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Warten auf das Happy End

Die bühnenreifen Bund-Länder-Verhandlungen um die Startchancen gehen in den Schlussakt. Welche Knackpunkte bleiben – und warum das Ziel der Beteiligten nicht bloße Gesichtswahrung sein darf. Ein Gastbeitrag von Markus Warnke.

Markus Warnke ist Jurist und seit 2013 Geschäftsführer der privaten Wübben-Stiftung. Diese engagiert sich in der Förderung von sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern. 

Foto: Peter Gwiazda, Wübben Stiftung.

SEIT WOCHEN ist es still geworden um das Startchancen-Programm, das 4000 Schulen im Brennpunkt mit besserer Ausstattung, Schulsozialarbeit sowie einem frei verfügbaren finanziellen Budget unterstützen soll. In Intervallen gab es immer wieder zum Teil heftige Kontroversen zwischen dem Bund und den Ländern, die oft auf offener Bühne ausgetragen wurden. Klar ist, dass es jetzt bald einen finalen Schlussakt geben muss. Erleben wir also die Ruhe vor dem nächsten Höhepunkt oder stehen wir kurz vor einem hoffentlich glücklichen Ende? Ginge es nicht um eine so wichtige Sache, wie die Unterstützung von Schulen im Brennpunkt und damit um die Verbesserung der Lebenschancen junger Menschen, wäre das ganze ein interessantes Theaterstück mit Höhen und Tiefen und vor allem Drama.

 

In der Hauptrolle für die Bundesregierung agiert öffentlich sichtbar zunächst die Bundesbildungsministerin. Auf der anderen Seite werden die Länder vertreten durch Ihre Kultusministerinnen und Kultusminister, die sich unterschiedlich stark in den Vordergrund drängen. Die Eröffnung bietet der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, in dem erstmals, und für viele überraschend, dieses Startchancen-Programm auftaucht. Offensichtlich sollten die positiven Erfahrungen einzelner Länder mit ihren spezifischen Programmen für Schulen im Brennpunkt durch den Bund unterstützt und in alle Länder gebracht werden. Es wäre ein wichtiges und gutes Signal für fairere Bildungschancen.

 

Der Prozess für die Erarbeitung des Programms war zu Beginn geradezu mustergültig angelegt. Hinter den Kulissen gab es Workshops mit Wissenschaft und Experteninnen und Experten aus dem Feld. Auf dieser Arbeitsebene war das Verhältnis stets konstruktiv. Vielleicht, so schien es, gelinge tatsächlich ein neuer Geist der Kooperation zwischen Bund und Ländern. 

 

Nicht ungewöhnlich war an dieser Stelle, dass die Finanzierung des Vorhabens erst im Schlussakt geklärt werden würde. Über wie viel Geld verhandelt wurde, war und blieb allen Beteiligten so lange unklar, bis der Bundesfinanzminister in seine Rolle die Bühne betrat, als er eine "Bildungsmilliarde" in Aussicht stellte. Ein weiterer Höhepunkt. Ob für den Digitalpakt oder das Startchancen-Programm konkretisierten weder er noch seine Parteifreundin und Bildungsministerin.

 

Der unterschätzte Namensbeitrag
des Bundesfinanzministers

 

Vom bildungspolitischen Publikum unterschätzt blieb ein Namensbeitrag, den Bundesfinanzminister Lindner am 31. August 2022 in der FAZ veröffentlichte. Der Bund, so die Überschrift und der Tenor, solle keine Länderaufgaben finanzieren. Nun gibt es nachvollziehbare Gründe für eine solche Position, dass damit das Startchancen-Programm oder auch der weitere Digitalpakt gemeint sein könnten, denen die FDP im Koalitionsvertrag zugestimmt hatte, wurde offenbar nicht gesehen.

 

Ob solche Gedanken oder Vorgaben nun das Vorgehen der Bundesbildungsministerin bestimmt haben bzw. bestimmen, ist nicht gesichert. Interessant bleibt aber, dass beim Startchancen-Programm keine besondere Eile im Bundesbildungsministerium gegeben war. Erste Haushaltsmittel wurden nicht für 2023, sondern erst für die zweite Hälfte 2024 angemeldet. Es gab offenbar kein Interesse daran, das Programm möglichst rasch, zumindest noch in dieser Legislatur zu starten.

