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Wie geht es den Doktoranden?

Lange Zeit herrschte in Deutschland eine fast unglaubliche Ahnungslosigkeit, was die Lage der Promovierenden anging. Das ändert sich gerade. Auch dank der ehrgeizigen Nacap-Studie, deren neusten Ergebnisse jetzt online sind – inklusive überraschender Einblicke aus der Corona-Zeit.

Die Lage der Doktoranden in Deutschland wird endlich genauer in den Blick genommen.

Foto: Konstantin Kolosov / Pixabay.

NOCH VOR EINEM JAHRZEHNT herrschte wissenschaftspolitische Ahnungslosigkeit bei der Frage, wie es den Promovierenden an Deutschlands Hochschulen geht. Eine amtliche Doktorandenstatistik? War gesetzlich nicht vorgesehen. Einzig eine Langzeitstudie des damaligen Hochschul-Informations-Systems (HIS) über den Uni-Absolventenjahrgang 1997 lieferte ein paar halbwegs verallgemeinerbare Daten. Wie drückte es der inzwischen verstorbene ehemalige Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Klaus Landfried, 2009 aus: Die Wissenschaftsminister wollten "es gar nicht genauer wissen. Und noch weniger wollen sie, dass die Öffentlichkeit erfährt, wie schlimm die Lage wirklich ist."

 

2016 endlich wurde sie dann doch eingeführt. Allerdings meldeten die Hochschulen erst 2020 die Daten so zuverlässig, dass sich das Statistische Bundesamt erstmals traute, von einer "vollständigen Erfassung der Promovierenden" auszugehen – wenn auch immer noch mit Lücken bei der Erhebung. Etwa bei der Frage, wie viele Promovierende an der Hochschule arbeiten, oder bei der Art der Hochschulzugangsberechtigung. 

 

Doch waren die Ergebnisse, welche die Statistiker vorlegten, auch so schon spannend, in Teilen sogar irritierend bis brisant. Spannend: In Deutschland gab es 2020 exakt 192.270 Promovierende, davon stammten 22,5 Prozent aus dem Ausland. Der Anteil der Doktoranden, die in strukturierte Programme eingeschrieben waren, betrug 20,0 Prozent. 

 

Irritierend: Noch immer war die deutliche Mehrheit der Promovierenden männlich (53,0 Prozent) – obwohl seit dem Jahr 2006 durchgängig mehr Frauen einen Hochschulabschluss erwarben als Männer. Nur bei rund einem Prozent der Promotionen (1.872) handelte es sich um Kooperationen von HAWs und Universitäten. Hinzu kamen weitere 178 rein an HAWs Promovierende (alle in Hessen), so dass nur gut 2.000 von fast 200.000 deutschen Promovierenden HAW-Absolventen gewesen sein dürften. 

 

Jeder 14. promovierte 2020 schon
seit mindestens acht Jahren

 

Brisant: Jede(r) 14. promovierte 2020 bereits länger als acht Jahre. Mehr als jede(r) fünfte länger als fünf Jahre. Und nur gut jede/r 2. (55 Prozent) arbeitete noch kürzer als drei Jahre an seiner bzw. ihrer Dissertation. 

 

Ist die Lage also wirklich so schlimm, wie einst Klaus Landfried es 2009 befürchtete? Anhand der amtlichen Daten schwer zu sagen – denn dafür müsste man unter anderem auch die Quote derjenigen kennen, die ihre Promotion abbrechen wollen. Und das ist der Punkt, an dem eine weitere statistische Innovation ins Spiel kommt, die das Dunkelfeld deutscher Promotionen bereits deutlich aufgehellt hat – und für die Zukunft weitere Aha-Erlebnisse verspricht: die Promovierendenstudie Nacaps des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW).

 

Nacaps steht für National Academics Panel Study, das DZHW ist eine der Nachfolgeorganisationen des HIS, das 2013 aufgespalten wurde. Die DZHW-Forscher haben Nacaps 2019 gestartet, um, wie sie selbst es formulieren, "systematisch Daten zu Karriereverläufen von Hochqualifizierten in Deutschland" zu erheben – "für Forschung, Hochschulen und Wissenschaftspolitik". Als "wichtige Informationsbasis" im Zusammenspiel mit der amtlichen Statistik, damit Hochschulen und Wissenschaftspolitik fundierte Entscheidungen treffen können – und die öffentlichen Debatten zum Thema evizdenzbasiert ablaufen. Doktorandenstatistik und Nacaps sind also gleichermaßen Ausdruck des in Deutschland spät entwickelten Ehrgeizes, endlich zu erfahren, wie es den Promovierenden an Deutschlands Hochschulen geht.

