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Bevor es losgeht

Deutschland vor dem Sprung: in die Weihnachtsferien, die Festtage – und die nächste Corona-Welle? Meine wöchentliche Analyse.

Der zweite Corona-Dezember: Wie geht er weiter? Screenshot vom Corona-Dashboard des RKI. 

KOMMT DER Omikronbrecher-Lockdown nach Weihnachten? Es sieht ganz so aus, wenn man die Beschlussvorlage für die heutige Konferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern liest. Warum aber, wenn man sich die Corona-Entwicklung in anderen europäischen Staaten anschaut, erst nach Weihnachten? Hier ergibt sich eine auffällige Diskrepanz zum angeblichen Problembewusstsein vieler Politiker hierzulande, die bei aller "Es wird schlimm"-Rhetorik doch zu denken scheinen, dass man den Leuten nicht auch noch zum Fest mehr Einschränkungen zumuten kann. Unerträglich wäre, wenn der Preis dieses Aufschiebens nachher darin bestehen würde, dass man die Kinder und Jugendlichen wieder zu Hause hocken lässt – wie zum Beispiel GEW und Deutscher Lehrerverband für den Fall stark steigender Infektionszahlen wieder ins Spiel bringen. Was aber lässt sich überhaupt aus den aktuellen Corona-Zahlen ablesen? Und wie könnte es weitergehen?

 

Wie ist die Lage?

 

Heute Morgen gibt das Robert-Koch-Institut (RKI) die bundesweite 7-Tages-Inzidenz mit 306,4 an. Das sind 68,6 Punkte bzw. 18,3 Prozent weniger als vor einer Woche. Insgesamt ist die RKI-Inzidenz seit dem 30. November um 145,8 Punkte gefallen, das entspricht einem knappen Drittel (32,2 Prozent). Das Minus ist zurzeit fast flächendeckend: Zwölf von 16 Bundesländern verzeichneten in den vergangenen sieben Tage teilweise deutliche Rückgänge.

 

Mit am stärksten erneut Bayern: -27,7 Prozent auf nur noch 276,7. Damit hat der Freistaat seine Corona-Inzidenzen seit dem 30. November (618,2) mehr als halbiert. Noch einen Tick stärker sanken die Zahlen in den vergangenen sieben Tagen in Sachsen: -27,8 Prozent auf 662,1. Auch dieser Rückgang ist erheblich und nahezu eine Halbierung gegenüber Ende November (1.268,9), das erreichte Niveau ist allerdings immer noch bedrückend. Thüringen (-21,1 Prozent auf 776,9) und Sachsen-Anhalt (-20,4 auf 650,5) haben die Trendumkehr später als Sachsen geschafft, doch jetzt immerhin auch mit ordentlichem Tempo. Ähnlich positiv verlief die Entwicklung in Baden-Württemberg, das vor zwei Wochen (Inzidenz zu dem Zeitpunkt: 520,6) mit Bayern noch an der Spitze der Westländer lag: -23,4 Prozent auf 328,9.

 

Bemerkenswerte Rückgänge meldeten allerdings auch einige Bundesländer, die bereits von einem niedrigeren Inzidenz-Level her kommen: das Saarland (-23,9 Prozent auf 270,9), Rheinland-Pfalz (-21,7 Prozent auf 207,2) und Hessen (-18,8 auf 201,1). Vergleichsweise kräftig im Minus liegt aktuell auch Nordrhein-Westfalen (-13,4 Prozent auf 232,1). Brandenburg kommt trotz seiner hohen Ausgangs-Inzidenz nur auf -11,3 Prozent im Wochenvergleich und landete heute Morgen bei 569,7. Fast unverändert ist die Lage in Mecklenburg-Vorpommern: -3,1 Prozent auf 418,9. Ebenfalls vergleichsweise schwach sinken die Corona-Zahlen zurzeit in Niedersachsen (-7,3 Prozent auf allerdings die bundesweit zweitniedrigste Inzidenz von 173,4). 

