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"Deutsche Meisterin für Lückenschirme"?

Grüne und GEW kritisieren Bundesbildungsministerin Anja Karliczek: Sie habe bei den Corona-Erleichterungen für Promotionsstipendiaten die am meisten benachteiligten Personengruppen ausgespart.

ES KLINGT NACH einer großzügigen Regelung: Das Bundesbildungsministerium erlaubt, dass Promotionsstipendien um bis zu ein Jahr verlängert werden können – wenn die Stipendiaten glaubhaft machen, dass ihre Dissertation wegen der Corona-Pandemie Verzögerungen erlitten hat. 

 

So hat es das BMBF bereits am 19. März allen Begabtenförderwerken mitgeteilt, so hat es der parlamentarische Staatssekretär im BMBF, Michael Meister (CDU), jetzt noch einmal auf eine schriftliche Anfrage des Grünen-Abgeordneten Kai Gehring bestätigt. Meister erläutert: "Pandemiebedingte Gründe bestehen insbesondere, wenn aufgrund der Schließung von Bibliotheken kein Zugang zu für die Fortführung der Arbeit notwendiger Literatur besteht oder die Gewinnung von erforderlichen Daten durch Befragungen oder Experimente nicht möglich ist.“ Zusammen mit den bereits vorhandenen Regeln, betont Meister, bestünde damit "für alle Stipendiatinnen und Stipendiaten flexible Verlängerungsmöglichkeiten bis zum Erreichen der Förderhöchstdauer."

 

Für alle Stipendiatinnen und Stipendiaten? Nein, sagt Kai Gehring: "Wer in der Vergangenheit das Stipendium verlängert bekommen hat, um Kinder zu betreuen und Eltern zu pflegen, den lässt Ministerin Anja Karliczek jetzt im Regen stehen." Denn: "An der Förderungshöchstdauer wird nicht gerüttelt."

 

GEW: "Ein Schlag ins Gesicht 

ambitionierter Doktorandinnen und Doktoranden"

 

Regulär werden Promotionsstipendien für zwei Jahre vergeben, doch tatsächlich gab es bereits vor Corona eine Reihe von Ausnahmen, die eine Verlängerung ermöglichten: Da je nach Disziplin und Fächertradition vier Semester kaum zum Diss-Abschluss reichen, beantragen viele Stipendiaten schon bisher Extrazeit, mit Berufung auf einen "wichtigen Grund zur Sicherung des Fördererfolgs oder der Qualität des wissenschaftlichen Arbeitens". Zweimal sechs Monate können genehmigt werden – und das passiert auch ziemlich oft. Hinzu kommen die Möglichkeiten, auf die Gehring anspielt: Wer seine Kinder betreut oder seine Eltern pflegt, wer chronisch krank ist oder eine Behinderung hat, kann ebenfalls verlängern – bis zu einer Förderungshöchstdauer von vier Jahren. 

 

Insgesamt vier Jahre war bis Corona die Obergrenze – und bleibt es der Antwort des BMBF zufolge auch in Zukunft. Und genau das, sagt auch Andreas Keller, Vizevorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sei "fatal", weil dadurch "ausgerechnet eine Gruppe, die erst im Studium, dann in der wissenschaftlichen Karriere ohnehin benachteiligt wird, nicht mit coronabedingten Stipendienverlängerungen rechnen kann, sondern in den Abbruch ihrer Promotion getrieben wird." Denn die Betroffenen hätten ja schon vor Corona Verlängerungen bis zur Förderhöchstdauer erhalten. "Ein Schlag ins Gesicht ambitionierter Doktorandinnen und Doktoranden, ein Rückschlag im Kampf um Chancengleichheit in der Wissenschaft", sagt Keller und fordert: "Wir brauchen daher eine Anhebung der Förderungshöchstdauer."

 

Kai Gehring, der Sprecher seiner Fraktion für Forschung, Wissenschaft und Hochschule ist, sagt: Warum nicht an der Förderungshöchstdauer gerüttelt werde, könne auch Ministerin Karliczek nicht erklären. "Klar ist allerdings: Insbesondere Frauen werden benachteiligt und drohen, coronabedingt ihre Promotion abbrechen zu müssen, sobald die unveränderte Förderungshöchstdauer überschritten wird." Das sei "glasklar eine Benachteiligung", die dringend abgestellt werden müsse. 

 

BMBF: "Bundesregierung beobachtet
die aktuelle Entwicklung sehr genau"

 

Anna Görg promoviert in Politikwissenschaft, sie befindet sich im zweiten Jahr ihres Promotionsstipendiums bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Sie selbst könne von zu Hause weiter an ihrer Dissertation arbeiten, sagt das GEW-Mitglied Görg, sie empfinde sich selbst als "privilegiert in dieser Situation." Über die BMBF-Antwort regt sie sich dennoch auf – in ihrer Rolle als Stipendiatensprecherin. Gehring hatte dezidiert auch nach denjenigen Promovierenden gefragt, "die bereits die Förderhöchstdauer von vier Jahren oder Verlängerungen aufgrund chronischer Krankheit oder Betreuung eigener Kinder" bewilligt bekommen hätten – "und dieser Teil von Gehrings Frage", sagt Görg, "wird vom BMBF überhaupt nicht beantwortet. Da fehlt jeder Hinweis auf ein vorhandenes Problembewusstsein."

 

Das Ministerium von Anja Karliczek (CDU) teilt auf Anfrage mit, dass es sich zur Kritik der Grünen und der GEW nicht noch einmal gesondert äußern wolle, und verweist auf die gemachten Aussagen in der BMBF-Antwort an Gehring, die "für sich" stehe. Darin verspricht Staatssekretär Michael Meister: "Die Bundesregierung beobachtet die aktuelle Entwicklung sehr genau und wird soweit erforderlich weitere Maßnahmen ergreifen."

 

Doch die GEW findet, die BMBF-Maßnahmen griffen insgesamt zu kurz. Andreas Keller sagt: Anstatt von Doktoranden Einzelbelege zu verlangen, dass es durch Corona durch Verzögerungen in ihrer Dissertation gekommen sei und sie diese Zeit auch nicht durch ein Umplanen ihres Forschungsprojekts gutmachen könnten, müsse das Bildungsministerium eine pauschale Verlängerung beschließen. Nur dadurch erhielten die Stipendiaten Planungssicherheit und werde unnötige Bürokratie vermieden. Auch für BAföG-Empfänger fehle eine solche pauschale Corona-Regel weiterhin, mahnt der GEW-Vize. 

 

Der Grüne Gehring hat derweil noch eine Stelle in den Corona-Notregeln des BMBF ausgemacht, bei der das Ministerium seines Erachtens "geschludert" habe: beim Hinzuverdienst der BAföG-Bezieher. Wer im Supermarkt, als Erntehelfer oder im Krankenhaus arbeitet, also in sogenannten "systemrelevanten" Bereichen, bekommt sein Einkommen nicht auf die Ausbildungsförderung angerechnet. Aber: Diese Erleichterung gelte nur für Studierende, die ihren Job nach dem 1. März begonnen hätten, kritisiert Gehring. "Wer bereits länger dort tätig ist, unterliegt weiter der alten Verdienstanrechnung." Für den Grünen eine weitere Benachteiligung, die dringend abgestellt werden müsse. 

 

Gehring bilanziert: Für ihn sei Ministerin Karliczek "in der Krise mal wieder deutsche Meisterin für Lückenschirme."



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