Einen solchen Einbruch darf sich unsere Gesellschaft nicht erlauben. Wirtschaftsminister Peter Altmaier muss daher schleunigst zu einem Spitzentreffen der Allianz für Aus- und Weiterbildung einladen, in der sich Bund, Länder, Gewerkschaften und Arbeitgeber zusammengefunden haben. Sollen nicht weite Teile der jungen Generation ihrer Zukunftschancen beraubt werden, müssen die Allianz-Partner gemeinsam einen "Schutzschirm für Ausbildung" entwickeln.


Matthias Anbuhl, 49, ist seit Januar 2009 Leiter der Abteilung für Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Foto: DGB.


Kommt der Schutzschirm nicht, drohen sich die ohnehin schon bestehenden sozialen Ungleichheiten auf dem Ausbildungsmarkt drastisch zu verschärfen. Während Abiturienten sich ihren Ausbildungsbetrieb in aller Regel aussuchen können, blieb Jugendlichen mit Hauptschulabschluss schon vor der Corona-Krise die Hälfte der Ausbildungsberufe faktisch verschlossen. Das bestätigt ein Blick auf erste Zahlen aus dem Berufsbildungsbericht 2020, den die Bundesregierung in den kommenden Wochen beschließen will. Nur knapp jeder zweite Hauptschüler 


schafft nach der Schule direkt den Sprung in Ausbildung. Jeder dritte Hauptschüler bleibt nach den amtlichen Statistiken dauerhaft ohne Berufsabschluss.

 

Schon vor der Krise waren 50.000
Ausbildungsbetriebe verloren gegangen

 

Schon bevor die Pandemie begann, zeichnete sich auf dem Ausbildungsmarkt keine Entspannung ab. Auch das zeigt der Berufsbildungsbericht: Nur noch knapp jedes fünfte Unternehmen in Deutschland stellt Auszubildende ein. Binnen eines Jahrzehnts sind mehr als 50.000 Ausbildungsbetriebe verloren gegangen. Dabei handelt es längst nicht nur um Kleinbetriebe. Auch die DAX 30-Konzerne haben nach einer Erhebung des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) zwar Milliarden-Dividenden an ihre Aktionäre ausgezahlt, aber zeitgleich die berufliche Ausbildung zurückgefahren. Es gibt also genügend Herausforderungen, die jetzt einen Schutzschirm für Ausbildung erfordern.

 

Der DGB hat dafür konkrete Vorschläge vorgelegt. Jugendliche sollten in Zeiten des Shutdowns sicher sein, ihre Ausbildung abschließen zu können. Die Betriebe sind schon jetzt per Gesetz dazu verpflichtet, alle Mittel und Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Ausbildung auch in Zeiten der Kurzarbeit weiter zu gewährleisten. Durch das Umstellen des Ausbildungsplanes oder durch das Vorziehen anderer Lehrinhalte könnte hier der Zeitrahmen der Ausbildung anders gestaltet werden. Ist eine Lehrwerkstatt vorhanden, kann die Ausbildung dort fortgesetzt werden. Eine mögliche Lösung in der Krise ist auch die Verbundausbildung: Meldet ein Betrieb Kurzarbeit an, kann er Teile der Ausbildung an einen anderen Betrieb auslagern. So erreicht der Auszubildende einen vollwertigen Berufsabschluss und die Wirtschaft sichert sich Fachkräfte für die Zeit nach der Krise. Der Bund sollte dieses Model in der Krise finanziell fördern.

 

In den kommenden Wochen könnte die Zahl der Insolvenzen stark steigen. Dann wird es womöglich für viele Auszubildende schwierig, in anderen Betrieben unterzukommen. Ein staatlicher Zuschuss für Firmen, die Auszubildende übernehmen, kann hier helfen. Der DGB schlägt vor, diesen Übernahmebonus vorerst bis zum 31. Dezember 2020 zu befristen. Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Krise, und es gibt keinen Grund, Unternehmen für immer und ewig Staatsgeld zu geben, wenn sie Auszubildende aus Insolvenzbetrieben übernehmen.

 

In Oberhausen, Bochum, Hameln oder Eberswalde
darf keine abgehängte Generation heranwachsen

 

Schon vor der Corona-Epidemie existierten erhebliche regionale Unwuchten auf dem Ausbildungsmarkt. Besonders schwierig ist die Lage im Ruhrgebiet, in den mittleren Städten Hessens und Niedersachsens sowie im Norden Schleswig-Holsteins. Wir dürfen nicht zulassen, dass in Oberhausen, Bochum, Hameln, Flensburg oder Eberswalde eine abgehängte Generation heranwächst. Die Zahl der Problemregionen dürfte wegen Corona weiter wachsen. Hier muss der Staat zumindest in den kommenden beiden Jahren neben der betrieblichen Ausbildung auch außerbetriebliche Plätze anbieten. Dabei müssen Arbeitgeber und Gewerkschaften eng einbezogen werden, damit nur Angebote in zukunftsträchtigen Ausbildungsberufen entstehen.

 

Entscheidend für die weitere Entwicklung des Ausbildungsmarktes wird sein, wie Anreize für mehr betriebliche Ausbildungsplätze unter den schwierigen Bedingungen entwickelt werden können. Deshalb spricht sich der DGB für einen bundesweiten Zukunftsfonds aus, der alle Branchen umfasst. Aus diesem Fonds könnte zum Beispiel die Übernahme von Auszubildenden aus insolventen Betrieben bezahlt werden.

 

Eine gute Ausbildung ist eine zentrale Voraussetzung für gute Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe. Gelingt es uns nicht, einen drastischen Einbruch auf dem Ausbildungsmarkt zu verhindern, werden die Fliehkräfte in unserer Gesellschaft weiter zuzunehmen. Schon heute fühlen sich viele ausbildungslose Jugendliche von den demokratischen Parteien vernachlässigt. Der Schutzschirm für Ausbildung gehört daher ganz nach oben auf die politische Agenda. 



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