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Die Blaupause für offene Schulen

Eine Gruppe von Wissenschaftlern und Betroffenen hat in einem einzigartigen Abstimmungsprozess Empfehlungen formuliert, wie Corona-Prävention und Präsenzunterricht sich nach dem Lockdown vereinbaren lassen. Morgen werden sie offiziell vorgestellt – und werden die Debatte um Schulöffnungen hoffentlich versachlichen.

Leere Grundschulklasse (Symbolbild). Foto: DALIBRI, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.

WENN DIE REGIERUNGSCHEFS von Bund und Ländern am Mittwoch über die nächsten Schritte in der Corona-Pandemie verhandeln, werden drei Fragen im Vordergrund stehen. Erstens: um welchen Zeitraum der Lockdown verlängert werden soll (die Anzeichen stehen auf zwei Wochen bis Ende Februar). Zweitens: wie der Stufenplan aussieht, den Merkel und die Ministerpräsidenten für ihr Treffen angekündigt haben, der eine nachvollziehbare Abfolge von Lockerungen und Verschärfungen aller gesellschaftlichen Bereiche jeweils abhängig vom Infektionsgeschehen beschreiben soll (erste Vorschläge aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein hierzu liegen vor). Und drittens: Können kleinere Kinder teilweise schon vor Ende Februar in Kitas und Grundschulen zurückkehren?

 

Besonders die dritte Frage wird vermutlich kontrovers diskutiert werden – so wie die Debatte um Schulen in Pandemiezeiten bislang insgesamt von besonders viel Streit, ungesicherten Annahmen und wenig Evidenz geprägt war, politisch wie gesamtgesellschaftlich. 

 

Deshalb sind die Empfehlungen, die eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen morgen Mittag im Bundesbildungsministerium präsentieren wird, in ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen. Nicht nur, weil sie praktikable "Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung in Schulen" beinhalten, sondern auch weil sie in einem beispielhaften (und in der Corona-Schuldebatte bislang vermissten) Austausch zwischen Repräsentanten aller relevanten wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Vertretern von Lehrern, Eltern und Schülern entstanden sind. Koordiniert hat die sogenannte "S3-Leitlinie" eine der führenden deutschen Public-Health-Expertinnen, Eva Rehfuess von der Ludwig-Maximilians-Universität München.

 

Es handelt sich zunächst um eine Kurzfassung, die möglichst schnell zur Verfügung stehen sollte und daher gesondert vorab verabschiedet wurde. Die Langfassung samt ausführlichem Report wollen die Experten extra beschließen und bald nachschieben. Und die Handlungsempfehlungen sollen künftig bei Bedarf aktualisiert und angepasst werden.

 

Schon die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Kurzfassung dürfte noch höher werden dadurch, dass sie transparent macht, an welchen Stellen die Empfehlungen auf wissenschaftlicher Evidenz beruhen (insgesamt 40 Studien flossen ein) und wo sie einen Konsens der insgesamt 31 stimmberechtigten Mitglieder der Leitliniengruppe darstellen. Wichtig: Auch wenn nicht immer alle Mitglieder allen Empfehlungen zustimmten, ergab sich durchgehend eine Quorum von 75 Prozent (in einem Fall) und mehr. Und unabhängig von ihrem Abstimmungsverhalten bei den einzelnen Empfehlungen tragen alle 31 beteiligten Organisationen die Leitlinie insgesamt mit.

 

Gelingt so der Einstieg in die Wiederöffnung der Schulen in einem neuen gesellschaftlichen Miteinander? 

 

Aber der Reihe nach. Was sind die wesentlichen Empfehlungen der S3-Leitlinie, worauf beruhen sie, und wer sind die Menschen hinter den Empfehlungen?

