· 

Das AiF-Beben

Das Bundeswirtschaftsministerium plant nach fast 70 Jahren einen Neuanfang bei der Industriellen Gemeinschaftsforschung – und will die IGF dazu europaweit ausschreiben. Was bedeutet das für die deutsche Innovationsförderung?

SIE IST die DFG der Mittelstandsforschung: die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen, kurz AiF. Sie betreut seit 1954 die Vergabe von Fördermitteln, inzwischen hunderte von Millionen Euro jährlich, das von der AiF entwickelte Gutachtersystem ist ebenfalls mehrstufig und ähnlich aufwändig wie das der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ein wichtiger Fördertopf ist die vom Bundeswirtschaftsministerium finanzierte "Industrielle Gemeinschaftsforschung" (IGF), gut 195 Millionen Euro sind dieses Jahr drin. Für viele sind AiF und IGF so eng miteinander verwoben, das sie fast Synonyme zu sein scheinen.

 

Sind sie aber nicht, denn wie jetzt bekannt wurde, hat das Bundeswirtschaftsministerium Ende Juni den seit 1996 laufenden Vertrag mit der AiF zur Durchführung der IGF gekündigt und mitgeteilt, dass man die Umsetzung der IGF offen ausschreiben will. Europaweit. Mitmachen können alle Organisationen, die als Projektträger in Frage kämen.

 

Sollte es dabei bleiben, wäre das ein Erdbeben der angewandten Forschungsförderung. Vergleichbar wäre es, wenn das BMBF der DFG ihre Fördermilliarden entziehen wollte. Ohne IGF würde die AiF mit rund 60 Mitarbeitern, die meisten an ihrem Hauptsitz in Köln, zur leeren Hülle. 

 

Die Situation ist aus Sicht der AiF so dramatisch, dass Präsident Sebastian Bauer heute zu einer außerordentlichen Senatssitzung eingeladen hat, einziger Tagesordnungspunkt: "Erörterung der aktuellen Situation zur Fortführung des Förderprogramms IGF in Kooperation mit der AiF". Vor der Sitzung hat die zuständige Abteilungsleiterin im BMWK, bislang Senatsmitglied, mit sofortiger Wirkung ihren Rücktritt aus dem Gremium erklärt. Wegen des bevorstehenden Ausschreibungsverfahrens zur Programmadministration der IGF wolle sie jeglichen Anschein der Befangenheit vermeiden, hat sie der AiF laut Bauers Einladungsschreiben mitgeteilt.

 

Neben ZIM ist es für Habecks Ministerium die 
zweite innovationspolitische Großbaustelle

 

Für das BMWK ist es nach dem monatelangen Förderstopp und den dann geänderten Förderbestimmungen beim Zentralen Mittelstandsprogramm (ZIM) die zweite Großbaustelle seiner Innovationspolitik – und Auslöser großer Unruhe  in der Szene.

 

Grund für den Ausschreibungsplan ist ein bereits 2015 verfasster Bericht des Bundesrechnungshofs (BRH), der die gültige Konstruktion der Zusammenarbeit zwischen AiF und Wirtschaftsministerium als durch einen Interessenkonflikt belastet sah. Vor allem, weil die AIF-Mitglieder, mehr als 50.000 mittelständische Industrieunternehmen, die sich in 100 Forschungsvereinigungen zusammengeschlossen haben, Mitgliedsbeiträge an die AiF bezahlen, deren Höhe sich an der Summe der von ihnen eingeworbenen AiF-Fördermittel bemisst. Was laut Rechnungshof bedeute, dass die AiF einen hohen Anreiz habe, immer alle Fördermittel zu vergeben, weil sie dann ja selbst ein größeres Budget erhalte. Trotzdem passierte jahrelang wenig. Zuletzt hatte es aber unter anderem staatliche Ermittlungen bei einzelnen Forschungsvereinigungen gegeben, weil der Verdacht im Raum stand, diese hätten ihre Mitgliedsbeiträge direkt mit eingeworbenen IGF-Fördermitteln bezahlt. Die Ermittlungen wurden jedoch ohne Ergebnis eingestellt. 

