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KMK will Schulen offen halten, Wissenschaftsorganisationen fordern schnelles Handeln

Damit der Präsenzunterricht weiterlaufen könne, müsse sich die Gesellschaft als Ganzes nun im Privaten einschränken, fordert KMK-Präsidentin Hubig. Leopoldina, DFG & Co fordern Reduzierung der sozialen Kontakte auf ein Viertel.

DIE KULTUSMINISTERKONFERENZ (KMK) will die Schulen weiter offenhalten und beruft sich dabei unter anderem auf Erkenntnisse des Robert-Koch-Instituts (RKI). In ihrem am Dienstagnachmittag veröffentlichten Beschluss heißt es: "Die Kultusministerinnen und Kultusminister bekräftigen, dass das Recht auf Bildung von Kindern und Jugendlichen am besten im Präsenzunterricht in der Schule verwirklicht werden kann und Schulen als Orte auch des sozialen Miteinanders von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind." Dies müsse "oberste Priorität bei allen Entscheidungen über einschränkende Maßnahmen haben, die aufgrund steigender Infektionszahlen" zu ergreifen seien.

 

Der Beschluss fußt auf der KMK-Videoschalte vom vergangenen Freitag. Während die Stoßrichtung seitdem feststand, hatten die Kultusminister über die Details ihrer Erklärung verhandelt, weshalb diese bis Dienstag auf sich warten ließ.

 

Am Mittwoch wollen die Regierungschefs von Bund und Ländern mit neuen Beschlüssen auf die exponentielle Entwicklung bei den Corona-Neuinfektionen reagieren. Diskutiert wird unter anderem ein teilweiser Shutdown bei gleichzeitig weiter geöffneten Kitas und Schulen.  

 

Wissenschaftsorganisationen:
Kontakte auf ein Viertel reduzieren

 

Im Vorfeld der Beschlüsse meldeten sich gestern auch führende Wissenschaftsorganisationen zu Wort. In ihrem gemeinsamen Appell unter der Überschrift "Coronavirus-Pandemie: Es ist ernst" fordern die PräsidentInnen von Helmholtz, Max Planck, Leibniz, Fraunhofer sowie der DFG und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina klare Entscheidungen von der Politik, die schnell umgesetzt werden und nachhaltig sein müssten. Es sei notwendig, für etwa drei Wochen die Kontakte ohne Vorsichtsmaßnahmen auf ein Viertel zu reduzieren und dies in allen Bundesländern sowie in allen Landkreisen und Städten nach bundesweit einheitlichen Regeln durchzuführen. 

 

Wörtlich heißt es in der Erklärung: "Je früher eine konsequente Reduktion von Kontakten ohne Vorsichtsmaßnahmen erfolgt, desto kürzer können diese andauern und desto weniger psychische, soziale und wirtschaftliche Kollateralschäden werden diese verursachen." Da sich Deutschland im Vergleich zu seinen Nachbarn in einer etwas früheren Phase des Anstiegs der Fallzahlen befinde, bestehe jetzt noch die Chance, früher zu reagieren. Das Ziel müsse sein, die Fallzahlen so weit zu senken, dass die Gesundheitsämter die Kontaktnachverfolgung wieder vollständig durchführen könnten. Auch nach den akuten Maßnahmen müssten den ganzen Winter über konsequente Schutz- und Verhaltensregeln gelten und auch kontrolliert werden. 

 

Wie genau die von der Politik geforderte akute Reaktion aussehen sollte, sagen die Wissenschaftsorganisationen nicht im Einzelnen. 

 

Kultusminister: Schulen vergleichsweise
"sichere Orte"

 

Die KMK bekräftigte unterdessen in ihrem Beschluss, Kinder und junge Jugendliche seien "laut aktuellen Einschätzungen des RKI, den vorliegenden Studien und aufgrund der Erfahrungen an den Schulen keine Treiber der Pandemie". Corona-Infektionen würden oftmals von Erwachsenen von außen in die Schulen hineingetragen. Die Infektionszahlen in den Schulen bewegten sich derzeit bundesweit "im Promillebreich und damit auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau." Die Kultusminister betonen: Im Vergleich zu anderen Lebensbereichen seien die Schulen damit "als sicherere Orte anzusehen". Die Bildungspolitiker kündigen an, die Entwicklung weiter zu beobachten und "regelmäßig entsprechende Zahlen" zu erheben und zusammenzuführen. 

 

Aktuell legte die KMK allerdings noch keine bundesweiten Zahlen vor. 

 

Die Empfehlungen führender Wissenschaftler und wissenschaftlicher Verbände "wie etwa der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie sowie des RKI, wonach aufgrund von Indikatoren jeweils über die vor Ort erforderlichen Maßnahmen" zu entscheiden sei, dienten neben "möglichen landesspezifischen Regelungen" als zusätzlicher Orientierungsrahmen für die "flexible und verhältnismäßige Reaktion im Bereich der Schulen, die immer auch in Abwägung mit anderen Aspekten" erfolge.  