 

1. Weniger Schüler im Präsenzunterricht ab hohem Infektionsgeschehen

 

Die Leitliniengruppe hat abgestimmt und empfiehlt Maßnahmen anhand eines Vier-Stufen-Schemas (geringes, mäßiges, hohes und sehr hohes Infektionsgeschehen). Ab einem mäßigen Infektionsgeschehen sollten demnach Klassen, Jahrgänge und Lehrer in feste Kohorten aufgeteilt werden, Kontakte zwischen den Gruppen sollten vermieden werden. Bei einem hohen Infektionsgeschehen sollte es zusätzlich Wechselunterricht (eine Abfolge von Präsenz- und Distanzphasen) für alle Jahrgänge geben oder alternativ vollen Präsenzunterricht für die Grundschule und Distanzunterricht für höhere Jahrgänge. Bei sehr hohem Infektionsgeschehen sollten auch die Grundschüler zumindest in den Wechselunterricht gehen. Grundsätzlich sollten alle genannten Maßnahmen zuerst an weiterführenden Schulen umgesetzt werden, erst danach auch an Grundschulen.



Wichtig: Die Stufen-Empfehlung und die Maßgabe, Verschärfungen zunächst bei älteren Schülern vorzunehmen, beruhen vor allem auf der Einschätzung der Experten, die diese mit großen Mehrheiten so verabschiedet haben. Die wissenschaftliche Evidenz der genannten Maßnahmen in Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen in der Allgemeinbevölkerung schätzt die Leitlinie als "sehr niedrig" ein, soll heißen: Die gewonnenen Erkenntnisse stammten zu großen Teilen aus "Modellierungsstudien mit Qualitätsmängeln", für alle angenommenen Wirkungen sei die "Vertrauenswürdigkeit der Evidenz sehr niedrig oder niedrig". Doch gebe es "wahrscheinlich" einen großen Beitrag zum Infektionsschutz bei hohem und sehr hohem Infektionsgeschehen. 

 

Das ist übrigens eine Einschätzung, die sich aufgrund der systematischen Analyse der internationalen Studienlage durch die gesamte Leitlinie zieht: Die Evidenzbasierung ist grundsätzlich niedrig, die Forschungslage immer noch mangelhaft. Weshalb der Konsens der Experten so wichtig ist. 

 

Vorbildlich neben dieser Transparenz ist an den Empfehlungen auch, dass die Experten grundsätzlich den Nutzen und Schaden jeder Maßnahme abwägen und im Falle von Kohortierungen und Wechselunterricht zum Beispiel negative Auswirkungen anführen auf Bildungschancen, gesundheitliche Chancengleichheit, die psychische Gesundheit, das soziale Wohlbefinden bei Schülern, Lehrern, Eltern und Betreuenden und auch auf berufliche Einschränkungen für Eltern und Betreuende. Insgesamt, so die Experten, überwögen jedoch die angenommenen positiven Wirkungen bei hohem bzw. der hohen Infektionsgeschehen. 

 

2. Ab hohem Infektionsgeschehen sollen medizinische Masken in der Schule getragen werden.

 

Bei einer Enthaltung waren alle Experten der Auffassung, dass das "sachgerechte Tragen von Masken" durch Schüler, Lehrer und weiteres Schulpersonal in Schulen grundsätzlich umgesetzt werden solle – also auch bei niedrigem Infektionsgeschehen. Ab hohem Infektionsgeschehen sollten medizinische Masken zum Einsatz kommen. Bei Personen mit besonderem Risiko für schwere Krankheitsverläufe könnten FFP2-Masken erwogen werden (diese Empfehlung ging nur mit gut Dreiviertel der Stimmen durch). Außerdem sagte die Expertengruppe mit großer Mehrheit: Für Grundschüler könne bei mäßigen Infektionsgeschehen über Ausnahmen von der Maskenpflicht nachgedacht werden.

 

Wiederum gilt: Die wissenschaftliche Evidenz, dass der Maskeneinsatz in den beschriebenen Formen die Corona-Verbreitung einschränkt, wird in der Leitlinie als "sehr niedrig oder niedrig" eingeschätzt. Was nicht heißt, das die Empfehlungen der Experten aus der Luft gegriffen sind, sondern dass nach ihrer großen Mehrheit die wahrscheinliche Wirkung größer einzuschätzen ist als mögliche Schäden durchs Maskentragen. Es bedeutet aber eben auch, dass die Studienlage auch an dieser Stelle noch immer nicht ausreichend ist. 

