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Showdown kurz vor Weihnachten

Drohen der europäischen Forschungsförderung sieben magere Jahre? Eine berechtigte Sorge – doch dafür müsste überhaupt erst einmal ein EU-Haushalt zustande kommen. Ein Gastbeitrag von Jan Wöpking.

Das Berlaymont-Gebäude ist der Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel. Foto: Pxhere.

ENTSCHEIDENDE TAGE für Europas Wissenschaft oder auch: Und täglich grüßt das Murmeltier. Denn seit zwei Jahren wiederholt sich das Ritual. Gipfel, Showdown, Ergebnisverkündung und drei Wochen später steht wieder alles in Frage. 

 

Schon 2018 begann die Diskussion über das Budget für das nächste europäische Forschungsrahmenprogramms, Horizon Europe. Im Auftrag der EU-Kommission hat damals eine Expertenkommission unter Pascal Lamy ein Budget von mindestens 120 Milliarden Euro als absolut notwendig empfohlen: "Anything below that would break momentum and call into question the EU’s commitment to deliver on its political priorities." Zwei Jahre später und inmitten einer globalen Pandemie wurde der Ansatz auf 85 Milliarden heruntergekürzt. Darin enthalten sind bereits fünf Milliarden aus dem Wiederaufbaupaket, die allerdings zweckbestimmt für Digitalisierungs- und Gesundheitsprojekte sind. Und beinahe wären es statt 85 sogar nur 81 Milliarden gewesen, wenn nicht das Europäische Parlament den 27 Regierungschefs in zähen Runden noch eine Aufstockung um weitere vier Milliarden abverhandelt hätte, unterstützt durch laute Appelle der Wissenschaftscommunity. 

 

Doch langsam läuft die Zeit auch in Brüssel ab. Ab morgen beginnen wieder intensive Verhandlungen. Denn auf drei großen Baustellen müssen bis Jahresende zwingend Lösungen her: Beim mehrjährigen Finanzrahmen, beim Post-Brexit Verhältnis zu Großbritannien und bei der Verteilung der Zusatzmilliarden. Besonders betroffen davon: Das Flaggschiff europäischer Forschungspolitik überhaupt, der European Research Council (ERC). 

 

1. Budgets und Vetos

 

Dass Horizon Europe überhaupt wie geplant Anfang 2021 starten kann, ist noch nicht sicher. Denn vorher müssen der 7-Jahres-Haushalt in Höhe von 1,1 Billionen Euro sowie der kreditbasierte Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro einstimmig von allen 27 Ländern bestätigt werden. Ungarn und Polen drohen mit einem Veto, sollte nicht die gerade erst vom Parlament durchgesetzte Verschärfung des Rechtsstaatsmechanismus wieder zurückgenommen werden.

 

Machen die übrigen Regierungschefs den Polen und Ungarn dieses Zugeständnis, will jedoch umgekehrt das Parlament dem Haushalt nicht mehr zustimmen. Es droht, erstmals seit 1998, ein provisorischer Nothaushalt. Doch aus diesem können nur laufende, aber keine neuen Projekte finanziert werden. Jean-Erik Paquet, Generaldirektor Forschung der EU-Kommission, hat deshalb auf Twitter gewarnt: "If EU countries fail to agree on the long-term #EUbudget by 2021, there is NO possibility for new research & innovation activities as of January, both for #H2020 and #HorizonEU. If there is no budget, there is no programme." Solch ein Shutdown für Europas Forschung hätte gravierende Folgen.