 

Erstmals ließ das Bundeswirtschaftsministerium, berichten AiF-Mitglieder, Anfang 2021 durchblicken, dass man aus Gründen der Rechtssicherheit einen neuen Vertrag zur IGF-Durchführung brauche. Woraufhin Ministerium und AiF ein sogenanntes "Beleihungsmodell" einschließlich einer neuen Beitragsordnung als mögliche Lösung diskutierten. Hierzu legte die AiF-Geschäftsführung Ende 2021 sogar einen Vertragsentwurf vor. Bis das Wirtschaftsministerium plötzlich sagte: So geht das nicht. Und auch eine vom Bundesrechnungshof selbst ins Spiel gebrachte Alternative, die der Handwerksförderung durch den Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), aber auch dem DFG-Modell sehr nahegekommen wäre, verwarf. Beides bis heute ohne Begründung. Erst unmittelbar vor der Senatssitzung ging diese heute Morgen bei der AiF ein.

 

Brandbriefe an
den Minister

 

In der AiF hofften sie trotzdem, dass sich die Ausschreibung noch abwenden ließe. Die Geschäftsführung hat vergangene Woche einen Brandbrief an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verschickt, in dem sie betont, dass sogar der Bundesrechnungshof von "bewährten Strukturen" gesprochen und einen Vorschlag zu deren Erhaltung gemacht habe.

 

Gemeint sind damit vor allem die über die Forschungsvereinigungen entstandenen Austausch-Netzwerke, die das Eigenleben der AiF ausmachen und weit über die eigentlichen Begutachtungsprozesse hinausreichen. 

 

"In unseren Forschungsvereinigungen und den Unternehmen ist nun der Eindruck entstanden, dass Ihr Haus die besondere Rolle der AiF für den in vielen Evaluationen und Studien nachgewiesenen Erfolg der IGF nicht sieht oder sehen will", heißt es wörtlich in dem Schreiben an Habeck, das um ein persönliches Gespräch bittet. "Und uns verwundert die Ablehnung des vom BRH unterbreiteten Vorschlags", weshalb der Geschäftsführung sehr an der Begründung für die Zurückweisung des diskutierten Modells gelegen sei.

 

Anfang dieser Woche ging beim BMWK auch ein Brief von gut 50 der 100 Forschungsvereinigungen ein mit ähnlichem Tenor: "Aktuell sind wir außerordentlich beunruhigt über die Zukunft des für den deutschen Mittelstand so wichtigen IGF-Programm". Und weiter: "Leider müssen wir aktuell davon ausgehen, dass das Programm der IGF ohne Rückkopplung mit den Forschungsvereinigungen und damit ohne Abstimmung mit der deutschen Industrie als Adressat des Programms in seinen grundsätzlichen Zielstellungen verändert werden soll." Innerhalb der 100 Forschungsvereinigungen gebe es "große Unruhe und Unsicherheit aufgrund der wenig bekannten Informationen", man sehe "das reale Risiko eines großen und irreparablen inhaltlichen und politischen Schadens" und erhoffe "eine kurzfristige Erläuterung, wo die vom BMWK eingeleiteten Schritte hinführen".

 

Wirtschaftsministerium: IGF nicht mit
der Handwerksförderung vergleichbar

 

Die kurzfristige Erläuterung hat das BMWK heute Morgen endlich geliefert. Darin wird betont, das Ministerium BMWK beabsichtige, "das erfolgreiche Programm IGF fortzuführen". Doch habe man damit nicht gesagt, dass dies automatisch mit der AIF geschehen werde. Die bisherige Umsetzung sei mit dem Vergaberecht nicht vereinbar. "Üblicherweise werden Förderprogramme durch Behörden oder aufgrund eines zuvor öffentlich ausgeschriebenen sog. Projektträger-Vertrages durchgeführt. Dies ist auch für die IGF geplant." Die vom Bundesrechnungshof ins Spiel gebrachte ZDH-Alternative würde die Administration verkomplizieren, ohne einen erkennbaren Vorteil zu bringen, die bestehenden Interessenkonflikte würden fortbestehen, zudem würde die Steuerungshoheit des BMWK beeinträchtigt. Es könne sogar der Eindruck einer institutionellen Förderung der AIF entstehen. So habe man es schon 2015 gegenüber dem Rechnungshof dargelegt.

 

Erstaunlich, dass hier ein Ministerium dem Bundesrechnungshof das Zuwendungsrecht erläutert.

 

Außerdem, fügt das BMWK in seiner heute Morgen verschickten Begründung hinzu, sei die IGF nicht mit der Handwerksförderung vergleichbar. Dort gehe es um geringere Summen, und die Kammern seien Körperschaften des öffentlichen Rechts, "die insbesondere hinsichtlich des Risikos einer Insolvenz nicht mit gemeinnützigen Forschungseinrichtungen vergleichbar sind". Eine interessante Einschätzung vor allem vor dem Hintergrund, dass (siehe oben) die sogar milliardenschwere DFG-Förderung nach einem sehr ähnlichen Modell funktioniert.