 

3. Wie der Schulweg sicherer werden kann

 

Alle Experten stimmen darin überein, dass das Maskentragen im öffentlichen Verkehrsmitteln und in Schulbussen verpflichtend sein sollte. Außerdem sollten weniger Personen gleichzeitig unterwegs sein, etwa durch den Einsatz zusätzlicher Züge und Busse, einen versetzten Unterrichtsstart oder Wechselunterricht. Hierfür gibt es zusätzlich eine gewisse, aber wiederum nur "sehr niedrige" Evidenz durch Studien. Fast alle Experten sprechen sich außerdem dafür aus, ab einem hohen Infektionsgeschehen medizinische Masken in den Verkehrsmitteln vorzuschreiben. 

 

Wie immer nennt die Leitlinie neben dem Nutzen – wahrscheinlich großer Beitrag zum Infektionsschutz, zur Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichts, möglicherweise zur gesundheitlichen Chancengleichheit – auch wahrscheinliche Schäden: ökologisch durch den Gebrauch von Einmalmasken und den vermehrten Einsatz von Fahrzeugen, Unterrichtsausfall durch Wechselunterricht, "negative soziale Folgen" durch die Pflicht zum Tragen medizinischer Masken für ärmere Kinder. Doch überwögen die positiven Wirkungen. 

 

4. Musik- und Sportunterricht

 

Zu beiden Fächern wurden laut Leitlinie keine einschlägigen wissenschaftlichen Studien gefunden. Doch die Experten stimmen mit großer Mehrheit dafür, dass Musik- und Sportunterricht unter Auflagen auch unter Pandemiebedingungen stattfinden sollen. Musikunterricht in Innenräumen ohne Singen und den Einsatz von Blasinstrumenten, zumindest solange es sich nicht um Einzelunterricht handelt (hier gab es in der Expertengruppe offenbar größere Diskussionen, so dass nur Dreiviertel zustimmten). Draußen kann bei zwei Meter Mindestabststand auch gesungen und trompetet werden. Sportunterricht soll grundsätzlich im Freien, in kleinen und konstante Gruppen, aber ohne Masken stattfinden. Wird der Sportunterricht nach drinnen verlegt, müssen alle Regeln zu Abstand, Hygiene und Lüften beachtet werden. Apropos Lüften...

 

5. Lüften und Lüftungsanlagen gleichwertig, mobile Luftreiniger nur in Ausnahmefällen

 

Es ist eine Empfehlung, die schon bekannt ist und in der Vergangenheit für Debatten sorgte: Im Winter soll alle 20 Minuten drei bis fünfMinuten lang bei weitgeöffneten Fenstern quergelüftet werden, im Sommer alle zehn bis 20 Minuten, außerdem nach jeder Unterrichtstunde über die gesamte Pausenzeit. 

 

Aber: Den Einsatz von Lüftungsanlagen sehen die Experten als gleichwertig an. In Räumen, in denen weder gelüftet werden kann noch Lüftungsanlagen vorhanden sind, dürfe kein Unterricht stattfinden. 

 

Einschränkung auch hier: Die Empfehlung zum Lüften beruht laut Leitlinie wieder "zu großen Teilen auf Modellierungsstudien mit Qualitätsmängeln sowie einer quasi-experimentellen Studie", Vertrauenswürdigkeit der Evidenz: sehr gering. Weshalb wiederum der starke Konsens der Repräsentanten so wichtig ist. 

 

Interessanterweise nennt die Leitlinie keinen Schaden durchs Lüften – frierende Kinder im Winterhalbjahr werden also solche also nicht gesehen. 

