Friedrich Merz und ich ziehen da an einem Strang
Karin Prien ist Bildungsministerin von Schleswig-Holstein und stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende. Nach den miesen PISA-Ergebnissen fordert sie Deutschlands Umbau zum "sozialen Bildungsstaat", will eine neue Rolle für die Kultusministerkonferenz, kritisiert Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger – und sieht einen Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik ihrer Partei.

Karin Prien(CDU) ist seit 2017 Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Schleswig-Holsteins seit 2022 stellvertretende CDU-Vorsitzende.Foto: Frank Peter.
Frau Prien, als vor einem Jahr Ihre Zeit als Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) zu Ende ging, sagten Sie im Interview hier im Blog: Wenn die KMK künftig eine prägende Rolle spielen wolle in der Bildungspolitik, "wird das nur mit noch mehr Kooperation gehen, nicht weniger. Aber umso dringlicher muss die KMK ran an ihre Gremienstrukturen und Arbeitsprozesse." Vergangene Woche haben Sie und Ihre Kollegen beschlossen, bis März konkrete Reform-Maßnahmen ausarbeiten zu lassen. Ist es das, was Sie unter "umso dringlicher" verstehen?
Zunächst einmal bin ich wirklich froh, dass die KMK als eine der wenigen Entscheidungsstrukturen in unserem föderalen Staat die Kraft und den Mut hat, eine Strukturreform anzugehen und sich damit auch eingesteht, dass ihre Strukturen überkommen sind. Und mit dem Eckpunkte-Beschluss von vergangener Woche haben wir jetzt eine gute Grundlage, um die zentralen Fragen zu beantworten und die KMK zukunftsfähig zu machen. Wie definieren wir die Aufgabe der KMK neu, und was folgt aus dieser Aufgabe für die Arbeit ihrer Gremien, aber auch für die Organisation des KMK-Sekretariats?
Die Strukturkommission zur Reform der KMK wurde 2021 eingesetzt. Wie lange wird es noch dauern, bis Sie und Ihre Kollegen sich auf die Antworten einigen?
An der grundlegenden Debatte und einer zeitnahen Entscheidung führt jetzt kein Weg mehr vorbei, auch wenn sich die Positionen zwischen den Ländern zur Rolle der KMK unterscheiden mögen. Meine feste Überzeugung ist, dass wir politischer und strategischer werden müssen. Was bedeutet: Mithilfe der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) identifizieren wir in der KMK die Handlungsbedarfe in unserem föderalen Bildungssystem, daraus leiten wir gemeinsame Ziele ab, deren Erreichung nachweisbar und messbar sein muss. Und dann verständigen wir uns auf länderübergreifende Strategien zur Umsetzung dieser Ziele. Das bedeutet überhaupt nicht, dass die KMK zu einer zentralen Steuerungseinheit der gesamten Bildungspolitik wird, aber in den wirklich entscheidenden Fragen, die uns alle angehen, sollte sie genau das sein.
Welche Fragen sind das?
Das weitere Definieren, Implementieren und Erreichen von Bildungsstandards. Die Senkung der Schulabbrecherquoten und die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen aus prekären Familien mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. Das sind alles Themen, bei denen wir als föderaler Staat nur gemeinsam erfolgreich sein werden. Was nicht heißt, dass ich als Landesbildungsministerin so lange warte, bis die KMK da ist, wo ich sie mir wünsche. Sondern ich arbeite mit Hochdruck dran. Bevorzugt mit der ganzen KMK, und wenn das nicht geht, mit einzelnen Ländern, ob mit Hamburg, Baden-Württemberg, Hessen oder Rheinland-Pfalz.
"Das Engagement des Bundes in der Bildung ist ein Trauerspiel."
Wenn Sie sagen, die Erreichung dieser Ziele sollte messbar sein, dann fordern Sie eine Transparenz, die wir an vielen Stellen in unserem Bildungssystem bislang nicht haben.
Weil wir nicht alle die nötigen Daten erheben und weil wir sie nicht nach einheitlichen Standards erheben. Auch die Definition dieser Standards sollte Aufgabe der KMK sein.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) will, wenn es nicht anders geht, künftig ebenfalls auf "eine Koalition der Willigen" setzen. Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sagte sie: "Ich würde mir wünschen, dass das Grundgesetz uns eine Zusammenarbeit zwischen dem Bund und einem Teil der Bundesländer erlaubt", so könne man schneller Projekte anstoßen, denn: "Wir müssen schneller handeln können, um Bildung gut zu organisieren. PISA zeigt, dass die Zeit drängt."
Die Zeit drängt für ein stärkeres und merklich verlässliches Engagement des Bundes. Dafür braucht es erstmal keine Grundgesetzänderung, sondern einen ernsthaften politischen Willen. Der Bund hat das Aufholprogramm nach Corona gegen den dringenden rat der Länder schon 2022 eingestellt, hat das Sprachkita-Programm eingestellt und die Qualitätsoffensive Lehrerbildung. Das Startchancenprogramm ist noch immer nicht auf dem Weg und kann kaum noch zum Schuljahr 24/25 in der erforderlichen Qualität starten. Die endgültige Finanzierung fehlt bisher sowohl für das Startchancenpaket als auch für den Digitalpakt 2.0. Das Engagement des Bundes in der Bildung ist trotz aller anders lautenden Rhetorik ein Trauerspiel.