 

2. Brexit und Bündnisse

 

Trotz aller Budgetkürzungen sind viele forschungsstarke Nicht-EU-Länder weiter an einer Assoziierung zu Horizon Europe interessiert. Am liebsten wollen auch sie schon ab Januar 2021 dabei sein. Bislang sind nicht einmal die Konditionen dafür klar. Grund dafür ist der Brexit. Solange nicht entschieden ist, ob und wie sich das Vereinigte Königreich assoziieren wird, geht es auch bei Partnern wie Schweiz und Israel nicht voran. Womit sie alle davon abhängen, ob es einen Post-Brexit Trade-Deal gibt. Hier sind bereits mehr Deadlines gerissen worden, als man noch zählen kann. Schon jetzt kursiert in Brüssel der Witz, dass eine Entscheidung nicht vor dem 31. Dezember, 23:59 Uhr zu erwarten sei. Und wenn es ein Handelsabkommen gibt, assoziiert sich Großbritannien dann? Das hängt vor allem vom Geld ab: Sicher ist, dass das Vereinigte Königreich mehr zahlen muss, die Frage ist nur, ob der Preis von den Briten am Ende als zu hoch empfunden wird. Noch sei aber nicht alle Hoffnung verloren, hört man, und selbst bei einem No-Deal könnte es später doch noch eine Assoziierung geben, theoretisch jedenfalls. 

 

Das hört man gern, denn eine Assoziierung wäre für beide Seiten ein klarer Win-Win. Die EU braucht starke Partner, und die brauchen die EU. Denn spätestens die Corona-Pandemie zeigt, dass Forschung auch geopolitisch gedacht werden sollte. Spaltet sich der Forschungskontinent Europa, profitiert vor allem erst einmal China. 

 

3. Zwei Milliarden versus sieben magere Jahre

 

Und inmitten dieser Konfliktlinien steht der ERC, der Europäische Forschungsrat, Europas Vorzeigeförderinstitution für themenoffene Spitzenforschung, eine Nobelpreisfabrik, weltweit anerkannt und oft kopiert. Großbritanniens Assoziierungsinteresse ist in der Teilnahme am ERC begründet. Und sollte das nicht klappen, liegen die Pläne für einen eigenen UK-basierten Discovery Fund schon in der Schublade. So wie der ERC soll er werden, only even better, vielleicht mit noch großzügigerer Förderung. 

 

Und in Europa? Dort drohen dem ERC sieben magere Jahre. Im aktuellen Budgetansatz würde der ERC laut eigener Berechnung von 2021 bis 2027 pro Jahr im Schnitt etwas weniger als 2020 erhalten. Er tritt also auf der Stelle. Dabei gibt es schon jetzt weit mehr exzellente Projekte, die den hochkompetitiven Kriterien des ERC genügen, als Fördergelder zur Verfügung stehen. Europa verschenkt hier Jahr für Jahr riesiges Potenzial, verzichtet auf Topforschung und internationale Toptalente. Ist das die Basis für eine kraftvolle Zukunft nach der Pandemie?

 

Der ERC hat deshalb in leidenschaftlichen Appellen um mindestens zwei Milliarden Plus geworben, um das Gespenst eines Stillstands abzuwenden. Dafür müssten die vier zusätzlichen Horizon-Milliarden überwiegend an Programmsäule 1 "exzellente Forschung" gehen. Das fordern auch diverse Wissenschaftsverbände und die Kampagne "Rescue Horizon Europe".

 

Was der ERC leistet, mag ein Beispiel verdeutlichen: Die Hoffnungen der Welt ruhen aktuell auf einem Impfstoff gegen Corona. Führend in dieser Entwicklung ist die Firma BioNTech, geleitet von Özlem Türeci und Uğur Şahin. Biontech ist aus mehreren Jahrzehnten exzellenter Grundlagenforschung an der Mainzer Universität entstanden. Ziel der Firma ist eine personalisierte Krebstherapie. Der Corona-Impfstoff ist eigentlich nur ein Nebenprodukt der dabei entwickelten Methoden. Im Jahr 2017 bewarb sich Professor Sahin für einen der hoch umkämpften ERC Advanced Grants. Und war erfolgreich. 

