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Ein Satz, schmerzhaft wie die Krise des Bildungsföderalismus

Baden-Württembergs Regierungschef Kretschmann redet von der Abschaffung des Bundesbildungsministeriums. Muss man ihn dafür ernst nehmen?

Foto: Cosimamz, CC BY-SA 4.0.

MEINT ER DAS ERNST? Und sollte, muss man einen solchen Satz überhaupt auch noch mit einer Reaktion belohnen? 

 

Man könne in Bezug auf das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zumindest auch einmal die Frage aufwerfen, "warum ein Ministerium auf einer Ebene eingeführt wird, für die man nicht zuständig ist", ließ sich Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann gestern vom Redaktionsnetzwerk Deutschland zitieren. "In Baden-Württemberg gibt es ja auch kein Außenministerium." Der Bund müsse den Ländern ihre Zuständigkeiten überlassen.

 

Politiker von SPD, FDP und Union widersprachen ihm prompt. Seine eigene Partei verharrte zunächst in einer Art Schockstarre. Der alte Fuchs Kretschmann weiß, dass er mit einem solchen Satz Schlagzeilen produziert. Er weiß aus zahlreichen Umfragen, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland genau umgekehrt denkt. Er weiß auch, dass er seine eigene Partei, die ebenfalls für mehr Bundeszuständigkeiten in der Bildung plädiert, in Erklärungsnöte bringt. Nur ist ihm all  das – mal wieder – herzlich egal.

 

Sollte dann nicht umgekehrt auch herzlich egal sein, was ein Ministerpräsident sagt, der zwar im eigenen Bundesland immer noch enorm beliebt ist, sich umgekehrt aber einer Parteispitze im Bund gegenübersieht, die einen ganz anderen Kurs fährt?

 

Einerseits: Nicht
einmal ignorieren

 

Rein inhaltlich betrachtet könnte man sagen: Nicht einmal ignorieren wäre die richtige Reaktion. Fast alle Bildungswissenschaftler sind sich einig, dass Deutschlands Bildungspolitik nicht weniger Koordination und Vergleichbarkeit braucht, sondern mehr. Dass es dafür nicht nur eine starke (und reformierte!) Kultusministerkonferenz braucht, sondern als Gegenüber auch einen Bund, der die Länder hier und da anstupsts, wo sie ohne Initiative von außen nicht in die Gänge kommen. Und nein, dabei geht es nicht vor allem um Geld. Sondern um den Einfluss einer staatlichen Ebene, die das Große und Ganze im Blick behalten kann, während das Miteinander der Bundesländer zwangsläufig (und richtigerweise!) immer wieder an die Grenzen ihrer Einzelinteressen stößt. Natürlich erfordert dies eine BMBF-Führung, die ihren Spielraum strategisch klug und kenntnisreich ausnutzt. Und natürlich ist ein BMBF, wo diese fehlt, verwundbarer für Attacken wie die von Kretschmann.

 

Umgekehrt lässt es der Bildungsföderalismus gar nicht zu, dass der Bund die Länder bevormundet. Auch vom "goldene Zügel", an dem der Bund die Länder angeblich so lange geführt habe, kann seit Jahren keine Rede mehr sein – wenn doch die Länder lange höhere Haushaltsüberschüsse hatten als der Bund und auch Berlin den Großteil der Corona-Folgekosten trägt. Eher schon könnte man dem BMBF vorwerfen, dass es den Ländern zu viel seines Geldes ohne ausreichend Controlling und Standardsetzung überlassen hat. 

 

Doch ob Ganztag, Hochschulpakt, Digitalisierung oder die Förderung der Bildungsforschung: Wer wünscht sich wirklich eine Bildungspolitik, ohne dass der Bund immer wieder – und meist im Einklang mit den Ländern – Akzente zu ihrer Weiterentwicklung gesetzt hätte? 