Reden wir erstmal über die Perfomance der Länder. Apropos fehlende Daten: Über das Ziel besseren Bildungsstatistiken reden die Kultusminister auch schon seit Jahren, trotzdem bekamen sie von der SWK bei deren Lehrerbildungs-Gutachten gerade erst wieder ins Stammbuch geschrieben, dass die Datenqualität mies ist – oder die Daten gar nicht vorhanden. Wenn zugleich die PISA-Ergebnisse historisch schlecht ausfallen, macht Sie das nicht auch ungeduldig?
Natürlich bin ich ungeduldig. Und ich verstehe die Ungeduld anderer. Umgekehrt würde ich mir a manchmal mehr Aufrichtigkeit wünschen bei den Kritikern der KMK – zumindest bei denen, die wissen sollten, wie der politische Betrieb funktioniert. Die KMK bewegt sich genau in die Richtung, die ich eben skizziert habe. In den vergangenen zwei, drei Jahren sind in der Hinsicht ganz entscheidende Dinge passiert. Wir haben jetzt die SWK und ein gemeinsames Arbeitsprogramm, und sie gibt uns Empfehlungen zu zentralen Fragen von der Reform der Grundschule über die Digitalisierung des Bildungssystems bis zur Weiterentwicklung der Lehrkräftebildung. Wir bekommen von den Wissenschaftlern Handlungsempfehlungen vorgelegt, beschließen sie als Kultusminister und gehen in die qualitative Umsetzung. Die KMK-Strukturreform dauert, aber wir befinden uns eben nicht in einem politischen Vakuum, in der realen Welt kommen wir gut voran.
Ihre erste Stellungnahme zu den neuen PISA-Ergebnissen hörte sich allerdings selbst so an, als reiche es Ihnen langsam. "Deutschland muss den Weg vom Sozialstaat zum sozialen Bildungsstaat einschlagen", haben Sie da gefordert. Und: "Der soziale Bildungsstaat muss als Ideal über allen politischen Debatten stehen."
Ja, das geht aber weit über die Kompetenz der KMK hinaus. Damit wollte ich ausdrücken, dass wir in Deutschland keine ausreichenden politischen Strategien haben, um unsere offensichtlichen Probleme zu lösen. Zu diesen offensichtlichen Problemen gehört, dass wir seit langem ein Einwanderungsland sind, dass wir aber weder unsere sozialen Sicherungssysteme noch unser Bildungssystem entsprechend ausgerichtet haben. Das ist zu null Prozent Schuld der Kinder und Jugendlichen, die zu uns kommen. Das liegt allein an der Unentschlossenheit unserer Gesellschaft und der politischen Entscheidungsträger.
"Meine Partei trägt mit Sicherheit ihren Teil der Verantwortung."
Sagen Sie als stellvertretende Bundesvorsitzende einer Partei, die lange eben nicht an der Seite derjenigen standen, die schon vor 20, 25 Jahren offensiv gesagt haben: "Deutschland ist ein Einwanderungsland."
Meine Partei trägt mit Sicherheit ihren Teil der Verantwortung. Aber ehrlich gesagt kann ich auch bei den Parteien, die sich vor der CDU rhetorisch zur Einwanderung bekannt haben, nicht erkennen, dass sie ihr politisches Handeln dadurch wesentlich geändert hätten. Die Ampel-Parteien etwa sind mit einem sehr ehrgeizigen bildungspolitischen Anspruch angetreten, den ich in vielen Bereichen unterstützt habe. Aber was ist davon übriggeblieben? Allenfalls ein Startchancen-Programm, das es erstens noch nicht gibt und zweitens frühestens zum Schuljahr 2024/25 in Kraft treten kann, also kurz vor Ende der Legislatur, wobei auch das zunehmend unwahrscheinlich wird. Noch dazu mit einem finanziellen Umfang, bei dem ich nur sagen kann: Dieses Programm wird die Welt nicht retten, es wird kaum noch der Tropfen auf dem heißen Stein sein, und die großen strukturellen Themen packt es auch nicht an. Die freundliche Rhetorik von der Chancen-Gesellschaft an sich hilft keinem Kind, die Chancen zu erhalten, die es unabhängig von seiner Herkunft verdient. Die Taten sind entscheidend, und da tun wir als Gesellschaft bislang alle zu wenig. Es gibt andere Länder, die bekommen das hin. Ein gerechteres Bildungssystem ist keine Raketenwissenschaft, sondern eine Frage des politischen Willens.
