Karin Prien ist Bildungsministerin von Schleswig-Holstein und stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende. Nach den miesen PISA-Ergebnissen fordert sie Deutschlands Umbau zum "sozialen Bildungsstaat", will eine neue Rolle für die Kultusministerkonferenz, kritisiert Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger – und sieht einen Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik ihrer Partei.
Karin Prien (CDU) ist seit 2017 Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Schleswig-Holsteins seit 2022 stellvertretende CDU-Vorsitzende. Foto: Frank Peter.
Frau Prien, als vor einem Jahr Ihre Zeit als Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) zu Ende ging, sagten Sie im Interview hier im Blog: Wenn die KMK künftig eine prägende Rolle spielen wolle in der Bildungspolitik, "wird das nur mit noch mehr Kooperation gehen, nicht weniger. Aber umso dringlicher muss die KMK ran an ihre Gremienstrukturen und Arbeitsprozesse." Vergangene Woche haben Sie und Ihre Kollegen beschlossen, bis März konkrete Reform-Maßnahmen ausarbeiten zu lassen. Ist es das, was Sie unter "umso dringlicher" verstehen?
Zunächst einmal bin ich wirklich froh, dass die KMK als eine der wenigen Entscheidungsstrukturen in unserem föderalen Staat die Kraft und den Mut hat, eine Strukturreform anzugehen und sich damit auch eingesteht, dass ihre Strukturen überkommen sind. Und mit dem Eckpunkte-Beschluss von vergangener Woche haben wir jetzt eine gute Grundlage, um die zentralen Fragen zu beantworten und die KMK zukunftsfähig zu machen. Wie definieren wir die Aufgabe der KMK neu, und was folgt aus dieser Aufgabe für die Arbeit ihrer Gremien, aber auch für die Organisation des KMK-Sekretariats?
Die Strukturkommission zur Reform der KMK wurde 2021 eingesetzt. Wie lange wird es noch dauern, bis Sie und Ihre Kollegen sich auf die Antworten einigen?
An der grundlegenden Debatte und einer zeitnahen Entscheidung führt jetzt kein Weg mehr vorbei, auch wenn sich die Positionen zwischen den Ländern zur Rolle der KMK unterscheiden mögen. Meine feste Überzeugung ist, dass wir politischer und strategischer werden müssen. Was bedeutet: Mithilfe der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) identifizieren wir in der KMK die Handlungsbedarfe in unserem föderalen Bildungssystem, daraus leiten wir gemeinsame Ziele ab, deren Erreichung nachweisbar und messbar sein muss. Und dann verständigen wir uns auf länderübergreifende Strategien zur Umsetzung dieser Ziele. Das bedeutet überhaupt nicht, dass die KMK zu einer zentralen Steuerungseinheit der gesamten Bildungspolitik wird, aber in den wirklich entscheidenden Fragen, die uns alle angehen, sollte sie genau das sein.
Welche Fragen sind das?
Das weitere Definieren, Implementieren und Erreichen von Bildungsstandards. Die Senkung der Schulabbrecherquoten und die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen aus prekären Familien mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. Das sind alles Themen, bei denen wir als föderaler Staat nur gemeinsam erfolgreich sein werden. Was nicht heißt, dass ich als Landesbildungsministerin so lange warte, bis die KMK da ist, wo ich sie mir wünsche. Sondern ich arbeite mit Hochdruck dran. Bevorzugt mit der ganzen KMK, und wenn das nicht geht, mit einzelnen Ländern, ob mit Hamburg, Baden-Württemberg, Hessen oder Rheinland-Pfalz.
"Das Engagement des Bundes
in der Bildung ist ein Trauerspiel."
Wenn Sie sagen, die Erreichung dieser Ziele sollte messbar sein, dann fordern Sie eine Transparenz, die wir an vielen Stellen in unserem Bildungssystem bislang nicht haben.
Weil wir nicht alle die nötigen Daten erheben und weil wir sie nicht nach einheitlichen Standards erheben. Auch die Definition dieser Standards sollte Aufgabe der KMK sein.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) will, wenn es nicht anders geht, künftig ebenfalls auf "eine Koalition der Willigen" setzen. Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sagte sie: "Ich würde mir wünschen, dass das Grundgesetz uns eine Zusammenarbeit zwischen dem Bund und einem Teil der Bundesländer erlaubt", so könne man schneller Projekte anstoßen, denn: "Wir müssen schneller handeln können, um Bildung gut zu organisieren. PISA zeigt, dass die Zeit drängt."