 

Vier Länder liegen im Plus: Schleswig-Holstein (+4,4 Prozent auf den noch knapp niedrigsten Wert 167,5), Berlin (+5,8 Prozent auf 325,8), Hamburg (+20,9 Prozent auf 280,1) und Bremen (+22,0 auf 280,4).

 

Trend 1: Rückgang wird nicht mehr schneller

 

Dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen bundesweit um etwa 20 Prozent niedriger liegen würde, hatte ich heute vor zwei Wochen bereits für die darauffolgende Woche angenommen. Diese Schätzung ergab sich aus der dynamischen Abwärts-Entwicklung bei den bundesweiten Wachstumsraten in den Wochen zuvor. Doch es ging danach langsamer bergab, so dass sich das Minus erst in den vergangenen Tagen bei 20 Prozent im Wochenvergleich einpendelte. Und jetzt dort verharrt. Das heißt: Der – zurzeit erfreulich kräftige – Rückgang wird nicht mehr schneller. Ob aus der Seitwärtsbewegung des Rückgangs wieder ein Aufwärtstrend wird, ist nicht zu erkennen, auch nicht aus den meist etwas aktuelleren Zahlen des Online-Portals Risklayer

 

Trend 2: Die Corona-Entwicklung ist drei- bis viergeteilt

 

Analysiert man die Dynamik nach Regionen und Ländergruppen, verfestigen sich drei Trends aus der Vorwoche. Erstens: Die (teilweise bereits ehemaligen) Höchstinzidenzländer Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt konnten die gemeldeten Neuinfektionen gegenüber dem Wert von vor 14 Tagen um jetzt schon 39,4 Prozent senken. 

 

Zweitens: In Norddeutschland stagnieren die Zahlen erneut, je nach Bundesland steigen sie sogar schon in der zweiten Woche. Insgesamt können Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich zum 7. Dezember nur ein Minus um 1,6 Prozent melden.

 

Drittens: In den vier westlichen Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland zeigt sich das Kontrastbild. Ohne von den Werten der Höchstinzidenz-Länder zu kommen, gingen dort die Corona-Zahlen in den vergangenen zwei Wochen um 25,2 Prozent zurück.

 

Viertens: Ein klares Corona-Bild im Osten gibt es nicht mehr. Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt gehören zur ersten Ländergruppe, Mecklenburg-Vorpommern am ehesten zur zweiten; schwer einzuordnen sind Brandenburg (-11,3 Prozent) und Berlin (+5,8 Prozent) 

 

Was ergibt der Vergleich zum Vorjahr?

 

Es gibt, siehe oben, keine eindeutige Corona-Sonderkonjunktur Ost mehr. Aber es gab sie über viele Wochen, wie am erreichten Infektionsniveau immer noch ablesbar ist. Wie stark die Entwicklung aueinandergelaufen ist, zeigt der Vergleich mit dem Vorjahr. In der vergangenen Kalenderwoche 50 meldeten die West-Länder 185.354 Corona-Neuinfektionen, das waren knapp 38 Prozent mehr als zur gleichen Zeit 2020 (Kalenderwoche 51).

 

Die Ost-Länder zählten in der vergangenen Kalenderwoche 84.685 neue Corona-Fälle, ein Plus um sage und schreibe 111 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Anders gesagt: Dass die bundesweiten Corona-Inzidenzen so viel höher liegen als Ende Dezember 2020, ist vor allem mit der dramatischen Lage im Osten zu erklären. 

 

Wie sieht die Schulbilanz seit den Sommerferien aus?

 

Seit Montag haben zahlreiche Schüler bereits Weihnachtsferien, einige von ihnen wurden vorab in diese geschickt, anderswo wurde die Präsenzpflicht ausgesetzt. Insofern müssen die RKI-Zahlen der vergangenen Woche als Abschlussbilanz der Schule im Jahr 2021 gewertet werden. Dabei ergibt sich folgendes Bild: Bundesweit sank die Zahl der nachweislich neuinfizierten 5- bis 14-Jährigen in der vergangenen Kalenderwoche 50 um 17,8 Prozent. Ein deutlicher Rückgang, allerdings etwas weniger deutlich als in der Gesamtgesellschaft (-20,1 Prozent).

