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An den Schulen, da geht was

In der neuen "Schulbarometer"-Umfrage berichten Lehrkräfte, wie stark ihr Job sie belastet und wie große Sorgen sie sich um ihre Schüler machen. Trotzdem hadern die wenigsten mit ihrem Beruf. Eine Riesenchance, wenn die Politik jetzt die richtigen Reformen angeht, anstatt sich mit Scheinlösungen aufzuhalten.

Foto: island works / Pixabay. 

DAS DEUTSCHE SCHULBAROMETER, eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung, zeigt eine hohe Belastung von Lehrkräften im dritten Corona-Schuljahr. "Alarmierend hoch", kommentiert die Stiftung: 84 Prozent der Pädagogen erleben sich selbst als "stark" oder "sehr stark" belastet, sogar 92 Prozent sagen das über ihr Kollegium als Ganzes.

 

Gleichzeitig bescheinigt ein neues Gutachten dem sächsischen Bildungsministerium, dass die seit 2019 mögliche Verbeamtung sächsischer Lehrkräfte zu deutlich mehr Neueinstellungen geführt habe, und fordert, die bislang befristete Regelung über Dezember 2023 hinaus laufen zu lassen. Weil andernfalls mit deutlich weniger Bewerbern an den Schulen im Freistaat zu rechnen sei. Mit einem "Lehrerdelta", so Kultusminister Christian Piwarz (CDU), "was wir nicht anders ausgleichen können". 

 

Zunächst zur Studie. Begrifflichkeiten wie "belastet" sind ebenso unscharf und individuell in der Deutung wie die ebenfalls im Schulbarometer gestellte Frage, ob die Lehrkräfte unter "Erschöpfung" litten. Was 62 Prozent (körperlich) bzw. 46 Prozent (mental) bejahen. Deshalb hat das Meinungsforschungsinstitut forsa, das die Umfrage durchgeführt hat, Fragen nach konkreten Formen der Belastung hinterhergeschickt. Das Ergebnis: 79 Prozent der Lehrkräfte berichten, dass für sie Wochenendarbeit die Regel sei, ein Sechstel arbeitet nach eigenen Angaben häufig sogar nachts. 54 Prozent sagen, sie könnten trotz aller Bemühungen "den Ängsten und Sorgen meiner Schüler:innen... nicht ausreichend Raum geben". 71 Prozent finden, ihre Schule könne nicht allen Schülern "die adäquate Unterstützung beim Lernen bieten, die sie benötigen".

 

Ein erstaunliches Selbstverständnis
der meisten Lehrkräfte

 

Subjektive Einschätzungen zwar, auch fehlt zu ihrer Einordnung ein Vergleich zur Zeit vor Corona. In ihrer Masse und Ausprägung aber werden sie dennoch zu sehr verlässlichen Aussagen über den Schulalltag in der Bundesrepublik – und über das erstaunliche Selbstverständnis der meisten Lehrkräfte. Denn obwohl sie sich so belastet fühlen, hadern sie nicht mit ihrem Jobentscheidung. 74 Prozent sagen, sie seien nach wie vor mit ihrem Beruf zufrieden.

 

Das wiederum passt zu den Ergebnissen der Cornelsen-Schulleitungsstudie vor einigen Wochen, die zeigte, dass eine große Mehrheit der befragten Schulleiter (72 Prozent) zwar mit der Situation in ihrer Schule in den vergangenen zwölf Monate unzufrieden war – aber 52 Prozent trotzdem zuversichtlich in die Zukunft blicken. Und gestalten wollen: 75 Prozent wünschen sich mehr Freiraum, eine bessere Aufgabenverteilung und Entlastung auf der Leitungsebene.

 

Das ist wichtig, denn es zeigt, dass die Lehrkräfte und Schulleitungen eine inhaltliche Debatte über die Zukunft ihrer Schulen erwarten. Eine inhaltliche Debatte darüber, was Lehrkräften hilft, ihren Job zu erledigen. Eine Debatte über zusätzliches Personal und über sogenannte multiprofessionelle Teams – Schulsozialarbeiter:innen oder Sozialpädagog:innen etwa, wie die Robert-Bosch-Stiftung als Reaktion auf die Umfrage-Ergebnisse fordert. Und die in der Cornelsen-Studie zwei von drei Schulleitungen als zentralen Baustein sehen, um die Schulentwicklung voranzubringen. Zu der Debatte über die Zukunft von Schule würde auch die Frage gehören, wie man das Lehramtstudium so reformiert, dass mehr Leute sich von ihm angesprochen fühlen und gleichzeitig die enorm hohe Abbrecherquoten im Studium sinken. 

 

Die Kultusministerkonferenz, das immerhin, hat sich der Suche nach Antworten auf diese Fragen verschrieben. Zumindest rhetorisch, wenn man in den vergangenen Monaten ihrer aktuellen Präsidentin, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), zuhörte, wie sie eine "grundsätzliche Befassung" mit dem Thema Lehrerbildung durch die KMK in Aussicht stellte. 

