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Das hat sich gelohnt

Drei Tage saßen Ministerialbeamte aus Bund und Ländern zusammen, um über das Startchancen-Programm zu verhandeln. Danach sprechen Beteiligte von der Hoffnung auf einen Durchbruch.

NEIN, NOCH IST DIE KUH nicht vom Eis. Aber wenn alles so kommt, wie es sich die Verhandlungsführer von vier Landesministerien und dem BMBF erhoffen, werden ihre Chefinnen und Chefs schon Ende nächster Woche einen grundsätzlichen Haken an das wichtigste bildungspolitische Vorhaben der Ampel-Koalition in dieser Legislaturperiode machen. Was nach dem öffentlichen Schlagabtausch, den Kultusminister und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sich in den vergangenen Monaten um das Startchancen-Programm geliefert hatten, ein großer Erfolg wäre. Für beide Seiten.

 

Der Anstoß kam von der KMK: Wie wäre es, wenn man sich Mitte Juni für drei Tage zusammensetze, um auf Ebene der Ministerialbeamten all die strittigen Punkte durchzugehen? Schließlich gebe es, wenn man die beiden bestehenden Eckpunkte-Papiere, das der Länder und das aus dem BMBF nebeneinander lege, bereits viele Übereinstimmungen. Es müsse doch auch möglich sein, die Kontroverse um die Finanzierung beizulegen. Dass die Zeichen auf Tauwetter zwischen BMBF und Kultusministern stehen, wurde zuletzt auch daran deutlich, dass Stark-Watzinger vergangene Woche die Einladung zu einem informellen Kamingespräch mit ihren Länderkollegen für den 23. Juni angenommen hatte

 

Die Klausur in der Hamburger Landesvertretung umfasste Beamte aus dem BMBF und den vier Landesministerien, die die eigens für das Startchancen-Programm eingerichtete Staatssekretärs-AG bestücken: Hamburg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Sie starteten am Montag, am Mittwochnachmittag kamen die Amtschefs wieder dazu, und es wurde mit "Open End" verhandelt, wobei man dann doch nur bis zum noch gar nicht so späten Abend brauchte. 

 

Eine Tonlage, die in den Bund-Länder-Beziehungen

zuletzt nicht oft zu vernehmen war

 

Man habe in den Gesprächen viel Verständnis für die Position der anderen Seite entwickelt, berichteten Beteiligte danach in einer angetanen Tonlage, die in den Bund-Länder-Beziehungen zuletzt nicht oft zu vernehmen war. So  ging man denn auch an die zwei entscheidenden Fragen heran. Erstens der Schlüssel, mit der das Bundesgeld auf die Länder verteilt werden soll. Und zweitens die Kofinanzierung durch die Länder.

 

Zu erstens: Der Bund hatte schon im Ampel-Koalitionsvertrag deutlich gemacht, dass er für die Startchancen vom meist üblichen Königsteiner Schlüssel abweichen wolle, der Bundesgelder den Ländern (mit gewissen Abstufungen) nach dem Gießkannen-Prinzip zuteilt.

 

Die Argumentation: 4000 Schulen mit schwierigen sozialen Umfeld sollen mit dem Programm speziell gefördert werden, und diese Schulen seien eben nicht gleichmäßig über die Bundesrepublik verteilt. Was erst Anfang der Woche Marcel Helbig vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) selten detailliert vorgerechnet hatte. So erreichten in Bayern nur 0,4 Prozent aller Grundschulen Armutsquoten von über 30 Prozent – in Berlin aber 39,2 Prozent, in Bremen gar 47,4 Prozent. 

 

Nach langen internen Verhandlungen hatten sich die Kultusminister tatsächlich im März darauf geeinigt, entsprechend bestimmter Sozialkriterien die Bundesgelder intern umzuverteilen, wenn auch nur im einstelligen Prozentbereich. Was man aber trotzdem als beachtlichen Erfolg wertete – weil damit nicht nur Bayern oder Baden-Württemberg, sondern die große Mehrzahl der Länder zugunsten von drei, vier anderen auf Mittel verzichten würden.

