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Sparen bei der DDR-Forschung: Die Angst vor der Abbruchkante

Wie erging es Menschen mit Behinderungen in der DDR? Was erlebten die Bewohner von Kinder- und Jugendheimen? Vom BMBF finanzierte Forschungsvorhaben sind solchen Fragen nachgegangen. Doch spätestens 2025 droht vielen Projekten das Aus.

Der ehemalige Geschlossene Jugendwerkhof Torgau ist heute eine Gedenkstätte. Kann die wissenschaftliche Forschung zu "DDR-Spezialheimen" fortgesetzt werden? Foto: PeterBraun74 / CC BY-SA 4.0.

DEN GESCHLOSSENEN JUGENDWERKHOF TORGAU haben viele seiner früheren Bewohner auch Jahrzehnte später nicht vergessen. Der Forschungsverbund "DDR-Spezialheime" gab ihnen die Gelegenheit, ihre teilweise traumatischen Erlebnisse in autobiographischen Interviews mit Wissenschaftlern zu berichten – und damit zur historischen Aufarbeitung eines vorher kaum bekannten Kapitels ostdeutscher Geschichte beizutragen. Zur Erforschung der Erziehung von Kindern und Jugendlichen in Spezialheimen gehörten genauso Gespräche mit ehemaligen Mitarbeitern und eine aufwändige Analyse von Akten, Dokumenten und Literatur. Doch jetzt ist Schluss. "Wir hätten einen Antrag auf eine Förderverlängerung stellen können", sagt die Dresdner Sozialpädgogik-Professorin Cornelia Wustmann. "Aber nur um zwei Jahre und mit 50 Prozent weniger Fördermitteln. Das hat für uns nicht zusammengepasst mit dem Aufwand des neuen Antrags und den unsicheren Aussichten auf Erfolg."

 

14 Forschungsverbünde umfasste die 2018 gestartete BMBF-Förderlinie zur DDR-Forschung in ihrer ersten Programmphase. Drei bis vier Jahre Projektfinanzierung, die ungewöhnliche Kooperationen ermöglichte zwischen Hochschulen, Forschungsinstituten, Schulen, Museen, Opferverbänden und Gedenkstätten – wie im Falle von Torgau die des Geschlossenen Jugendwerkhofs. Das Spektrum der Forschungsthemen reichte von Fluchtversuchen und dem Grenzregime über die DDR-Umweltpolitik im Vergleich zu Westdeutschland bis hin zum medialen Erbe der DDR. 

 

Nach erfolgreicher Begutachtung, versprach die Richtlinie von 2017, könne eine "Weiterförderung um bis zu zwei Jahre erfolgen". Doch, kritisiert die CDU-/CSU-Fraktion im Bundestag, in Wirklichkeit habe das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die DDR-Forschung jetzt drastisch gekürzt. So sehr, dass etwa das Torgau-Projekt freiwillig ausstieg und andere unfreiwillig aussortiert wurden. 

 

Nicht einmal mehr Zeit
für die Arbeitslos-Meldung

 

Gern weitergemacht hätte etwa das Verbundteam um Sebastian Barsch. Unter dem Kürzel "DisHist" haben Wissenschaftler der Uni Kiel und der Universität der Bundeswehr München den Alltag von Menschen mit Behinderungen in der DDR erforscht. "DisHist" war das erste Projekt der Förderlinie überhaupt, so dass es auch als erstes seinen Verlängerungsantrag stellen konnte. Der zunächst positiv begutachtet wurde, vom Projektträger DLR kam sogar die Nachricht, dass die Mittel für DisHist bereits im Haushalt eingeplant seien. 

 

Doch dann begann vergangenen Sommer die Hängepartie für diese und weitere geistes- und sozialwissenschaftliche Förderlinien. Das BMBF verwies auf die "besonderen Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg". Zwei Wochen vor dem geplanten Förderbeginn zum 1. September 2022 erhielten Barsch und seine Mitstreiter die vorläufige Absage inklusive Hinweis, dass die DLR-Nachricht noch keine Zusage bedeutet habe. Wenn es Geld gebe, dann aus haushalterischen Gründen frühestens im Jahr 2023. 