 

Ernüchternd, welche Maßnahmen die Bildungspolitik
in den vergangenen Jahren ergriffen hat

 

Umso ernüchternder, dass die Maßnahmen, mit denen die Bildungspolitik in den vergangenen Jahren tatsächlich versucht hat, für mehr Attraktivität des Lehrerberufs zu sorgen, zwar teuer ausfielen, die Situation in den Schulen aber nicht verbessert haben. Sondern im Gegenteil teilweise überflüssig oder sogar kontraproduktiv waren.

 

Teuer, aber moralisch richtig: die je nach Land diskutierte, geplante oder bereits vollzogene Anhebung der Gehälter von Grundschullehrern auf das Niveau ihrer Kollegen an weiterführenden Schulen. Sie ist nicht nur fair, sondern auch angemessen, weil sich viele Bildungskarrieren spätestens im Grundschulalter entscheiden und die Bedeutung der Arbeit von Grundschullehrern damit mindestens so groß ist wie die etwa von Gymnasiallehrern.  

 

Allerdings hilft sie nicht, die Grundschullehrer zu entlasten und ihnen mehr Gelegenheit zu geben, sich auf ihren Kernjob, den Lernerfolg ihrer Schüler, zu konzentrieren. Dabei schätzen Grundschullehrer laut Schulbarometer nicht nur ihre Belastung besonders hoch ein, mit 83 Prozent sind unter ihnen auch noch einmal deutlich mehr Befragte der Meinung, dass ihre Schule derzeit einigen Schülern nicht die nötige Unterstützung beim Lernen bieten könne. 

 

Überflüssig, ja langfristig sogar kontraproduktiv ist derweil, dass in den vergangenen Jahren ein Bundesland nach dem anderen zur Verbeamtung zurückgekehrt ist. Begründet wird dies, siehe oben, mit dem Gewinn eines Wettbewerbsvorteils in der Konkurrenz um die zu wenigen Berufseinsteiger bundesweit. 

 

Eine Schein-Konjunktur auf
dem eigenen Lehrer-Arbeitsmarkt

 

Vor allem aber handelt es sich erstmal um eine Entlastung des Staatshaushaltes, weil für Beamte keine Sozialversicherung fällig wird. Allerdings wird die Altersversorgung dafür später umso teuer. Und weil heute kaum irgendwo genügend Steuergelder für die Pensionslasten von morgen zurückgelegt werden, bauen die Länder massive Schulden-Schattenhaushalte auf. Deren Begleichung später dann politisch als Bildungsausgaben verbucht werden. Ohne dass damit eine neue Lehrkraft den Dienst antreten kann. Schon heute sind die Investitionen in Schulen auch deshalb so knapp, weil frühere Landesregierungen es größtenteils nicht anders gehandhabt haben. 

 

Hinzu kommt: Jedes Land, das wie Sachsen vor ein paar Jahren oder Berlin demnächst zur Verbeamtung von Lehrkräften zurückkehrt, schafft zwar für eine gewisse Zeit eine Schein-Konjunktur auf dem eigenen Lehrer-Arbeitsmarkt. Allerdings auf Kosten anderer Bundesländer, denn nur daher kommen die zusätzlichen Bewerber, die vom Beamtenstatus angezogen werden. Nicht nur werden in diesem Nullsummenspiel die Personallücken in den Schulen anderswo größer. Zugleich sinkt der Handlungsdruck, die wirklichen Probleme anzugehen. Etwa wie erwähnt den Lehrerberuf weiterzuentwickeln oder, noch wichtiger, endlich überall genügend Studien- und Seminarplätze zur Verfügung zu stellen. 

 

Teuer, überflüssig, kontraproduktiv: Das sah 2018 offenbar auch Sachsens Kultusminister Piwarz noch so, als er fast entschuldigend sagte:  "Wir mussten notgedrungen nachziehen. Weil andere uns Lehrer abgeworben haben." Zur selben Zeit sagte die damalige Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) noch: Über eine Rückkehr zur Verbeamtung "diskutiere ich derzeit nicht". Scheeres‘ Nachfolgerin Astrid-Sabine Busse (ebenfalls SPD) bezeichnete die Maßnahme dagegen direkt nach ihrem Start im Dezember als die wichtigste Reform für die nächsten Jahre. Und Lehrer, die nicht mehr verbeamtet werden können, sollen zum Ausgleich mehr Geld erhalten oder möglicherweise eine Stundenreduktion.

 

Sollte die Verbeamtung nicht eine höhere Versorgung mit Unterrichtsstunden bringen? Übrigens hat ihre Ankündigung in Berlin nichts daran geändert, dass im kommenden Schuljahr laut Prognose der zuständigen Senatsverwaltung über 900 Lehrerstellen unbesetzt bleiben sollen. Das (auch von Piwarz jetzt angeführte) Argument, andernfalls wäre es noch schlimmer gekommen, ist allenfalls ein theoretisches. 