 

Hier dürfte sich ein Effekt zeigen, den wir schon aus dem Frühjahr kennen: Mit steigender Impf- (jetzt Booster-)Quote bei den Älteren sinken deren Zahlen relativ gesehen schneller, womit sich der Anteil der Kinder und Jugendlichen an allen gemeldeten Neuinfektionen erhöht, selbst wenn ihre Zahlen ebenfalls sinken. Mit dem Ergebnis, dass in Kalenderwoche 50 20,6 Prozent der gemeldeten Neuinfektionen auf Kinder und Jugendliche entfielen, nach 20,0 Prozent in der Vorwoche. 

 

Haben die vergangenen Monate Schule aber nun eher die Infektionen bei Schülern beschleunigt oder gedämpft? Dazu der Vergleich mit Kalenderwoche 38, die ab dem 20. September lief, als alle Bundesländer seit mindestens einer Woche wieder Schule hatten. Damals lag der Anteil der 5- bis 14-Jährigen an allen gemeldeten Neuinfektionen bei 21,6 Prozent. Das heißt: Ja, es sind viel, viel mehr Fälle geworden seitdem. Aber relativ zur Gesamtgesellschaft entwickelte sich die Corona-Dynamik bei Kindern und Jugendlichen, seit wieder Schule ist, unterdurchschnittlich. Eine Tatsache, die angesichts der hohen erreichten Inzidenzen komplex zu vermitteln sein mag, aber es ist dennoch eine Tatsache. Und wenn es um die Teilhabe- und Bildungsrechte von Kindern geht, sollte man von der öffentlichen Debatte eigentlich die nötige Komplexität erwarten können.

 

Wie ist die Situation in den Krankenhäusern?

 

Die Lage  auf den Intensivstationen entspannt sich weiterhin nur kaum, und vor allem gehen die Zahlen langsamer zurück, als man angesichts der nun schon seit drei Wochen anhaltenden Abwärtsdynamik bei den Inzidenzen vermuten könnte. Deren Minus um 32,2 Prozent steht auf Seiten der Intensivpatienten mit Corona-Befund bislang lediglich ein Rückgang um 6,6 Prozent (328 Personen) seit dem Peak von 4.937 gegenüber. Ja, die Entwicklung bei den schwer Erkrankten läuft immer hinterher, aber mit so einem großen Abstand? Hoffen wir, dass der Rutsch nach unten jetzt bald kommt. Eindeutig auf den Intensiv- wie auf den Normalstationen ist die Altersverteilung. Aktuell sind 61 Prozent der Intensivpatienten mindestens 60 Jahre alt, und nur ein Prozent ist unter 18. Bei den Krankenhaus-Einweisungen insgesamt lag die Quote der über 60-Jährigen in der Kalenderwoche 49 erneut bei etwa zwei Dritteln (66,2 Prozent), wobei die RKI-Zahlen aufgrund der enormen Meldeverzüge an dieser Stelle mit besonderer Vorsicht zu genießen sind. 

 

Wie positiv wirken sich aktuell die Impfungen aus?

 

Hier wird es erneut komplex. Antwort 1: Die Impfungen wirken sich enorm positiv auf das Pandemiegeschehen aus. Und dazu muss man gar nicht wissen, wie hoch die tatsächliche Inzidenz bei Geimpften versus Ungeimpften ist. Es reicht, die in diesem Winter bislang maximal erreichte Zahl der Corona-positiven Intensivpatienten mit der maximal erreichten Inzidenz in Beziehung zu setzen und dasselbe für den vergangenen Winter zu tun. 2021: 4.947 Intensivpatienten, Inzidenz: 452,5. 2020: 5.762 Intensivpatienten, Inzidenz 198,0. Ergebnis: Vor einem Jahr resultierten aus einem Inzidenzpunkt 2,66 mal so viele sehr schwere Krankheitsfälle wie heute. 

 

Antwort 2, und jetzt wird es frappierend: Auf die einzelnen Altersgruppen bezogen, ergibt sich das Impfplus für die Über-60-Jährigen fast nur durch die relativ gesehen niedrigeren Infektionszahlen.