Die Zeit drängt für ein stärkeres und merklich verlässliches Engagement des Bundes. Dafür braucht es erstmal keine Grundgesetzänderung, sondern einen ernsthaften politischen Willen. Der Bund hat das Aufholprogramm nach Corona gegen den dringenden rat der Länder schon 2022 eingestellt, hat das Sprachkita-Programm eingestellt und die Qualitätsoffensive Lehrerbildung. Das Startchancenprogramm ist noch immer nicht auf dem Weg und kann kaum noch zum Schuljahr 24/25 in der erforderlichen Qualität starten. Die endgültige Finanzierung fehlt bisher sowohl für das Startchancenpaket als auch für den Digitalpakt 2.0. Das Engagement des Bundes in der Bildung ist trotz aller anders lautenden Rhetorik ein Trauerspiel.
Reden wir erstmal über die Perfomance der Länder. Apropos fehlende Daten: Über das Ziel besseren Bildungsstatistiken reden die Kultusminister auch schon seit Jahren, trotzdem bekamen sie von der SWK bei deren Lehrerbildungs-Gutachten gerade erst wieder ins Stammbuch geschrieben, dass die Datenqualität mies ist – oder die Daten gar nicht vorhanden. Wenn zugleich die PISA-Ergebnisse historisch schlecht ausfallen, macht Sie das nicht auch ungeduldig?
Natürlich bin ich ungeduldig. Und ich verstehe die Ungeduld anderer. Umgekehrt würde ich mir a manchmal mehr Aufrichtigkeit wünschen bei den Kritikern der KMK – zumindest bei denen, die wissen sollten, wie der politische Betrieb funktioniert. Die KMK bewegt sich genau in die Richtung, die ich eben skizziert habe. In den vergangenen zwei, drei Jahren sind in der Hinsicht ganz entscheidende Dinge passiert. Wir haben jetzt die SWK und ein gemeinsames Arbeitsprogramm, und sie gibt uns Empfehlungen zu zentralen Fragen von der Reform der Grundschule über die Digitalisierung des Bildungssystems bis zur Weiterentwicklung der Lehrkräftebildung. Wir bekommen von den Wissenschaftlern Handlungsempfehlungen vorgelegt, beschließen sie als Kultusminister und gehen in die qualitative Umsetzung. Die KMK-Strukturreform dauert, aber wir befinden uns eben nicht in einem politischen Vakuum, in der realen Welt kommen wir gut voran.
Ihre erste Stellungnahme zu den neuen PISA-Ergebnissen hörte sich allerdings selbst so an, als reiche es Ihnen langsam. "Deutschland muss den Weg vom Sozialstaat zum sozialen Bildungsstaat einschlagen", haben Sie da gefordert. Und: "Der soziale Bildungsstaat muss als Ideal über allen politischen Debatten stehen."
Ja, das geht aber weit über die Kompetenz der KMK hinaus. Damit wollte ich ausdrücken, dass wir in Deutschland keine ausreichenden politischen Strategien haben, um unsere offensichtlichen Probleme zu lösen. Zu diesen offensichtlichen Problemen gehört, dass wir seit langem ein Einwanderungsland sind, dass wir aber weder unsere sozialen Sicherungssysteme noch unser Bildungssystem entsprechend ausgerichtet haben. Das ist zu null Prozent Schuld der Kinder und Jugendlichen, die zu uns kommen. Das liegt allein an der Unentschlossenheit unserer Gesellschaft und der politischen Entscheidungsträger.
"Meine Partei trägt mit Sicherheit
ihren Teil der Verantwortung."
Sagen Sie als stellvertretende Bundesvorsitzende einer Partei, die lange eben nicht an der Seite derjenigen standen, die schon vor 20, 25 Jahren offensiv gesagt haben: "Deutschland ist ein Einwanderungsland."