 

Die Lehrer wissen, wie dringend
nötig ihre Arbeit gerade jetzt ist

 

Als Lösung der hohen Belastung inmitten des Lehrermangels aber eine Stundenreduktion für einige oder noch mehr Teilzeitmöglichkeiten für alle anzubieten, wäre fast schon paradox, führte beides doch noch zu noch mehr Arbeit für die übrigen Pädagogen und zu noch mehr abgehängten Kindern und Jugendlichen. Übrigens haben laut Schulbarometer überhaupt nur 13 Prozent der befragten Lehrer vor, im nächsten Schuljahr ihre Unterrichtsstunden reduzieren. 86 Prozent planen das trotz ihrer so hohen Belastung nicht. 

 

Die Lehrer an den Schulen wissen, wie dringend nötig ihre Arbeit gerade jetzt ist. Fast alle befragten Pädagogen (95 Prozent) konstatieren im Schulbarometer einen deutlichen Anstieg von Verhaltenauffälligkeiten bei ihren Schüler:innen. Das sind noch einmal 15 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Umfrage im September 2021. Auch die Wahrnehmung von Konzentrations- und Motivationsschwächen sowie von Aggressionsproblemen hat deutlich zugenommen.

 

Gleichzeitig schätzten im März 2022 die Lehrer den Anteil der Schüler mit deutlichen Lernrückständen aufgrund der Corona-Maßnahmen mit 41 Prozent spürbar höher ein als im vergangenen Herbst. Weil die Lücken erst jetzt offensichtlich werden, oder weil es den Schulen nicht gelingt, sie mit den vorhandenen Ressourcen zu schließen? Der Bildungsforscher Olaf Köller hatte neulich im Interview gewarnt, dass vorhandene Lernrückstände immer neue nach sich ziehen könnten – wenn etwa die Umsetzung des Milliarden-Aktionsprogramms "Aufholen nach Corona" schiefgehe. 

 

Was es braucht, ist das Eingeständnis der KMK, dass sich die bundesweite Unterrichtsversorgung kurzfristig kaum wird verbessern lassen, weil der Lehrermangel die Folge einer langjährigen Fehlplanung ist. Allerdings ist sie auch Folge der mangelnden Attraktivität des Lehrerberufs, die man nicht durch Verbeamtung oder per se mehr Geld erhöht, sondern durch bessere Bedingungen an den Schulen. Neben mehr Investitionen in deren Ausstattung geht es dabei, das zeigen ja eben Schulbarometer und Cornelsen-Schulleitungsstudie, um die Einstellung zusätzlicher multiprofessioneller Teams. Um die Beseitigung des Regelkorsett, das viele Pädagogen in ihrer Handlungsfähigkeit einschränkt. Um die Schaffung neuer Möglichkeiten des beruflichen Aufstiegs. 

 

Nichts davon ist einfach. Kaum etwas geht schnell. Aber die gute Nachricht ist: Die Lösungen sind bekannt. Die Lehrer sind motiviert. Und es gibt da draußen noch viel mehr junge Menschen, die für den Lehrerberuf in Frage kämen. Man muss ihnen allerdings dafür das Signal schicken: An den Schulen, da geht was.



In eigener Sache


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Kommentare: 2
  • #1

    Dr. med. Wurst (Mittwoch, 15 Juni 2022 13:14)

    Dass Lehrkräfte und Schulleitungen derzeit, und schon länger, unter enormem Druck stehen, wird wohl niemand bezweifeln, der Schule nicht nur vom Stammtisch kennt.
    Die viel zitierte Aussage "79 Prozent der Lehrkräfte berichten, dass für sie Wochenendarbeit die Regel sei, ein Sechstel arbeitet nach eigenen Angaben häufig sogar nachts" bedarf m.E. aber der Kontextualisierung .
    Zumindest Arbeit am Wochenende und abends, also außerhalb der klassischen "Kernzeiten" eines Büroarbeitsplatzes, ist für Lehrkräfte (und manch andere Berufe, z.B. in Pflege und Infrastruktur) Normalität auch in Nicht-Krisenzeiten. Sie kann daher nicht als Indiz für eine besondere Belastung herangezogen werden bzw. nur dann, wenn sich die Werte signifikant verändert hätten; dann müsste das aber mit zitiert werden.

  • #2

    Dr. Dieter Hölterhoff (Mittwoch, 15 Juni 2022 18:12)

    Empfehle dringend, sich mit den seit fast 30 Jahren existierenden Studien zur Lehrkäftearbeitzeit - Schaarschmidt-Studie u.a. - anstatt die klassische Meinung derer zu äußern, die über Schule reden aber den Schul- und Berufsalltag nicht kennen. Fehlt nur noch der Spruch vom nachmittäglichen Tennisplatz spätestens ab 12 Uhr.