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In letzter Konsequenz

Britta Ernst hat Bildungspolitik immer betont nüchtern und ideologiefrei betrieben. Mit ihrem Rücktritt hält Brandenburgs SPD-Bildungsministerin es jetzt genauso.

Foto: MBJS.

AM MORGEN WAR durchgesickert, dass sie zurückgetreten war, ein paar Stunden später kam die offizielle Bestätigung und am Nachmittag folgte ein kurzer Auftritt vor der Presse. Britta Ernst, eine der erfahrensten Bildungspolitikerinnen der Bundesrepublik, will nicht mehr. 

 

2014 bis 2017 war die Sozialdemokratin Ministerin für Schule und berufliche Bildung von Schleswig-Holstein. Nachdem ihre Partei die Wahl verloren hatte, war sie ihren Job los – aber nicht lang. Sie wechselte nach Brandenburg, wurde dort Ministerin für Bildung, Jugend und Sport und blieb es weitere fünfeinhalb Jahre lang. 2021, mitten in der Coronakrise, fungierte sie zusätzlich als Präsidentin der Kultusministerkonferenz – und setzte sich dort für die Öffnung der Schulen nach dem erneuten Lockdown ein.

 

Sie kommuniziert so sachlich und nüchtern, dass 

es für manche schon kurz angebunden wirkt

 

Zum Motto ihres KMK-Vorsitzes hatte Ernst allerdings den "guten Unterricht in Zeiten der digitalen Transformation" gemacht. Ein Thema, das sie auch nach dem KMK-Jahr weiter beschäftigte. Guter Unterricht, schrieb sie vergangenes Jahr hier im Blog, müsse mit den Potenzialen digitaler Technik zusammengebracht werden. "Das heißt im Umkehrschluss allerdings nicht, Unterricht in Wechsel- oder Distanzmodellen zu erteilen. Zum Präsenzunterricht, dass zeigen die Folgen der Schulschließungen sehr deutlich, gibt es keine vernünftige Alternative."

 

Jeder ihrer öffentlichen Auftritte verlief nach dem gleichen Muster: betont sachlich, nüchtern argumentierend. So dass es für manche schon kurz angebunden wirkte – derart emotionslos, dass sie einem früheren Spitznamen ihres Ehemannes Olaf  ("Scholzomat") Scholz alle Ehre zu machen schien.

 

Kampf gegen die
Geisel Lehrermangel

 

Seit Jusozeiten sind Ernst und Scholz zusammen, und manche, offenbar auch sie selbst, finden, ihre Karriere wäre ohne ihren politisch so erfolgreichen Mann noch steiler verlaufen. Als Scholz 2011 Erster Bürgermeister in Hamburg wurde, verließ die Bürgerschaftsabgeordnete Ernst, die als Anwärterin auf einen Senatsposten galt, die Politik der Hansestadt. Schweren Herzens, wie sie selbst sagte: Nicht wenige hätten ihr gegenüber bedauert, "dass einmal wieder eine Frau zugunsten der Karriere des Mannes zurückstecken müsse".

 

Zuletzt war Ernst allerdings verstärkt in die Kritik geraten. Das hatte viel mit einer bundesweiten Geisel der Bildungspolitik zu tun, die die Kultusminister teilweise selbst verschuldet haben und die in Brandenburg besonders extrem zuschlägt: der Lehrermangel. Im Februar 2023 stellte Ernst ein Maßnahmenpaket gegen die Personalnot vor, zu dem unter anderem größere Klassen und längere Arbeitszeiten für Lehrer gehören sollten – und die Einführung neuer Personalkategorien.

 

Als "Bildungsamtsfrauen- und männer" (Besoldungsstufe A11) sollen Bachelorabsolventen bis zu ihrer Pensionierung als verbeamtete Lehrer unterrichten, auch wenn sie kein Schulfach studiert haben. Eine "Zertifikatsqualifizierung" soll reichen. Bringen sie zumindest für ein Schulfach einen Bachelorabschluss mit, können sie nach der Zertifikatsqualifizierung als verbeamtete "Bildungsamtsrat- oder rätinnen" (A12) bleiben – in beiden Fällen ohne, dass ein Masterstudium später vorgesehen oder Pflicht wäre. 

 

Die neuen Personalkategorien trugen die Landtagsfraktionen der rot-schwarz-grünen Regierung mit, während die Pläne bundesweit Wellen schlugen: Philologenverband und Hochschulrektorenkonferenz (HRK) veröffentlichten bereits im Januar eine gemeinsame Protestnote, in der sie, ohne Brandenburg explizit zu nennen, vor einem drohenden "Wettbewerb nach unten" zwischen den Bundesländern warnten, vor einer "Niveauabsenkung für die Lehrkräftebildung" und einer "Entwertung" von Masterabschluss und Zweifächerstudium. Die KMK, forderten sie, dürfe die von ihr selbst festgelegten Mindestanforderungen nicht aufgeben, die damals neue KMK-Präsidentin Sabine-Astrid Busse (SPD) müsse anders gerichteten Überlegungen "klar eine Absage erteilen". 

