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Alle an Bord?

Die Verwirrung um die WissZeitVG-Novelle setzt sich fort, noch bevor der Entwurf das Kabinett passiert hat. Ein Vorgeschmack auf das, was als nächstes im Parlament bevorsteht?

AM 10. MÄRZ bestätigte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) offiziell gegenüber der Presse, "dass wir uns jetzt innerhalb der Bundesregierung auf einen Reformvorschlag für das Wissenschaftszeitvertragsgesetz verständigt haben" – und fügte hinzu, dass der Entwurf zeitnah im Bundeskabinett beschlossen werden könne. Die Kabinettszeitplanung war noch konkreter: Für den 27. März steht der "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Befristungsrechts für die Wissenschaft" auf der Sitzungsagenda. 

 

Wie aber passt dazu, dass das BMBF jetzt in seiner – auf den 12. März, also zwei Tage später datierten – Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion mitteilte, die Ressortabstimmung dauere an, der Entwurf werde zeitnah "nach Abschluss der Ressortabstimmung im Bundeskabinett beschlossen werden"? Was denn nun? Der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Thomas Jarzombek spricht jedenfalls von einer "Einigung, die gar keine zu sein scheint". Er finde es "respektlos, dass das Parlament und die Öffentlichkeit über einen so langen Zeitraum und bei einem so zentralen Thema für Wissenschaft und Forschung im Dunkeln gehalten werden".

 

Der Weg zum Kabinettsbeschluss
ist noch nicht zu Ende

 

Ist Stark-Watzinger zu früh an die Öffentlichkeit gegangen? Ja – und nein. Tatsächlich gibt es, wie die Ministerin betonte, eine Einigung mit denjenigen Ressorts, die gegen den BMBF-Referentenentwurf einen Widerspruch ("Leitungsvorbehalt") eingelegt hatten: das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) und das Arbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD). Über den Inhalt der sich abzeichnenden Übereinkunft hatte ich bereits Mitte Februar berichtet.

 

Wobei es sich, worauf die Wissenschaftspolitikerinnen Laura Kraft (Grüne) und Carolin Wagner (SPD) am Sonntag umgehend hier im Blog hinwiesen, nicht um eine inhaltliche Einigung beim zentralen Streitpunkt, der Postdoc-Befristungshöchstdauer handele, sondern lediglich um eine Einigung, das Gesetz ins Parlament weiterzuschieben. Mit einem Prüfauftrag, dort eine Lösung für den weiter ungelösten Konflikt zu finden.

 


Konfliktlösung ins Parlament verschoben?

BMBF, BMWK und BMAS haben sich geeinigt, dass die Novelle des WissZeitVG im Wesentlichen in der Form des im Juni 2023 vorgelegten BMBF-Referentenenwurfs ins Kabinett eingebracht werden soll. 

 

Vor allem soll es bei der von SPD und Grünen abgelehnten Befristungshöchstdauer nach der Promotion (vier Jahre plus zwei weitere Jahre mit Anschlusszusage) bleiben, davon könnte auch per Tarifvertrag nicht abgewichen werden. 

Im sogenannten Zuleitungsschreiben, mit dem der Gesetzentwurf ins Kabinett geht, soll stattdessen stehen, dass im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine Erweiterung der Tarifklausel im WissZeitVG in der Postdoc-Phase geprüft werden solle, und zwar um die Aspekte Höchstbefristungsdauer und Zeitpunkt der Anschlusszusage. Ziel dabei sei, so die Formulierung im Zuleitungsschreiben, "einen angemessen Zeitraum zur Qualifizierung zu gewährleisten und eine frühere Perspektive auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu eröffnen".



Doch ist der Weg bis zum Kabinettsbeschluss damit eben noch nicht zu Ende: Jetzt haben die übrigen Ministerien, inklusive Kanzleramt, noch einmal die Gelegenheit, auf den zwischen den zwischen BMBF, BMWK und BMAS vereinbarten Entwurf zu schauen, ebenso die Spitzen der Ampel-Koalition. Und an der Stelle könnte es erneut interessant werden: Denn eine Schlussfolgerung der Ampel aus ihrem Kommunikationsfiasko um das Gebäudeenergiegesetz hatte eigentlich darin bestanden, inhaltlich nicht geeinte Gesetze nicht mehr in den Bundestag zu schicken. Dass der Koalition dort beim WissZeitVG neben dem eigenen Streit ein medial wenig schmeichelhafter Überbietungswettbewerb durch die Opposition droht, ist absehbar. 

 

Wackelt insofern der 27. März? Gut möglich. Heißt das, es kommt zu einer weiteren substanziellen Verzögerung, bis das Gesetz im Parlament aufschlägt? Schwer zu sagen. In der Obleute-Runde des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung zeigten sich die Koalitionsvertreter am Mittwochmorgen optimistisch, dass es, wenn nicht der 27. März, dann der 10. April werde. In der Woche dazwischen fällt die Kabinettssitzung osterbedingt aus. 

 

"Verschärft die Probleme, die durch eine 
Reform eigentlich behoben werden sollten"

 

Aber was ist schon sicher in dem WissZeitVG-Gesetzverfahren? In einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme von "#profsfuerhanna", einer schon vergangenes Jahr aktiven Adhoc-Initiative von Hochschullehrenden, heißt es, die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes führe vor, "wie Gesetzgebung nicht laufen sollte". Die Unterzeichner, darunter die Soziologinnen Paula-Irene Villa Braslavsky (München) und Tilman Reitz (Jena), der Philosoph Tobias Rosefeldt (Berlin) und die Historikerin Martina Winkler (Kiel), rekapitulieren: "Nachdem das zuständige Ministerium (BMBF)eine Evaluation beauftragt, zahlreiche Gespräche mit Beteiligten und Betroffenen geführt, einen vor einem Jahr lancierten Änderungsansatz nach Protesten wieder zurückgezogen und dann in einem notdürftig veränderten Referentenentwurf überführt hat, wurde nun die Kabinettsvorlage angekündigt."

