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Der Second-Hand-Markt, den wir jetzt brauchen

Was ein ForschungsdatenERMÖGLICHUNGSgesetz für Deutschland ermöglichen könnte. Ein Gastbeitrag von Volker Meyer-Guckel.

Volker Meyer-Guckel ist seit 2022 Generalsekretär des Stifterverbandes. 
Foto: Damian Gorczany/Stifterverband.

DER PULS VON INNOVATION und Forschung schlägt im Takt der Verfügbarkeit von Daten. Das haben nicht nur findige Unternehmen erkannt, sondern längst auch Wissenschaft und Politik. Helfen kann dabei, Daten über Sektoren hinweg zu verknüpfen, ungenutzte Daten an potenzielle Nutzer weiterzugeben und ihre Nachnutzung zu verbessern. Daten werden so zu einem wertvollen Gut auf einem innovativen Second-Hand-Markt für Datennutzer. Doch dafür müssen dafür die Rahmenbedingungen neu justiert werden, wie es in diesem Blog bereits Monika Jungbauer-Gans und Kerstin Schneider vom Rat für Sozial und Wirtschaftsdaten (RatSWD) formuliert haben. Gefordert sind nicht nur die Politik, sondern auch Wirtschaft und die Wissenschaft selbst. Was heißt das konkret?

 

Als Ressource für Innovationen haben Daten eine entscheidende Bedeutung. Doch ihr Zugang und die Möglichkeiten, aus ihnen Nutzen zu ziehen, sind ungleich verteilt. So sind viele Großunternehmen sowohl beim Generieren eigener Daten als auch bei der Beschaffung und Verarbeitung externer Quellen weit voraus. Praxisbezogene Wirtschaftsdaten bieten auch für die wissenschaftliche Forschung oder in der Lehre vielfältige Chancen. Beispiele sind Supply-Chain Daten von globalen Beschaffungen für die Umweltforschung, Nutzungsdaten von Softwareanwendungen für die Cyber-Security-Forschung oder Bodendaten von Landmaschinen für die Geologie-Lehre.

 

Mehr und bessere Daten sollten verfügbar sein und sinnvoll genutzt werden können. Dafür bedarf es einiger Grundlagen. Daten müssen nicht nur gespeichert (Serverkapazitäten), sondern auch gefunden (Metadaten), verbunden (Ontologien) und genutzt (Schnittstellen) werden können. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung sind mit dem Forschungsdatengesetz und dem Dateninstitut erste Anker für eine bessere Datenverfügbarkeit gesetzt worden.

 

Der Zwang zum Teilen?

 

Neben Fördermaßnahmen und Unterstützung wird dabei auch über eine Verpflichtung zum Teilen von Forschungsdaten gesprochen. "Forschungsklausel" ist der Begriff, der viele Debatten treibt. Monika Jungbauer-Gans und Kerstin Schneider vom RatSWD stellen in dem genannten Interview dar, dass ein Forschungsdatengesetz die Vertraulichkeit von Forschungsdaten sichern würde und zugleich die Wehrhaftigkeit gegen Datenmissbrauch stärke. Doch gegen einen hier vermuteten weitgehenden Datenanspruch stellt sich die Wirtschaft – zu Recht. Denn weder ist klar, wer in diesem Fall für Datensicherheit und -schutz Verantwortung trägt, wie also sichergestellt wird, dass Daten nicht an Wettbewerber gelangen, und wer den Aufwand der Datenbereitstellung trägt. Noch ist überhaupt sicher, dass all diese Daten für die Forschung von Relevanz sind. >>>



>>> Denn auch wenn ein Bedarf an mehr Daten für die Wissenschaft unstrittig ist: Wo genau dieser liegt und wie er gesättigt werden soll, ist hingegen völlig offen. Im Austausch mit knapp 50 Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen konnte der Stifterverband im Kontext seiner neuen Think&Do-Plattform "Datagroup Business 2 Science" qualitative Ansatzpunkte erheben. Die Perspektiven differenzieren sich zwar nach Branche, Typ der genutzten Daten, Kultur, Knowhow und einigen anderen Faktoren.

 

Es bleibt allerdings ein diametraler Unterschied zwischen den Handlungs- und Nutzungsvorstellungen der Sektoren: Die Wirtschaft sieht in Ihren Daten ein materielles Gut, das in Wert gesetzt werden sollte, die Wissenschaft hingegen pocht auf die Bedeutung der freien, nicht von einer wirtschaftlichen Verwertungslogik getriebenen Forschung und Lehre. Beides geschieht aus guten Gründen, resultiert allerdings darin, dass der betriebliche und volkswirtschaftliche Vorteil einer Datennachnutzung auseinanderfallen. Ein stärkerer gemeinsamer Invest von Daten und Ressourcen könnte ein großes Innovationspotenzial mit sich bringen. Wenn dies in der Breite geschähe, würde es dem auch vom RatSWD angesprochenen "Kulturwandel für alle" gleichkommen. Damit dies geschieht, braucht es Handlungsänderungen auf drei Ebenen:

 

Wissenschaft: Äußert Euren Bedarf – und schafft Innovationen aus den Datenspenden!

