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Es geht so

Die 22. Sozialerhebung zeigt, wie die Studierenden im Jahr 2021 sozial und wirtschaftlich klarkamen. Die wichtigsten Ergebnisse – und was sich über die studentische Lage im Jahr 2023 sagen lässt.

Foto: Cover des Berichts zur 22. Sozialerhebung (Ausschnitt).

WIE GEHT ES DEN STUDIERENDEN? Nein, diese Frage kann die 22. Sozialerhebung nicht beantworten, die gestern von BMBF, Deutschem Studierendenwerk (DSW) und dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZWH) veröffentlicht wurde. Weil die Befragung von fast 188.000 Studierenden aus ganz Deutschland zu ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage von 2021 stammt. Ein solcher (leider bei so großen Studien nicht ungewöhnlicher) Timelag würde schon in normalen Zeiten den Gegenwartsbezug der Ergebnisse erschweren, diesmal kommen zwei gewichtige Einschränkungen hinzu.

 

Erstens: Die Studierenden antworteten mitten im Corona-Sommersemester 2021, das weitgehend digital stattfand. Als auch Restaurants, Kneipen oder Kinos teilweise noch bis weit in den Mai hinein geschlossen waren – mit entsprechenden Auswirkungen etwa auf Studienjobs. Zweitens: Zwar liefen auch 2021 in vielen Hochschulstädten die Mietmärkte bereits heiß, doch kam erst danach der allgemeine große Inflationsschub: angefangen bei der Energie und damit bei den Wohn-Nebenkosten, die sich bei Niedrigverdienern (und zu denen zählt ein Großteil der Studierenden) besonders stark auswirken, und etwas später bei Lebensmittelpreisen & Co. 

 

Wie ging es den Studierenden 2021?


Wie ging es den Studierenden 2021, das ist also die Frage, auf die sich in der Sozialerhebung Antworten finden, und diese sind dann wiederum so spannend, dass sie auch zwei Jahre später zum Nachdenken anregen. Vor allem weil sie differenziertes Denken erfordern. Ein paar Beispiele:

 

o Die Interpretation, dass es den Studierenden im Schnitt wirtschaftlich immer schlechter geht, findet keine Bestätigung in den Daten. Real, also nach Berücksichtigung der Inflation, stiegen die Gesamteinnahmen pro Studierendem um knapp vier Prozent gegenüber 2016. In Preisen von 2021 betrug das arithmetische Mittel 1.106 Euro pro Monat. 77 Prozent der Studierenden gaben an, die Finanzierung ihres Lebensunterhalts sei "voll und ganz" sichergestellt. 

 

o Allerdings scheint die Einkommensschere weiter aufzugehen, was schon daran zu sehen ist, dass der Median mit 965 Euro deutlich niedriger lag. Mehr Studierende, berichten die Wissenschaftler vom DZHW, die die Befragung durchgeführt haben, erzielten 2021 hohe Einahmen. Ein Viertel hatte mehr als 1.300 Euro zur Verfügung.  Gleichzeitig wuchs der Anteil der Geringverdiener. 37 Prozent der Studierenden, mahnte der DSW-Vorstandsvorsitzende Matthias Anbuhl gestern, "verfügen im Monat über weniger als 800 Euro – das sind nochmal 60 Euro weniger, als die Düsseldorfer Tabelle zum Erhebungszeitpunkt im Sommer 2021 für den Elternunterhalt für auswärts wohnende Studierende vorgab".

 

o Interessanterweise beziehen Studierende aus nicht-akademischen Elternhäusern im Schnitt etwas höhere Bareinnahmen. Laut DZHW liegt dies daran, dass sie nicht nur häufiger, sondern auch in einem größeren Stundenumfang arbeiten (mit, das nur nebenbei gesagt, entsprechenden Auswirkungen auf ihren Studienerfolg). Und sie erhalten vergleichsweise häufiger BAföG – wobei die Gruppe der BAföG-Empfänger mit einem Anteil von 13 Prozent besorgniserregend gering bleibt. Um die 37-Prozent-Gruppe der Geringverdiener zu verkleinern, müsste man also die Gruppe der BAföG-Berechtigten deutlich vergrößern.

 

o Dass Studierende neben dem Studium arbeiten, und das in einem hohen Umfang, bleibt mit 63 Prozent der Befragten der Normalfall. Doch gegenüber 2016 ging die Erwerbstätigenquote um beachtliche fünf Prozentpunkte zurück. Wahrscheinlich vor allem eine Folge der Corona-Beschränkungen. Dass aber gleichzeitig das reale Durchschnittseinkommen gestiegen ist, deutet darauf hin: Die Corona-Überbrückungshilfe des BMBF hat funktioniert.

 

o 410 Euro ihres Einkommens mussten die Studierenden im Sommersemester 2021 im Schnitt für die Miete ausgeben, ein Fünftel musste sogar mehr als 500 Euro pro Monat zahlen. Und hier zeigte sich schon vor der Inflationskrise ihre große finanzielle Verwundbarkeit: Wenn man ein Drittel, teilweise die Hälfte oder mehr seines Geldes für das Wohnen inklusive Nebenkosten ausgeben muss, trifft einen die Explosion dieser Kosten besonders heftig. 

 

o Im Vergleich zu 2016 wandten die Studierenden im Schnitt 2,5 Stunden mehr pro Woche für ihr Studium auf. Von den insgesamt 34 Stunden entfielen etwa 17 auf Lehrveranstaltungen und etwa 17 auf das Selbststudium. Dass das Studieren mehr Zeit einnimmt, ist insofern bemerkenswert, weil, siehe oben, im Sommersemester 2021 meist digital studiert wurde. Die Befragten haben sich also im Onlinesemester stark mit dem Lernstoff auseinandergesetzt – wie effektiv, das ist eine Frage, die die Sozialerhebung logischerweise nicht klären kann.

