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Seltsamer Zorn über den 500-Euro-Deckel

Das BMBF hat die Vergaberegeln zur Studierenden-Nothilfe bekanntgegeben und erntete erneut heftige Proteste. Diesmal allerdings zu Unrecht – denn der eigentliche Konstruktionsfehler bleibt ein anderer.

BEI DEN NOTHILFEN für Studierende wurde vergangene Woche die nächste Empörungsrunde eingeleitet. Nachdem es zuletzt um die Ausgestaltung des KfW-Darlehens und um weitere Verzögerungen beim Zuschuss ging, war diesmal eine neue Mitteilung aus dem Bundesbildungsministerium von Anja Karliczek (CDU) der Anlass. Darin erläuterte ihr parlamentarischer Staatssekretär Michael Meister (ebenfalls CDU), unter welchen Voraussetzungen bedürftige Studierende nicht rückzahlbare Hilfen aus dem 100-Millionen-Euro-Zuschusstopf erhalten sollen. Folgende Regel: Wer 0 Euro auf dem Konto hat, erhält die monatliche Maximalsumme von 500 Euro, beantragt werden kann sie drei Monate lang. Bei wem der aktuelle Kontoauszug 100 Euro zeigt, bekommt 400; mit 200 Euro Guthaben gibt es 300 Euro und so weiter. Wer mehr als 500 Euro hat, erhält demzufolge gar nichts. 

 

"Eine Bundesbildungsminister, die Nothilfe für #Studierende und #Bildungsgerechtigkeit verweigert, hat ihren Job verfehlt", twitterte der grüne Hochschulpolitiker Kai Gehring. "So handelt niemand, der helfen will", sagte Leonie Ackermann, Vorstandsmitglied des Studierenverbands fzs, der erneut Karliczeks Entlassung forderte. Und Manja Schüle, SPD-Wissenschaftsministerin von Brandenburg, forderte von Karliczek Nachbesserungen. "Viele (auch ich) haben (viel zu) lange für das Programm gekämpft. Dass man maximal 500 Euro auf Konto haben darf, um Hilfe zu bekommen, halte ich für völlig unrealistisch." 

 

Nun ist allerdings ausgerechnet der Zorn über die Art, wie das BMBF die Bedürftigkeit ermitteln will, dann doch seltsam. So gehörte der Nachweis einer Notlage unter anderem über den Kontostand schon bei den bisherigen Studierendenwerke-Notfonds zur gängigen Praxis. In Hamburg etwa wird Einsicht in die die Kontobewegungen der letzten sechs Wochen verlangt, das BMBF fordert die Kontoauszüge seit Februar bzw. März, also seit Beginn der Coronakrise. Und was den 500-Euro-Bedürftigkeitsdeckel angeht: Dass auch jemand, der mehr als 500 Euro auf dem Konto hat, sich trotzdem in einer Notlage befinden kann, würde wahrscheinlich selbst in Karliczeks Ministerium keiner bestreiten, weshalb der Vorwurf, hier gingen Zyniker ans Werk, wohl doch übers Ziel hinausschießt. Aber irgendwo mussten Karliczeks Beamte ja den Cut ansetzen.

 

Die Vergaberegeln zeigen erneut, wie unzureichend
die 100 Millionen insgesamt sind

 

Warum? Mit der Antwort auf diese Frage sind wir wieder beim eigentlichen Konstruktionsfehler der Überbrückungshilfe angelangt: weil sonst die 100 Millionen Euro absehbar nicht reichen würden. Anders formuliert: Wenn das Geld schon so knapp ist, ist es richtig, das Limit so niedrig wie möglich anzusetzen, damit zumindest die am absolut Bedürftigsten zum Zug kommen. Und indem bei einem höheren Kontostand weniger Geld gezahlt wird, können insgesamt mehr Leute zum Zug kommen als wenn, wie das Deutsche Studentenwerk (DSW) vorgeschlagen hatte, alle 500 Euro erhielten. 

