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Mehr Erwartungsdruck erzeugen

Wenn die Gleichstellung in der Wissenschaft im aktuellen Tempo weiterginge, wäre frühestens 2051 jede zweite Professur mit einer Frau besetzt. Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz benennt das Problem jedes Jahr auf Neue, wirkt aber auch jedes Jahr aufs Neue ratlos.

Illustration: Gerd Altmann / Pixabay.

DIE GEMEINSAME WISSENSCHAFTSKONFERENZ (GWK) ist die Geldverteilungsmaschine der Wissenschaftspolitik. In ihr sitzen die Wissenschafts- und Finanzminister von Bund und Ländern und verabreden die Milliarden-Pakte, die Deutschlands Hochschulen und Forschungsinstitute international nach vorn bringen sollen. Weshalb die GWK normalerweise keine Gelegenheit auslässt, ein Lob auf die "Exzellenz" der deutschen Wissenschaft anzustimmen – schließlich, so die Botschaft, gründet die sich ja auf eine exzellente Wissenschaftsförderung.

 

Es gibt allerdings Themen, bei denen selbst die GWK kleinlaut wird. Die Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft ist so eines, seit vielen Jahren darf es in keinem Pakt und in keiner Zielvereinbarung fehlen. Doch was ist das Ergebnis all der Bemühungen? Die GWK formuliert es gerade erst wieder so: Der Anteil von Wissenschaftlerinnen sei an Hochschulen und Forschungsinstituten angestiegen, doch zeige sich, dass die Fortschritte "nur langsam erfolgen und der Handlungsbedarf anhält". 

 

Machen wir es konkret. 2009 wurden 44,1 Prozent der Promotionen von Frauen abgeschlossen, zehn Jahre später 45,4 Prozent. 2009 waren 23,8 Prozent der frisch Habilitierten weiblich, 2019 dann 31,9 Prozent. Und besetzten Frauen 2009 noch 18,0 Prozent aller Professuren, kamen sie 2019 auf 25,6 Prozent.

 

Hielte das Tempo dieser zehn Jahre an, wäre bei den Habilitationen die Gleichstellung im Jahr 2041 erreicht, bei den Promotionen und den Professuren sogar erst 2051. Dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, dass es auch innerhalb der Professoren-Kategorien ein Gefälle gibt und 2019 nur 21,2 Prozent der am besten dotierten C4/W3-Professuren an Frauen vergeben waren. Und nach dem "Gender Gap" folgt der "Gender Pay Gap": Laut Besoldungsranking des Deutschen Hochschulverbandes (DHV) erhält eine W3-Professorin im Schnitt 680 Euro pro Monat weniger als ein W3-Professor.

 

Warum haben amerikanische Top-Universitäten
einen höheren Professorinnenanteil?

 

Zu den Verdiensten der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz gehört, dass sie die Anteile von Wissenschaftlerinnen auf allen Ebenen jedes Jahr aufs neue transparent aufbereitet. Zu den Problemen der GWK gehört, dass sie jedes Jahr aufs Neue ratlos wirkt und keinen Hebel findet, wie sich das Gleichstellungs-Tempo steigern lässt. 

 

Die Hochschulen und Forschungsorganisationen nehmen die Paktgelder gern, doch wenn es um die Verwirklichung von Chancengleichheit geht, verweisen sie schnell auf die inhärente Logik von Wissenschaft und eine Bestenauslese, die mehr Dynamik unmöglich machten. Und die GWK reagiert mit nebligen Pressemitteilungen über den anhaltenden "Handlungsbedarf". 

 

Wobei schon die Frage erlaubt sein muss, warum dann etwa amerikanische Top-Universitäten schon 2018 im Schnitt auf 34 Prozent Professorinnen kamen. Immer noch eine Lücke, aber schon deutlich kleiner. 