Meine Partei trägt mit Sicherheit ihren Teil der Verantwortung. Aber ehrlich gesagt kann ich auch bei den Parteien, die sich vor der CDU rhetorisch zur Einwanderung bekannt haben, nicht erkennen, dass sie ihr politisches Handeln dadurch wesentlich geändert hätten. Die Ampel-Parteien etwa sind mit einem sehr ehrgeizigen bildungspolitischen Anspruch angetreten, den ich in vielen Bereichen unterstützt habe. Aber was ist davon übriggeblieben? Allenfalls ein Startchancen-Programm, das es erstens noch nicht gibt und zweitens frühestens zum Schuljahr 2024/25 in Kraft treten kann, also kurz vor Ende der Legislatur, wobei auch das zunehmend unwahrscheinlich wird. Noch dazu mit einem finanziellen Umfang, bei dem ich nur sagen kann: Dieses Programm wird die Welt nicht retten, es wird kaum noch der Tropfen auf dem heißen Stein sein, und die großen strukturellen Themen packt es auch nicht an. Die freundliche Rhetorik von der Chancen-Gesellschaft an sich hilft keinem Kind, die Chancen zu erhalten, die es unabhängig von seiner Herkunft verdient. Die Taten sind entscheidend, und da tun wir als Gesellschaft bislang alle zu wenig. Es gibt andere Länder, die bekommen das hin. Ein gerechteres Bildungssystem ist keine Raketenwissenschaft, sondern eine Frage des politischen Willens.
Bei Ihnen stimmt die Rhetorik auch, kann man sagen. "Wir müssen mehr in Bildung investieren", haben Sie nach PISA gesagt. Aber wie sieht es denn in Schleswig-Holstein mit den Taten aus, in dem Land, in dem Sie Bildungsministerin sind? Ihre Landesregierung hat den Haushaltsnotstand ausgerufen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, weil es auch bei Ihnen problematische Haushaltskonstrukte gab. Nehmen Sie die Bildung beim Kürzen aus, legen womöglich noch etwas drauf?
Leider müssen wir in Schleswig-Holstein im Gesamthaushalt erheblich einsparen. Trotzdem gelingt es uns, die Bildungsausgaben im Schul- und Wissenschaftsbereich zu steigern, auch wenn die Aufwüchse geringer ausfallen, als ich mir das wünschen würde. Deshalb werden wir priorisieren und Strukturen hinterfragen, aber wir planen als Landesregierung auch knapp 420 Stellen im Schulbereich zu schaffen. Das ist eine große Anstrengung für Schleswig-Holstein.
Mehr geht nicht?
Das Problem ist, dass ein Landeshaushalt sehr wenig freie Masse enthält, weil er so viele Pflichtaufgaben abdeckt, die übrigens wiederum zu einem guten Teil auf Gesetzesänderungen und Anforderungen zurückgehen, die vom Bund kommen. Wenn der Bund Wohngelderhöhungen oder Steuererleichterungen beschließt, holt er die Länder zu einem erheblichen Teil mit in die Haftung. Und wenn die Ampel bei allen neuen Förderprogrammen auch in der Bildung künftig einen 50-Prozent-Anteil von den Ländern verlangt, schränkt das unsere landesseitigen Spielräume weiter ein. Dann wird einem vergleichsweise finanzschwachen Land wie Schleswig-Holstein die Luft zu Atmen genommen. Und das in einer Situation, in der wir dringend mehr Ressourcen in der Bildung bräuchten angesichts massiv wachsender Schülerzahlen, aber auch um eine bessere Bildungsqualität in den Kitas und Schulen zu ermöglichen.
"Natürlich ist es immer
eine Frage der Priorisierung."
Sie sagen also, als Land sind Sie am Ende der Möglichkeiten angekommen, aber der Bund nicht? Das sehen die Bundespolitiker auch in Ihrer Partei anders.
Natürlich ist es immer eine Frage der Priorisierung, darum bin ich ja froh, dass wir in Schleswig-Holstein bei den Kitas und Schulen weniger beim Zuwachs einsparen, als es im Verhältnis zum Gesamthaushalt eigentlich erforderlich wäre. Darum haben wir in Schleswig-Holstein und in anderen Bundesländern zum Beispiel auch das Sprachkita-Programm weiterfinanziert, nachdem der Bund plötzlich und entgegen seinen Aussagen im Ampel-Koalitionsvertrag ausgestiegen ist. Aber am Ende können wir auch nicht völlig aussteigen, etwa in Krankenhäuser, den Hochschulbau, die Polizei oder in den Personennahverkehr zu investieren, denn dann werden wir unsere Klimaschutzziele nicht erreichen.