 

Das Ergebnis sei mehr als enttäuschend: "Das Ministerium nimmt von der Vielzahl geäußerter Einsichten, Vorschläge und Argumente zur Reform oder Obsoletheit des WissZeitVG also schlechthin nichts auf und hält weiter an einem Plan fest, der die Situation für befristet Beschäftigte in der Wissenschaft sogar verschärft." Und weiter: "Eine bloße Verkürzung der Postdoc-Phase ohne begleitende Maßnahmen, die Verbindlichkeit schaffen und Prekariat abbauen, verschärft die Probleme, die durch eine Reform eigentlich behoben werden sollten."

 

Ähnlich hatte sich vorher schon die "#IchbinHanna"-Mitinitatorin Kristin Eichhorn geäußert. "Mit der Einigung innerhalb der Koalition hätte sich das BMBF unter dem Strich mit einem Entwurf durchgesetzt, mit dem für niemanden etwas gewonnen ist: Der Entwurf hätte Nachteile für Beschäftigte, Professor_innen, Studierende, wissenschaftliche Arbeitgeber; würde er Gesetz, würde das Lehre und Forschung massiv schädigen." Faire Arbeitsbedingungen als Teil eines zukunftsfähigen Wissenschaftssystems sähen anders aus, fügt Eichhorn im Newsletter der ebenfalls durch ihr "#IchbinHanna"-Engagement bekannt gewordenen Amrei Bahr hinzu. "Alle Kritikpunkte unserer Stellungnahme aus dem Juli 2023 könnten wir heute genauso wieder schreiben." Eine der vielen Stellungnahmen, die im Gesetzgebungsverfahren abgegeben worden waren. 

 

"Spielball der fliegenden 
Kräfte im Parlament"

 

Unions-Wissenschaftspolitiker Jarzombek kommentiert: "Keiner in der Koalition kann überzeugend darlegen, warum den Regierungsfraktionen jetzt im Parlament gelingen sollte, was sie in der von ihr getragenen Bundesregierung in den letzten zweieinhalb Jahren nicht zustande bekommen haben." Sein Kollege Lars Rohwer, Berichterstatter der CDU/CSU für das WissZeitVG, sagt, das Gesetz werde durch das Vorgehen der Regierungskoalition "zu einem Spielball der fliegenden Kräfte im Parlament". 

 

Genau das könnte freilich die Neigung der Ampelfraktionen, sich bald zu einigen, erhöhen. Denn weder SPD und Grüne noch FDP haben ein Interesse daran, sich dauerhaft bei dem Thema vorführen zu lassen, den Gesetzentwurf komplett scheitern zu lassen – oder ihn im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl immer noch auf dem Tisch zu haben. Was das für den Postdoc-Streit bedeutet – kaum vorherzusagen.  Der forschungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Stephan Seiter, hatte am Sonntag das Verhandlungsergebnis von BMBF, BMWK und BMAS begrüßt und zugleich zu Protokoll gegeben, Prüfaufträge halte er "im Rahmen evidenzbasierter Politik für sinnvoll". Unterdessen kündigte der GEW-Vizevorsitzende Andreas Keller laut Research.Table neue Protestaktionen gegen die Gesetzespläne an. "Wir werden den Protest aus dem digitalen Raum auch auf die Straße bringen müssen."

 

Lesenswert an der BMBF-Antwort auf die parlamentarische Anfrage der Union sind übrigens noch die Ausführungen, wie Bettina Stark-Watzinger sich persönlich in Sachen WissZeitVG-Novellerierung engagiert habe: Die Ministerin habe seit September 2023 "persönlich zehn Gespräche mit ausdrücklichem und unmittelbarem Bezug zum Thema WissZeitVG geführt".  Dies hätten insbesondere Besprechungen innerhalb des BMBF umfasst "sowie Gespräche im Rahmen der Abstimmung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Befristungsrechts für die Wissenschaft zwischen den Ressorts". Darüber hinaus habe die Ministerin das Thema in verschiedenen Kontexten angesprochen beziehungsweise sei darauf angesprochen worden. "Solche von der Bundesministerin geführten Gespräche – etwa am Rande von Veranstaltungen – werden nicht protokolliert und können daher nicht einzeln aufgeführt werden."



In eigener Sache: Es geht so nicht mehr

Dieser Blog hat sich zu einer einschlägigen Adresse der Berichterstattung über die bundesweite Bildungs- und Wissenschaftspolitik entwickelt. Doch wirtschaftlich steht die Idee seiner freien Zugänglichkeit vor dem Scheitern. 


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Kommentare: 1
  • #1

    Hanna (Freitag, 15 März 2024 21:53)

    Ein weiteres Jahr vergangen und viele hochqualifizierte Kolleg:innen durch das WissZVG verloren. Inzwischen finden wir kaum noch Doktoranden, weil die inzwischen alle wissen, wie der WissZVG-Hase läuft. Die nächste Generation hat Achtsamkeit gelernt und lacht über uns Wenige, die sich den Stress in diesem Hamsterrad (noch) antun. Wissenschaftskarrieren sind unattraktiv geworden. - Endlich her mit guten Arbeitsbedingungen! Kann doch nicht so schwer sein!