 

Die in den vergangenen Monaten viel diskutierte Anschaffung mobiler Luftreiniger bewerten die Experten mit Zurückhaltung. Die Erkenntnisse zu ihrer Wirksamkeit beruhten auf einer "Modellierungsstudie mit einer experimentellen Komponente mit Qualitätsmängeln", Vertrauenswürdigkeit dieser Evidenz: "sehr niedrig", wahrscheinlich gebe es aber eine positive Wirkung auf den Infektionsschutz. In jedem Fall aber entstünden hohe Kosten bei Anschaffung, Unterhaltung, Wartung und Entsorgung, außerdem Machbarkeitsprobleme, Gesundheitsbeeinträchtigung durch Lärm und ein hoher Ressourcenverbrauch. 

 

Die Maßnahme habe insgesamt  "positive und negative gesundheitliche Wirkungen, denen weitreichend negative Wirkungen im Bereich der anderen Entscheidungskriterien gegenüberstehen, insbesondere in Hinblick auf finanzielle und ökologische Folgen und Machbarkeit. Aus diesem Grund sollten Luftreiniger nur in Ausnahmefällen erwogen werden". 

 

6. Mit die schwierigste Frage: Umgang mit Verdachtsfällen ohne bekannten Risikokontakt und mit Kontaktpersonen

 

Hier ist die Abwägung mit am schwierigsten zwischen dem Recht auf Teilhabe und dem Infektionsschutz. Die Experten plädieren dafür, dass Schüler bei Fieber über 38 Grad oder mit anderen ausgeprägten Symptomen wie trockenem Husten oder einer Störung des Geruchs- oder Geschmackssinns erst 48 Stunden nach Abklingen wieder am Präsenzunterricht teilnehmen dürfen. 

 

Eine laufende oder verstopfte Nase oder gelegentliches Husten, Halskratzen oder Räuspern allein sollten dagegen kein Ausschlusskriterium für den Präsenzunterricht darstellen. In solchen Fällen überwiege der mögliche Schaden einer Quarantäne dem Nutzen, weil die Symptome in den meisten Fällen nicht mit einer Corona-Infektion einhergingen. 

 

Schüler und Lehrer, die als Kontaktpersonen der Kategorie I gelten, sollen 14 Tage in Quarantäne gehen. Bei fehlender Symptomatik kann die Dauer der Quarantäne durch Testung verkürzt werden. Kontaktpersonen der Kategorie II sollen hingegen weiter am Präsenzunterricht teilnehmen können, solange sie keine Symptome zeigen. 

 

Tritt ein Infektionsfall in der Schule auf, sollen alle Schüler und Lehrer der Klasse als Kontaktperson der Kategorie II gelten, solange sie eine Maske in korrekter Weise getragen haben, ausreichend gelüftet wurde und die Abstandsregeln nicht länger als zusammengerechnet 15 Minuten gebrochen wurden. Direkte Sitznachbarn und alle Personen, die in engem Kontakt standen, sollen in Absprache mit dem Gesundheitsamt als Kontaktpersonen der Kategorie I gelten, womit die oben genannten Quarantäne-Regeln wirksam werden. 

 

Ab welchem Infektionsgeschehen welche Stufe gilt,
sagen die Experten bewusst nicht

 

Grundsätzlich, betonen die Experten, müssten alle empfohlenen Maßnahmen aufeinander abgestimmt umgesetzt werden müssen, um zu wirken. Ausgangspunkt sei dabei ein Standard-Maßnahmenpaket, das sich an den allgemein in der Bevölkerung geltenden AHA+L Regeln zu Abstand, Hygiene, das Tragen einer angemessenen Maske und Lüften orientiere.

 

Die Experten äußern sich explizit nicht zu der Frage, wann Schulen geschlossen werden sollen. Auch die Definition der einzelnen Stufen des Infektionsgeschehens von "gering" bis "sehr hoch" in Form von Inzidenzwerten und weiteren Merkmalen liefert die Leitlinie nicht. Richtig so: Das ist und bleibt Aufgabe der Gesundheitsbehörden und der verantwortlichen Politiker, zumal die Leitlinien jeweils die regionale Ebene betrachten. Immerhin ist beim Stufenschema ein Verweis aufs Robert-Koch-Institut (RKI) enthalten, das schon vor Monaten ab einer 7-Tages-Inzidenz von über 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern (und/oder beim Vorliegen weiterer Voraussetzungen) Wechselunterricht empfohlen hatte. Eine auffällige Lücke hinterlässt indes die Entscheidung der Experten, das Thema Testen mit Blick auf das parallel laufende B-FAST-Projekt im Rahmen des Netzwerks Universitätsmedizin komplett auszuklammern.