 

Insofern handelte es sich vergangene Woche vielleicht auch gar nicht um eine neue Empörungsrunde. Vielleicht zeigen die Vergaberegeln, die in der Logik des Vorhandenen sogar mehr Gerechtigkeit bedeuten, nur noch einmal besonders deutlich, wie unzureichend das 100-Millionen-Gesamtvolumen ist. Und wie wichtig es gewesen wäre, mehr Geld in den Topf zu geben, denn dann hätte man Vergabekriterien, die ganz offenbar den Bedarf kleinhalten sollen, gar nicht gebraucht. Dass es nur 100 Millionen geworden sind, muss sich neben Karliczek und der Union freilich auch der SPD-Koalitionspartner zuschreiben lassen.

 

Hinzu kommt, dass es bislang keine belastbare öffentliche Ansage aus dem Bundesbildungsministerium gibt, was passiert, wenn der Topf trotz der engen Regeln irgendwann ausgeschöpft sein sollte, immerhin finanzieren sich ja zwei Drittel der Studierenden auch über Nebenjobs. Die Signale aus dem BMBF, dann werde womöglich nachgeschossen, sind so vage, dass die SPD, statt sich nur zu empören, jetzt lieber hier mit Nachdruck auf Klarheit drängen sollte. Tun die Sozialdemokraten es vielleicht deshalb nicht, weil sie selbst den Finanzminister stellen?

 

In den bisher nicht veröffentlichten Richtlinien zur Vergabe der Überbrückungshilfe steht jedenfalls wenig ermutigend: Die Gewährung des Zuschusses erfolge "innerhalb der verfügbaren Haushaltsmittel". Und: "Die Reihenfolge der Bearbeitung der Anträge richtet sich nach dem Zeitpunkt des Eingangs beim jeweiligen Studierenden- oder Studentenwerk." Anders gesagt: Wenn das Geld alle ist, ist Schluss.

 

Unterdessen tickt die Uhr weiter. Alle 57 Studierendenwerke müssen einen Antrag auf Einbeziehung ihrer Notfonds in die BMBF-Hilfe stellen. Bis Anfang dieser Woche, war zuletzt aus dem BMBF zu hören, sollten alle 57 damit durch sein. Außerdem teilte Karliczeks parlamentarischer Staatssekretär Michael Meister (CDU) nach einem Besuch im Bundestagsbildungsausschuss vergangene Woche mit, die Beantragung der Überbrückungshilfe solle ab dem 8. Juni möglich sein. Man beachte indes die Formulierung in Meisters Statement: Das Deutsche Studentenwerk (DSW), heißt es da, übernehme als Dachverband "die Abstimmung mit den Studierendenwerken vor Ort und die Beauftragung und Ausgestaltung des Online-Tools zur Beantragung." Und weiter: "Das DSW strebt an, die Beantragung der Mittel ab dem 8. Juni zu ermöglichen."

 

Dicke Fragezeichen
hinter dem 22. Juni

 

Das BMBF übernimmt also keine Verantwortung dafür, dass der 8. Juni tatsächlich zu halten ist, womit die Schuldfrage schon mal vorsorglich aufs DSW geschoben wird. Und einen Termin, wann die Studierenden an ihr Geld kommen, nannte Meister gar nicht erst. Im Hintergrund wird der 22. Juni erwähnt – aber Experten machen hinter dieses Datum noch dickere Fragezeichen. Denn ein fertiges Beantragungstool bedeutet noch längst keine fertige Antrags-Bearbeitungssoftware. Einige Wissenschaftsminister befürchteten bereits vor zwei Wochen, dass es Juli werden könnte, bevor die Hilfe ankommt. 

 

Die Corona-Überbrückungshilfe ist so ärgerlich, wie sie, vor allem in ihrer Umsetzung, für Bundesministerin Karliczek persönlich immer noch peinlicher wird. Die Sache mit der Bedürftigkeitsprüfung ist dabei jedoch das geringste Problem. 