 

Beispiel Kalenderwoche 43 dieses Jahres: Da hatten die 60- bis 79-Jährigen eine Inzidenz von 85, die über 80-Jährigen 108. Während die Gesamt-Inzidenz in KW 43 bei 165 lag. Die Inzidenzen bei den Älteren resultierten zwei Wochen später in 2.891 Krankenhauseinweisungen von 60- bis 79-Jährigen und 2.538 über 80-Jährigen. 

 

Zum Vergleich nun Kalenderwoche 44 des Jahres 2020 (am ehesten derselbe Zeitraum). Inzidenz unter den 60- bis 79-Jährigen: 81. Und unter den über 80-Jährigen: 126. Vergleichbar zu 2021. Während die gesamtgesellschaftliche Inzidenz mit 134 deutlich niedriger lag.

 

Mit anderen Worten: Die Impfungen haben dafür gesorgt, dass der relative Anteil der Älteren an allen Neuinfektionen zurückgegangen ist. Bei einem insgesamt höheren Infektionsgeschehen. Pro Inzidenzpunkt bei den über 60-Jährigen änderte sich zudem fast nichts. Die erwähnten Inzidenzen führten 2020 zwei Wochen später zu 2.625 eingewiesenen 60- bis 79-Jährigen und 2.525 über 80-Jährigen – fast identisch zu diesem Jahr.

 

Das bedeutet keineswegs, dass das individuelle Risiko eines alten Menschen, der sich trotz doppelter Impfung mit Corona infiziert hat, schwer an Covid-19 zu erkranken, auch nur in Ansätzen so hoch ist wie das eines gleichaltrigen Ungeimpften. Sehr wohl aber ist es ein Indiz dafür, dass die Ungeimpften ein so hohes Risiko einer Ansteckung und schweren Infektion tragen, dass sie statistisch gesehen den Impfvorteil in dieser Altersgruppe teilweise ausgleichen. 

 

Wie geht es weiter?

 

Um diese Frage kurzfristig zu beantworten, müsste Deutschland über ein vernünftig ausgebautes Erhebungssystem zentraler Corona-Infektionsdaten verfügen, inklusive einer flächendeckenden Sequenzierung aller oder der meisten Corona-Proben. Doch weil dies nur sporadisch und darüber hinaus in Form einer enorm spät kommenden Varianten-Stichprobe geschieht, müssen Wissenschaft und Politik zum Teil ziemlich freihändig Annahmen und Prognosen zum aktuell erreichten Verbreitungsgrad von Omikron treffen. Doch genau dieser Verbreitungsgrad ist zusammen mit der Verbreitungsgeschwindigkeit Voraussetzung für eine verlässliche Aussage, wie es in den nächsten Tagen weitergeht. Und diese lässt sich, auch wenn manche dies behaupten, seriös nicht treffen zurzeit. 

 

Mittelfristig allerdings schon: Es ist nicht vorstellbar, dass sich ausgerechnet Deutschland vom internationalen Trend abkoppelt, so dass auch in der Bundesrepublik mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Virusvariante Omikron in wenigen Wochen die vorherrschende sein wird.

 

Doch können wenige Wochen mehr oder weniger einen enormen Unterschied machen, wenn derzeit mit einer Geschwindigkeit von sieben bis neun Prozent pro Woche geboostert wird. Wenn wir Glück haben, gibt uns das so viel Zeit, dass der Anstieg abgeschwächt verlaufen wird im Vergleich zu anderen Ländern, die es früher getroffen hat. Das wäre ein großer Erfolg der Booster-Kampagne.

 

Hoffnungsvoll stimmt auch, dass Deutschland seit längeren stärkere Corona-Maßnahmen installiert hatte als etliche europäische Nachbarländer, die sich bereits bremsend auswirken. Und das, ich erwähne es ausdrücklich noch einmal, trotz offener Kitas und Schulen. In Bezug auf die Schulen könnte man sogar sagen: auch dank offener Schulen und deren Test-Systeme. 

