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Dann müssten sie es ja auch ausgeben

Bund und Länder müssten längst über ein großes Hilfsprogramm für Schulen verhandeln, um diesen bei ukrainischen Geflüchteten zu helfen. Dass sie es nicht tun, hat womöglich einen ernüchternden Grund. Ein Kommentar.

GUT 20.000 KINDER UND JUGENDLICHE aus der Ukraine sind bis Ende vorvergangener Woche in Deutschlands Schulen angekommen. Die Kultusministerkonferenz (KMK) kündigte an, künftig im Wochentakt neue Zahlen zu veröffentlichen.

 

Denn es dürften bald deutlich mehr werden. Zum einen müssen sich viele der gerade geflüchteten Familien erst sortieren. Die Anmeldung bei den Behörden gehört nach den traumatischen Erfahrungen für die meisten sicher nicht zu den Prioritäten. Vor allem aber dürfte der berichtete Rückgang der Neuankömmlinge in den vergangenen Tagen trügen. Die Wege aus dem Kriegsgebiet werden gefährlicher und komplizierter, doch das wird die Menschen, die sich in Sicherheit bringen wollen, höchstens vorübergehend aufhalten. 

 

Die Größenordnung, auf die sich Deutschlands

Bildungssystem einstellen sollte

 

Wenn die Schätzungen von EU-Spitzenpolitikern stimmen und im Laufe der nächsten Wochen und Monate acht Millionen Ukrainer nach Westen gehen, würde das auf Deutschland bezogen anderthalb, zwei Millionen Geflüchtete bedeuten, darunter mindestens 400 000 Schüler*innen. Das ist die Größenordnung, auf die sich Deutschlands Bildungssystem einstellen sollte.

 

Angesichts solcher Zahlen hätte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) eigentlich längst den Einstieg in Verhandlungen mit den Ländern um ein milliardenschweres Unterstützungsprogramm für die Schulen verkünden müssen. Wobei ihre Zurückhaltung noch verständlich ist, da das BMBF angesichts massiver Sparvorgaben ohnehin gerade dabei ist, jeden Euro zusammenzukratzen. Umso mehr wundert, dass auch die Kultusminister ein solches Programm gar nicht erst mit demselben Nachdruck fordern, wie sich KMK-Präsidentin Karin Prien (CDU) aktuell –und zu Recht! – etwa für Bundeshilfen für die Hochschulen starkmacht. Auf die laut Schätzung des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) die Aufnahme von rund 100 000 Studierenden und Wissenschaftlern zukommen könnte.

 

15.000 zusätzliche

Lehrkräfte nötig

 

Die Integration von möglicherweise einer halben Million ukrainischer Kinder und Jugendlichen mit Fluchterfahrung, solange sie didaktisch angemessen und menschlich zugewandt verlaufen soll, wäre demgegenüber die gesamtgesellschaftlich noch viel größere Herausforderung. Und personell: Der Deutsche Lehrerverband geht schon bei einer Viertelmillion zusätzlicher Schüler*innen von mindestens 15.000 zusätzlich nötig Lehrkräften und tausenden Erzieher*innen aus.

 

Denkt man länger nach, fällt einem eigentlich nur eine Erklärung ein: Die Kultusminister fordern kein Milliardenprogramm, weil sie gar nicht wüssten, wie sie das Geld ausgeben sollten. Über viele Jahre sind zu wenig Lehrer ausgebildet worden, noch jetzt fehlen vielerorts Studienplatz-Kapazitäten. Eine grandiose Fehlplanung, auch wenn die KMK das Problem inzwischen angeht. Je nach Bundesland sind die Mehrheit der neu eingestellten Lehrer Quereinsteiger, und selbst mit ihnen lassen sich nicht mehr überall alle frei werdenden Stellen besetzen.

 

Unter den Geflüchteten

viele Lehrkräfte

 

Wenig besser sieht vielerorts der Arbeitsmarkt bei Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen oder Schulpsycholog*innen aus, deren Unterstützung für viele ukrainische Kinder und Jugendlichen besonders wichtig wäre: Zu wenig wurden ausgebildet, zu wenige gehen in die Berufe und bleiben dann auch, weil es ihnen an Anerkennung und Attraktivität fehlt. Der politisch versprochene Zeitplan zum Ausbau der Kitas und Ganztagsschulen stand dadurch schon vor der Ukraine-Krise in Frage. Mehr Laptops, iPads und Co für die Geflüchteten könnte man schon brauchen. Aber wozu Milliarden vom Bund verlangen für Personal, das man nicht findet?

 

Die durch Corona, Lehrermangel und Digitalisierung an ihre Grenzen und darüber hinaus strapazierten Schulen können also nicht auf die großen Hilfspakete hoffen. Selbst wenn das Geld da wäre. Einen Hoffnungsschimmer immerhin gibt es: dass unter den Geflüchteten offenbar viele Lehrkräfte sind, die hoch motiviert am liebsten sofort loslegen würden, um den ukrainischen Kindern beizustehen.

 

Erste Bundesländer haben bereits Stellen mit ukrainischen Lehrkräften besetzt, zum Beispiel Schleswig-Holstein, das Bundesland von KMK-Präsidentin Prien. Gut so – solange die Bezahlung fair ist und erfahrene Lehrkräfte eigenverantwortlich arbeiten können. Was weder Schulen noch Geflüchtete jetzt brauchen, sind lange Debatten über die Anerkennung von Abschlüssen und Lehrbefähigungen.

 

Der Kommentar erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.



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Kommentare: 1
  • #1

    Dieter Hölterhoff (Mittwoch, 06 April 2022 14:27)

    Es ist wirklich sehr interessant, dass jetzt unter den ukrainischen Flüchtlingen Lehrkröfte entdeckt werden. Donnerlittchen. Wo sind denn die aus dem Iran, Irak, Afghanistan, usw., denen die deutsche Bildungsbürokratie die Anerkennung wenn nicht nur erschwert sondern verweigert? Haben nicht die Kinder auch ein Recht aus Unterricht in der Muttersprache? Was ist dass den für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit hinsichtlich von Flüchtlingen 1. und 2. Klasse!