 

Auf eine von mir gestellte Presseanfrage hat das BMWK bis heute Morgen nicht geantwortet. Darin hatte ich unter anderem wissen wollen, warum die IGF-Förderung nächstes Jahr laut Haushaltsplanung mit 176,7 Millionen Euro fast 19 Millionen Euro (und damit fast zehn Prozent) niedriger ausfallen soll als heute – obwohl der Ampel-Koalitionsvertrag das Gegenteil versprach: Förderprogramme wie die IGF sollten "bedarfsgerecht und flexibel ausgestattet und dynamisch fortgeschrieben werden".

 

Eben noch forsch,
jetzt in der Defensive

 

Die AiF befindet sich aber auch ihrerseits in Erklärungsnot. In der Debatte um die geplante "Deutsche Agentur für Transfer und Innovation" (DATI) hatte sie sich immer wieder selbst als zentraler Player ins Spiel gebracht, der gerade in den Ruhestand wechselnde Hauptgeschäftsführer Thomas Kathöfer kommentierte öffentlich, die DATI müsse eigentlich gar nicht mehr gegründet werden, denn es gebe sie mit der AiF bereits. Doch anstatt auf die Verteilung zusätzlicher Fördermittel zu schielen, muss sie jetzt um ihr Stammgeschäft fürchten. Wie passt das demonstrative Selbstlob in Sachen DATI zum offenbaren Eindruck im BMWK, dass Veränderungen in der IGF dringend notwendig seien? Handelt es sich bei letzterem wirklich nur um juristisch motivierte Fragen?

 

Die AiF-Geschäftsführung wollte vor der heutigen Senatssitzung die Vorgänge auf Anfrage nicht kommentieren. Intern aber gibt man sich optimistisch. Sollte die Ausschreibung kommen, bestehe selbstverständlich die Gefahr, als Projektträger nicht zum Zug zu kommen. Aber man sei so selbstbewusst, sich dann nicht nur zu bewerben, sondern auch davon auszugehen, dass man als "am besten geeignete Organisation auch beste Chancen auf einen Zuschlag" habe. 



></body></html>

Kommentar schreiben

Kommentare: 4
  • #1

    WM (Mittwoch, 24 August 2022 15:29)

    Die Maßnahmen sind wahrscheinlich zu begrüßen, auch wenn das sehr verallgemeinert ist, aber in Deutschland hat man es sich in der Forschungsförderung sehr bequem eingerichtet, auch gerade was die Geldflüsse an außeruniversitäre angeht. Ministerien und Projektträger lassen oftmals den Willen vermissen die Prozesse zu vebessern oder neu aufzustellen. Gerade deswegen war Thomas Sattelberger eine angenehm manchmal polemisch, aber aktives und efrischesndes Element.

  • #2

    Dude (Donnerstag, 25 August 2022 17:05)

    Mag sein, dass die alten Strukturen dringend auf die Probe gestellt werden müssen. Mag sein, dass es besser geht als es ist. Aber sowas braucht Vorlauf. Mit der Brechstange das System zu ändern sorgt für ein Fördervakuum was zumindest temporär dazu führt, dass die weit über 3.000 Wissenschaftler deren Arbeit mit den Fördermitteln bezahlt wird nicht mehr bezahlt werden. Klar sind gesamtgesellschaftlich 3.000 Arbeitslose überschaubar, aber die anwendungsnahe Forschungslandschaft wäre danach nicht mehr die selbe.

  • #3

    Ein Interessent (Freitag, 26 August 2022 08:21)

