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Mut zum Nachbessern

Der Kabinettsentwurf zum Corona-Infektionsschutz ist in Teilen unausgegoren, unklar und einseitig. Ein Kommentar.

ZUERST DIE GUTE NACHRICHT. Die gestern vom Bundeskabinett beschlossenen Eckpunkte für Corona-Schutzmaßnahmen im Herbst und Winter enthalten nicht die Möglichkeit flächendeckender Schulschließungen. Was Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) unmittelbar danach als Verhandlungserfolg für FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann verbuchte. "Ohne die Freien Demokraten wäre das #IfSG verdammt strikt ausgefallen", schrieb sie auf Twitter. Sie sei Buschmann dankbar dafür, "dass er sich für Freiheit und Verantwortung eingesetzt hat und so Schulschließungen, Lockdowns & Kontaktbeschränkungen verhindert hat".

 

Wobei Stark-Watzingers Tweet dann doch eher wie der Versuch klang, Buschmann gegen die Kritik beizustehen, er habe in den Verhandlungen mit SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach den Kürzeren gezogen. Der behauptete Verhandlungserfolg des Justizministers würde ja voraussetzen, dass Lauterbach tatsächlich erneute Schulschließungen hatte durchsetzen wollen. Was krass wäre. Aber gibt es dafür Belege?

 

Tatsächlich wirkt der Gesetzentwurf "zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19", der jetzt in den Bundestag geht, in Teilen unausgegoren, unklar und einseitig.

 

Unausgegoren: Die Novelle, die ab 1. Oktober und zunächst befristet bis 23. April 2023 gelten soll, sieht in der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Fassung mehrere Eskalationsstufen vor. Maßnahmen der Stufe 1 und 2 können die Landtage eigenständig beschließen oder auch nicht. Und sie können dabei Ausnahmen vorsehen. Denn der Kabinettsentwurf nennt keinerlei Grenzwerte als wissenschaftlich begründete Anhaltspunkte für die politische Entscheidung, wann welche Verschärfung des Corona-Schutzes angezeigt ist. Die Länder können stattdessen aus einem umfangreichen Indikatoren-Katalog wählen und dann selbst Schwellenwerte festsetzen, die sie für richtig halten. So könnten die Schutzmaßnahmen in einem Bundesland regional differenziert werden, sagt die Bundesregierung. Tatsächlich droht so jedoch ein föderaler Flickenteppich, der die Wirksamkeit und Akzeptanz der geltenden Regeln gefährden dürfte.

 

Unklar: Bereits zu den Möglichkeiten der Stufe 1 gehört beispielsweise, Pflichttests auch in Kitas und Schulen erneut anzuordnen. Oder eine medizinische Maskenpflicht ab Klasse fünf zu verhängen, um den geregelten Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten. Aber was genau soll das bedeuten? In den Erläuterungen zum Gesetzentwurf steht, eine Gefährdung des geregelten Präsenzunterrichts sei "unter anderem" dann anzunehmen, "wenn durch eine Vielzahl von Infektionen und dadurch bedingten Krankheits- und Isolationszeiten der Übergang zu hybriden oder digitalen Unterrichtsmodellen droht oder wenn durch einen hohen Krankenstand des Lehrpersonals ein geregelter Unterricht absehbar nicht mehr gewährleistet werden kann".

 

Was es kaum klarer macht. Weiter heißt es, die Länder seien für die Entscheidung, wann die Maskenpflicht nötig ist, zuständig. Aber wie und durch wen konkret?  Auf der Ebene einzelner Klassen? Für ganze Schulen? Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien (CDU), hatte am Dienstag von "Unklarheiten" gesprochen: "In Schleswig-Holstein gibt es über 400 Schulen mit Schülerinnen und Schülern ab Klasse 5, wie soll das praktikabel sein? Diese Frage wird sich in einem Bundesland wie Nordrhein-Westfalen mit vielen tausend Schulen erst recht stellen." 

 

Einseitig: Während eine medizinische Maskenpflicht in Schulen, wenn sie denn verhängt wird, offenbar für alle Schüler und Lehrkräfte gelten soll, müssen die Länder in Stufe 1 bei einer FFP2-Maskenpflicht in Innenräumen Ausnahmen machen für getestete Personen – und, wenn sie wollen, auch frisch geimpften oder genesenen Personen das Maskentragen freistellen. Tanzen für Erwachsene in der Disko also ohne Maske, Lernen im Klassenzimmer dafür mit: dieses Szenario ermöglichen die von der Bundesregierung beschlossenen Eckpunkte.  

 

Während die Bundesregierung das Land auf ein Wiederaufflammen der Pandemie vorbereitet, geben die aktuellen Corona-Statistiken Anlass zum Optimismus. Vermutlich heute, spätestens aber am Wochenende dürfte die Zahl der bundesweit behandelten Intensivpatienten mit Coronainfektion (gestern 889, Tendenz: stark abnehmend) unter den Wert des Vorjahres fallen – obwohl im Unterschied zum vergangenen Sommer derzeit so gut wie keine Corona-Maßnahmen in Kraft sind.

 

Die bundesweite 7-Tagesinzidenz liegt gleichzeitig mit 271 nur noch gut ein Drittel so hoch wie vor einem Monat, allerdings noch viermal so hoch wie vor einem Jahr. Tatsächlich dürfte der Abstand zu August 2021 sogar noch größer sein, wurde damals doch noch wesentlich mehr getestet. Und trotzdem: demnächst weniger Intensivpatienten, was eindrucksvoll zeigt, wie die Pandemie sich verändert hat.

 

Dennoch gilt: Grundsätzlich kann die breite Wiedereinführung der Maskenpflicht als zentrale Anti-Corona-Maßnahme bei steigenden Infektionszahlen im Herbst sinnvoll sein – zuerst und vor allem für Erwachsene, die ihre Masken dann aber auch richtig tragen müssen. Gerade letzteres haben auch die Mitglieder der Corona-Evaluationskommission betont. Für jüngere Kinder ergibt eine Maskenpflicht daher epidemiologisch wenig Sinn – abgesehen von den kommunikativen Einschränkungen, die eine richtigerweise nicht vorgesehene Einführung in Grundschulen mit sich bringen würde. Aber auch für ältere Kinder und ab Klasse fünf sollte sie nur letztes Mittel sein – dessen Voraussetzungen klarer definiert werden müssen. 

 

Wieder einmal zeigt sich, was die Evaluationskommission ebenfalls in ihrem Bericht betont hat: wie wichtig eine geeignete Krisenkommunikation ist, damit die Menschen die ergriffenen Maßnahmen als notwendig geeignet akzeptieren. In der Hinsicht hat die Ampel – Stichwort "Maskengate" – gerade ein massives Debakel erlebt. Ob das Nichttragen der Masken im Regierungsflieger nach Kanada nun juristisch korrekt war oder nicht: Eine geeignete Krisenkommunikation besteht  vor allem in klaren, möglichst einheitlichen und inhaltlich nachvollziehbaren Regeln. Genau diese liefert nun aber auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung – diplomatisch formuliert – nur in Ansätzen. Die Bundestagsfraktionen werden hoffentlich den Mut zum Nachbessern haben. 

 

Hinweis: Ich habe diesen Kommentar am 25. August um 16 Uhr ergänzt. 



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