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Bitte ins Spotlight

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger will das Bafög grundlegend reformieren. Warum versteckt ihr Ministerium dann den Bericht darüber samt Beirats-Stellungnahme in den Tiefen seiner Website?

ERSTAUNLICH, WELCHE Kommunikationspolitik das Bundesbildungsministerium auch unter seiner neuen Chefin Bettina Stark-Watzinger (FDP) fährt, wenn es ums Bafög geht. Dessen weitreichende Reform nicht nur im Ampel-Koalitionsreform angekündigt wird, sondern auch der Ministerin nach eigener Aussage persönlich besonders wichtig ist: Jeder und jede, sagt sie, solle studieren oder eine schulische Berufsausbildung machen können, "wenn er oder sie das möchte. Weshalb sie dem Bafög "so schnell wie möglich einen Schub geben" wolle. Dessen Bedeutung sie auch in ihrer ersten Bundestagsrede als BMBF-Chefin heute Mittag hervorhob.

 

Wirklich ein neuer Ton, eine Entschlossenheit, die Stark-Watzingers Vorgängerin Anja Karliczek nicht nur in Bezug auf die Ausbildungsförderung hatte vermissen lassen. Ganz gar nicht dazu passte freilich der Termin, den das BMBF für die Vorstellung des noch von der alten Bundesregierung erarbeiteten Bafög-Berichts ausgeguckt hatte: zwei Tage vor Heiligabend. Als die meisten Leute wahrscheinlich Anderes im Kopf hatten, als sich mit den seit Jahren im freien Fall befindlichen Gefördertenzahlen zu beschäftigen. Dass 2020 nur noch 639.000 junge Menschen Bafög erhielten, 143.000 weniger als 2017, bezeichnete die Stark-Watzinger deutlich als "nicht hinnehmbar".

 

Aber warum eine so wichtige Botschaft zu so einem Termin? Und so ging es weiter: Seit mindestens gestern steht der Bericht online abrufbar auf der Webseite des Ministeriums. Das BMBF betont, es habe das an den Bundestag  gerichtete Dokument "nach Kabinettsbeschluss frühestmöglich" veröffentlicht. Aber warum ohne jede Ankündigung oder Verlinkung auf der Landing Page? Warum so, dass man nur durch Zufall oder nach einem konkreten Hinweis über ihn stolpert?

 

Dabei lohnt sich nicht nur die Lektüre des 75-seitigen Berichts mit seinen zahlreichen Tabellen, Grafiken und Schlussfolgerungen. Vom Ministerium genauso versteckt ins Netz gestellt wurde die Stellungnahme des unabhängigen "Beirats für Ausbildungsförderung", der das BMBF in Hinblick aufs Bafög berät.

 

Überraschende Positionen
im Bafög-Beirat

 

Auf den ersten Blick ist das, was der Beirat schreibt, wenig überraschend: Die letzte Bafög-Erhöhung habe nur gereicht, um den Rückgang der Gefördertenzahlen zu verlangsamen, doch die Trendumkehr sei ausgeblieben. "Deshalb hält die Mehrheit des Beirats eine weitere Erhöhung der Freibeträge, Bedarfssätze und der Wohnkostenpauschalen für notwendig." Die ja der Ampel-Koalitionsvertrag und Stark-Watzinger angekündigt haben. 

 

Doch Moment. Da steht "die Mehrheit". Es gab also Mitglieder des Beirats, die trotz der miesen Bafög-Förderbilanz meinten, eine weitere Erhöhung der Sätze sei nicht erforderlich? Das ist so erstaunlich, dass man gern wüsste, wer genau eigentlich im Beirat vertreten ist. Doch eine Mitgliederliste sucht man, Stichwort BMBF-Öffentlichkeitsarbeit, vergeblich. Was man weiß: Es handelt sich unter anderem um sogenannte Stakeholder: Deutsches Studentenwerk, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Studierendenvertreter und mehr.

 

Interessant ist auch, dass die Stellungnahme auf den 23. November datiert ist, den Tag vor der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages, in dem die Erhöhung der Sätze versprochen wurde. Hätte es sich für den Beirat nicht gelohnt, noch diesen Tag abzuwarten, um die Ampel-Ankündigungen (abgesehen von sicherlich informellen Berichten) offiziell mit berücksichtigen zu können?