    Ohne Wissensgewinnung werden industrielle, und damit Exportgenerierende Unternehmen weder gegründet - noch bleiben diese am Markt. Allen ist bekannt, dass die Instabilität der Weimarer Republik mit wirtschaftlichen Fragen einherging und ebenso ist bekannt, dass die Rolle Deutschlands nach dem Weltkrieg als einer der Zahlmeister der Welt eng mit jenen Exporterfolgen verknüpft sind. Ebenso ist das Wirtschaftswunder und die gesellschaftliche Stabilität mit den exportstarken Unternehmen verbunden.
    Welche Rolle spielt hierbei die AiF und was ist das besondere an dem von ihr unterhaltenen Netzwerk?
    Im Netzwerk aus Unternehmen und Forschungseinrichtungen werden Problemstellungen identifiziert, die von hoher Relevanz für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen sind, die sich entlang ganzer Wertschöpfungsketten abbilden. Also Bedeutung der Problemstellung für Unternehmen und deren Aufhebung mittels der erwarteten Forschungsergebnisse gibt den Ausschlag für den Erfolg des Netzwerks. So ist z.B. das Elektronenrastermikroskop und deren Folgeentwicklungen ein heute moderenes wie unverzichtbares Instrument in der Strukturanalyse - welches im Rahmen von IGF-Projekten entwickelt wurde. Hier kann darf man sagen, die AiF schafft sich ihre Untersuchugnsinstrumente selbst. Heute werden den Unternehmen u.a. Prognoseinstrumente für die Produktgestaltung und -auslegung in Form von Simulationswerkzeugen an die Hand gegeben, die das Verhalten z.B. von Maschinenelementen, von Strömungen und Strukurelementen im Betriebszustand vorhersagen.
    Die zu den Problelmstellungen abgeleiteten Forschungskonzepte erfüllen höchste wissenschaftlichen Standards, führen zu über 90 Prozent zu einem nennenswerten Erkenntnisgewinnen und diese werden über die Mitglieder der Projektbegleitenden Ausschüsse in den Unternehmen umgesetzt. Eindeutige Kommunikation zwischen den Akteueren ist hier von hoher Bedeutung. Eine AiF im europäischen Ausland fehlt es an Nähe und ggf. an eindeutiger Kommunikation. Die gewachsenen Strukturen zu zerschlagen kommt einem Verhalten eines Elefanden im Porzellanladen gleich und ist gemessen an der Bedeutung der AiF für die Wirtschaft verantwortungslos.

  • #4

    Ein Interessent (Freitag, 26 August 2022 11:09)

    Deutsche Transfergemeinschaft - Konkurrent oder Ergänzung zum AiF-Netzwerk
    Die Stärke des AiF-Netzwerks kommt daher, als dass die Forschungsthematiken mit kritischer Wettbewerbsrelevanz gemeinsam von Unternehmen und Forschungseinrichtungen identifiziert werden. Damit ist der Weg der Forschungsergebnisse von den Forschungseinrichtungen in die Unternehmen geebnet. Regelmäßig sind die Ergebnisse von so hoher Qualität, als das diese direkt in den Unternehmen verwertet werden können, ohne das ergänzende Auftragsforschung durch Anwender initiirt werden muß. Im Hinblick auf Forschungsergebnisse, die an den Hochschulen ohne Einbindung eines Netzwerks der Wirtschaft generiert werden, und für deren Umsetzung Realisatoren gesucht werden - also bereits bestehende Unternehmen die zu ihnen passende "Stragische Geschäftsfelder" launchen wollen, oder Anleger die für ihr Kapital "Anlagechancen" suchen ist die IGF derzeit nicht primär die ideale Lösung. Dennoch hat es auch im Rahmen der IGF-Forschungsförderung immer wieder Instutsausgründungen und auch die Gründung von Start-Ups gegeben. Dieser Bereich sollte ausgebaut werden, bevorzugt in den Bereichen Gen- und medizisch orientierte Technologie und Digitale Welt. Allzu grosse Schritte darf man hier aber nicht erwarten. Nicht die kleinsten Unternehmen dieser Welt arbeiten fleissig an der Datenbrille. Diese wird uns in virtuelle Unterricht und Vorlesungen begleiten, virtuelle Produktlösungen präsentieren, virtuellen Wissenaustausch ermöglichen. Mit angehangener Übersetzungsapp kann dann international jeder mit jedem seine Ideen austauschen. Diese Dinge setzen grosse Kapitalien vorraus, wie sie durch die allgemein bekannten wie auch geschätzten Unternehmen aus dem Silicon Valley bereitgestellt werden können.

    Ich sehe die vor allem von Seiten der FDP vorangetriebene Transfergesellschaft als Ergänzung, die nach ihrer Gründung erst ihre Wirksamkeit beweisen. Gleichwohl darf man in Bezug auf die IGF nur anmahnen, in ihrer Effizienz nicht nachzulassen und weiterhin eine wichtige Rolle für die Sicherung wettbewerbsfähiger Unternehmen und damit - Arbeitsplätze, einen ausgeprägten Beitrag für künftige Steuereinnahmen einzunehmen und damit indirekt auch zum geschellschaftlichen Zusammenhalt beizutragen.