 

Seit heute liegt der zweite Schwung an Nacaps-Daten vor, online abrufbar für alle im Datenportal zur Studie, und das Durchklicken lohnt sich. Denn zum vor zwei Jahren befragten Doktoranden-Anfängerjahrgang 2017/18 ist die Gruppe derjenigen hinzu gekommen, die in den Jahren 2019 und 2020 ihre Promotion begonnen haben. Und da sie im Frühjahr 2021 befragt wurden, lässt sich anhand ihrer Ergebnisse auch erkennen, wie es ihnen in der Corona-Zeit ging.

 

Weniger Promovierende
wollen abbrechen

 

Zunächst ein paar Rahmendaten: Die befragten Promovierenden stammten von rund 60 promotionsberechtigten deutschen Hochschulen, es wurden über 40 Indikatoren für sieben Themenbereiche erhoben von der Arbeits- und Beschäftigtensituation über die Art und Struktur der Promotion bis hin zur Promotionsmotivation und dem Promotionsverlauf. Beide Anfänger-Kohorten umfassten rund 14.000 Befragte und sind statistisch repräsentative Querschnitte. Von den 2017/18er Anfängern waren 49 Prozent weiblich und 51 Prozent männlich. Bei den 2019/20ern war es genau umgekehrt: 51 Prozent weiblich, 49 Prozent männlich. In jedem Fall ein auffälliger Unterschied zur amtlichen Statistik. 

 

Und, wie ging es ihnen? Es kommt ein wenig auf den Blickwinkel an. 2019 sagten elf Prozent der damals frisch Promovierenden, dass sie "oft" oder "ständig" ans Abbrechen dächten, weitere 20 Prozent berichteten, sie täten dies "gelegentlich". 2021, während die Hochschulen wegen Corona dicht waren, antworteten von den 2019/20 gestarteten neun Prozent "oft" oder "ständig". Und erneut 20 Prozent "gelegentlich". Erfreulich? Wenn man auf die jeweils über 30 Prozent Doktoranden mit expliziter Abbruchneigung zu einem so frühen Promotionszeitpunkt schaut – nun ja. Mal abwarten, wie viele es am Ende tatsächlich tun. Denn genau das wird das Nacaps-Panel in ein paar Jahren zeigen.

 

In anderer Hinsicht sind die neuen Ergebnisse aber durchaus positiv. Vor allem zeigen sie, dass die Pandemie bis zum Zeitpunkt der Befragung 2021 zumindest keine Verschlechterung gebracht hatte. In Hinblick auf die Abbruch-Absichten. Aber auch was die Einschätzung der persönlichen wirtschaftlichen Lage anging: 2019 sagten 50 Prozent, sie schätzten ihre finanzielle Situation voll und ganz als stabil ein, und nur vier Prozent meinten, das treffe gar nicht zu. 2021 ging der Stabilitätswert sogar noch hoch – auf 56 Prozent, die sich völlig sicher fühlten. Und erneut gab es vier Prozent, für die das ganz und gar nicht galt. Dass da kein Missverständnis vorliegt, zeigen die Antworten der Promovierenden auf eine weitere Frage: ob das ihnen zur Verfügung stehende Geld ihre Ausgaben decke. 2019 antworteten 48 Prozent, das treffe "völlig" zu (und nur drei Prozent "gar nicht"). 2021 äußerten sich sogar 58 Prozent maximal positiv. Und nicht einmal mehr zwei Prozent maximal negativ. 

 

Doch auch hier, sagt Antje Wegner vom DZHW, seien die Ergebnisse differenziert zu betrachten. "Es handelt sich um Promotionsanfänger." Da sei es nicht so überraschend, dass sie noch mit ihrer wirtschaftlichen Lage zufrieden seien. "Sie kommen häufig frisch aus dem Studium, ihre Referenz ist in vielen Fällen noch das Leben als Studierende." 59 Prozent der Promovierenden standen laut Nacaps-Daten maximal 2000 Euro im Monat zur Verfügung. DZHW-Forscherin Wegner fügt hinzu: Ausschlaggebend für die Verbesserung bei der Einschätzung der eigenen finanziellen Lage könnte unter anderem sein, dass zwischen 2019 und 2021 der Anteil von Promovierenden mit akademischen Vollzeit-Arbeitsverträgen merklich zugenommen habe – von 33 auf 44 Prozent bei Beschäftigten an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. "Die lautstarken Forderungen nach mehr 100-Prozent-Promovierendenstellen haben offenbar Wirkung gehabt."