 

Umso nervöser war man, als der Bund dann im Mai in seinem eigenen Konzept andere Kriterien und auch eine andere Aufteilung der Bundesgelder auf die drei Startchancen-Programmsäulen vorsah. Gar nicht so sehr wegen eines möglicherweise stärkeren Umverteilungseffekts insgesamt durch das vom Bund vorgeschlagene Modell (der, stellte sich bald heraus, nämlich wenig bis gar nicht da war), sondern weil man so den mühsamen Länderkonsens wieder aufs Spiel zu setzen drohte.

 

Länder wollen Bundeskriterien
grundsätzlich akzeptieren

 

Bei der Klausur dann die Andeutung eines Durchbruchs: Die Vertreter der Länder erklärten, es sei vorstellbar, die Verteilungskriterien des Bundes grundsätzlich zu akzeptieren. Diese waren: der Anteil der unter 18-Jährigen mit Einwanderungsgeschichte, die Armutsgefährdungsquote und die Wirtschaftsleistung pro Kopf (je geringer, desto mehr).

 

Der Bund wollte 50 Prozent aller Startchancen-Gelder so vergeben. Weitere 30 Prozent sollten in Säule zwei ("Chancenbudget für bedarfsgerechte Lösungen") und die restlichen 20 Prozent in Säule 3 ("Schulsozialarbeit für personelle Verstärkung") fließen, entweder über Umsatzsteuerpunkte oder über den Länderfinanzausgleich. Beides wäre deutlich weniger zielgenau und stärker Gießkanne, weshalb der Bund für eine möglichst starke Säule 1 plädiert. Die Länder argumentieren unter anderem, Säule 2 und 2 stellten den pädagogischen Kern des Startchancen-Programms und müssten daher stärker ausfallen. 

 

Wobei das mit dem "grundsätzlich" wichtig ist. Denn noch ist die genaue Aufteilung zwischen den Säulen noch Verhandlungsgegenstand, genauso wie die Gewichtung der Sozialkriterien innerhalb von Säule 1. Vor allem von diesen "Schiebereglern" wird am Ende abhängen, wie groß der Gewinn oder Verlust für einzelne Länder sein wird. All das, sagen an der Klausur Beteiligte, seien jetzt aber lösbare Aufgaben, man werde bis zur Klausur nächste Woche viel rechnen. Interessant ist auch, dass offenbar keine bisher mit den Bundeskriterien ausprobierte Modellrechnung zu einer massiv größeren Umverteilungswirkung führte – nie waren es mehr als 30, 40 Millionen Euro insgesamt, ausgehend von einer Bundesmilliarde. Fast dieselbe Größenordnung hatte auch das Ländermodell gebracht.

 

Also nur ein Tropfen auf dem heißen Stein angesichts der massiven Unterschiede zwischen den Bundesländern, wie der WZB-Forscher Helbig sie so anschaulich zeigte? Ja und nein. Immerhin würde ein Land wie Bremen 25 bis 30 Prozent mehr pro Jahr erhalten als über den Königsteiner Schlüssel, und das über zehn Jahre hinweg, Berlin und Nordrhein-Westfalen zwischen zehn und 15 Prozent – sämtliche Ostländer und Bayern beispielsweise aber gut zehn Prozent einbüßen. Die massiven sozialen Unterschiede würden also nur zu einem geringeren Teil adressiert, doch das bildungspolitische Signal wäre trotzdem wichtig: Bund und Länder einigen sich auf einen Paradigmenwechsel in der gemeinsamen Bildungsfinanzierung – und wenn es nur der erste Einstieg ist. 

 

Interessanterweise würde Hamburg trotz der laut WZB dritthöchsten Armutsquote bundesweit kaum bis gar nicht profitieren – weil die Hansestadt die höchste Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung hat. 

 

Innerhalb der Länder soll das Geld dann in jedem Fall nach Bedarf vergeben werden. In den Ländern, die ihn haben, per Sozialindex, in den übrigen mindestens anhand der beiden Kriterien Armutsquote und Schüler mit Einwanderungsgeschichte.