 

Ein S3-Richtlinie, siehe ihre Definition auf der Website der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die aus Experten bestehende Leitliniengruppe "repräsentativ" sein soll für den Kreis der Adressaten, in diesem Fall also Schulleitungen, Lehrer und sonstiges Schulpersonal, Schüler, Eltern und Betreuende. Auch die Ministerien werden durch die Leitlinie angesprochen – doch hatten sie (vertreten durch Hamburg und Bremen) ebenso wie die Kultusministerkonferenz nur einen Beobachtungsstatus. Das Bundesforschungsministerium hat die Erstellung der Leitlinie über das Nationale Forschungsnetzwerks der Universitätsmedizin zu COVID-19 mitfinanziert. 

 

Wer war dabei, wer konnte mitstimmen? Vertreter der Fachgesellschaften für Epidemiologie (DGEpi), für Public Health (DGPH), für Kinder und Jugendmedizin (DGKJ), für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ), für Virologie (GfV), für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP), für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin (GHUP), für Kinder- und Jugendpsychatrie (DGKJP), für Arbeits- und Umweltmedizin (DGAUM), für Krankenhaushygiene und der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM). Außerdem Repräsentanten der Bundesschülerkonferenz, des Kinder- und Jugendbeirats des Deutschen Kinderhilfswerks, des Deutschen Kinderschutzbundes, des Verbands Bildung und Erziehung, des Allgemeinen Schulleiterverbands Deutschlands, eines Hauptpersonalrats, des Verbands der Sonderpädagogen, des Bundeselternrats, eines Landeselternrats, des Robert-Koch-Instituts, des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, von drei Gesundheitsämtern (Neukölln, Nordfriesland, Reutlingen), eines Landesgesundheitsamts (Baden-Württemberg), des Bundesverbands der der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, eines Schulamts (Cottbus) und der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE). 

 

Eine Liste, deren Umfang gleich mehrfach beeindruckt. Sie zeigt, dass die Leitlinie tatsächlich eine repräsentative Grundlage hat wie keine andere Stellungnahme zu Schulen in Corona-Zeiten bislang. Sie lässt erahnen, wie hoch der Erfolg der Konsensfindung trotz der unterschiedlichen Perspektiven einzuschätzen ist – und wie wertvoll die Empfehlungen dadurch sind.

 

Und schließlich verdeutlicht sie, wozu die Disziplin der Public Health in der Lage ist, wenn man ihr – wie in diesem Fall – die Federführung überlässt: Viele der empfohlenen Maßnahmen sind nicht neu. Doch es handelt sich erstmals um einen systematisch erarbeiteten Konsens von Wissenschaft und Betroffenen, immer unter transparenter Beachtung der (erstaunlich mäßigen!) wissenschaftlichen Evidenz.

 

Und jetzt?

 

Genau dieses Vorgehen macht ihn hoffentlich möglich: den dringend nötigen – und sachorientierten! – Neustart der Debatte um das Offenhalten von Schulen in der Corona-Pandemie. Dazu müssten aber auch alle, die die Empfehlungen jetzt lesen, wiederum von den Schülern über Lehrer und Eltern bis zu den Ministerien, ihre üblichen Debattenreflexe einmal überdenken.

 

Denn das dürfte allen klar sein: der Marathonlauf des Ausnahmezustandes geht in diesem Schuljahr ganz sicher nicht mehr vorbei. Weshalb zuletzt sogar der Charité-Chefvirologe Christian Drosten und der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ein Nachdenken über vorsichtige Schulöffnungen befürwortet hatten. Drosten sagte in seinem NDR-Podcast, natürlich müssten die Kinder möglichst bald wieder zur Schule. "Das ist absolut richtig und muss absolut hohe Priorität haben." Lauterbach sprach sich für eine schrittweise Öffnung der Kitas und für Wechselunterricht an den Grundschulen ab Mitte Februar aus. Bestimmte Beschränkungen seien den Kindern längerfristig kaum zuzumuten, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.  Zum Schutz schlug er Antigentests in den Klassen vor, Grundschullehrkräfte sollten zudem bevorzugt geimpft werden. 