 

Die knappe Absage bedeutete, dass die betroffenen drei Projektmitarbeiter nicht einmal mehr ihre Arbeitslos-Meldung fristgerecht hätten einreichen können, sagt Barsch. Bis zur endgültigen Ablehnung vergingen weitere sechs Monate. Die Summe der Anträge in der Förderlinie habe die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel überstiegen, teilte das DLR mit, daher würden nur die von den Gutachtern am besten bewerteten Projekte gefördert.  

 

Der Umfang der
Kürzungen ist unklar

 

Im BMBF-Fördertitel für die Geistes- und Sozialwissenschaften insgesamt sind 2023 mit 108 Millionen Euro sogar knapp drei Millionen mehr vorgesehen als 2022, wobei nicht extra ausgewiesen wird, wieviel davon dieses Jahr in die DDR-Forschung fließt. BMBF-Staatssekretär Jens Brandenburg betonte Ende April auf eine parlamentarische Anfrage der Unionsfraktion hin, die Finanzierung der Verlängerungsphase entspreche der bereits bei Ausschreibung im Jahr 2017 "vorgegebenen Maßgabe einer degressiven Förderung". 

 

Was das BMBF nicht sagt: wie viele der 14 Verbundprojekte bereits nicht mehr dabei sind. Über den Förderumfang in der zweiten Phase können aktuell "noch keine konkreten Angaben gemacht werden, weil das Auswahl- und Bewilligungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist", teilt eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage mit.

 

"Das BMBF muss dringend für Aufklärung sorgen", sagt der zuständige Berichterstatter der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, Lars Rohwer. Die Verunsicherung in der DDR-Forschungscommunity sei groß. Denn abgesehen von der Ausgestaltung der zweiten Projektphase drohe 2025 endgültig die Abbruchkante, wenn die bisherige, noch unter CDU-Forschungsministerin Wanka beschlossene Förderlinie auslaufe. "Es ist nachvollziehbar, dass jede Ministerin ihre eigenen Schwerpunkte setzt, aber Frau Stark-Watzinger muss endlich sagen, was das für die DDR-Forschung bedeutet." Und zwar so rechtzeitig, dass die erneute Unsicherheit nicht zu einem weiteren Verlust wertvoller Forschungsmitarbeiter führe.

 

Die BMBF-Sprecherin sagt, über eine etwaige Fortführung der Förderung der DDR-Forschung nach 2025 könne zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussage getroffen werden.

 

Cornelia Wustmann sagt, für historische Forschung gebe es immer ein Zeitfenster. Man könne nicht zu früh starten, weil dann die nötige Distanz noch nicht da sei. Und wenn man zu lange warte, seien irgendwann die Zeitzeugen nicht mehr da. "Eigentlich", sagt sie, "müsste jetzt gerade die Hochphase der DDR-Forschung beginnen."

 

Dieser Beitrag erschien zuerst im Tagesspiegel.




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Kommentare: 1
  • #1

    Bernd Käpplinger (Donnerstag, 29 Juni 2023 12:57)

    Ja, DDR-Forschung wäre sicherlich wichtig. Allerdings eine DDR-Forschung, die möglichst plural aufgestellt ist und nicht relativ dominant vor allem den DDR-Unrechtsstaat in den Blick nimmt. Die damalige Liste der geförderten Verbünde war aber auf "Unrecht", "Rechtsbeugung", "Diktatur", "Grenzregime", "Bildungsmythen", "Stadtzerfall", "sexuelle Gewalt" und Traumata ausgerichtet, weil das wahrscheinlich damals so in einem CDU-Ministerium nach vorne gerückt werden sollte bei der Erforschung der DDR-Geschichte. Insofern wundert es sich auch nicht, wenn sich nun vor allem die CDU/CSU kritisch äußert. Hätte man damals breiter gefördert, wäre die Unterstützung dieser DDR-Forschung vielleicht größer sein?

    Und etwas schmunzeln lässt der Hinweis auf die Zeitzeugen, da man natürlich historische Forschung auch ohne Zeitzeuginnen und Zeitzeugen betreiben kann, die zumal nicht selten Ereignisse und ihre Verläufe schlecht bis falsch erinnern oder wissentlich oder unwissentlich biographisch glätten. Guido Knopp hat populärwissenschaftlich sicherlich viele Verdienste, aber auch leider dazu beigetragen, dass man allzu oft sich zu sehr auf Zeitzeuginnen und Zeitzeugen fokussiert.