 

Der anhaltenden deutschen Datenerhebungskatastrophe ist es zu verdanken, dass auch ich mich zum Ende auf unsicheres Terrain begebe mit zwei Thesen. These 1: Dass die Abwärtsbewegung bei den Corona-Zahlen nicht mehr stärker wird, deutet auf eine mögliche Trendumkehr hin. Diese verläuft allerdings noch so graduell, dass ich mindestens noch eine weitere Woche echte Minus-Zahlen erwarten würde (Weihnachten wird den Trend dann noch unecht verlängern, weil weniger getestet und verspätet gezählt wird). These 2: Die nächste Corona-Welle kommt vermutlich aus dem Norden. Es würde mich nicht wundern, wenn dort der Omikron-Anteil bereits höher läge als zum Beispiel im Westen oder Süden, anders lässt sich die so unterschiedliche Entwicklung in den vergangenen zwei Wochen kaum erklären. Aber wie gesagt, wie stark diese Welle ausfällt, ist offen. Ich würde mich zurzeit weder den Maximalszenarien nach oben anschließen und erst recht nicht denen, die sagen: Warten wir erstmal ab, vielleicht bleibt die Welle ja aus. Das zumindest wird sie ganz sicher nicht.



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Die Sache mit der Inzidenz

Wie haben sich bei den Kindern und Jugendlichen eigentlich die Krankenhaus-Einweisungen entwickelt im Vergleich zum Vorjahr? Fest steht: Die bundesweite 7-Tages-Inzidenz liegt um ein Vielfaches höher, vor vier Wochen (Kalenderwoche 47) erreichte sie 1.025 in der Gruppe der 5- bis 14-Jährigen. Genau ein Jahr davor: 289. Hat sich entsprechend auch die Zahl der schweren Fälle vervierfacht? 

 

Nein, das hat sie nicht. In der Kalenderwoche 49, also zwei Wochen nach der 1025er-Inzidenz, stehen 116 ins Krankenhaus eingewiesene 5- bis 14-Jährige in der RKI-Datenbank. Im Vorjahr entsprach die Kalenderwoche 50 in etwa demselben Zeitraum, da waren es laut RKI 67 Einweisungen. Womit eine fast viermal so hohe Inzidenz vor vier Wochen zu nicht einmal der doppelten Zahl schwerer Fälle geführt hätte.

 

Ganz so einfach ist es allerdings nicht, weil die Meldeverzüge bei den RKI-Zahlen so groß sind. Verlässlicher ist der Blick vier Wochen zurück, in die Kalenderwoche 45: 145 ins Krankenhaus eingewiesene 5- bis 14-Jährige nach einer Altersgruppen-Inzidenz von 327 zwei Wochen davor. Wieder in etwa derselbe 2020-Zeitraum zum Vergleich: 70 Einweisungen, Inzidenz: 93. Womit 2021 auf einen Inzidenzpunkt 0,44 Hospitalisierungen kamen und 2020 0,75.

 

An dieser Stelle ergeben sich drei mögliche Schlussfolgerungen. Erstens: Die zurzeit noch vorherrschende Delta-Variante ist – entgegen aller Warnungen – weniger gefährlich für Kinder und Jugendliche als der Virus-Wildtyp von 2020. Zweitens: Die Impfungen wirken sich aus. Drittens; Die Pflichttests in den Schulen haben die 7-Tages-Inzidenzen bei den Kindern und Jugendlichen einseitig hochgetrieben, weshalb sie mit denen des Vorjahres nicht mehr vergleichbar sind.

 

Die erste Schlussfolgerung kann man getrost vergessen – zumindest aber festhalten, dass das Gegenteil auch nicht gilt: Delta scheint nicht 

merklich mehr schwere Verläufe bei Kindern und Jugendlichen zu verursachen, der Anstieg der Krankenhauseinweisungen ergibt sich aus den zusätzlichen Infektionen.

 

Die zweite Schlussfolgerung wiederum mag künftig eine Rolle spielen, doch in Kalenderwoche 43, aus der die genannten Inzidenzen stammen, war der Prozentanteil doppelt Geimpfter unter den 5- bis 14-Jährigen noch verschwindend gering, das heißt: Er lag im einstelligen Prozentbereich.