 

Auch eine Entscheidung des NRW-Verfassungsgerichtshofs hatte zuletzt aufgezeigt, dass bei weiter fallenden Inzidenzwerten Schulschließungen zunehmend schwerer zu rechtfertigen sein werden.

 

Allerdings betonen sowohl Drosten als auch Lauterbach, dass angesichts der sich offenbar verbreitenden Virus-Varianten im Falle von Kita- oder Schulöffnungen anderswo striktere Maßnahmen ergriffen werden müssten. 

 

Jetzt sind wieder die Bildungsminister dran. Die S3-Leitlinie passt jedenfalls schon einmal überwiegend gut mit dem von ihrer Kultusministerkonferenz (KMK) beschlossenen Stufenszenario zusammen. Und am Mittwoch sprechen dann die Regierungschefs. 



Nachtrag am 08. Februar 2021, 15 Uhr:

 

Die Leitlinie ist jetzt hier online abrufbar. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sagte heute bei der Vorstellung der Leitlinie: "Wir alle wünschen uns eine schnelle Rückkehr zur Normalität. Die Öffnung unserer Schulen und Kitas sollte dabei die höchste Priorität haben." Doch würden alle am System Schule Beteiligten weiter viel Disziplin aufbringen müssen: Wenn Schulen geöffnet würden, sei es zwingend notwendig, das gesamte in der Leitlinie beschriebene Maßnahmenpaket zur Prävention und Kontrolle von Corona-Übertragungen konsequent anzuwenden. "Je konsequenter die Maßnahmen umgesetzt werden, desto länger und mehr Schule in Präsenz wird möglich sein." 

 

Karliczek sprach von einer "klaren und wissenschaftlich fundierten Leitlinie" und nannte sie "eine große Hilfestellung für den Schulbetrieb in den nächsten Wochen und Monaten, wobei natürlich die jeweiligen Schulverantwortlichen gemeinsam mit den Gesundheitsämtern die Entscheidungen treffen müssen." Der große Wert bestehe bei der Leitlinie auch darin, dass die Sichtweisen der verschiedenen Fachrichtungen zusammengetragen und untereinander abgestimmt worden seien.

 

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Lehrerkind (Sonntag, 07 Februar 2021 15:15)

    "Tritt ein Infektionsfall in der Schule auf, sollen alle Schüler und Lehrer der Klasse als Kontaktperson der Kategorie II gelten, solange sie eine Maske in korrekter Weise getragen haben, ausreichend gelüftet wurde und die Abstandsregeln nicht länger als zusammengerechnet 15 Minuten gebrochen wurden."

    Und wie genau wird sichergestellt, dass alle Beteiligten die Maske jederzeit korrekt getragen haben, dass wirklich ausreichend gelüftet wurde und die Abstandsregeln eingehalten wurden? Wer stellt das sicher und bestätigt das? In der Realität ist das nicht umsetzbar. Welche* Lehrer*in wird es wagen, darauf hinzuweisen, dass diese Maßnahmen durch die Bank nicht eingehalten werden (können)? Es gibt extremen Druck durch Schulleitungen und Ministerien, diese Wahrheiten nicht auszusprechen.

  • #2

    rhubarb (Sonntag, 07 Februar 2021 20:49)

    Enttäuschend, dass Schnelltests anscheinend nicht thematisiert werden. Sie könnten die Lösung für viele Fragen sein.

  • #3

    Andi (Sonntag, 07 Februar 2021 21:35)

    Grundschüler können die Masken nicht durchgängig und korrekt tragen, müssen zwischendurch essen und trinken, halten die Abstände nicht ein. Das ist normal. Was ist mit Wechselunterricht???