 

Was die Länder dazuzahlen wollen – und wo
der Bund ihnen entgegenkommen könnte

 

Bleibt die Frage nach der Kofinanzierung. Hier hatten die Länder lange auf stur gestellt, während der Bund ultimativ pro Bundeseuro einen frischen Ländereuro eingefordert hatte, also zusätzlich zu den bisherigen Bildungshaushalten. Doch auch hier haben sich die Länder bewegt und ihre grundsätzliche Bereitschaft signalisiert, wofür der Bund an zwei Stellen entgegenkommen dürfte: Länder wie Hamburg oder NRW, die bereits eigene Brennpunkt-Förderprogramme haben, wollen deren Finanzierung anrechnen lassen und nur den Rest zusätzlich kofinanzieren. Was der Bund sich wohl vorstellen könnte, solange dabei strenge Maßstäbe angelegt werden – und andere Länder nicht plötzlich auch alle möglichen Programme als "Startchancen"-ähnlich deklarieren. Außerdem könnte es sein, dass die Länder die Kofinanzierung nicht schon 2024 bringen müssen, weil hierfür gar kein Geld in ihren Haushalten eingestellt ist, sondern erst in den Folgejahren.

 

Man ging gestern Abend recht zufrieden auseinander – wohl wissen, dass die verhandelnden Länder jetzt die übrigen ins Boot holen müssen und das BMBF über die Zahlungsmodalitäten mit dem Bundesfinanzministerium wird sprechen müssen. Wie wahrscheinlich der erhoffte Durchbruch tatsächlich ist, dürfte sich schon nächste Woche beim Kamingespräch mit Kultusministern und Bettina Stark-Watzinger in Berlin erweisen. Doch erst einmal stehen die Signale auf Zuversicht. 

 

 

Nachtrag am 15. Juni, 18 Uhr:

CDU-Kultusminister: Trotz Annäherungen wichtige Punkte noch offen, außerdem darf eine Einigung nicht auf Kosten der Digitalpakt-Fortsetzung gehen

 

Nach der ersten Begeisterung über die gute Atmosphäre in den Bund-Länder-Gesprächen zum Startchancen-Programm mahnen vor allem CDU-Bildungspolitiker aus den Ländern, die Fortschritte nicht zu überschätzen. Hessens Kultusminister Alexander Lorz, der die Bildungspolitik der Länder mit Unionsbeteiligung koordiniert, sagte, die gemeinsamen intensiveren Gespräche dieser Woche seien "ein positives Zeichen für eine mögliche Umsetzung des Startchancenprogramms". Trotz Annäherungen in einigen Teilbereichen blieben aber wichtige Punkte von Seiten des Bundes noch offen und ungeklärt – "wie die Finanzierung, die genaue Mittelverteilung oder die rechtliche Umsetzung". Die Länder benötigten endlich verbindliche Aussagen. "Zugleich", mahnte Lorz, "darf eine Einigung beim Startchancenprogramm nicht auf Kosten der für alle Länder unentbehrlichen Fortführung des Digitalpakts gehen, der schon im nächsten Mai ausläuft".  

 

Hier sind die Sorgen auf Seiten aller Länder groß, dass das BMBF aus Geldknappheit die Fortsetzung verschieben oder den Pakt finanziell eindampfen könnte. Seit Herbst habe es hier praktisch keine Fortschritte in den Verhandlungen gegeben, heißt es. Offiziell beklagt Lorz, der Bund habe in Sachen Digitalpakt-Fortsetzung "bislang nichts über die Zeit, die Summen und die Regularien dargelegt. Die Bundesbildungsministerin muss Klarheit schaffen und den Stillstand beseitigen." Der Stillstand treffe nicht nur die Länder, sondern auch die Schulen und die Kommunen. "Im Hinblick auf das gemeinsame Gespräch mit Ministerin Stark-Watzinger erwarten wir am 23. Juni belastbare Aussagen." 

 

Schleswig-Holsteins CDU-Bildungsministerin Karin Prien sagte gar: "Ohne die Klarheit über eine Finanzierung des Digitalpakts 2.0 durch den Bund kann es keine Verständigung zum Startchancen-Paket geben." Andernfalls müssten die Länder selbst so viel zusätzlich in die Digitalisierung der Schulen investieren, was eigentlich Aufgabe der Schulträger sei, dass ihnen am Ende schlicht die Haushaltsspielräume zur Startchancen-Kofinanzierung fehlen würden. "Außerdem würde das bedeuten, dass der Bund den Grundkonsens mit den Länder verließe, dass die Digitalisierung der Schulen gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen ist."


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