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Sagt doch mal, dass ihr euch geirrt habt!

Die Schulen sind komplett offen, die Corona-Zahlen unter Kindern und Jugendlichen fallen trotzdem rasant. Wenig überraschend – dennoch haben viele noch vor kurzem vor vollen Klassen gewarnt und wollten die Teilhabe weiter beschränken. Ein Kommentar.

SO, HALTEN WIR an dieser Stelle einmal fest: Die Schulen sind fast überall im Land komplett offen, voller Stundenplan, volle Klassen. Und die Corona-Zahlen unter Kindern und Jugendlichen fallen trotzdem weiter und immer schneller.

 

Wäre es nicht an der Zeit, dass all jene, die noch vor kurzem öffentlichkeitswirksam vor den Schulöffnungen warnten, die deshalb schon die nächste Welle anrollen sahen, jetzt genauso öffentlich eingestehen, dass sie falsch lagen?

 

Was ehrlich gesagt schon vor Wochen mit Blick auf eine ähnliche Entwicklung im Ausland absehbar war. Was einige trotzdem nicht daran hinderte, Millionen Kindern und Jugendlichen noch länger Bildung und Teilhabe einschränken zu wollen. Um die Rückgabe der Freiheiten an die Erwachsenen auf keinen Fall zu gefährden.

 

Spektrum der Wissenschaft bietet in seinem Online-Angebot heute einen Nature-Artikel über die Wirkung geimpfter Erwachsener auf die Inzidenz unter Kindern. In der kleinen brasilianischen Stadt Serrana etwa wurden im Rahmen einer Studie 98 Prozent der Erwachsenen mit Sinovac geimpft – mit dem Ergebnis, dass auch bei den ungeimpften Kindern die symptomatischen Infektionen ähnlich stark zurückgingen wie bei den Erwachsenen. Die Befürchtung, dass sich die Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen häufen würden, wenn man alle übrigen impfe, habe sich nicht bewahrheitet, zitiert Nature den Epidemiologen, der die Studie leitet.

 

Geht das Infektionsgeschehen in der Gesellschaft zurück,
gilt das auch für die Schulen

 

So überrascht wie einige Epidemiologen kann ich allerdings nicht sein. Wenn es stimmt, was viele Forscher und auch das RKI schon lange gesagt haben, dass Kinder und Jugendliche und damit auch Schulen in der Pandemie eher mitlaufen, anstatt sie zu beschleunigen, heißt das im Umkehrschluss: Geht das Infektionsgeschehen in der Gesellschaft insgesamt zurück, gilt das auch für die Schulen. Weshalb es immer falsch war, die Schulschließungen zur Pandemieeindämmung einzusetzen – bevor man nicht alle anderen Möglichkeiten bei den Erwachsenen genutzt hat, wobei letzteres in Deutschland nie passiert ist.

 

Ein paar aktuelle Zahlen: In der vergangenen Kalenderwoche lag die bundesweite Zahl nachweislich neuinfizierter Kinder unter 15 knapp 44 Prozent niedriger als 14 Tage davor. Ein massiver Rückgang, obwohl kein einziges von ihnen geimpft ist.

 

Zum Vergleich: Bei den Über-50-Jährigen, die zum großen Teil zumindest eine Impfung erhalten haben, viele bereits zwei, gingen die Infektionszahlen im gleichen Zeitraum um gut 59 Prozent zurück. Bei den 20- bis 49-Jährigen, bei denen die Impfkampagne erst jetzt stärker Fahrt aufnimmt, betrug der Rückgang 54 Prozent. Keine Überraschung auch hier.

 

Der saisonale Effekt in Form wärmerer Temperaturen und der Sonnenstrahlung setzt dem Virus unabhängig vom Impfstatus der Menschen zu. Die Impfungen wiederum führen dazu, dass der Rückgang in den höheren Jahrgängen am stärksten ist und verzögert und etwas verlangsamt bei den noch weniger oder noch gar nicht geimpften ankommt. 

 

Trotzdem jetzt nicht
leichtsinnig werden

 

Insofern gab und gibt es auch keinerlei Grund, das Ziel offener Schulen im neuen Schuljahr an irgendwelche Impfquoten unter Kindern und Jugendlichen zu knüpfen. Sehr wohl aber daran, dass die Gesellschaft insgesamt in der Verantwortung steht, jetzt nicht leichtsinnig zu werden. Denn die zuerst in Indien nachgewiesene Delta-Variante nimmt auch in Deutschland zu, weshalb es zu früh ist, das Ende der Pandemie zu konstatieren. Muss die Debatte um die Abschaffung der Maskenpflicht in Läden und Restaurants wirklich schon sein? Müssen wir jetzt schon wieder in Clubs die Nacht durchtanzen wollen?

 

Aber auch die Kultusminister sollten, was die Hygiene-Maßnahmen an den Schulen angeht, nicht zu früh zu viel Entspannung signalisieren, auch wenn ihr Verlangen nach den monatelangen Schulschließungs- und Distanzunterrichtsdebatten, endlich auch wieder mehr gemocht zu werden, noch so groß sein mag. 

 

Schulschließungen aber, das zeigt die aktuelle Entwicklung eindrucksvoll und mahnend zugleich, sind ein Scheinaktionismus, der von der Verantwortung der Erwachsenen, die Pandemie durch ihr eigenes Verhalten in den Griff zu bekommen, nur ablenkt.

 

Dieser Kommentar erschien heute zuerst in meinem Newsletter.


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Kommentare: 1
  • #1

    Ute Plass (Donnerstag, 17 Juni 2021 14:42)

    Die Nachdenkseiten haben heute auf Ihren lesenswerten Beitrag hingewiesen. :-)

    Und ja, erwarte ebenfalls, dass da, wo geirrt wurde,
    das auch eingestanden wird. Die Frage dabei ist, wer
    hat sich in was geirrt, und wie sollte die Verantwortungsübernahme für Irrtümer aussehen?
    Klärungen ermöglicht z.B. dieser Beitrag von W.Rügemer:
    "Es ist Zeit, den Panikmodus zu beenden"
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=73386

    Ihre Mahnung "Trotzdem jetzt nicht leichtsinnig werden"
    halte ich angesichts des alarmistischen Umgangs von Politik und die sie unterstützenden Medien mit dieser Krise für nicht angebracht.
    https://www.clemensheni.net/long-lockdown-ist-viel-toedlicher-unsere-politische-und-mediale-elite-goutiert-33-millionen-hungertote-im-trikont/

    Hoffe, dass Ihre Aufforderung, zu Irrtümern zu stehen,
    Gehör finden wird.