 

Den im KMK-Rahmenplan beschriebenen Infektionsschutz- und Hygienemaßnahmen komme weiterhin eine entscheidende Bedeutung zu. Daneben sei das fachgerechte Lüften unerlässlich und leiste "einen entscheidenden und wirksamen Beitrag zur Reduzierung des Infektionsrisikos in Unterrichtsräumen". In dem Zusammenhang verweist die KMK auf die vom Umweltbundesamt veröffentliche Handreichung "Lüften in Schulen", die die Bedeutung zusätzlicher Lüftungsgeräte gering einschätzt.  

 

Lehrerverbände: Kultusminister setzen Lehrkräfte und Schüler Gefahren aus

 

Am Dienstagvormittag hatte der Deutsche Lehrerverband (DL) die Politik aufgefordert, den Gesundheitsschutz für Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler in der Corona-Krise deutlich zu erhöhen. "Die Pandemiesituation wird sich nicht in kurzer Zeit bewältigen lassen, daher braucht es langfristige Lösungen und verlässliche Handlungsrichtlinien, um das Infektionsrisiko an den Schulen so gering wie möglich zu halten, die dort stattfindenden Kontakte zu beschränken und Abstände zu wahren", hieß es in der gemeinsamen Erklärung der im DL zusammengeschlossenen Lehrerverbände.

 

Im bisherigen Betrieb seit der Wiedereröffnung der Schulen, "oft ohne Abstandsregeln und Maskenpflicht", setzten die Kultusminister Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler Gefahren aus, "die auf offener Straße mit Bußgeldern belegt werden – ganz so, als ob es das Virus in den Schulen nicht gäbe". Lehrerverband-Präsident Heinz-Peter Meidinger kommentierte: "Wir sagen: Schulen offen halten: Ja – angepasst an das aktuelle Infektionsgeschehen. Aber Schulen im Vollbetrieb um jeden Preis: Nein! Jetzt braucht es verantwortungsvolles Handeln, weitere Infektionsschutzmaßnahmen und Handlungsrichtlinien bei steigenden Infektionszahlen, sonst drohen in der Konsequenz wieder flächendeckende Schulschließungen."

 

Auffällig ist, dass im KMK-Beschluss kein Bezug auf Stellungnahmen der Gesellschaft für Virologie genommen wird. Diese hatte in einer Erklärung im August vor der "Vorstellung, dass Kinder keine Rolle in der Pandemie und in der Übertragung spielen", gewarnt und unter anderem Unterricht in Kleingruppen und einen Mix aus Präsenzunterricht und Heimarbeitseinheiten vorgeschlagen.

 

Auch auf eine einheitliche bundesweite Maskenpflicht im Unterricht und weitere Maßnahmen (siehe meine Vorschläge hier) verständigten sich die Kultusminister nicht. 

 

KMK-Präsidentin Stefanie Hubig sagte:" Jetzt ist die Zeit, Prioritäten zu setzen. Wir alle müssen uns im Privaten einschränken, müssen auf Feiern, Treffen mit Freunden und vielleicht auch auf Hobbys verzichten, damit unsere Kinder und Jugendlichen die Bildung erhalten können, die ihnen zusteht. Das ist unsere bildungspolitische, das ist aber auch unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe", sagte Hubig, die im Hauptjob SPD-Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz ist. 

 

Neue Anti-Corona-Maßnahmen könnten
am 4. November in Kraft treten

 

DL-Präsident  Meidinger kritisierte die KMK-Erklärung laut SPIEGEL als "weitgehend inhalts- und substanzlos". "Sie gebe keinerlei Antworten "auf die drängenden Fragen, wie an den Schulen auf das stark anwachsende Infektionsgeschehen in Deutschland zu reagieren ist".

 

Laut Beschlussvorlage für die heutige Konferenz der Regierungschefs sollen die strengeren Maßnahmen am 4. November in Kraft treten und den ganzen November über gelten. Demzufolge sollen Bars, Restaurants, Kneipen und Freizeiteinrichtungen schließen und auch Veranstaltungen verboten werden. Der Tourismus soll eingeschränkt und die persönlichen Kontakte der Menschen "auf ein absolutes Minimum" beschränkt werden. Bildungseinrichtungen würden den Plänen zufolge offenbleiben.

 

Zuletzt hatte auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gefordert, in einem Teil-Shutdown von zwei Wochen bundesweit Einrichtungen zu schließen, "Restaurants, Bars, Kneipen, alle Kulturstätten, Fitnessstudios, Vereine" - Schulen, Kitas und essenzielle Geschäfte aber offenzulassen

 

Die Infektionszahlen bei Kindern und jungen Jugendlichen entwickeln sich seit vielen Wochen und auch aktuell unterdurchschnittlich. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Bernd Käpplinger (Mittwoch, 28 Oktober 2020 08:34)

    Vielen Dank für den Artikel. Was wird mit Bildungseinrichtungen wie Schulen für Erwachsene, Volkshochschulen etc. passieren? Die sind auch sehr wichtig und sollten auch offen bleiben.
    Oder endet Bildung mit 18 Jahren in Zeiten des eigentlich Lebenslangen Lernens?