 

Es ist wie bei allen Spenden. Die Zahl der Beiträge steigt, wenn der Bedarf und der Nutzen deutlich werden. Für mehr Datenspenden muss die Wissenschaft also klar formulieren, welche Daten aus Unternehmen als Forschungsdaten relevant sein können und auf welche Weise diese genutzt werden sollen. Gesucht wird, wie bei Kleidung, nicht das größte Stück, sondern ein passendes. Auch Second-Hand-Daten müssen passen, und die Qualität muss stimmen. Im Sinne der Analogie geht es um Stilfragen, Einsatzgebiete und Preisklassen – also Datenstruktur, Anwendungsbereiche und Nutzungsbedingungen. Dazu braucht es einen Ort, an dem die Bedarfe gesammelt und kommuniziert werden. Die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) und dessen Konsortien können dafür Ankerpunkte sein. Hinzu kommt: In Zukunft sollten mehr Beispiele geschaffen werden, wie aus Datenspenden Innovationen entstehen können, die auch den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Mehrwert illustrieren. Diese Erfolgsgeschichten müssen ebenso wie der Bedarf sichtbar gemacht und kommuniziert werden.

 

Politik: Macht Datenteilen möglich, aber

verhindert Zwang und Überregulierung!

 

Die grundlegende Stoßrichtung wurde von Seiten der Politik unter anderem durch den Koalitionsvertrag und die Digitalstrategie beschrieben. Das Konzept und die Entwicklung eines Dateninstituts ist im Prozess. Schon jetzt ist klar, dass darin verschiedene Kompetenzen gebündelt und entsprechende Instrumente entwickeln werden müssen, um Defizite der Datenverfügbarkeit und der Datenstandardisierung zu beheben. Vor allem aber muss die Politik dafür sorgen, dass die Bedürfnisse der Sektoren gründlich erhoben werden, und sie muss die Ursachen des defizitären Datenumgangs zu analysieren.

 

Eine Kultur des Datenteilens benötigt Vertrauen auf beiden Seiten. Dieses muss ein ForschungsdatenERMÖGLICHUNGSgesetz befördern, das Datenspenden rechtssicher macht und gegebenenfalls finanziell belohnt. Die Erweiterung der "Kleiderkammer" durch erzwungenes Datenteilen reicht dafür nicht aus. Zwar steigt durch einen größeren Datenfundus die die Wahrscheinlichkeit, ein passendes Stück zu finden. Daraus entstehende Ergebnisse können dem Aufwand der umfassenden Datenbereitstellung aber kaum rechtfertigen. Es bedarf eines modularen und skalierbaren Speichermodells und angemessener Rahmenbedingungen, um den Kulturwandel zu schaffen. Wie diese auszugestalten sind, müssen Pilotprojekte zeigen, die Unterstützung durch die Politik benötigen. 

 

Unternehmen: Gebt mehr Daten frei – es ist Zeit für Wissenschaftsförderung 2.0!

 

Das Teilen von Daten aus Unternehmen mit der akademischen Forschung geschieht bereits in vielen gemeinsamen Forschungsprojekten und ist ein Business-Case für Unternehmen. Unmittelbare Wertschöpfungsgewinne müssen aber nicht die alleinige Motivation von Unternehmen sein, eigene Daten offen zu legen. Schon bisher ist die Wirtschaft ein wichtiger Unterstützer der Wissenschaft: durch ihre Mitwirkung in Studium und Lehre, durch Stipendien für Studierende und Nachwuchswissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, durch Geld- und Sachspenden für die Forschung. Datenspenden sind die Fortführung dieses Engagements als Wissenschaftsförderung 2.0. Solche Spenden sind nicht nur aus mäzenatischen Gründen anzuraten. Sie können vielfältige Erträge liefern, nicht zuletzt dadurch, dass die Arbeit mit Real World Data die Wissenschaft insgesamt transferfähiger macht.  

 

Fazit – oder was Second-Hand-Daten mit Kleiderspenden gemeinsam haben

 

Kleiderspenden und Second-Hand-Märkte in der Datenökonomie haben einiges gemeinsam. Beide finden am besten bedarfsgerecht statt, sie sollten vor der Weitergabe geprüft werden, bei beiden ist die Qualität wichtig, und oft finden sie über Mittler die passende Verwendung. Vieles von dem, was nicht mehr aktiv genutzt wird, kann anderswo noch Gutes bewirken. Bislang finden Daten allerdings zu selten den Weg von Unternehmen in die Wissenschaft. Damit dies besser gelingt, braucht es Daten-Sammelstellen (wie die European Open Science Cloud, Gaia-X, NFDI) – aber mehr noch eine Verständigung auf gemeinsame Ziele, eine valide Bedarfs- und Angebotsermittlung und einen Showroom für Use-Cases, um Mehrwerte sichtbar zu machen.

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Kommentare: 1
  • #1

    Laubeiter (Mittwoch, 18 Januar 2023 11:28)

    Ich kann ein wenig dem Beitrag folgen, was Gesundheitsdaten angeht. Wissenschaft, Politik, Unternehmen - wer sind bei Gesundheitsdaten die Akteure in Deutschland? In der Medizininformatikinitiative des BMG ist es für ForscherInnen seit kurzer Zeit jetzt möglich, an Millionen pseudonymisierten Versorgungsdaten der Krankenhäuser, z.B. Medikamentenverschreibungen, Fragen zu stellen.