 

20 Prozent wollen in der Wissenschaft bleiben,
37 Prozent wissen noch nicht, was sie wollen

 

Positiv auch: 48 Prozent der 2019/20 in die Promotion Gestarteten sagten 2021, sie würden mindestens 30 Stunden pro Woche für ihre Promotion aufwenden – und nur 37 Prozent weniger als 20 Stunden. Das Bild zwei Jahre zuvor: 42 Prozent mehr als 30 und 39 Prozent weniger als 20 Stunden.

 

Auch das bedeutet freilich nicht, dass im Frühjahr 2021 mehr Promovierende sich vorstellen konnten, in der Wissenschaft zu bleiben. Im Gegenteil: Genau ein Fünftel (20 Prozent) der Befragten antwortete, sie planten nach der Dissertation an einer Hochschule oder Forschungseinrichtung zu bleiben. 2019 konnten sich das noch deutlich mehr – 30 Prozent – vorstellen. Reagierten die Promovierenden bereits auf die seit Jahren lauter werdenden Debatten um prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft, die ebenfalls im Frühjahr 2021 unter dem Hashtag "#IchbinHanna" eine neue Stufe erreichten?

 

Gut möglich, wobei die Wirklichkeit mal wieder komplexer sein könnte als naheliegende Vermutungen. Denn die 2021 Befragten zogen nicht etwa häufiger eine Karriere in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst in Betracht, sondern allein der Anteil der noch Unentschlossenen schoss in die Höhe: von 25 auf 37 Prozent. Antje Wegner mutmaßt, die guten Aussichten auf dem Promovierenden-Arbeitsmarkt insgesamt hätten dazu geführt, dass sich deutlich mehr Doktoranden in den ersten Jahren alle Optionen offenhielten – vor allem gedanklich. "Aber auch das ist nur eine Vermutung."

 

Und was gibt es sonst noch für interessante Ergebnisse? Die Antwort: jede Menge. So kann man sich viele der gut 40 Indikatoren nicht nur nach Anfänger-Kohorten differenziert anzeigen lassen, sondern auch nach Geschlecht, Fächergruppe, Migrationshintergrund oder Bildungsherkunft. Wobei dann zum Beispiel herauskommt, dass von den Promovierenden ohne deutschen Pass ein größerer Anteil in der Wissenschaft bleiben will. Dass mehr Frauen mindestens gelegentlich Abbruch-Gedanken haben als Männer (36 versus 31 Prozent). Oder dass Promovierenden, deren Eltern nicht studiert haben, zwar ähnlich viel Geld im Monat zur Verfügung steht – dass sie aber deutlich seltener ihre finanzielle Situation als völlig stabil einschätzen als Promovierende, deren Eltern selbst einen Doktortitel haben (51 versus 59 Prozent).  

 

So dass je nach Klick die jeweils ganz persönliche Nacaps-Auswertung entsteht. In ein paar Jahren kommen dann noch Befragungen von Promovierten hinzu. Klaus Landfried hätte seine Freude gehabt. Sicher nicht mit allen Ergebnissen. Aber zumindest damit, dass es sie jetzt gibt. 




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Kommentare: 5
  • #1

    Noch 'ne Hanna - Teil 1 (Montag, 30 Mai 2022 11:52)

    Danke! (Ich bin immer noch ... ähem ... "finanziell-existenziell herausgefordert", so dass ich nur immer wieder betonen kann, dass ich den Blog sehr gerne unterstützen würde, weil er eine so gute Gesprächsgrundlage für die Wissenschaftspolitik bietet).

    Was mir immer wieder auffällt: Obwohl immer noch Wissensdefizite bestehen, deuten alle bisher verfügbaren Befunde doch ziemlich klar darauf hin, dass die ständige Gleichsetzung von Prä- und Post-Docs, sowohl im WissZeitVG, als auch im Hinblick auf die Repräsentation in Gremien etc., nicht sachgerecht ist: Die Interessen sind einfach zu unterschiedlich.

    Die Prä-Docs befinden sich in einer Qualifikationsphase vergleichbar zur Facharzt-Ausbildung. Deswegen akzeptieren sie befristete Beschäftigung, Teilzeit samt der damit notwendigen Einkommensverzichte und stärkere Weisungsgebundenheit. Die stärkere Weisungsgebundheit wird vielfach sogar gewünscht, wenn sie die Qualifikation strukturiert. Das ist die Gruppe, die von den aktuell so populären (und leicht gönnerhaft-paternalistisch motivierten) Coachings zu außerwissenschaftlichen Karrierewegen profitiert.