 

Einige Landesminister sollte sich indes selbst nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Brandenburgs Manja Schüle etwa, die Karliczek zuletzt für die 500-Kontogrenze kritisierte, hatte in einem Tweet Ende April noch erfreut gezeigt, dass es jetzt "zumindest teilweise" einen Zuschuss gebe. Und, schrieb Schüle weiter versöhnlich: "Über Details kann man sich streiten". Danach kündigte die Ministerin postwendend an, das gerade erst versprochene, sehr großzügige eigene 25-Millionen-Hilfsprogramm für notleidende Studierende auf Eis zu legen, "um Chaos zu vermeiden", wie Schüle schrieb. Oder eher, weil der Landesfinanzministerin es so wollte? Brandenburger Studierende fordern jedenfalls jetzt, das Landesprogramm wieder auszumotten. Immerhin hat der Potsdamer Landtag beschlossen, die Nothilfefonds der Studierendenwerke aufzustocken – wenn das Bundesgeld alle ist. 



Nachtrag am 02. Juni 2020, 14 Uhr

 

Einer repräsentativen Umfrage zufolge haben rund 40 Prozent der deutschen Studierenden durch die Coronakrise ihren Job verloren. Der Personaldienstleister Zenjob hatte bundesweit 1837 Studierende bundesweit befragt, über die Ergebnisse berichteten zuerst die Zeitungen der Funke Mediengruppe. 22 Prozent der Befragten sahen sich nach dem Jobverlust außerstande, ihre Miete und ihre Rechnungen wie bislang zu zahlen, und mussten sich Geld bei ihrer Familie oder bei Freunden leihen. Ein Drittel der Befragten gab  an, ihre finanzielle Situation bereite ihnen sehr große Sorgen. 

 

Der hochschulpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Kai Gehring, sagte, die Bundesregierung müsse endlich eingestehen, dass sie die durch Corona ausgelöste Not der Studierenden unterschätzt habe. 40 Prozent der Studierenden entsprächen 1,2 Millionen jungen Menschen, "die teils gezwungen sind, aus finanziellen Gründen ihr Studium abzubrechen oder sich zu verschulden. Die Zahlen zeigen, dass die geplante Nothilfe der Bundesregierung hinten und vorne nicht reicht." Kaum eine Bundesregierung habe dermaßen Politik gegen die Jugend gemacht wie die jetzige. Gehring forderte erneut die vorübergehende Öffnung des BAföG für alle Studierenden – was Bundesbildungsministerin Karliczek bislang abgelehnt hatte. "Wenn die Bundesregierung weiter ihren Job vergeigt und die akute Notlage junger Menschen ignoriert, droht eine Ausbildungskatastrophe", sagte Gehring.

 

Ministerin Karliczek sagte auf Anfrage, die Folgen der Corona-Krise treffe viele "besonders hart. Das gilt auch für Studierende, von denen etwa zwei Drittel neben ihrem Studium erwerbstätig sind." Sie verwies darauf, dass die Bundesregierung das BAföG und die Regelungen für BAföG-Geförderte angepasst habe. Mit der "auf zwei Säulen gründenden Überbrückungshilfe" sei "ein ausgewogenes Unterstützungspaket" geschnürt worden. "Nachweislich besonders bedürftige Studierende ohne Anspruch auf andere ausreichende Unterstützung werden noch im Juni bei ihrem Studierendenwerk vor Ort eine Überbrückungshilfe in Form eines nicht rückzahlbaren Zuschusses beantragen können." Auf die erneut erhobene Forderung, doch noch das BAföG für alle Studierenden zu öffnen, ging Karliczek nicht ein, auch nicht auf die Debatte über die Maximalhöhe und Staffelung der Nothilfe-Zuschüsse. Karliczek betonte jedoch: "Die Bundesregierung unterstützt Studierende in Not.“

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