 

Immerhin klingt das, was die Experten ansonsten fordern, sehr kompatibel mit den Regierungsplänen: "Der Beirat wiederholt seine frühere Empfehlung für eine Fortentwicklung des BAföG und bekräftigt das Erfordernis einer regelmäßigen und zeitnahen Überprüfung und Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge." Die Antragstellung sei zu vereinfachen, die Ausbildungsförderung solle an "veränderte Lebens- und Studienrealitäten" angepasst werden, unter anderem durch die Gestaltung der Altersgrenzen und eine verlängerte Förderungshöchstdauer. Und: "Der Beirat sieht daher die Notwendigkeit, die Förderung von Schülerinnen und Schülern im BAföG auszuweiten und insbesondere davon unabhängig zu machen, ob sie bei ihren Eltern wohnen oder nicht."

 

Hinter fast alle diese Forderungen machte der Koalitionsvertrag einen Tag später ein Häkchen – jetzt muss Stark-Watzinger liefern, was sie in Form "erster wichtiger Schritte" schon zum Wintersemester 2022 tun will.

 

Die für die Bafög-Reform so wichtigen Ergebnisse
der Sozialerhebung verspäten sich

 

Apropos Zeitplanung. In der Hinsicht enthält der Bafög-Bericht selbst eine aufschlussreiche und zugleich irritierende Information. Auf Seite 73 steht, dass die Sozialerhebung, die regelmäßig Aufschluss gibt über die soziale Lage der Studierenden, erst Anfang 2023 vorliegen soll. Dann werden die zu diesem Zweck zwischen Juni und September 2021 gesammelten Daten bereits anderthalb Jahre alt sein. Bei den vorhergehenden Sozialerhebungen hatte die Lücke zwischen Erhebung und Veröffentlichung nur rund ein Jahr gedauert, und auch bei dieser Runde hatte es zunächst geheißen, die Ergebnisse würden 2022 erwartet. Doch ausgerechnet jetzt, da der Datenbedarf wegen Pandemie-Verwerfungen und der bevorstehenden Bafög-Großreform besonders groß ist, soll es deutlich länger dauern?

 

Federführend bei der Sozialerhebung, der 22., ist das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Dessen wissenschaftliche Geschäftsführerin Monika Jungbauer-Gans beschwichtigt, es seien ja nur "ein paar Monate mehr". Der längere Zeitraum erkläre sich dadurch, dass man die Sozialerhebung völlig neu aufgestellt und dabei drei zuvor getrennte Projekte integriert habe.

 

In der Tat ein so faszinierendes wie vielversprechendes Unterfangen. Doch rechtfertigt es das längere Warten?

 

Jungbauer-Gans fügt hinzu, die zu analysierenden Fallzahlen hätten sich erhöht, und der Fragebogen sei durch die Integration der unterschiedlichen Projekte komplexer geworden. Immerhin habe es ja die Sonderbefragung zum "Corona-Sommersemester 2020" gegeben. 

 

Die jedoch selbst für den sonst so diplomatisch-abgewogenen Bafög-Bericht des BMBF keinen Ersatz darstellt. Die Sonderbefragung biete keine neuen Erkenntnisse "zu der für die sachgerechte Bedarfsbemessung wichtigen Ausgabenstruktur von Studierenden und zu ihren Lebenshaltungs- und Ausbildungskosten sowohl insgesamt als auch untergliedert in einzelne Ausgabenposten". Diese würden erst mit dem "deutlich stärker differenzierten" Bericht zur 22. Sozialerhebung vorliegen. 

 

Ein ungünstiges Timing, wenn man wie Stark-Watzinger Tempo machen will bei der Großreform. 

 

Immerhin: Hochschulforscherin Jungbauer-Gans sagt: "Wir sind mit Hochdruck dran, die Daten aufzuarbeiten und zu analysieren." Zudem sei man im Gespräch mit dem BMBF, ob wir bestimmte Teile der Daten schon vorher analysieren und veröffentlichen können." Doch die Sozialerhebung als Ganzes brauche ihre Zeit, sie müsse abgesichert und konsolidiert sein, "damit wir kein Erratum hinterherschicken müssen". 

 

Eines immerhin scheint sicher: Die Sozialerhebung wird das BMBF prominenter präsentieren als den aktuellen Bafög-Bericht. Gut so.

 

Hinweis: Ich habe den Artikel am 13. Januar um 15 Uhr aktualisiert.



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