 

Bei ihren jüngsten Plänen versagten SPD und
Grüne
im Landtag ihr die Unterstützung

 

Ernst wollte sich mit noch weiteren Maßnahmen gegen die Personalkrise stemmen – und nahm auch deren mangelnde Popularität in Kauf. Doch wollten SPD und Grüne sie im Landtag nicht mehr unterstützen bei ihrem jüngsten Plan, 200 wegen des Lehrermangels freie Stellen teilweise umzuverteilen und mit schulischen Verwaltungsfachkräften und Schulsozialarbeitern zu besetzen. Ernst sagte, so sollten Schulen in den ländlichen Regionen mit einem hohen Anteil an Seiteneinsteigern von Verwaltungs- und anderen Aufgaben entlastet werden, um zumindest den vorgeschriebenen Unterricht garantieren zu können. SPD und Grüne kritisierten jedoch, dass im Gegenzug an allen Schulen Zusatzangebote wie Förder- und Ganztagsunterricht sowie Inklusion gekürzt werden müssten. Die CDU-Landtagsfraktion unterstützte die Sozialdemokratin dagegen. 

 

In einer persönlichen Erklärung betonte die 62 Jahre alte Ernst am Nachmittag, für sie sei "ganz klar, dass wir den Unterricht in allen Regionen des Landes Brandenburgs sichern müssen." Dafür habe sie Vorschläge unterbreitet, wie im kommenden Schuljahr der Einsatz vorhandener Lehrkräfte gerechter verteilt und die Schule gleichzeitig durch Umwandlung von nicht besetzten Stellen entlastet werden könne. "Diese Pläne haben leider nicht die Unterstützung der SPD-Landtagsfraktion gefunden." Es sei "eine Selbstverständlichkeit", dass die anstehenden Herausforderungen nur mit maximaler Geschlossenheit bewältigt werden könnten. "Diese Geschlossenheit ist nicht mehr gegeben." Sie habe ihren Rücktritt erklärt, damit mit einer neuen Person an der Spitze des Ministeriums ein neuer Anlauf genommen werden könne. Die persönlichen Verletzungen, die es sicher gab, kaschierte Ernst gut.

 

Diese neue Person soll übrigens Steffen Freiberg werden, Ernsts bisheriger Staatssekretär. Allerdings erst seit Januar 2022. Vorher war er fünf Jahre lang Bildungsstaatssekretär in Mecklenburg-Vorpommern. Der 41-Jährige gilt als fachlich stark, gut vernetzt und ist Vorsitzender der ständigen KMK-Kommission "Bildung in der digitalen Welt". Er kann also nahtlos anknüpfen an Ernsts Arbeit. 

 

Spannender wird sein zu sehen, wo er die Dinge anders macht. Bei der Frage der 200 Planstellen steht er in Kürze vor der ersten Bewährungsprobe. 

 

Britta Ernst indes wird Brandenburg vermutlich weiter erhalten bleiben. Zusammen mit ihrem Mann ist sie 2017 nach Potsdam gezogen. "Persönlich habe ich in Brandenburg einen neuen Lebensmittelpunkt gefunden und lebe sehr gern hier", endet denn auch ihre persönliche Erklärung.

 

 

Nachtrag am 18. April:

Schleswig-Holsteins CDU-Bildungsministerin Karin Prien würdigte ihre SPD-Kollegin (und Vorgängerin im Kieler Ministerium) Britta Ernst als 

"engagierte und kompetente Bildungspolitikerin", die stets lösungsorientiert und evidenzbasiert gearbeitet habe und über Parteigrenzen hinweg anerkannt und beliebt gewesen sei. "Wir haben vertrauensvoll und gut mit ihr zusammengearbeitet."

 

Übrigens ist noch eine weitere Konsequenz des Rücktritts von Ernst erwähnenswert. Brandenburg hat 2023 den Vorsitz in der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK). Ernst hatte aufgrund ihrer Doppelmitgliedschaft in JFMK und KMK angekündigt, die Arbeit der beiden Konferenzen in diesem Jahr enger zusammenzuführen. Ein Desiderat, das viele Bildungswissenschaftler seit Jahren haben, weil die politischen Zuständigkeiten für Kitas oder Jugendhilfe auf der einen und die Schule auf der anderen Seite in vielen Bundesländer getrennt sind – was eine ganzheitliche Betrachtung und Förderung von Bildungswegen schwieriger macht. Genauso wie die pädagogische Gestaltung von Bund-Länder-Programmen an den Schnittstellen zwischen den Ressorts, zur Ganztagsbetreuung zum Beispiel.

 

Der neue Bildungsminister Freiberg  sollte hier in die Bresche springen – und helfen, neue Gesprächs- und Abstimmungsformate zwischen JFMK und KMK zu verstetigen, die weit über das Jahr des Brandenburger JMFK-Vorsitzes hinausreichen. 


Ihren Vorsitz in der Jugendministerkonferenz hatte Ernst unter das Leitthema der Mitwirkung gestellt, woraufhin der Brandenburger Landesrat der Schülerinnen und Schüler am Dienstag hinwies. "Wir hoffen, dass ihr Nachfolger Steffen Freiberg das Thema der Partizipation ebenfalls in den Fokus rücken wird."


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