Bei Ihnen stimmt die Rhetorik auch, kann man sagen. "Wir müssen mehr in Bildung investieren", haben Sie nach PISA gesagt. Aber wie sieht es denn in Schleswig-Holstein mit den Taten aus, in dem Land, in dem Sie Bildungsministerin sind? Ihre Landesregierung hat den Haushaltsnotstand ausgerufen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, weil es auch bei Ihnen problematische Haushaltskonstrukte gab. Nehmen Sie die Bildung beim Kürzen aus, legen womöglich noch etwas drauf?
Leider müssen wir in Schleswig-Holstein im Gesamthaushalt erheblich einsparen. Trotzdem gelingt es uns, die Bildungsausgaben im Schul- und Wissenschaftsbereich zu steigern, auch wenn die Aufwüchse geringer ausfallen, als ich mir das wünschen würde. Deshalb werden wir priorisieren und Strukturen hinterfragen, aber wir planen als Landesregierung auch knapp 420 Stellen im Schulbereich zu schaffen. Das ist eine große Anstrengung für Schleswig-Holstein.
Mehr geht nicht?
Das Problem ist, dass ein Landeshaushalt sehr wenig freie Masse enthält, weil er so viele Pflichtaufgaben abdeckt, die übrigens wiederum zu einem guten Teil auf Gesetzesänderungen und Anforderungen zurückgehen, die vom Bund kommen. Wenn der Bund Wohngelderhöhungen oder Steuererleichterungen beschließt, holt er die Länder zu einem erheblichen Teil mit in die Haftung. Und wenn die Ampel bei allen neuen Förderprogrammen auch in der Bildung künftig einen 50-Prozent-Anteil von den Ländern verlangt, schränkt das unsere landesseitigen Spielräume weiter ein. Dann wird einem vergleichsweise finanzschwachen Land wie Schleswig-Holstein die Luft zu Atmen genommen. Und das in einer Situation, in der wir dringend mehr Ressourcen in der Bildung bräuchten angesichts massiv wachsender Schülerzahlen, aber auch um eine bessere Bildungsqualität in den Kitas und Schulen zu ermöglichen.
"Natürlich ist es immer eine Frage der Priorisierung."
Sie sagen also, als Land sind Sie am Ende der Möglichkeiten angekommen, aber der Bund nicht? Das sehen die Bundespolitiker auch in Ihrer Partei anders.
Natürlich ist es immer eine Frage der Priorisierung, darum bin ich ja froh, dass wir in Schleswig-Holstein bei den Kitas und Schulen weniger beim Zuwachs einsparen, als es im Verhältnis zum Gesamthaushalt eigentlich erforderlich wäre. Darum haben wir in Schleswig-Holstein und in anderen Bundesländern zum Beispiel auch das Sprachkita-Programm weiterfinanziert, nachdem der Bund plötzlich und entgegen seinen Aussagen im Ampel-Koalitionsvertrag ausgestiegen ist. Aber am Ende können wir auch nicht völlig aussteigen, etwa in Krankenhäuser, den Hochschulbau, die Polizei oder in den Personennahverkehr zu investieren, denn dann werden wir unsere Klimaschutzziele nicht erreichen.
Kommentare
#1 - Liebe Frau Prien,da die CDU in 16 Jahren Regierungsära in…
da die CDU in 16 Jahren Regierungsära in ministerieller Verantwortung die heutige Bildungsmisere maßgeblich mitverursacht hat, ist
das Vorschlagen von Konzepten für mich wenig glaubhaft; ja die Verwendung des Ausdrucks "sozialer Bildungsstaat" durch die CDU grenzt für mich an Zynismus.
Versuchen Sie aber gern durch Taten zu überzeugen:
- Unterstützen Sie und die CDU eine Erhöhung der Löhne in Bildungsberufen.
- Schaffen Sie in den CDU-geführten Ländern zusätzliche administrative und sozialpädagogische Stellen, um die wenigen Lehrkräfte zu entlasten.
- Ermöglichen Sie die Lehrmittelfreiheit
- Sorgen Sie dafür, dass in der hochschulischen Lehrkräfteausbildung mehr erfahrene Dozierende arbeiten können und beenden Sie das systematische Hinauswerfen des Personals nach 6/12 Jahren WissZVG. 90% (!)des Wiss. Personals ist durch 16 Jahre CDU- Regierung heute (auch in der Lehramtsausbildung) befristet. Geht so gute Bildungspolitik? Von der KMK hört man zur Steigerung der Qualität der hochschulischen Lehre durch eine gute Personalpolitik leider sehr wenig!
- Sorgen Sie in den Landeshaushalten der CDU-geführten Länder für ein kräftiges Plus der Bildungsbudgets, um Glaubhaftigkeit zurückzugewinnen.
- Überzeugen Sie den Oppositionsführer, Herrn Merz, davon, den Rechtspopulismus, die destruktive Oppositionsarbeit und das Untergraben der Demokratie zu unterlassen: Wer die Koalitionsarbeit, Verhandlungen und das Finden von demokratischen Kompromissen wiederholt als "Streit", "Versagen", "Klempnerei" darstellt, verunglimpft durch sprachliche Handlungen demokratische Prozesse und legt die Axt an die Demokratie.
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