    Bei den Post-Docs fand bereits eine bewusste Entscheidung für den Verbleib in der Wissenschaft statt und sie haben bereits nachgewiesen, dass sie eigenständig wissenschaftlich arbeiten können. Man muss sich mal bewusst machen, durch wie viele "kompetitive Auswahlverfahren" diese Menschen bereits gegangen sind: Abi, Studium, Promotion, Bewerbung auf Post-Doc-Stelle, in der Regel alles mit überdurchschnittlichen Leistungen, weil sonst wären sie ja nicht auf die nächste Stufe gekommen. Und das alles nur, um sich wissenschaftlich "freizuschwimmen" und eigene Vorhaben bearbeiten zu können. Damit ist die Abhängigkeit von einem/einer Professor/in regelrecht widersinnig: Wenn doch die befristete Beschäftigung von Post-Docs damit begründet wird, dass die Wissenschaft regelmäßig frische Impulse zur Erneuerung von innen heraus benötigt, werden gerade diese Impulse dann nicht unterdrückt, wenn man die Post-Docs pauschal den verbeamteten Professor*innen abhängig unterordnet und sie z.B. in den Gremien nicht gleichberechtigt mitabstimmen lässt?

    Im Endeffekt ist die derzeitige schematische Regelung des WissZeitVG (sechs Jahre vor/nach Promotion) schlicht zu "grob" um beiden Gruppen und den Anforderungen der "Wissensgesellschaft" gerecht zu werden. Das spricht für mein 3+3/6+TT-Modell. Als GWK-Vorsitzende (... kurzes Innehalten, um angesichts dieser Anmaßung ein bisschen süffisant vor mich hinzugrinsen ...) würde ich darauf hinwirken, dass die personale "Ausstattung" der Professor*innen vereinheitlicht wird: Jede/r kriegt 1,3 VZÄ. Damit können bis zu zwei Doktorand*innen auf Qualifikationsstellen als "Fundament" beschäftigt werden. Drittmittelprojekte müssen mit diesen Haushaltsstellen "hinterlegt" werden, so dass Doktorand*innen auch dann 3+3 beschäftigt werden, wenn sie für Drittmittelprojekte mit kürzerer Laufzeit eingestellt werden. Die freiwerdenden Ressourcen gehen an die Fachbereiche, die damit dann TT-Stellen für Post-Docs einrichten können. Wenn sich eine Uni ein neues Forschungsgebiet erschließen will (weil "Agilität"), kann sie so eine Post-Doc-Stelle schaffen, auf der der oder die Post-Doc sechs Jahre Zeit hat, um ein Projekt einzuwerben und erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Wenn ihm/ihr das gelingt, ist es nur naheliegend, dass er oder sie den neu geschaffenen Forschungsschwerpunkt auch langfristig besetzt. Die Berufung auf eine Professur kann dann als weiterer Anreiz gesehen werden: Mit der Professur kommt die Personalausstattung und damit die Möglichkeit, mehr und größere Projekte zu bearbeiten. Das wird der sehr hohen intrinsischen Motivation gerecht, die Wissenschaffende regelmäßig mitbringen und die sie durch Abi, Studium und Promotion getragen hat. Und es befördert Leistungswettbewerb in der Drittmitteleinwerbung, weil durch die standardisierte 1,3-VZÄ-Ausstattung Chancengleichheit über Disziplinen und persönliche Merkmale geschaffen wird: Wenn männliche und weibliche Professor*innen mit identischer "Ausstattung" starten, schließt sich mittelfristig auch der Gender Pay Gap, weil die Kanzler*innen nicht mehr männliche Professoren versteckt bevorzugen können, indem sie ihnen bessere Startchancen durch mehr Personal einräumen. Lustigerweise könnte man sich mit einem solchen hybriden Modell sogar die leidige Lehrstuhl-/Department-Diskussion ersparen: Prä-Docs werden bei einzelnen Professor*innen beschäftigt, Post-Docs unabhängig von den Professor*innen an Fachbereichen. Schließlich kann man sogar der Tendenz zur zunehmenden Intransparenz durch immer neue Stellenbezeichnungen (Junior-Professur, "senior researchers/lecturers", ...) entgegenwirken: Es gibt exakt drei Stellenkategorien und jede/r weiß, was er oder sie in der jeweiligen Stellenkategorie vom Staat erwarten.