 

Womit die dritte Schlussfolgerung übrigbleibt: Die Inzidenzen überzeichnen das Infektionsgeschehen im Vergleich zum Vorjahr und zu anderen Altersgruppen? Nein – es ist in Wirklichkeit genau andersherum: Die Inzidenzen des Vorjahres und von anderen Altersgruppen bis heute unterzeichnen die Corona-Dynamik. Und zwar beträchtlich. 

 

Konkret zur Veranschaulichung nochmal der Inzidenzwert 327 in Kalenderwoche 43: Er hätte rechnerisch im Vorjahr (bei angenommen gleicher Infektionsschwere und Vernachlässigung der geringen Impfquote) bei 193 gelegen, nicht bei 327.  

 

Warum das wichtig ist? Weil vor diesem Hintergrund Debatten über die besonders hohe Infektionsrate unter Kindern und Jugendlichen schon ganz anders ausfallen würden. Und weil es die Sorgen vieler Eltern verringert, dass ihren Kindern eine große Krankenhaus-Welle droht. 

 

Auch hier zum Schluss noch ein paar aussagekräftige Zahlen. In Kalenderwoche 45 betrug der Anteil der 5- bis 14-Jährigen an den Krankenhauseinweisungen aller Altersgruppen 1,73 Prozent und der Anteil der  0- bis 4-Jährigen 1,25 Prozent. Zur gleichen Zeit 2020: 0,92 bzw. 0,87 Prozent. Ja, deutlich mehr. Und trotzdem zum Glück  immer noch sehr wenig im Vergleich zu den Erwachsenen. 



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Kommentare: 3
  • #1

    kaum (Dienstag, 21 Dezember 2021 12:06)

    Ich trau dem ganzen Braten nicht. Ich bin hin und hergerissen zwischen den Polen - Schule ist wichtig, aber natürlich bringen Kinder Viren mit und verteilen sie. Natürlich ist die Krankheit bislang nicht ganz so schwer für Kinder, aber dennoch haben wir mehr als 30 tote Kinder in Deutschland und mehr als 60 im Krankenhaus. Weiß ich, wie das Immunsystem meines Kindes reagiert?
    Angesichts der hohen Infektiösität der Omikron-Variante finde ich in Abwägung das Homeschooling für zwei oder drei Wochen nach den Ferien als wichtig an.
    Ich finde das sehr betrüblich, dass Kinder offensichtlich zu Hause nicht so sicher sind, wie sie es sein sollten.

    Bei den Fallzahlen fände ich es gut, wenn Sie die mit den Nachmeldungen nehmen würden - die tagesaktuellen Inzidenzen sind wegen fehlender Meldungen einfach nicht gut.
    Es bleibt dabei: Deutschland ist eine Datenwüste, die öffentliche Verwaltung ist in Teilen offensichtlich dysfunktional und die Politik nicht handlungsfähig genug.

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 21 Dezember 2021 12:32)

    @kaum: Vielen Dank für Ihren Kommentar. Zu den Fallzahlen: Das würde aktuelle Vergleiche unmöglich machen, wenn ich auf Nachmeldungen warten würde. Aber deshalb vergleiche ich immer die aktuellen Meldungen, also auch diejenigen, die schon länger her sind. Und zusätzlich analysiere ich die kumulierten Wochendaten (siehe zum Beispiel unter dem Schulbilanz-Punkt), hier sind dann schon viele Nachmeldungen eingeflossen.

    Viele Grüße
    Ihr Jan-Martin Wiarda

  • #3

    Frau Meier (Donnerstag, 27 Januar 2022 00:34)

    "Das heißt: Ja, es sind viel, viel mehr Fälle geworden seitdem. Aber relativ zur Gesamtgesellschaft entwickelte sich die Corona-Dynamik bei Kindern und Jugendlichen, seit wieder Schule ist, unterdurchschnittlich. Eine Tatsache, die angesichts der hohen erreichten Inzidenzen komplex zu vermitteln sein mag, aber es ist dennoch eine Tatsache. "

    Welche Inzidenzen waren nun höher?