 

Das Beispiel zeigt dreierlei. Erstens ist die oft beschworene Trennung von Grundlagenforschung und Innovation längst von der Wirklichkeit überholt. Zweitens: Exzellente, themenoffene Forschung ist die beste Vorsorge für kommende Krisen, ob wir sie bereits kennen (Klimawandel) oder nicht einmal erahnen können. Sie ist aber vor allem ein Versprechen für die Zukunft, gibt Mut und stiftet Zuversicht. Und drittens: Die Geschichte von Impfstofffirmen wie BioNTech und CuraVac lehrt, dass es manchmal etwas dauert, bis neugiergetriebene Spitzenforschung wirkt. Dafür dann aber richtig. Und wenn man sich anschaut, wie wichtig Forschung in Europa gerade dafür ist, eine Jahrhundertkrise in den Griff zu bekommen, dann sind die zwei geforderten Milliarden (auf sieben Jahre, für ganz Europa!) ein mehr als fairer Preis für Aufbruch statt Stillstand.

 

Ab morgen gilt es 

 

Ab morgen tagen die Regierungschefs der 27 Mitgliedsstaaten, und das Haushaltsveto Ungarns und Polens wird im Zentrum der Gespräche stehen. Parallel treten die Verhandlungen über die Verteilung der vier Extra-Milliarden für Horizon in die heiße Phase. Und Boris Johnson wird in Brüssel erwartet, um persönlich gemeinsam mit Kommissionspräsidentin von der Leyen nach einem letzten Ausweg für die festgefahrenen Brexit-Verhandlungen zu suchen. Hinter den Kulissen wird währenddessen um die Assoziierungsbedingungen für Großbritannien gerungen. In diesen Tagen, allerspätestens bis Jahresende, werden die Weichen für Europas Forschungszukunft gestellt. Noch ist nichts entschieden und immer noch viel zu gewinnen. 


Jan Wöpking ist Geschäftsführer
des Universitätsverbands German U15. Er begleitet die Verhandlungen um Horizon Europe seit längerem intensiv – unter anderem hier im Blog. 
Foto: privat. 



Update am 11. Dezember, 13 Uhr:

 

Und sie bewegt sich doch! Inzwischen hat die EU schon zwei der drei großen Baustellen aufgelöst. Gestern gab es eine Einigung über den nächsten EU-Haushalt 2021 bis 2027, nachdem Bundeskanzlerin Merkel einen Kompromiss mit Polen und Ungarn im Streit über den Rechtsstaatsmechanismus ausgehandelt hatte und beide Länder daraufhin ihr Veto zurückzogen. Horizon Europe kann also ab 1. Januar 2021 wie geplant starten. Und seit heute Vormittag ist offenbar auch die Aufteilung der vier Zusatzmilliarden geklärt, auch wenn die Details noch nicht bekannt sind. Sicher scheint aber: Der Europäische Forschungsrat (ERC) soll eine ganze Milliarde Euro mehr als bisher angedacht erhalten. Das liegt etwas unterhalb der Summe, die der ERC und vielen Wissenschaftsorganisationen gefordert hatten – aber dem Vernehmen nach ist es spürbar mehr, als noch zuletzt erwartet worden war.

 

Es bleibt damit eine letzte Großbaustelle: Die Frage der möglichen Assoziierung von Großbritannien zu Horizon Europe. Aber die hat es in sich, muss dafür doch zuerst geklärt werden, ob Großbritannien und die EU ein Post-Brexit Handelsabkommen bis Jahresende abschließen. Die Hoffnung darauf sinkt beinahe stündlich. Mittlerweile äußern sich sowohl Kommissionspräsidentin von der Leyen als auch Premierminister Johnson öffentlich sehr skeptisch über die Chancen einer Einigung. Beide haben angekündigt, sich verstärkt auf einen "No-Deal" vorzubereiten. Die Frage einer UK-Assoziierung wird dadurch sicher nicht einfacher.



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