An wen richtet sich denn dann Ihr Appell für einen sozialen Bildungsstaat und Mehrausgaben für Bildung?
Der richtet sich an alle staatlichen Ebenen, an Bund, Länder und Kommunen. Es geht mir ja um zweierlei: um mehr Ausgaben für Bildung und um die richtigen Ausgaben für Bildung. Indem wir wissenschaftlich überprüfen müssen, was hilft und was nicht. Und wenn ich das so für die Bildung einfordere, muss dasselbe für den Sozialbereich gelten. Wir müssen endlich anfangen, die Wirksamkeit aller sozialen Transferleistungen dahingehend zu evaluieren, ob sie ein Mehr an sozialem Aufstieg ermöglichen oder nicht. Was bezogen auf die Kindergrundsicherung bedeuten kann, dass es am Ende sinnvoller sein kann, einen Teil des Geldes in die – bewiesen wirkungsvolle – frühkindliche Bildung oder in die Sprachförderung zu stecken, als alles in ein neues soziales Transferinstrument, das Bürokratie schafft, dessen Wirkung aber völlig offen ist.
Damit würden Sie aber nur Geld verschieben, das ohnehin für Kinder und Familien vorgesehen ist. Liegt nicht genau darin das Problem in unserer alternden Gesellschaft? Dass es uns nicht gelingt, einen größeren Teil der Staatsausgaben für die junge Generation einzusetzen?
Sie haben Recht: Dieser Frage müssen wir uns stellen. Tatsächlich glaube ich, dass man der älteren Generation erklären kann, dass massive Investitionen in die Bildung ihr auch nützen. Weil nur eine leistungsfähige junge Generation in der Lage sein wird, die Renten zu finanzieren, was schon durch den demographischen Wandel schwierig genug wird. Ich bin davon überzeugt, dass die eigentliche soziale Frage von heute die Frage der Bildungsgerechtigkeit ist. Und wenn man das offen anspricht, verstehen die meisten Menschen das auch. Nur genau daran mangelt es in der heutigen Politik: die Themen offen anzusprechen und auch die möglichen Einschränkungen, die daraus folgen, nicht zu verschweigen.
"Die Einführung der Rente mit 63 wie auch der Mütterrente war in ihrer Breite ein Fehler."
Klingt wieder stimmig, und wieder der Blick zurück: Es war eine CDU-Bundeskanzlerin, unter der die Rente mit 63 und die Mütterrente eingeführt wurden, die den Bundeshaushalt inzwischen jedes Jahr mehr als 40 Milliarden Euro kosten. Doppelt so viel, wie der gesamte BMBF-Haushalt umfasst. Man könnte sagen: Da hat Ihre Partei auch eine Priorisierung vorgenommen. Zugunsten der Älteren.
Es gab gute Gründe für die Einführung der Rente mit 63 und auch für die Einführung der Mütterrente, wobei das ein Geben und Nehmen war zwischen SPD und vor allem der CSU. Richtig ist aber auch, dass bereits zu dem Zeitpunkt absehbar war, dass beides aufgrund der demographischen Situation auf Dauer nicht finanzierbar sein würde. Hinzu kommt, dass uns als Gesellschaft jetzt zunehmend die Kompetenzen derer fehlen, die mit 63 in Rente gehen. Gerade die sehr gut Qualifizierten machen davon Gebrauch, das fällt uns inmitten des Fachkräftemangels auf die Füße. Also ja: Die Einführung der Rente mit 63 wie auch der Mütterrente war in ihrer Breite ein Fehler, der uns jetzt massiv haushaltspolitisch einschränkt. Stärker als die Schuldenbremse.
War deren Einführung auch ein Fehler?