 

Derweil droht die Entwicklung sogar in die Gegenrichtung zu gehen: Bald nach dem Beginn der Coronakrise haben erste Studien gezeigt, dass Wissenschaftlerinnen deutlich stärker mit den Einschränkungen und mit zusätzlichen Betreuungspflichten zu kämpfen hatten – was sich zum Beispiel in weniger wissenschaftlichen Publikationen ausdrückte. Während etliche ihrer männlichen Kollegen sogar mehr Zeit und Ruhe fürs Forschen und Schreiben hatten. Die Jahre 2041 und 2051 als theoretische Zielmarken der Gleichstellung könnten also inzwischen deutlich zu optimistisch kalkuliert sein.

 

Vielleicht wirkt auch hier die "#IchbinHanna"-Debatte, denn von mehr Transparenz und mehr Verlässlichkeit bei Wissenschaftlerkarrieren könnten, so zumindest die Hoffnung, auch und gerade Frauen profitieren. Besser wäre allerdings, wenn die Wissenschaftspolitik von sich aus begreift: Echte Exzellenz setzt echte Chancengleichheit voraus, in all ihren Dimensionen. Denn nur dann machen wirklich die Besten Karriere und nicht diejenigen, denen es ein unfaires System am einfachsten macht. 

 

Eine solche Erkenntnis würde auch deutlich mehr politischen Erwartungsdruck gegenüber den Hochschulen und Forschungsinstituten rechtfertigen. Um der Wissenschaft willen.

 

Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.



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Kommentare: 4
  • #1

    Klaus Diepold (Montag, 01 November 2021 13:05)

    Die Gleichstellungsthematik ist genauso ein ständig wiederkehrendes Thema wie die Befunde der sozialen Selektion in unserem Bildungs- und Wissenschaftssystem.

    Hilflosigkeit und Ratlosigkeit ist dabei die dominante Situationsbeschreibung. Die Gesamtzahlen sind nicht erfreulich. Es wird aber z.T. noch schlimmer, wenn der Status der Gleichstellung nach Fachdisziplinen aufgedröselt wird. Dabei ergibt sich, dass die Gründe für die beobachtete lahme Dynamik fachspezifisch sehr unterschiedlich sind. Unterschiedliche Ursachen zeitigen wahrscheinlich auch unterschiedliche Handlungsansätze und Maßnahmen.
    Kurz - die Gründe für zu wenige Professorinnen in den Ingenieurwissenschaften sind gänzlich anders gelagert als z.B. in der Medizin oder der Chemie.

  • #2

    Fedor Listmann (Dienstag, 02 November 2021 06:41)

    Jetzt müssen Sie nur noch erklären, warum Chancen(!)gleichheit zur Gleichstellung (also Ergebnis(!)gleichheit) führen soll, und nicht zur Gleichberechtigung.

  • #3

    Heinar Apfelbacher (Dienstag, 02 November 2021 13:28)

    Die Diversität bei Professoren wird leider zu häufig zur Frage um die Frauenquote reduziert. Wichtiger wäre besonders darauf zu schauen, welchen Hintergrund diejenigen haben, die es dann mal in der heutigen Zeit geschafft haben.

    These (gepaart mit eigenen Beobachtungen): Nur diejenigen, die es sich leisten können jahrelang auf befristeten und schlechtbezahlten Postdoc-stellen im Nomadentum durch Die Welt zu ziehen kommen überhaupt in den Berufungsselektionsprozess. Das kann sich nicht jeder erlauben, erst recht dann, wenn kein üppiges Erbe auf einen wartet, oder man im Zweifel im Ingenieurbüro seines Vaters anheuern kann. Hier liegt nach meiner Meinung der größere Handlungsbedarf. Die soziale Auslese findet sehr viel stärker statt als jedwelche Geschlechterauslese.

  • #4

    FS (Dienstag, 02 November 2021 14:07)

    Ich kann Heinar Apfelbacher nur zustimmen. Es hilft der Diversität überhaupt nichts, eine Frau aus wohlhabenden Elternhaus einem gleichqualifizierten, alleinerziehenden Vater aus einer Arbeiterfamilie vorzuziehen, nur, weil sie eine Frau ist.