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Das Gegenteil von Humanismus

Das BMBF reagiert auf Nachfragen und teilt mit, dass Russen weiter Deutschlandstipendien erhalten dürfen. Verstörend, dass es eine solche Klarstellung überhaupt braucht.

FAST 10.600 RUSSISCHE STAATSBÜRGER studierten im Wintersemester 2020/21 an deutschen Hochschulen. Der Großteil davon nicht als Gaststudierende, sondern regulär immatrikuliert mit dem dafür erforderlichen Aufenthaltsstatus. Sie sind Teil des deutschen Bildungssystems, nicht des Wissenschaftsaustausches mit Russland.

Und selbst wenn sie es wären, hat der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) mehrfach deutlich gemacht, dass "die Förderung der Mobilität von Russland nach Deutschland... von uns aus zum jetzigen Zeitpunkt nicht eingeschränkt (wird)". Entsprechend betonte DAAD-Präsident Jobrato Mukherjee hier im Blog, dass "wir konsequent zwischen der russischen Regierung und den russischen Bürgerinnen und Bürgern unterscheiden und unsere russischen Freundinnen und Freunde nicht in eine Geiselhaft der Putin-Regierung nehmen lassen".

Umso mehr verstört der interne Brief, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) am Montag an die Landeswissenschaftsministerien verschickte mit der Bitte, die Botschaft an die Hochschulen weiterzugeben. "Aufgrund der aktuellen Situation in der Ukraine" hätten das BMBF Anfragen zum Umgang mit der Förderung russischer Studierender durch das Deutschlandstipendium erreicht, schreibt das zuständige Referat.

300 Euro pro Monat erhalten Studierende, denen ihre Hochschulen herausragende Leistungen in Studium und Beruf zutrauen, finanziert je zur Hälfte von privaten Geldgebern und von der Bundesregierung.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür hätten sich nicht geändert, schreibt das BMBF, russische Studierende seien also "weiterhin in gleicher Weise in das Auswahl- und Vergabeverfahren beim Deutschlandstipendium einzubeziehen sind wie die übrigen Bewerberinnen und Bewerber". Bereits vergebene Stipendien seien wie bewilligt fortzuführen.

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dass sie überhaupt betont werden muss vom BMBF, sollte einem ähnlich zu denken geben, wie wenn ein Landesministerium Hochschulen aufrufen müsste, Studierende mit russischem Pass nicht zwangsweise zu exmatrikulieren.

Hochschulen sollten Orte der Toleranz und des Humanismus sein. Das kann, so schwer das fällt, bedeuten, sich als wissenschaftliche Institution den Sanktionen auch gegen wissenschaftliche Institutionen eines Landes anzuschließen, das diese Werte mit Füßen tritt. Sich proaktiv zu erkundigen, ob die Diskriminierung einzelner Hochschulangehöriger staatlich gewünscht sei, hat mit Toleranz und Humanismus aber rein gar nichts zu tun.

Dieser Beitrag erschien zuerst in meinem wöchentlichen Newsletter.

Kommentare

#1 -

David B. | Mi., 23.03.2022 - 12:45
Guten Morgen Herr Wiarda,

kann es sein, dass Sie mit Blick auf die Zahlen doch das WiSe 2021/22 meinten? Oder gibt es keine aktuelleren Zahlen als jene aus dem Wintersemester 2020/21? (Würde mich auch nicht wundern, bei der deutschen Schwäche valide Daten zu erheben) In jedem Fall volle Zustimmung zu Ihrem eigentlichen Anliegen: dass solche Rückfragen an das BMBF herangetragen werden und damit indirekt eine Art Gewissensprüfung russischer Studierender angedacht wird, ist schockierend.

#3 -

Jana | Do., 24.03.2022 - 11:53
Hallo Herr Wiarda,

danke, dass Sie auf die Entwicklung hinweisen und auch gleich einen Kontrapunkt in Ihrem Blog setzen. Ich finde die Entwicklungen dieser Art besorgniserregend. Welche Nationalität könnte als nächstes dran sein und warum?

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