 

Andererseits: Was sich hinter
dem
Satz verbirgt, ist Realität

 

Politisch allerdings kann man Kretschmanns Einlassungen dann eben doch nicht ignorieren. Ganz und gar nicht. Seine kurzfristige Motivation ist dabei noch am durchschaubarsten und zugleich am unwichtigsten: Der Ministerpräsident will einen rhetorischen Kontrapunkt setzen in den Verhandlungen um das Gesetz der Großen Koalition zum Ganztag-Rechtsanspruch für Grundschulkinder ab 2026.

 

Der Bundesrat hatte es am Freitag vorerst abgelehnt, weil die Länder fürchten,  überfordert zu werden. Der Bund habe die Kosten des Ausbaus zu niedrig angesetzt, kritisierten sie im Anschluss und forderten: Berlin müsse einen größeren Anteil der Finanzierung übernehmen, deutlich mehr jedenfalls als die versprochenen 3,5 Milliarden für Investitionen und die (im Endausbau) knapp eine Milliarde jährlich für den laufenden Betrieb. In der ersten Reihe der Kritiker: Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann. "Der Bund gibt den großen Familienversteher, bleibt aber sehr bescheiden bei der Verantwortung, das auch zu finanzieren", sagte er. 

 

Dass die Länder die Einigung  noch vor der Bundestagswahl wollen, sah man indes daran, dass sie den Vermittlungsausschuss anriefen, der bis zur letzten Bundestagssitzung Anfang September einen Kompromiss ausarbeiten müsste. Nach Wahrnehmung von Bund und Ländern eher ein familienpolitisches als ein bildungspolitisches Thema (leider), und doch war Kretschmann offenbar der Meinung: Ein bisschen zusätzlicher Druck auf den Bund, und sei es über das BMBF, könne in dieser Phase nicht schaden. Zumal er dessen Chefin Anja Karliczek (CDU) spätestens seit dem Streit um die Forschungsfertigung Batteriezelle auf dem Kieker hat.

 

Die zwei Quellen
der Ressentiments

 

Doch Kretschmanns scheinbar aus der Zeit gefallene BMBF-Äußerung muss man auch deshalb ernst nehmen, weil in ihr tiefe und grundlegende Ressentiments stecken, die immer noch erstaunlich viele Akteure in bundesdeutschen Landesregierungen und Landesverwaltungen teilen. Es sind diese Ressentiments, die schon den Nationalen Bildungsrat zu Fall gebracht haben – wiederum unter tatkräftiger Mitwirkung des grünen Politikers.

 

Sie speisen sich aus zwei Quellen: aus dem Stolz derjenigen, die meinen, ihre Schulen und Qualitätsstandards seien denen anderen Bundesländer überlegen. Weshalb zu viel bundesstaatliche Koordination für sie immer die Gefahr einer Anpassung nach unten in sich trägt. Hinzu kommt aber noch etwas anderes: der zunehmende Minderwertigkeitskomplex der Länder dem Bund gegenüber, der die meiste öffentliche Wahrnehmung und den Großteil der politischen Debatten auf sich konzentriert. Weshalb Landespolitik und Landesverwaltung umso mehr auf den Erhalt ihrer Kernzuständigkeiten pochen. Schon um des Selbsterhalts willen. Die Frage, ob und was das für den Zustand der bundesstaatlichen Bildungspolitik insgesamt bedeutet, ist an der Stelle nicht einmal zweitrangig. 

 

Insofern: Ja, Kretschmann meint seinen Satz ernst. Irgendwie zumindest, auch wenn er vermutlich nicht einmal selbst der Meinung ist, dass die Abschaffung des BMBF eine gute Idee oder auch nur in Ansätzen realistisch wäre. Und ja, man muss den Satz mit Aufmerksamkeit belohnen. Und sich die Beantwortung der Frage, wie es überhaupt zu ihm kommen konnte, nicht zu einfach machen. Die Krise des Föderalismus geht tiefer, als viele von uns es sich eingestehen wollen.



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