 

Viele offene Punkte blieben sehr lange ungeklärt. Einen klaren Fahrplan mit konkreten zeitlichen Vorgaben wurde lange nicht präsentiert. Die Länder fragten nach, wurden ungeduldig, preschten irgendwann vor, wurden dann von der Bundesministerin wieder überholt. Interne Papiere wurden hüben wie drüben durchgestochen. Es entwickelte sich eine Inszenierung wie in den schönsten Dramen, denn nun ging es ums Eingemachte, nun ging es ums Geld. Bis heute sind die Finanzierungsanteile von Bund und auch der Länder ungeklärt. Wieviel gibt es etwa für die Ausstattung, wieviel für das frei von den Schulen verfügbare Chancenbudget?

 

An den entgegengesetzten
Rändern des Bühnenbildes

 

Mitten in diese bekannten Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern platzte die Erkenntnis, dass die Erzählung eines anderen Stückes hier Relevanz hätte: Denn die Mittel des Bundes für den Digitalpakt waren offenbar, wie von den Ländern vermutet, keine Selbstverständlichkeit. Das bereits seit dem ersten Akt angespannte Verhältnis von Bund und Ländern bringt beide spätestens jetzt an die entgegengesetzten Ränder unseres Bühnenbildes. 

 

Ob und wie sie wieder zusammenkommen ist zu beobachten. Die Öffentlichkeit schaut zu. Alle auf der Bühne wissen, dass sie diese Bühne erst nach dem Schlussakt, nicht ohne Ergebnis verlassen dürfen. Die Performance der Akteure und Akteurinnen darf aber nicht wichtiger werden als der eigentliche Anlass der Inszenierung: Die Ausgestaltung des Programms.

 

Zu den drei Säulen (Ausstattung, Chancenbudget, Schulsozialarbeit) ließe sich viel sagen. Überbordende Erwartungen an das Programm, die so nicht erfüllt werden können, helfen niemanden. Mit einer Schulsozialarbeiterin oder einem Schulsozialarbeiter mehr an einer Schule und etwas Geld wird es jedenfalls keine besseren Leistungsergebnisse der Schülerinnen und Schüler in wenigen Jahren geben. Und die vom Bund angedachte Unterstützung bei der Ausstattung ist in diesem Programm falsch verortet und wird den Unterricht zeitnah nicht besser machen. Am wichtigsten ist die Begleitung der Schulen in ihren Entwicklungsprozessen. Die Konzentration auf die Vermittlung von basalen Kompetenzen der Kinder muss prioritär sein. Auf diesem Weg brauchen die Schulen Hilfe.

 

Eine Einigung nur zur Gesichtswahrung könnte
genauso schlecht sein wie keine Einigung

 

Wenn das Programm stimmt, wären wir wieder beim spannenden Schlussakt, in dem es um die Finanzierung geht. Die Länder haben sich, so ist zumindest der Eindruck, mit einer vom Bund geforderten zielgerichteten Verteilung der Bundesmittel arrangiert. Die Abkehr vom Königsteiner Schlüssel, sollte sie kommen, wäre ein nicht zu unterschätzender Erfolg – auch wenn sie faktisch vielleicht nicht so stark ausfällt, wie es sich Bund und nahezu alle Experten und Expertinnen hätten vorstellen können. Doch wie viel werfen die Länder in den großen Topf? Als Verlierer auf offener Bühne zu stehen, kann sich niemand leisten. Eine Einigung aber, bei der die öffentlichkeitswirksame Wahrung der Gesichter im Vordergrund steht, könnte am Ende genauso schlecht sein, wie keine Lösung. Die Kritik wäre in jedem der beiden Fälle hart und berechtigt und träfe alle gleichermaßen.

 

Am Ende geht es nicht darum, dass die politischen Akteure, sondern die Schulen gewinnen und nicht zum Leidtragenden von Kompromissen werden, die ihnen nicht helfen. Die Schulen brauchen zeitnah ein gutdurchdachtes Programm, das nicht an ihnen vorbei geplant wird, sondern ihnen wirklich in ihrer Situation nachhaltig und langfristig hilft. Die Schulen warten und brauchen ein Happy End. 




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