Die Schuldenbremse ist ein wirksames Instrument zur nachhaltigen Organisation der Staatsfinanzen zugunsten der kommenden Generationen – damit die auch noch Gestaltungsspielräume haben. Und ich weiß genau, wovon ich rede – was es bedeutet, wenn wie bei uns in Schleswig-Holstein solche Gestaltungsspielräume erstmal weg sind. Hinzu kommt: Die junge und die kommende Generation haben einen Anspruch darauf, dass wir die heutigen Steuermittel dafür einsetzen, ihnen möglichst gute Ausgangsbedingungen zu verschaffen. Das bedeutet, dass wir vor zusätzlichen Schulden erst einmal alle Staatsausgaben auf ihre Sinnhaftigkeit und, ich sagte es, auf ihre Wirksamkeit überprüfen, inklusive aller sozialer Transferausgaben – und dann entsprechende Strukturreformen vornehmen. Als nächste müssen wir schauen: An welchen Stellen brauchen wir tatsächlich den Staat? Wo kann privates Kapital einspringen, ohne dass es den sozialen Zusammenhalt gefährdet? Und erst wenn wir das alles gewissenhaft getan haben und trotzdem noch nicht genug Geld da ist, um die großen Zukunftsausgaben richtig zu organisieren, dann können wir gern über eine Reform der Schuldenbremse reden. Über den Einbau einer Investitionskomponente. Aber erst am Ende. Am Anfang steht die Priorisierung.
In eigener Sache: Blog-Finanzierung
Wie dieser Blog finanziell aufgestellt ist, warum er Ihre Unterstützung braucht – und welche Artikel im November am meisten gelesen wurden.
Apropos Priorisierung: Was genau meinen Sie eigentlich, wenn Sie vom "sozialen Bildungsstaat" sprechen?
Damit meine ich das Konzept einer aktivierenden Sozial- und Bildungspolitik. Auf der Grundlage eines Menschenbildes mit dem Ziel, dass Menschen Bildung, Arbeit und Qualifizierung bekommen und eine aktive Teilhabe an unserer Gesellschaft leben können. Genau darauf ist Bildung ja ausgerichtet: auf ein erfolgreiches und erfülltes Leben und Berufsleben und auf eine Beteiligung an unserer Demokratie.
Einer Demokratie, die im Augenblick massiv unter Druck steht, weshalb viele in der Politik noch mehr Angst haben, den Menschen etwas zuzumuten.
Das ist das, was ich vorhin meinte: Wir müssen offen mit den Menschen sprechen. Dazu gehört für mich, dass wir eine bundesweite Kitapflicht für alle Kinder brauchen, die mit viereinhalb Jahren nicht ausreichend Deutsch sprechen. Außerdem müssen wir den Zeitraum, den Menschen in sozialen Transfersystemen sind, verkürzen. Aber das eine geht nicht ohne das andere. Genau deshalb muss es uns doch darum gehen, allen Kindern den denkbar besten Start zu ermöglichen – egal, wo sie herkommen. Alle Kinder, die heute hier sind, sind unsere Kinder, um Hendrik Wüst zu zitieren. Natürlich gehört dazu, die Eltern viel mehr in die Pflicht zu nehmen, sich an der Bildung und Erziehung ihrer Kinder zu beteiligen, als es heute zum Teil der Fall ist. Aber wenn die Eltern das nicht tun oder tun können, können wir dafür nicht die Kinder bestrafen. Sie alle müssen bekommen, was es heute braucht, und das ist viel mehr als die Vermittlung von Wissen oder Kompetenzen. Alle Kinder müssen die deutsche Sprache beherrschen, bevor sie in die Schule kommen. Alle Kinder müssen sozialemotional auf die Schule vorbereitet sein, und für all das sind wir als Gesellschaft verantwortlich. Dafür brauchen wir nicht nur mehr Lehrer, wir brauchen mehr Therapeuten, Schulsozialarbeiter und Schulassistenten. Wir brauchen eine andere Personalstruktur an den Schulen. Kurzum, und das ist für mich die wichtigste Schlussfolgerung aus PISA: Wir müssen uns endlich so verhalten wir ein Land mit hohen Zuwanderungsquoten, das darauf angewiesen, aber auch entschlossen ist, jedes Kind bestmöglich auszubilden. Dazu müssen wir um die Kinder und Eltern herum ein System von Hilfen und Angeboten bauen. Und es eilt.
"Das wird bis August kaum
noch zu schaffen sein."
Eigentlich wollten Bund und Länder die Bund-Länder-Vereinbarung zu den Startchancen Anfang Dezember beschließen.