  • #2

    Noch'ne Hanna - Teil 2 (Montag, 30 Mai 2022 11:53)

    Hachja. So einfach könnte es sein. Aber ich bin mir sicher, dass von der HRK bzw. den Professor*innen auch voll die guten Vorschläge zur Novellierung des WissZeitVG kommen werden.

    Nicht.

    P.S.: Jaha, "Post-Doc-Wanderjahre" für internationale Erfahrung habe ich berücksichtigt. Wir leben im post-pandemischen Jahr 2022. Ein/e Post-Doc auf einer 6+TT-Stelle hat keine personale "Ausstattung", was faktisch bedeutet, dass er oder sie für größere Vorhaben darauf angewiesen ist, freiwillige (!!!) Kooperationspartner*innen in der eigenen community zu finden. Zoom sei Dank können die über den ganzen Erdball verteilt sein. Die Differenz zwischen der Post-Doc- und der Prof-Vergütung könnte in die Sachkosten fließen, so dass nicht nur internationale Konferenzteilnahmen, sondern z.B. auch Fellowships bei Behörden (sowas bieten z.B. FDA und EMA an) oder Forschungsaufenthalte in anderen Laboren möglich sind. Und jetzt haltet euch fest: Damit wird sogar die Tür zur außerwissenschaftlichen Karriere bei Post-Docs aufgehalten: Wenn sich abzeichnet, dass es wissenschaftlich "nicht reicht" und die Tenure Requirements nicht erfüllt werden können, dann kann er oder sie die verbleibende Zeit für ein Fellowship nutzen und so außerwissenschaftliche Berufserfahrung erwerben, an die er oder sie anknüpfen kann.

    Also, liebe Professor*innen und Rektor*innen, lamentiert los: Ich bin voll gespannt auf eure 1001 Gründe, warum mein Modell nichts taugt, den Wissenschaftsstandort Deutschland zerstören wird, vollkommen ungeeignet ist und vor allem DIE EXZELLENZ GEFÄHRDET *Schnappatmung* !!!1! Ich brenne darauf zu erfahren, warum die Post-Docs dieses Landes zu blöd sind, um selbst zu entscheiden, welchen beruflichen Weg sie gehen wollen und deswegen gaaanz, gaaanz dringend und ausschließlich Aufklärung über außerwissenschaftliche Karrieremöglichkeiten brauchen - organisiert von Menschen, die selbst außerwissenschaftlich keinen Fuß auf den Boden bekommen hätten und ihre unmittelbaren Verantwortungsbereiche mitnichten so effizient organisieren, dass man ihre Management-Fähigkeiten auch noch in andere Gesellschaftsbereiche exportieren sollte.

  • #3

    McFischer (Montag, 30 Mai 2022 12:01)

    Schön und gut, dass es endlich einmal Zahlen und Befragungen zu dieser akademischen Gruppe gibt, die jahrzehntelang gewissermaßen 'zwischen Baum und Borke' waren. Irgendwie halbe Studierende, irgendwie schon akademisch, teilweise an die Unis angebunden (wenn vielleicht auch nur als "Wiss. Hilfskraft"), teilweise auch frei flottierend.
    Interessant wäre eine Differenzierung nach Fächern. Während in einigen Disziplinen (Chemie z.B.) die Promotion immer noch die Regel ist, in anderen die Doktaratszeit eng reglementiert ist, waren die Geisteswissenschaften hier mutmaßlich am anderen Ende ("was ist eigentlich mit K.? Promoviert der noch? Prof: "Der hat sich schon lange nicht mehr gemeldet.")

  • #4

    Gerd Fink (Montag, 30 Mai 2022 14:02)

    Bei der ganzen (sicher notwendigen) Statistik wird ein Punkt übersehen: Es gibt in Deutschland einfach deutlich zu viele Doktoranden. Eine Reduktion würde viele daraus folgende Disproportionen mildern.

  • #5

    Edith Riedel (Dienstag, 07 Juni 2022 12:32)

    @Gerd Fink: ja, es gibt sehr viele Doktorand*innen, und wenn man die Anzahl der Doktorand*innen vergleicht mit der Anzahl verfügbarer Professuren, dann könnte man durchaus argumentieren, dass es "zu viele" Doktorand*innen gibt. Die Doktorand*innen machen aber auch einen Großteil der Forschung in Deutschland. Wenn man die Anzahl der Doktorand*innen reduzieren würde auf die Anzahl der verfügbaren Professuren, dann würde nur ein Bruchteil der Forschung betrieben werden, der derzeit betrieben wird. Ob das so erstrebenswert ist?