 

o Atemberaubend ist, dass im Schnitt pro Studierendem noch einmal 15 Stunden Erwerbstätigkeit oben draufkommen. Wenn das der Schnitt ist, aber etliche auch wenig bis gar nicht arbeiten, zeigt das Umfang, in dem andere in ihrem Job eingespannt sind. Kommentar der DZHW-Forscher: " Je höher der Erwerbsaufwand von Studierenden, desto geringer ist ihr wöchentlicher studienbezogener Zeitaufwand."

 

o Den Studierenden ging es 2021 gesundheitlich deutlich schlechter als 2016. 16 Prozent hatten eine oder mehrere gesundheitliche Beeinträchtigungen, ein Anstieg um fünf Prozentpunkte und damit um fast die Hälfte. Innerhalb der wachsenden Gruppe der studienrelevant Beeinträchtigten hat der Anteil der Studierenden mit psychischen Erkrankungen zudem noch zugenommen: um zehn Prozentpunkte auf 65 Prozent. DSW-Vorstandsvorsitzender Anbuhl spricht von einer "Mental-Health-Krise der Studierenden", die nun durch die 22. Sozialerhebung belegt sei. Hier stellt sich natürlich wieder die Corona-Frage: Wie sähen die diesbezüglichen Daten wohl in diesem Jahr aus? Wir wissen es nicht.

 

o Zum Schluss unter den vielen spannenden Ergebnissen (insgesamt ist der Bericht ohne Literaturverzeichnis 138 Seiten lang!) noch der Blick auf die große Vielfalt der Studierenden: 42 Prozent leben in einer festen Partnerschaft, acht Prozent haben Kinder, zwölf Prozent übernehmen Pflegeaufgaben in ihrem privaten Umfeld, 17 Prozent stammen aus einer Einwandererfamilie, knapp 15 Prozent sind internationale Studierende. Was eine schon ältere Erkenntnis unterstreicht: den Normstudierenden gibt es immer weniger. Worauf sich die Hochschulen und die Wissenschaftspolitik noch stärker als bislang einstellen sollten. 

 

Auffällig verhaltene Öffentlichkeitsarbeit

 

Dass die umfangreichen Befragungsergebnisse gestern zunächst vergleichsweise wenig Beachtung fanden, hatte übrigens weniger mit der berechtigterweise zu stellenden Frage nach ihrer Aktualität zu tun. Sondern vor allem mit der im Vergleich zu vorigen Sozialerhebungsrunden auffällig verhaltenen Öffentlichkeitsarbeit des BMBF, das zwar einen Livestream der Pressekonferenz bereitstellte, aber keine Pressemitteilung und kein Statement von Ministerin Bettina-Stark-Watzinger (FDP) veröffentlichte.

 

Was war da los? Dabei hätte man gerade bei dieser Ausgabe mit Recht laut trommeln können, war doch die Sozialerhebung erstmals Teil der "Studierendenbefragung in Deutschland", die drei bislang unabhängige Langzeiterhebungen miteinander verknüpft: neben der Sozialerhebung den Studierendensurvey und die Befragung "best – Studieren mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung".

 

BMBF-Staatssekretär Brandenburg, der bei der Pressekonferenz dabei war, stellte am Abend einen Kommentar bei Twitter online: "Die 22. Sozialerhebung zeigt: Studierende sind überwiegend zufrieden mit persönlicher, finanzieller und Situation an Hochschulen. Aber das Bild der Unterschiede ist groß."

 

Vollkommen unverständlich ist, warum weder BMBF noch (zunächst) DZHW aktiver auf eine weitere Studie hinwiesen, mit der sie versucht haben, den Time Lag bei den Ergebnissen der Sozialerhebung zur wirtschaftlichen Lage der Studierenden zu kompensieren. So haben Forscher eine "Abschätzung" vorgenommen, welche Bedeutung die "Inflation für die wirtschaftliche Situation von Studierenden in Deutschland im Zeitraum 2021 bis 2024" hatte. Methodisch angeknüpft an die Sozialerhebung und über die Ermittlung aktueller "Warenkörbe" für verschiedene Studierendengruppen, die den besonders hohen Anteil von Wohnkosten berücksichtigen.

 

Demzufolge müssen Studierende in den fünf teuersten Hochschulstädten fast zwei Drittel ihres Budgets allein für Wohnen und Essen ausgeben. Insgesamt stieg die Inflation für Studierende 2022 immerhin nicht wesentlich stärker als für den Schnitt der Bevölkerung: jeweils um die sieben Prozent. Nur dass es sich eben um einen insgesamt kaum tragbaren Wert handelt – erst recht nicht bei einem Durchschnittseinkommen von je nach Studierendengruppe deutlich unter 1000 Euro. Und für Mieten mussten Studierende 2022 im Schnitt 10,4 Prozent mehr berappen als im Jahr davor. 

 

Allerdings hätten die temporären Entlastungszahlen (2022 nur für Erwerbstätige und nicht bei den Eltern wohnende BAföG-Empfänger) die tatsächliche Inflationsrate der profitierenden Studiernden deutlich verringert, betonen die DZHW-Forscher. Erfreulich. Was wiederum zeigt: Den Studierenden kann geholfen werden. Wenn der politische Wille da ist. 


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