Was schon spät gewesen wäre. Dafür hätte der Bund aber rechtzeitig vorher einen einigermaßen vollständigen Entwurf vorlegen müssen, was er aber nicht getan hat. Keiner von den noch offenen Punkten ist unlösbar, doch jetzt wird es wohl frühestens Ende Januar etwas mit der Unterzeichnung. So ein Programm braucht aber eine gute Begleitung, Sie können nicht einfach Geld in die Schulen geben, sondern Sie müssen ihnen die nötige Unterstützungsstrukturen dazu liefern. Das wird bis August kaum noch zu schaffen sein, wenn es nach Abschluss einer Vereinbarung erfahrungsgemäß zwei, drei Monate dauert, bis alle Länder die parlamentarischen und rechtlichen Grundlagen geschaffen haben. Dann erst, im März oder April, könnten die Förderrichtlinien mit den kommunalen Spitzenverbänden vereinbart und aufgestellt werden. So dass es Mai oder Juni wäre, bevor die Schulen überhaupt in die Beantragung gehen könnten. Dann müsste das Auswahlverfahren stattfinden, und das soll bis August durch sein? Und selbst wenn, die Schulen sollen aus dem Stand loslaufen und bis Jahresende die ihnen bewilligten Gelder sinnvoll einsetzen? Das kann ich mir kaum vorstellen. Aber natürlich werden wir alles versuchen und jetzt auch schon alles vorbereiten, ohne dass es dafür schon die rechtliche Grundlage gibt.
Warum mussten die Verhandlungen überhaupt so lange dauern?
Der Bund hat versucht, ein sehr kleinteiliges Programm für Schulen in herausfordernden Lagen zu stricken, ohne zu wissen, wie man das eigentlich macht. In der Folge war er angewiesen auf die Erfahrung der wenigen Bundesländer wie Hamburg oder Schleswig-Holstein, die solche Programme schon selbst aufgesetzt haben. Erschwerend kam hinzu, dass das BMBF in den Verhandlungen mit den Ländern nie die Prokura zu haben schien, es also bei praktisch jedem Punkt nochmal Abstimmungsprozesse innerhalb der Bundesregierung brauchte. Am Ende sind es weit über 100 Arbeitssitzungen der Verhandlungsgruppe geworden. Wer sich über die KMK, ihre Gremien und die vielen Sitzungstermine lustig macht, der sollte sich das Verfahren zur Erarbeitung des Startchancen-Programms nochmal genauer ansehen.
Zwischendurch schienen die unionsregierten Länder die Einigung bei den Startchancen auch noch verknüpfen zu wollen mit der Zusicherung des Bundes, dass die Fortsetzung des Digitalpakts ordentlich ausfinanziert wird. War das schlau?
Ich begrüße, dass die Ministerpräsidenten sich bei ihrer Konferenz im November sehr eindeutig den Digitalpakt 2.0 eingefordert haben. Hier steht das grundsätzliche Vertrauen in Zusagen der Bundesregierung auf dem Spiel.
Im Gegensatz zum Bundeskanzler, der zu einem gemeinsamen Beschluss zum Digitalpakt nicht bereit war.
Dafür haben die Ministerpräsidenten ihre Erwartungshaltung unmissverständlich formuliert. Und zu der gehört, dass es eben nicht möglich sein wird, dass die Länder sowohl beim Startchancen-Programm als auch beim Digitalpakt jeweils 50 Prozent der Kosten übernehmen. Es gibt Länder, für die kommt das aufgrund ihrer Haushaltssituation schlicht nicht in Betracht.
"Ich bin sicher, dass bei den Startchancen etliche Länder am Ende nur mitmachen werden, wenn eine faire Lösung beim Digitalpakt gefunden wurde."
Was wollen Sie denn tun, wenn Sie Ende Januar die Startchancen-Vereinbarung abschließen, zu der eine 50-prozentige Mitfinanzierung durch die Länder gehört, und der Bund danach trotzdem auf den 50 Prozent beim Digitalpakt beharrt?
Auch nachdem eine Startchancen-Vereinbarung steht, kommt das Programm nur dann, wenn alle Länder sie in ihren Parlamenten und Regierungen bestätigt haben. Schleswig-Holstein gehört zu den Ländern, die mit dem Bund die Startchancen verhandeln, und wir werden alles tun, dass die Bund-Länder-Vereinbarung konsensfähig für alle wird. Aber ich bin sicher, dass etliche Länder am Ende nur mitmachen werden, wenn eine faire Lösung beim Digitalpakt gefunden wurde. Immerhin sprechen wir mit dem BMBF nach langer Zeit endlich wieder dazu. Aber wir liegen noch weit auseinander. Vor allem für die FDP, die damit angetreten ist, dass die Digitalisierung in der Bildung für sie ganz vorn stehe, wäre ein Scheitern des Digitalpakts 2.0 ein enormer Glaubwürdigkeitsverlust.
Und für die CDU? Sie selbst machen sich als Vize-Bundesvorsitzende demonstrativ stark für das Bildungsthema, was bedeutet das für das neue CDU-Grundsatzprogramm?
Dieses neue Grundsatzprogramm wird einen starken Schwerpunkt auf die Bildung legen. Der große Paradigmenwechsel christdemokratischer Bildungspolitik wird darin liegen, dass wir klar zur frühkindlichen Bildung stehen und einen einheitlichen Bildungsplan von 0 bis 10 anstreben und Kitas und Schulen in herausfordernden Lagen besonders unterstützen werden. Dazu gehört auch ein klares Bekenntnis zum Ganztag.
Auch zum gebundenen Ganztag für alle, inklusive verpflichtenden Unterrichtsangeboten am Nachmittag?
Das glaube ich nicht, das hielte ich aber auch nicht für richtig. Der gebundene Ganztag ist eine gute Alternative, aber keineswegs überall im Land und für alle gleichermaßen.
Bei Ihrem Parteivorsitzenden Friedrich Merz hat man nicht den Eindruck, als gehöre die Politik für Kinder und Jugendlichen zu seinen Herzensanliegen.
Wie kommen Sie denn darauf? Friedrich Merz ist völlig klar, dass wir unser wirtschaftliches Wachstumspotenzial nur über massive zusätzliche Investitionen in Bildung wiederbeleben werden – so, wie es uns der Sachverständigenrat deutlich gemacht hat. Bei der Qualität von Kitas, Schulen und Hochschulen handelt es sich in Wirklichkeit um eine Existenzfrage unserer Wirtschaft, aber auch unseres politischen Systems. Außerdem ist Friedrich Merz jemand, der von dem Ziel der Chancengerechtigkeit zutiefst überzeugt ist. Wir ziehen da an einem Strang.
Kommentar schreiben
Hanna (Freitag, 15 Dezember 2023 09:28)
Liebe Frau Prien,
da die CDU in 16 Jahren Regierungsära in ministerieller Verantwortung die heutige Bildungsmisere maßgeblich mitverursacht hat, ist
das Vorschlagen von Konzepten für mich wenig glaubhaft; ja die Verwendung des Ausdrucks "sozialer Bildungsstaat" durch die CDU grenzt für mich an Zynismus.
Versuchen Sie aber gern durch Taten zu überzeugen:
- Unterstützen Sie und die CDU eine Erhöhung der Löhne in Bildungsberufen.
- Schaffen Sie in den CDU-geführten Ländern zusätzliche administrative und sozialpädagogische Stellen, um die wenigen Lehrkräfte zu entlasten.
- Ermöglichen Sie die Lehrmittelfreiheit
- Sorgen Sie dafür, dass in der hochschulischen Lehrkräfteausbildung mehr erfahrene Dozierende arbeiten können und beenden Sie das systematische Hinauswerfen des Personals nach 6/12 Jahren WissZVG. 90% (!)des Wiss. Personals ist durch 16 Jahre CDU- Regierung heute (auch in der Lehramtsausbildung) befristet. Geht so gute Bildungspolitik? Von der KMK hört man zur Steigerung der Qualität der hochschulischen Lehre durch eine gute Personalpolitik leider sehr wenig!
- Sorgen Sie in den Landeshaushalten der CDU-geführten Länder für ein kräftiges Plus der Bildungsbudgets, um Glaubhaftigkeit zurückzugewinnen.
- Überzeugen Sie den Oppositionsführer, Herrn Merz, davon, den Rechtspopulismus, die destruktive Oppositionsarbeit und das Untergraben der Demokratie zu unterlassen: Wer die Koalitionsarbeit, Verhandlungen und das Finden von demokratischen Kompromissen wiederholt als "Streit", "Versagen", "Klempnerei" darstellt, verunglimpft durch sprachliche Handlungen demokratische Prozesse und legt die Axt an die Demokratie.